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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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72. Urteil vom 18. Dezember 1968 i.S. X. gegen St. Gallen, Kanton und Verwaltungsgericht | |
Regeste |
Veranlagungsverjährung bei periodischen Steuern. |
Analoge Anwendung der Vorschriften über die Bezugsverjährung auf die Veranlagungsverjährung (Erw. 3). |
Treu und Glauben im öffentlichen Recht. |
Unmittelbar aus Art. 4 BV folgender Anspruch des Bürgers auf vertrauenswürdiges, gewissenhaftes Verhalten der Verwaltungsbehörden und auf Schutz des berechtigten Vertrauens auf behördliche Zusicherungen oder sonstiges, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden. Freie Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts inbezug auf die Frage, ob dieser Anspruch verletzt sei. (Erw. 4 a). |
Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben auf die Geltendmachung von Steueransprüchen nach Ablauf der Veranlagungsperiode (Erw. 4 b). | |
Sachverhalt | |
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Art. 11 Abs. 1: Die Steuern werden für das Kalenderjahr geschuldet. Der Steueranspruch entsteht zu Beginn des Steuerjahres.
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Art. 62: Die Steuerpflichtigen werden auf ihr Begehren oder von Amtes wegen veranlagt.
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Der Steuerpflichtige hat das Veranlagungsbegehren innert der Frist einzureichen, die jedes Jahr öffentlich bekanntgegeben wird. Er ist zur Einreichung eines Veranlagungsbegehrens verpflichtet, wenn er der Steuerpflicht erstmals unterliegt oder wenn sich sein Einkommen oder Vermögen erheblich vermehrt hat...
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Die Veranlagung von Amtes wegen kann jederzeit auf Anordnung des Steuerkommissärs oder der kantonalen Steuerverwaltung erfolgen. Jeder Steuerpflichtige ist in der Regel alle vier Jahre neu zu veranlagen. Der Regierungsrat kann die gleichzeitige Veranlagung der Steuerpflichtigen eines ganzen Gebietes oder Wirtschaftszweiges verfügen.
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Art. 97: Die rechtskräftigen Steuerforderungen verjähren in fünf Jahren nach ihrer Fälligkeit. Die Verjährung wird durch jede Bezugshandlung unterbrochen und ruht, solange der Steuerpflichtige in der Schweiz keinen Wohnsitz hat oder sein Aufenthalt unbekannt ist.
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B.- Der in Cham (Kt. Zug) wohnhafte X. kaufte im Juni 1959 eine Liegenschaft in der Gemeinde Rorschach (Kt. St. Gallen). Im Laufe des Jahres 1960 erhielt er vom Steueramt Rorschach eine Rechnung für die Staats- und Gemeindesteuern 1959/60. Mit Schreiben vom 12. Januar 1961 teilte das Steueramt Rorschach demjenigen von Cham mit, dass es für 1961/62 eine Steuerausscheidung verlange und um rechtzeitige Übermittlung des Ausscheidungsplans ersuche. Entsprechende Ausscheidungsbegehren stellte es am 24. Januar 1963 für die Steuerjahre 1963/64 und am 19. Januar 1965 für die Steuerjahre 1965/66. Es erhielt hierauf die Ausscheidungspläne für 1961/62 und 1963/64 am 12. Juni 1964 und denjenigen für 1965/66 am 15. April 1966.
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Am 4. und 8. August 1966 eröffnete das Steueramt Rorschach X. die Staats- und Gemeindesteuereinschätzungen für die Steuerjahre 1961 bis 1964. Die Steuern für diese vier Jahre machten zusammen Fr. 7227.10 aus. X. erhob Einsprache und nach deren Abweisung Rekurs, im wesentlichen mit der Begründung, es gehe nicht an, ihn lange nach Ablauf der jeweiligen Veranlagungsperiode noch zu veranlagen. Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen wies den Rekurs am 23. August 1967 ab.
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Hiegegen führte X. Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen. Dieses hiess die Beschwerde am 13. März 1968 in dem Sinne teilweise gut, dass es feststellte, der Staats- und Gemeindesteueranspruch für 1961 könne zufolge Verjährung nicht geltend gemacht werden. Die Erwägungen dieses Entscheids lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das StG regle im Art. 97 ausschliesslich die Verjährung rechtskräftiger Steuerforderungen und enthalte keine Regel, dass der Steueranspruch unabhängig von der Durchführung der Veranlagung verjähre. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete indes zwingend, dem Bestand öffentlich-rechtlicher Ansprüche zeitliche Schranken zu setzen. Habe der Gesetzgeber dies unterlassen, so habe der Richter eine jenes Gebot erfüllende Regel aufzustellen. Im vorliegenden Falle kämen zwei Lösungen in Frage; man könne das Recht, eine Veranlagung einzuleiten, befristen oder den noch nicht veranlagten Steueranspruch der ![]() | 10 |
C.- Gegen diesen Beschwerdeentscheid des Verwaltungsgerichts hat X. staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, ihn insoweit aufzuheben, als er den Beschwerdeführer für 1962 bis 1964 als steuerpflichtig erkläre. Er macht Verletzung des Art. 4 BV geltend.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid angenommen, dass das StG in dieser Beziehung eine Lücke aufweise, und es hat diese durch analoge Anwendung des Art. 97 ausgefüllt. Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist dieses Vorgehen willkürlich. Er leitet aus Art. 62 StG ab, dass die Steuerbehörden während der dort festgelegten Veranlagungsperiode mit der Veranlagung fertig zu werden oder doch zu beginnen haben. Ferner macht er unter Hinweis auf BGE 90 I 25 ff. geltend, bei periodischen Steuern habe auch beim Fehlen ![]() | 14 |
Das StG enthält in den Art. 62 und 63 Vorschriften über die "Zeit der Veranlagung". Nach Art. 63 sind Kapitalgesellschaften und Genossenschaften jährlich von Amtes wegen zu veranlagen. Für die übrigen Steuerpflichtigen unterscheidet Art. 62 zwischen der Veranlagung auf eigenes Begehren und von Amtes wegen. Abs. 3, der die hier allein interessierende Veranlagung von Amtes wegen regelt, schreibt vor, dass jeder Steuerpflichtige in der Regel mindestens alle vier Jahre neu zu veranlagen sei, und ermächtigt den Regierungsrat, die gleichzeitige Veranlagung eines ganzen Gebietes oder Wirtschaftszweiges zu verfügen. Gestützt darauf hat der Regierungsrat für den ganzen Kanton einen zweijährigen Veranlagungsturnus eingeführt (Art. 46 VV). Diese Ordnung ist, trotz des nicht völlig klaren Randtitels "Zeit der Veranlagung", offenbar dahin zu verstehen, dass damit die sog. Veranlagungsperiode festgelegt wird, d.h. die Zeit, für welche eine Veranlagung vorzunehmen und verbindlich ist. Dagegen erscheint es als zweifelhaft, ob damit auch die Zeit bestimmt werde, in welcher die Veranlagung zu erfolgen hat oder doch einzuleiten ist und zwar mit der Wirkung, dass eine spätere Veranlagung nicht mehr zulässig wäre. Eine solche Ordnung wäre, wie in BGE 90 I 23 ausgeführt wurde, durchaus ungewöhnlich und nur anzunehmen, wenn dafür besondere Anhaltspunkte bestünden. Hieran fehlt es; der Umstand allein, dass das StG, wie die meisten kantonalen Steuergesetze, keine Veranlagungsverjährung vorsieht, rechtfertigt es noch nicht und bildet jedenfalls keinen zwingenden Grund dafür, in der in Art. 62 enthaltenen Regelung der Veranlagungsperiode eine Befristung des Rechts zur Einleitung der Veranlagung zu erblicken. Wenn der angefochtene Entscheid annimmt, dass das StG die Veranlagungsverjährung nicht regle und inbezug auf sie eine Lücke aufweise, so kann diese Auslegung des StG und insbesondere seines Art. 62 zum mindesten nicht als schlechthin unhaltbar, geradezu willkürlich bezeichnet werden. In diesem Sinne hat das Bundesgericht in BGE 90 I 23 Erw. 2 b bereits inbezug auf die in § 66 Abs. 1 des aarg. StG enthaltene Bestimmung über die Veranlagungsperiode entschieden.
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3. Enthält das StG keine Vorschrift über die Veranlagungsverjährung, so fragt sich, wie diese Lücke auszufüllen und die Geltendmachung von Steueransprüchen, dem Gebot der Rechtssicherheit entsprechend, zeitlich zu begrenzen sei. Das Verwaltungsgericht hat diese Frage sorgfältig geprüft und ist dabei zum Schlusse gekommen, die Gesetzeslücke sei am besten nicht durch Befristung des Rechts zur Einleitung der Veranlagung, sondern durch Verjährung des noch nicht veranlagten Steueranspruchs auszufüllen; sodann hat es angenommen, dass die Verjährungsfrist in Analogie zu Art. 97 StG auf 5 Jahre festzusetzen sei und mit der Fälligkeit der Steuer beginne, die für die in Frage stehenden Einkommens- und Vermögenssteuern jeweils am 31. Juli des betreffenden Steuerjahres eingetreten sei. Die Beschwerde setzt sich mit diesen Ausführungen nicht auseinander. Sie beanstandet lediglich die Annahme einer Gesetzeslücke als willkürlich, versucht aber für den Fall, dass diese Annahme haltbar sein sollte, mit keinem Worte darzutun, ![]() | 17 |
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a) Nach Art. 2 Abs. 1 StG sind die Vorschriften des StG nach Treu und Glauben anzuwenden und zu erfüllen. Damit wurde ein allgemeiner Grundsatz in das StG aufgenommen, der in Art. 2 Abs. 1 ZGB für das Gebiet des Bundeszivilrechts aufgestellt ist und nach der Rechtsprechung und Lehre auch ohne ausdrückliche Vorschrift auf weiteren Rechtsgebieten gilt (MERZ N. 68 ff. zu Art. 2 ZGB). Er ist auch im Verwaltungsrecht zu beachten (BGE 91 I 136 mit Verweisungen, BGE 91 I 320; IMBODEN a.a.O. Nr. 343-345) und bedeutet dort, dass der Rechtsverkehr zwischen Bürger und Verwaltung von gegenseitigem Vertrauen getragen sein muss und berechtigtes Vertrauen Schutz verdient. Soweit der Grundsatz eine Norm für das Verhalten der Behörden bildet, wird er in der Rechtslehre als Verfassungsprinzip bezeichnet (IMBODEN a.a.O. Nr. 211 III) und aus Art. 4 BV abgeleitet (GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts S. 220 ff. und 189 ff.). Das Bundesgericht als Staatsgerichtshof hat in einigen älteren Urteilen die ![]() ![]() | 19 |
b) Nachdem der Beschwerdeführer im Juni 1959 eine Liegenschaft in Rorschach erworben hatte, haben die st. gallischen Steuerbehörden von ihm für die Jahre 1959 und 1960 Steuern auf diesem Grundeigentum und dessen Ertrag erhoben. In der Folge haben sie nichts vorgekehrt, was beim Beschwerdeführer den Glauben, er habe diese Steuern von 1961 an nicht mehr zu entrichten, hätte erwecken können und die nachträgliche Geltendmachung der Steuern für 1962 bis 1964 als widersprüchliches Verhalten erscheinen liesse; vorgeworfen werden kann ihnen lediglich, dass sie mit der Veranlagung bis Anfang August 1966 zugewartet haben. Dafür, dass sie die Veranlagung arglistig verzögert hätten, bestehen, wie im angefochtenen Entscheid festgestellt und in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht bestritten wird, keine Anhaltspunkte. Es liegt also ein blosses Versehen, eine Nachlässigkeit der Veranlagungsbehörden vor. Der Beschwerdeführer macht zu Unrecht geltend, er habe diese jahrelange Untätigkeit nach Treu und Glauben als stillschweigenden Verzicht auf die Steuererhebung betrachten dürfen. Da er für die Liegenschaft in Rorschach und deren Ertrag an seinem Wohnsitz Cham nicht besteuert wurde, dagegen für die Jahre 1959/60 in Rorschach veranlagt worden war, hatte er keinen hinreichenden Grund, um aus dem Ausbleiben von Aufforderungen zur Steuererklärung und von Steuerrechnungen für die folgenden Jahre auf einen Verzicht auf weitere Besteuerung zu schliessen, zumal ihm nicht unbekannt sein konnte, dass ein Verzicht auf Besteuerung unzulässig oder doch höchst ungewöhnlich ist; vielmehr musste sich ihm die Annahme aufdrängen, er werde versehentlich nicht besteuert. Selbst wenn man nicht so weit gehen will, ihm daraus einen Vorwurf zu machen, dass er innert der in Rorschach öffentlich bekannt gegebenen Frist nicht von sich aus Steuererklärungen für 1961/62 und 1963/64 einreichte noch sich dort über seine Steuerpflicht erkundigte, steht es ihm nach den gesamten Umständen jedenfalls nicht zu, unter Berufung auf Treu und Glauben die Verwirkung der noch nicht verjährten Steueransprüche geltend zu machen.
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Die Sach- und Rechtslage unterscheidet sich wesentlich von den in der Beschwerde angerufenen Urteilen des Bundesgerichts.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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