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90. Auszug aus dem Urteil vom 22. November 1968 i.S. Christian Holzäpfel GmbH gegen Eidg. Steuerverwaltung. | |
Regeste |
Ungerechtfertigte Inanspruchnahme eines Doppelbesteuerungsabkommens. |
2. Gegen die Ablehnung einer Einsprache wegen Verweigerung der Inanspruchnahme eines Doppelbesteuerungsabkommens ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Art. 100 OG; Art. 2 Abs. 1 lit. c des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951 über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen des Bundes zur Vermeidung der Doppelbesteuerung; Art. 5 Abs. 3 des BRB vom 14. Dezember 1962 betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes. Analoge Anwendung des Art. 8 Abs. 5 StG (Erw. 2). |
3. Inwiefern kann das Bundesgericht die Verfassungsmässigkeit einer unselbständigen Verordnung des Bundesrates überprüfen? (Erw. 3). |
4. Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962 (betreffend den vorliegenden Fall missbräuchlicher Inanspruchnahme eines Doppelbesteuerungsabkommens) verstösst weder gegen den Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 noch gegen Sinn und Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen selbst (Erw. 4). |
5. Die erwähnte Bestimmung des BRB gilt auch in bezug auf das neue Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien vom 14. Juni 1966. - Ablehnung einer aus Art. 9 der VV zum VStG hergeleiteten Einwendung (Erw. 5). | |
Sachverhalt | |
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Am 7. Februar 1968 reichte die Firma Christian Holzäpfel GmbH gestützt auf Art. VII A des Doppelbesteuerungsabkommens mit Grossbritannien vom 30. September 1954/14. Juni 1966 und Art. 11 des BRB über die Ausführung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Grossbritannien vom 25. März 1955/25. April 1967 einen Antrag auf Entlastung von der britischen Einkommenssteuer ein. Die Eidg. Steuerverwaltung verweigerte jedoch dessen Weiterleitung mit der Begründung, an der fraglichen Gesellschaft sei eine nicht abkommensberechtigte Person (Christian Holzäpfel) in wesentlichem Umfange interessiert, und die GmbH nehme keine angemessene Gewinnausschüttung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962 betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes vor. Die Christian Holzäpfel GmbH erhob gegen diese Weigerung Einsprache, welche von der Eidg. Steuerverwaltung am 10. Juni 1968 abgewiesen wurde.
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B.- Gegen den Entscheid der Eidg. Steuerverwaltung führt die Firma Christian Holzäpfel GmbH Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie das britisch-schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen nicht missbräuchlich in Anspruch nehme. Sie sei dementsprechend von der Auflage, mindestens 25% der von der englischen Quellensteuer zu befreienden bzw. befreiten Lizenzgebühren als Gewinn auszuschütten, zu entbinden. Die Beschwerdeführerin macht der Sache nach geltend, Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962 sei ungesetzlich.
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C.- Die Eidg. Steuerverwaltung beantragt in ihrer Vernehmlassung Abweisung der Beschwerde. Sie weist insbesondere darauf hin, dass die Beschwerdeführerin offensichtlich nicht ![]() | 4 |
D.- Die Vernehmlassung der Eidg. Steuerverwaltung zur Beschwerde wurde der Beschwerdeführerin mit dem Vermerk "zur Kenntnisnahme ohne Replikrecht" zugestellt. Sie ersuchte daraufhin mit Eingabe vom 23. September 1968 um Einräumung des Replikrechts und stellte gleichzeitig noch weitere Anträge.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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b) Mit ihrem zweiten Begehren beantragt die Beschwerdeführerin, es sei ihr Gelegenheit zu einer ausführlichen Replik zu geben.
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Gemäss Art. 93 Abs. 3 OG findet ein weiterer Schriftenwechsel nach Einreichung von Beschwerdebegründung und -beantwortung bei staatsrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Beschwerden nur ausnahmsweise statt. Er erübrigt sich immer dann, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse durch die Beschwerdeschrift und die Vernehmlassung hinreichend abgeklärt sind, so dass das Gericht zur Urteilsfindung keine ![]() | 8 |
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2. Die Beschwerdeführerin ficht eine Verfügung der Eidg. Steuerverwaltung an, welche die Weiterleitung eines Antrags auf Entlastung von einer ausländischen Einkommenssteuer ablehnt. Bei dieser Verfügung handelt es sich nicht um einen Entscheid über bundesrechtliche Abgaben im Sinne von Art. 97 OG. Art. 2 Abs. 1 lit. c des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951 über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen des Bundes zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ermächtigt jedoch den Bundesrat, die im Rahmen des Abkommens zu treffenden Entscheidungen der Eidg. Steuerverwaltung, welche Steuern des andern Vertragsstaates zum Gegenstand haben, der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu unterstellen. Art. 5 Abs. 3 des BRB vom 14. Dezember 1962 bestimmt, dass für Einsprache und Beschwerde gegen Entscheide der Eidg. Steuerverwaltung sinngemäss Art. 8 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1917 über die Stempelabgaben gelte. Diese Bestimmung sieht in Abs. 5 die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegen Einspracheentscheide der Eidg. Steuerverwaltung vor. Daraus muss geschlossen werden, dass der Bundesrat von der ihm im Bundesbeschluss vom 22. Juni ![]() | 10 |
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Im vorliegenden Fall bestreitet die Beschwerdeführerin dem Sinne nach die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit sowie die Staatsvertragskonformität von Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962. Die Eidg. Steuerverwaltung hat im angefochtenen Entscheid festgehalten, es sei nicht ihre Aufgabe, die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit dieses BRB zu überprüfen; denn für die Verwaltung seien die Erlasse des Bundesrates verbindlich und müssten von ihr angewendet werden. Allenfalls sei es Sache des Bundesgerichts, einen Erlass auf der Verordnungsstufe insoweit auf seine Rechtsbeständigkeit zu untersuchen, als er in einem Einzelfall zur Anwendung gelange. Richtig ist, dass dem Bundesgericht gestützt auf Art. 113 Abs. 3 und Art. 114bis BV das akzessorische richterliche Prüfungsrecht gegenüber Verordnungen des Bundesrates zusteht. Bei unselbständigen Verordnungen, die auf Gesetzes- oder Beschlussesdelegation beruhen, bezieht sich die richterliche ![]() | 12 |
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Mit dem Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 ist diese gesetzliche Grundlage geschaffen worden. Art. 1 dieses Beschlusses sieht vor, dass die Ausführungsbestimmungen für die Durchführung der Doppelbesteuerungsabkommen vom Bundesrat aufgestellt werden. In Art. 2 Abs. 1 lit. b wird der Bundesrat insbesondere als zuständig erklärt, Massnahmen zu treffen, um ![]() | 14 |
Der Bundesrat benötigte dazu keiner Zustimmung der Vertragspartner der einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen, sofern sein Vorgehen mit dem Sinn und Zweck dieser Abkommen im Einklang stand. Grundsätzlich ist jeder Vertragspartner berechtigt, ein Doppelbesteuerungsabkommen selbständig auszulegen. Insbesondere durfte der Bundesrat annehmen, auch die Vertragspartner würden den Sinn dieser Abkommen darin sehen, dass die Doppelbesteuerung der Angehörigen der Vertragsstaaten durch Quellensteuern einerseits und Einkommens- bzw. Reinertragssteuern anderseits gemildert oder beseitigt werde. Tritt infolge einer gezielten Geschäftspolitik für Vermögen und Einkünfte eines Angehörigen eines Vertragsstaates, der diese Werte für den Angehörigen eines Drittstaates besitzt, gar keine Doppelbelastung ein, so entfällt der Zweck des Doppelbesteuerungsabkommens. Diese gezielte Geschäftspolitik kann u.a. zur Folge haben, dass eine Gesellschaft trotz zufliessender Einkünfte keinen Reingewinn ausweist oder keinen Gewinn ausschüttet und nach den anwendbaren Steuergesetzen selbst auf den akkumulierten Gewinnen keine Reinertragssteuer bezahlen muss. Kommen die steuerlichen Vorteile Angehörigen von Drittstaaten zugute, so liegt ein Abkommensmissbrauch vor. Dementsprechend ist nach Art. 2 Abs. 2 des BRB vom 14. Dezember 1962 die Beanspruchung eines Doppelbesteuerungsabkommens insbesondere dann missbräuchlich, wenn Angehörige von Drittstaaten über die Erträgnisse von Beteiligungen bzw. Lizenzen praktisch steuerfrei verfügen können, indem sie
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- entweder diese Erträgnisse durch eine schweizerische Gesellschaft durchlaufen lassen (Durchlaufgesellschaften /Art. 2 Abs. 2 lit. a BRB) oder
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- einen Treuhänder in der Schweiz bestellen, der die Erträgnisse für sie unter Beanspruchung der Steuerentlastung empfängt (Art. 2 Abs. 2 lit. c) oder
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- eine Familienstiftung oder Personengesellschaft ohne geschäftlichen Betrieb als abzugsberechtigten Empfänger vorschieben (Art. 2 Abs. 2 lit. d).
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Auch ohne Steuerentlastung an der Quelle kommt es in diesen vier Fällen nicht zu einer wirklichen Doppelbelastung, weil weder der schweizerische Empfänger noch die hinter ihm stehenden Personen in Drittländern erhebliche Steuern bezahlen müssen. Die Steuerentlastung an der Quelle rechtfertigt sich deshalb nach dem Sinn und Zweck der Abkommen in solchen Fällen nicht. Mit Recht bezeichnet der BRB die Inanspruchnahme einer Steuerentlastung ohne Doppelbesteuerung als missbräuchlich; denn Merkmal des Rechtsmissbrauchs ist die zweckwidrige Verwendung eines Rechtsinstituts zur Verwirklichung von Interessen, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will (vgl. MERZ, Kommentar, N. 50 zu Art. 2 ZGB und BGE 86 II 421). Dieses Merkmal trifft auf die in Art. 2 Abs. 2 BRB aufgezählten Fälle zu.
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Nach dem Ausgeführten hält sich der BRB vom 14. Dezember 1962 und insbesondere dessen Art. 2 Abs. 2 lit. b im Rahmen des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951. Er läuft aber auch dem Sinn und Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen nicht zuwider.
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5. Die Schweiz hat im Jahre 1966 sowohl mit Frankreich als auch mit Grossbritannien Verhandlungen über den Abschluss eines neuen Doppelbesteuerungsabkommens geführt. Während Frankreich verlangte, dass die im BRB vom 14. Dezember 1962 aufgestellten Prinzipien ausdrücklich in das neue Abkommen aufgenommen würden (vgl. Art. 14 des Doppelbesteuerungsabkommens mit Frankreich vom 9. September 1966), verzichtete England auf eine entsprechende Regelung. Grossbritannien hat im Gegenteil darein eingewilligt, dass im neuen Abkommen die von seiner Seite vorgesehenen Steuererleichterungen auch Personen zugute kommen, die in der Schweiz von der Einkommens- oder Ertragssteuer befreit sind (Art. VI und VII A des Abkommens). Mit diesem Entgegenkommen ![]() | 22 |
Da der BRB vom 14. Dezember 1962 in den vergangenen Jahren auch England gegenüber immer angewendet wurde, ist anzunehmen, dass die schweizerische und die britische Delegation bei den Vertragsverhandlungen ohne weiteres davon ausgegangen sind, an der Anwendbarkeit des BRB solle nichts geändert werden. Auch wenn der BRB vom 25. April 1967 über die Ausführung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Grossbritannien keinen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten des BRB vom 14. Dezember 1962 enthält, so spricht doch alles dafür, dass er nach dem Willen des Bundesrates auch weiterhin neben dem BRB vom 25. April 1967 gilt und die darin erwähnten juristischen Personen beim Fehlen der entsprechenden Voraussetzungen keinen Anspruch auf Steuerentlastung erheben können.
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An der Geltung des BRB vom 14. Dezember 1962 hat sich auch dadurch nichts geändert, dass die Eidg. Steuerverwaltung bei Gesellschaften, die von Ausländern beherrscht werden und ihre Gewinne akkumulieren, nunmehr gestützt auf Art. 9 der Vollziehungsverordnung zum Verrechnungssteuergesetz eine Sicherstellungsverfügung erlassen kann. Ob diese Verordnungsbestimmung gesetzes- und verfassungswidrig ist, wie die Beschwerdeführerin beiläufig behauptet, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen; denn die Sicherstellungsverfügung verpflichtet die Gesellschaft nur zur Leistung einer Realkaution, Bürgschaft oder Garantie und steht mit der Berechtigung zur Inanspruchnahme der Doppelbesteuerungsabkommen nicht im Zusammenhang. Der weitere Einwand der Beschwerdeführerin, es widerspreche den elementarsten rechtsstaatlichen Grundsätzen, einen Steuerpflichtigen fiskalisch zu belasten, weil er später vielleicht einmal unkorrekt handeln könnte, ist nicht stichhaltig. Die Beschwerdeführerin kann selbst nicht bestreiten, dass es mehrere legale Wege gibt, welche den ausländischen Gesellschaftern oder Aktionären ermöglichen, de facto über die aufgehäuften Erträgnisse zu verfügen, ohne dass es zu einer offenen oder verdeckten Gewinnausschüttung ![]() | 24 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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