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Informationen zum Dokument  BGE 94 I 649  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. (Ausführungen darüber, dass auf die Beschwerde insow ...
2. (Abweisung der Rüge formeller Rechtsverweigerung.) ...
3. Die angefochtene Schliessung der Wirtschaft beruht auf der Ann ...
4. Das WG umschreibt in § 17 unter lit. a-k die Voraussetzun ...
5. Die Beschwerdeführerin führt aus, die Ordnung, wonac ...
6. Der Regierungsrat hält der Berufung auf Art. 31 BV entgeg ...
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89. Auszug aus dem Urteil vom 18. Dezember 1968 i.S. Bornblick Immobilien AG gegen Gemeinderat Müllheim und Regierungsrat des Kantons Thurgau.
 
 
Regeste
 
Entzug des Wirtschaftspatentes und Schliessung der Wirtschaft.  
 
Sachverhalt
 
BGE 94 I, 649 (650)A.- Das thurgauische Wirtschaftsgesetz vom 12. März 1906 (WG) bestimmt im Abschnitt über den "Verlust des Wirt schaftsrechts":
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§ 17. Das Wirtschaftspatent erlischt:
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a) durch den Tod des Patentierten...
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b) durch freiwilligen Verzicht. Als solcher ist auch die tatsächliche Einstellung des Wirtschaftsbetriebes zu betrachten;
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c) wenn die gesetzlichen Taxen für die Patenterneuerung nicht rechtzeitig entrichtet werden;
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d) wenn durch gerichtliches Urteil der Entzug des Wirtschaftsrechtes ausgesprochen wird;
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e) wenn dem Wirt das Niederlassungsrecht entzogen wird;
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f) wenn der Wirt die Handlungsfähigkeit oder das Aktivbürgerrecht verliert oder in Konkurs gerät oder fruchtlos gepfändet wird...
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g) wenn der Wirt oder einer seiner Hausgenossen den guten Leumund verliert;
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h) wenn die Lokale und die Wirtschaftseinrichtungen den bestehenden Vorschriften nicht entsprechen und trotz Aufforderung innert der angesetzten Frist die verlangten Verbesserungen nicht vorgenommen werden;
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i) wenn der Wirt für einen ordentlichen und ehrbaren Wirtschaftsbetrieb keine Gewähr mehr bietet;
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k) infolge schwerer Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen betreffend die Wirtschaftspolizei.
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§ 18. In den Fällen des § 17, lit. a bis i, hat der Gemeinderat, in denjenigen des § 17, lit. k, das Bezirksamt die Schliessung der Wirtschaft zu verfügen...
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B.- Die Bornblick Immobilien AG, die ihren Sitz in Aarburg (Kt. Aargau) hat, ist seit 1963 Eigentümerin einer Liegenschaft in Müllheim (Kt. Thurgau), worin die Wirtschaft "zum Rebstock" sowie eine Tankstelle betrieben werden. Sie hat die Wirtschaft seit dem 1. Januar 1966 an X. verpachtet. Aufgrund wiederholter Klagen erteilte der Gemeinderat Müllheim am 1. Dezember 1966 X. eine "ernsthafte Verwarnung" wegen mangelhafter Wirtschaftsführung und drohte ihm für den Fall weiterer Klagen "wesentlich schärfere Massnahmen" an. Die Bornblick AG, die hievon Kenntnis erhielt, ersuchte den Gemeinderat BGE 94 I, 649 (651)durch ihren Anwalt mit Schreiben vom 28. Februar 1967 um "eine klare Darstellung der Verhältnisse unter Beilage der sachbezüglichen Akten zur Stellungnahme" und fügte bei, wenn wirtschaftspolizeilich ernsthaft ins Gewicht fallende Tatbestände wirklich erwiesen sein sollten, müsste ihr als Eigentümerin "vorerst auf jeden Fall Gelegenheit geboten werden, die Sache zu prüfen und nötigenfalls selber zum Rechten zu sehen". Der Gemeinderat gab diesem Gesuch keine Folge, und ebensowenig dem später wiederholt von Vertretern der Bornblick AG geäusserten Wunsche um Orientierung über die Untersuchung und allfällig vorgesehene wirtschaftspolizeiliche Massnahmen.
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Am 4. November 1967 stellte der Gemeinderat aufgrund neuer polizeilicher Erhebungen über sittliche Verfehlungen des X. fest, dass dieser den für den Wirt notwendigen guten Leumund verloren habe und demzufolge für einen ordentlichen und ehrbaren Wirtschaftsbetrieb keine Gewähr mehr biete; er beschloss daher, "gestützt auf § 17 lit. i WG", X. mit sofortiger Wirkung das Wirtschaftspatent zu entziehen (Ziff. 1) und die Wirtschaft "zum Rebstock" definitiv zu schliessen (Ziff. 2).
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Während sich X. mit diesem Entscheid abfand, focht ihn die Bornblick AG, der er ebenfalls eröffnet wurde, durch Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Thurgau an mit dem Antrag, ihn aufzuheben, eventuell die Wiedereröffnung der Wirtschaft gemäss § 12 Abs. 2 WG zu bewilligen.
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Der Regierungsrat wies am 8. Juli 1968 die Beschwerde und das Gesuch um Wiedereröffnung der Wirtschaft ab. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus: Hinsichtlich der Wirtschaftsführung, auf die sich die Verwarnung vom 1. Dezember 1966 bezogen habe, seien seither keine Klagen mehr eingegangen. Dagegen hätten Erhebungen vom August/September 1967 sittliche Verfehlungen des X., u.a. Ehebruch mit einer Serviertochter, festgestellt. Damit seien, zumal nach der vorausgegangenen Verwarnung, die Patenterlöschungsgründe von § 17 lit. g und i WG gegeben. Das habe nach § 18 Abs. 1 WG unausweichlich die Schliessung der Wirtschaft zur Folge. Der Eventualantrag auf Wiedereröffnung gemäss § 12 Abs. 2 WG scheitere daran, dass in der Gemeinde Müllheim immer noch zwölf statt nach der Bedürfniszahl zehn Wirtschaften bestünden.
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C.- Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates und den damit bestätigten Beschluss des Gemeinderates hat die Bornblick BGE 94 I, 649 (652)AG staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie macht Verletzung der Art. 4 und 31 BV geltend.
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D.- Der Regierungsrat des Kantons Thurgau und der Gemeinderat Müllheim beantragen Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Die Schliessung der Wirtschaft trifft auch die Beschwerdeführerin als Hauseigentümerin in ihren Rechten; denn sie hindert sie, die bisher in ihrem Hause betriebene Wirtschaft durch einen neuen Pächter (oder einen Geranten) weiterführen zu lassen, und vermindert dadurch den Wert des Hauses. Zur Beschwerde hiegegen ist sie daher legitimiert, und zwar wegen Verletzung von Art. 4 wie auch von Art. 31 BV, da die Verpachtung der Wirtschaft einen Teil ihres Geschäftsbetriebes bildet und daher unter dem Schutz der Handels- und Gewerbefreiheit steht (vgl. KIRCHHOFER, ZSR 1935 S. 169 und BGE 48 I 47 Erw. l'wo die Legitimation zur Beschwerde wegen Verletzung des Art. 31 BV sogar dem Hypothekargläubiger zuerkannt wurde).
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3. Die angefochtene Schliessung der Wirtschaft beruht auf der Annahme, sie sei gemäss § 18 Abs. 1 WG eine zwingende Folge des Patententzugs, der aufgrund von § 17 lit. g und i WG gegenüber X. verfügt wurde. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die Schliessung verstosse gegen die Art. 4 und 31 BV, wobei sie nicht nur die Anwendung von § 18 Abs. 1 WG im konkreten Fall als Willkür und Ermessensmissbrauch beanstandet, sondern offenbar auch geltend machen will, diese Bestimmung selber sei verfassungswidrig. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob die Auslegung und Anwendung der Bestimmung durch den Regierungsrat vor Art. 4 BV standhält. Ist dies der Fall, so fragt sich weiter, ob die Bestimmung so, wie sie der Regierungsrat ausgelegt und angewendet hat, mit Art. 4 und 31 BV vereinbar ist.
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4. Das WG umschreibt in § 17 unter lit. a-k die Voraussetzungen, bei deren Eintritt das Wirtschaftspatent "erlischt", BGE 94 I, 649 (653)und bestimmt in § 18 Abs. 1, dass in allen diesen Fällen die Schliessung der Wirtschaft zu verfügen ist.
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Im vorliegenden Fall haben der Gemeinderat und ihm folgend der Regierungsrat festgestellt, dass der Pächter X. infolge sittlicher Verfehlungen den guten Leumund verloren habe und für einen ordentlichen und ehrbaren Wirtschaftsbetrieb keine Gewähr mehr biete. Diese Feststellungen, die nach dem in Erw. 1 Gesagten von der Beschwerdeführerin nicht angefochten werden können, führten nach § 17 lit. g und i WG dazu, dass das an X. erteilte Patent "erlosch", und dies hatte wiederum nach § 18 Abs. 1 WG zur Folge, dass die Wirtschaft zu schliessen war. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass dies dem Wortlaut der beiden Bestimmungen entspricht. Sie glaubt aber, die Auslegung, wonach der Patententzug in jedem Falle die Schliessung nach sich ziehe, sei dann willkürlich, wenn der Wirt, dem das Patent entzogen wird, mit dem Eigentümer der Wirtschaft nicht identisch sei, wie das hier der Fall ist. Da § 18 Abs. 1 WG zwischen Identität und Nichtidentität von Wirt und Eigentümer nicht unterscheidet, verstösst die Annahme, dass die Bestimmung für beide Fälle gelte, jedenfalls nicht gegen den klaren Wortlaut. Es kann aber auch nicht gesagt werden, sie widerspreche dem klaren Sinn der gesetzlichen Ordnung, denn diese erscheint als mangelhaft. Nach § 18 in Verbindung mit § 17 wäre die Wirtschaft in allen Fällen, wo das Patent erlischt, zu schliessen, also auch, wo dem Wirt oder Eigentümer keinerlei Vorwurf gemacht werden kann wie beim Tod des Patentinhabers (§ 17 lit.a) oder wenn er, z.B. infolge Geisteskrankheit, handlungsunfähig wird (§ 17 lit. f). Eine Vorschrift, dass in solchen Fällen die Wirtschaft nicht zu schliessen sei, sondern das Patent einem neuen Wirt erteilt werden könne, enthält das Gesetz nicht. Nur mittelbar, aus der Bestimmung, wonach für die Eröffnung neuer Wirtschaften bei Überschreiten der Bedürfniszahl kein Patent erteilt werden darf (§ 11 Abs. 2 WG), kann geschlossen werden, dass für eine bestehende Wirtschaft trotz Eintritts von Patenterlöschungsgründen wieder ein Patent erteilt werden kann, die Schliessung also nicht zwingend vorgeschrieben ist. In welchen der in § 17 WG aufgezählten Patenterlöschungsfällen die Erteilung eines neuen Patents zulässig sei, ist indes dem WG ebensowenig zu entnehmen, wie dass dabei zu unterscheiden wäre zwischen dem Fall, wo Wirt und Eigentümer der Wirtschaft identisch, und demjenigen, wo sie es nicht sind. Die Auslegung, BGE 94 I, 649 (654)wonach die Wirtschaft bei Eintritt der Voraussetzungen von § 17 lit. g oder i WG in jedem Falle, also auch wenn sie der Eigentümer verpachtet hat, zu schliessen ist, kann daher nicht als schlechthin unhaltbar, geradezu willkürlich bezeichnet werden. Zu prüfen bleibt, ob diese Ordnung vor Art. 4 und 31 BV standhält.
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5. Die Beschwerdeführerin führt aus, die Ordnung, wonach der Patententzug automatisch die Schliessung der Wirtschaft zur Folge habe, möge richtig sein, wenn Wirt und Eigentümer zusammenfallen. Wenn dies jedoch nicht der Fall sei, so werde mit der Schliessung der Eigentümer für das Verhalten eines Dritten bestraft, das ausserhalb seines Einflusses und seiner Verantwortung liege, und eine solche Ordnung sei so ungerecht und stossend, dass sie nicht einmal dann haltbar wäre, wenn sie im Gesetz vorgesehen sei. Damit macht sie dem Sinne nach geltend, dass die gesetzliche Ordnung gegen Art. 4 BV verstosse, weil diese eine Unterscheidung, die richtigerweise getroffen werden sollte, nicht treffe und damit der Grundsatz verletzt werde, dass nicht nur Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, sondern auch Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln ist.
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Bei den in § 17 lit. e, f, g und i WG aufgezählten Patenterlöschungsgründen handelt es sich um den Wegfall der persönlichen Voraussetzungen, von denen die Erteilung des Wirtschaftspatentes nach § 6 a, b, c und § 7 c abhängt. Auch die Patenterlöschungsgründe von § 17 lit. a-d beziehen sich auf die Person des Patentinhabers. Das Wirtschaftspatent begründet, wie § 8 WG betont, kein dingliches, sondern nur ein persönliches Recht. Es mag sich daher vielleicht rechtfertigen, in den Fällen, in denen in der Person des Wirtes ein Patenterlöschungsgrund eintritt, hieran als weitere Folge die Schliessung der Wirtschaft zu knüpfen, wenn der Wirt zugleich Eigentümer der Wirtschaft ist. Dagegen ist kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb ein in der Person des Wirtes eingetretener Patenterlöschungsgrund auch dann, und zwar ausnahmslos und zwingend, zur Schliessung der Wirtschaft führen soll, wenn diese Eigentum eines Dritten ist. Es liegt nahe, ja erscheint als geboten, diesen Fall inbezug auf die Schliessung anders zu behandeln als denjenigen der Identität von Wirt und Eigentümer. Ob das Fehlen dieser Differenzierung geradezu gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 4 BV) verstosse, kann indes dahingestellt bleiben, da sich BGE 94 I, 649 (655)aus den nachstehenden Ausführungen ergibt, dass die in den §§ 17 und 18 WG enthaltene Regelung so, wie sie vom Regierungsrat verstanden wird, jedenfalls gegen den von der Beschwerdeführerin weiterhin angerufenen Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV) verstösst. Dass die Beschwerdeführerin den Art. 31 BV in der kantonalen Beschwerde nicht angerufen hat, steht dem Eintreten auf diese Rüge nicht entgegen, da der Regierungsrat freie Kognition besass und das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte, so dass neue rechtliche Vorbringen in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht ausgeschlossen sind (BGE 94 I 132 Erw. 5 und dort zitierte frühere Urteile).
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a) Die Art. 31ter und 32quater BV ermächtigen die Kantone, die dort vorgesehenen Beschränkungen des Wirtschaftsgewerbes "auf dem Wege der Gesetzgebung" einzuführen. Von der in Art. 31ter enthaltenen Ermächtigung hat der thurgauische Gesetzgeber bisher keinen Gebrauch gemacht. Dagegen enthält das WG in § 11 eine Bedürfnisklausel, die sich auf Art. 31 lit. c (heute: 32quater) BV stützt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wie schon nach der Praxis des Bundesrates können die Kantone bestimmen, ob das Bedürfnis nur bei Eröffnung einer neuen Wirtschaft oder auch bei der Patenterneuerung und der Patentübertragung zu überprüfen sei (BGE 63 I 5). § 11 WG macht nur die Eröffnung neuer Wirtschaften vom Vorliegen eines Bedürfnisses abhängig. Die vom Gemeinderat und vom Regierungsrat im Anschluss an den Patententzug angeordnete Schliessung lässt sich daher nicht auf § 11 WG stützen. Der Regierungsrat hat denn auch die Überschreitung der Bedürfniszahl nicht als Grund für den Patententzug und die Schliessung betrachtet, sondern hat damit lediglich die Abweisung des (für den Fall der Zulässigkeit der Schliessung gestellten) Gesuchs um Wiedereröffnung der Wirtschaft begründet. Kann sich aber die Schliessung nicht auf die Bedürfnisklausel stützen, so geht auch die Berufung des Regierungsrates auf Art. 32quater BV fehl, da diese Bestimmung nur die Einführung der Bedürfnisklausel BGE 94 I, 649 (656)gestattet und nicht zur Rechtfertigung anderer Einschränkungen des Wirtschaftsgewerbes angerufen werden kann (BURCKHARDT, Komm. der BV S. 267; MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit S. 182). Solche Beschränkungen sind nur zulässig, wenn und soweit sie sich im Rahmen des Art. 31 BV halten.
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b) Diese Bestimmung, welche die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet, lässt Beschränkungen der Gewerbetätigkeit nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Sittlichkeit und Gesundheit zu. Solche polizeilichen Beschränkungen müssen zudem verhältnismässig sein, wenn sie Art. 31 BV nicht verletzen sollen (BGE 94 I 26 Erw. 5 mit Verweisungen). Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit erheischt, dass die Einschränkungen nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um den gewerbepolizeilichen Zweck zu erfüllen, dem sie dienen (BGE 91 I 464 und dort angeführte frühere Urteile).
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Unter diesem Gesichtspunkt besteht ein wesentlicher, vom WG nicht berücksichtigter Unterschied zwischen dem Patententzug als einer Massnahme, die sich in erster Linie gegen den Wirt richtet, und der Wirtschaftsschliessung, die auch, ja vor allem den Eigentümer der Wirtschaft trifft. Dabei genügt es, hier die Prüfung auf die in Frage stehenden lit. g und i des § 17 WG zu beschränken, wonach das Wirtschaftspatent "erlischt", wenn der Wirt den guten Leumund verliert oder für einen ordentlichen und ehrbaren Wirtschaftsbetrieb keine Gewähr mehr bietet.
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Dass diese Bestimmungen nicht gegen Art. 31 BV verstossen, wurde bereits in BGE 43 I 20 festgestellt und entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts. Es handelt sich um gewerbepolizeiliche Beschränkungen, die sich in dieser oder ähnlicher Form wohl in allen kantonalen Wirtschaftsgesetzen finden und sich durch die polizeiliche Sorge für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sittlichkeit in den öffentlichen Lokalen rechtfertigen lassen. Als fraglich erscheint dagegen, ob und inwieweit dieser Zweck die Schliessung zu decken vermag.
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Wenn die Person, die eine Wirtschaft betreibt, die dafür erforderlichen moralischen Eigenschaften verliert, genügt es im allgemeinen, ihr das Patent zu entziehen und damit die weitere Führung der Wirtschaft zu verunmöglichen. Im Falle, wo der Wirt bloss Pächter ist, besteht jedenfalls in der Regel kein polizeilicher Grund, überdies die Wirtschaft zu schliessen und es BGE 94 I, 649 (657)damit ihrem Eigentümer zu verwehren, sie selber, durch einen Geranten oder durch einen anderen Pächter weiterzubetreiben. Eine Schliessung im Anschluss an den gegenüber dem Pächter verfügten Patententzug lässt sich höchstens dann ausna hmsweise rechtfertigen, wenn das Haus, in dem die Wirtschaft betrieben wird, in einen schlechten Ruf geraten ist, so dass es von anständigen Gästen gemieden wird und deshalb eine einwandfreie Führung kaum mehr möglich ist (vgl. BGE 48 I 47 Erw. 2 und 3), ferner dann, wenn der Eigentümer der Wirtschaft nicht gewillt oder nicht fähig ist, einen den sittlichen Anforderungen genügenden Pächter zu finden und dessen Wirtschaftsführung in dem ihm zumutbaren Masse zu beaufsichtigen. Weder das eine noch das andere ist im vorliegenden Falle dargetan.
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Es mag auffallen, dass zwischen dem 12. Juni 1963 (Erwerb der Wirtschaft durch die Beschwerdeführerin) und dem 4. November 1967 (Schliessung der Wirtschaft durch den Gemeinderat) drei Pächter einander ablösten. Im ersten Fall ergab sich jedoch nachträglich, was bei der Patenterteilung weder der Beschwerdeführerin noch dem Gemeinderat bekannt war, dass der Ehemann der Pächterin vorbestraft und schlecht beleumdet war. Dem zweiten Pächter hat die Beschwerdeführerin gekündigt, weil er mit der Zahlung des Pachtzinses in Rückstand geraten war. Erst dem dritten Pächter X. war eine mangelhafte Wirtschaftsführung vorzuwerfen. Dass die Wirtschaft in der kurzen Zeit unter X. (1. Januar 1966 bis 4. November 1967) in schlechten Ruf geraten wäre, wird von den Behörden nicht behauptet, noch bestehen nach den Akten Anhaltspunkte dafür.
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Dagegen führt der Regierungsrat in der Beschwerdeantwort aus, wer Eigentümer einer Wirtschaft sei, die er nicht selber betreibe, sei "zu höchster Sorgfalt bei der Auswahl der Pächter oder Geranten und zu intensiver Überwachung derselben gezwungen, wenn er unangenehme Überraschungen vermeiden" wolle. Sofern der Regierungsrat damit, was nicht ganz klar ist, sagen will, die Beschwerdeführerin habe im Falle des Pächters X. ihre Sorgfaltspflicht in einem Ausmasse verletzt, dass sich eine so tiefgreifende Massnahme wie die Schliessung der Wirtschaft rechtfertige, so wäre dieser Vorwurf unbegründet, da weder im angefochtenen Entscheid noch in der Beschwerdeantwort näher dargelegt wird und auch nicht ersichtlich ist, inwiefern die Beschwerdeführerin ihre Diligenzpflicht verletzt haben soll. X. war vor der Übernahme der Wirtschaft während zehn Jahren Pfleger BGE 94 I, 649 (658)in einer Heil- und Pflegeanstalt und hat sich dort offenbar bewährt. Seine Wirtschaftsführung gab freilich schon in der ersten Zeit zu Klagen Anlass, so dass ihm der Gemeinderat am 1. Dezember 1966 eine "ernsthafte Verwarnung" erteilte. Als die Beschwerdeführerin, der diese Verwarnung nicht mitgeteilt wurde, nachträglich davon erfuhr, wandte sie sich mit Schreiben vom 27. Februar 1967 an den Gemeinderat mit dem Ersuchen um eine klare Darlegung der Verhältnisse und um Akteneinsicht, um - vor weiteren amtlichen Massnahmen gegen X. - "nötigenfalls selber zum Rechten zu sehen". Seit jener Verwarnung sind, wie im angefochtenen Entscheid festgehalten wird, bezüglich der Wirtschaftsführung keine Klagen mehr laut geworden. Der Patententzug gegenüber X. erfolgte, weil im August/Sep.. tember 1967 festgestellt worden war, dass dieser anfangs Februar 1967 einmal mit einer Serviertochter geschlechtlich verkehrt und im April 1967 eine andere Serviertochter in deren Zimmer unsittlich belästigt hatte. Dass und wie die Beschwerdeführerin von diesen vereinzelten Vorfällen, die erst viel später der Polizei von den betreffenden Serviertöchtern und der Ehefrau X. mitgeteilt wurden, hätte Kenntnis erhalten können, ist unerfindlich, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass sie in diesem Falle nicht eingeschritten wäre; ihr Schreiben vom 27. Februar 1967 spricht vielmehr für das Gegenteil. Da ihr der Gemeinderat weder genaue Kenntnis von den Tatsachen, die zur Verwarnung vom 1. Dezember 1966 führten, noch vom Gegenstand der späteren Untersuchung gab, konnte ihr nicht zugemutet werden, den Pachtvertrag gemäss Art. 291 oder 294 OR aufzulösen, da sie mangels Beweisen keine Gewissheit hatte, in einem allfälligen Prozess über die Folgen der Vertragsauflösung obzusiegen.
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Bei dieser Sachlage ist wohl der Patententzug gegenüber X., nicht dagegen die Schliessung der Wirtschaft mit Art. 31 BV vereinbar. Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung des Entscheids des Regierungsrates und des dadurch bestätigten Beschlusses des Gemeinderates (soweit darauf nach Erw. 1 einzutreten ist) erweist sich damit als begründet.
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