BGE 96 I 521 | |||
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80. Auszug aus dem Urteil vom 16. Dezember 1970 i.S. Burgener c. Kreisgericht Oberwallis, Leuk. | |
Regeste |
Rechtsverweigerung durch überspitzten Formalismus im Strafprozess | |
Sachverhalt | |
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"Gegen diesen Einstellungsentscheid können die Parteien gemäss Art. 113/1 lit. b StPO binnen 20 Tagen nach Zustellung nach den Vorschriften der Art. 176 f StPO beim Schreibamt des Instruktionsgerichtes Visp, Berufung an das Kreisgericht Oberwallis für den Bezirk Visp, in Visp, einreichen. Mit Bezug auf den zu leistenden Kostenvorschuss wird verwiesen auf Art. 188 StPO und Art. 40 des Dekretes vom 12.7.1963 betreffend den Tarif der Gerichtskosten."
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Marcel Burgener liess hierauf durch seinen Anwalt innert gesetzlicher Frist Berufung einlegen. Mit Brief vom 27. Januar 1970 teilte der Präsident des Kreisgerichts Oberwallis dem Vertreter des Berufungsklägers mit, dass noch kein Kostenvorschuss bei ihm eingelangt sei; gleichzeitig verwies er auf Art. 188 der Strafprozessordnung für den Kanton Wallis vom 22. Februar 1962 (StPO), welcher wie folgt lautet:
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1. "Die Zivilpartei, welche die Haupt- oder Anschlussberufung erklärt, hat unter Verfallstrafe innert zwanzig Tagen nach Ablauf der Berufungsfrist der Berufungsinstanz den im Tarif der Gerichtskosten vorgesehenen Kostenvorschuss einzuzahlen.
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2. Das gleiche gilt auch für die Berufung dessen, der nur zur Busse verurteilt worden ist."
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Der Anwalt Burgeners liess daraufhin dem Gericht einen Kostenvorschuss von Fr. 250.-- zugehen.
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Mit Urteil vom 22. Mai 1970 trat das Kreisgericht Oberwallis, Leuk, auf die Berufung nicht ein mit der Begründung, der Kostenvorschuss sei verspätet, da er bis zum 25. Januar 1970 hätte geleistet werden müssen. Nach Art. 40 des Dekrets vom 12. Juli 1963 betreffend den Tarif der Gerichtskosten (GerichtskostenD) müsse für die Haupt- und Anschlussberufung ans Kreisgericht ein Vorschuss von Fr. 150.-- bezahlt werden. In Art. 188 StPO werde für den Fall der Nichtleistung ausdrücklich die Verfallstrafe vorgesehen.
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B.- Burgener erhob gegen dieses Urteil staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Die Beschwerdebegründung ergibt sich, soweit notwendig, aus den nachfolgenden Erwägungen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Das Kreisgericht ist auf die Berufung des Beschwerdeführers mangels fristgemässer Zahlung des Kostenverschusses nicht eingetreten. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, Art. 188 StPO über die Vorschusspflicht bezwecke, "den Parteien die Bedeutung des Rechtsmittels einzuschärfen und sie von trölerischen oder unzweckmässigen Berufungserklärungen abzuhalten". Falls der Vorschuss nicht innert zwanzig Tagen nach Ablauf der Berufungsfrist geleistet werde, so sei auf das Rechtsmittel nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung nicht einzutreten. Ein überspitzter Formalismus könne darin nicht erblickt werden. Das Kreisgericht beruft sich in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts.
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Es trifft zwar zu, dass das Bundesgericht mehrfach ausgeführt hat, prozessuale Formen seien unerlässlich, um die ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten (BGE 95 I 4 Erw. 2 a); wird die Gültigkeit eines Rechtsmittels kraft ausdrücklicher Vorschrift von der rechtzeitigen Leistung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht, so kann darin grundsätzlich weder ein überspitzter Formalismus noch eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs erblickt werden (vgl. immerhin BGE 95 I 5 /6 Erw. 2 b). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Parteien über die Höhe des Vorschusses, die Zahlungsfrist und die Folgen der Nichtleistung in angemessener Weise aufmerksam gemacht werden. In dieser Hinsicht erweist sich die in der Instruktionsrichterverfügung vom 10. Dezember 1969 enthaltene Rechtsmittelbelehrung als offensichtlich ungenügend. Die Parteien werden darin zwar in allgemeiner Form auf die Vorschusspflicht hingewiesen, doch wird weder die Höhe des Vorschusses angezeigt, noch wird eine Zahlungsfrist gesetzt, noch werden für den Fall der Nichtleistung irgendwelche prozessuale Folgen angedroht. Der Hinweis auf Art. 188 StPO und auf Art. 40 GerichtskostenD vermag entsprechende konkrete Angaben nicht zu ersetzen. Es darf dem Rechtssuchenden nicht zugemutet werden, sich anlässlich der Berufungserklärung noch einen Gerichtskostentarif zu beschaffen oder zuständigenorts nähere Auskünfte einzuholen, um in jedem Fall fristgerecht den erforderlichen Vorschuss leisten zu können. Diese Erschwerung, welche namentlich den ausserkantonalen Rechtssuchenden erheblichen prozessualen Risiken aussetzt, dient nicht mehr dazu, die Parteien von trölerischen oder unzweckmässigen Berufungen abzuhalten, sondern wird zum blossen Selbstzweck und ist geeignet, sowohl die Wahrheitsfindung wie auch die Ausübung der Verteidigungsrechte ohne sachlich vertretbare Gründe zu hindern. In einer Rechtsmittelbelehrung, wie sie in der Instruktionsrichterverfügung vom 10. Dezember 1969 enthalten ist, muss demnach eine eigentliche Prozessfalle erblickt werden, die jedem gestellt ist, der nicht über Erfahrung im Gerichtswesen des Kantons Wallis verfügt. Sie trifft nicht nur denjenigen, der unüberlegt oder trölerhaft ein Rechtsmittel einlegt, sondern den prozessrechtlich Unerfahrenen schlechthin und erweist sich daher als verfassungswidrig. Die in Frage stehende Rechtsmittelbelehrung hätte im übrigen unschwer in einer Weise abgefasst werden können, dass bei den Parteien keinerlei Zweifel über die Höhe des Vorschusses, die Zahlungsfrist und die Folgen der Nichtleistung hätten bestehen können.
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Wie das Bundesgericht in BGE 95 I 4 ff. festgestellt hat, vermag eine Vorschusspflicht im Rechtsmittelverfahren den ihr innewohnenden legitimen Zweck auch dann zu erfüllen, wenn der säumigen Partei eine kurze Nachfrist angesetzt wird. Ein solches Vorgehen drängt sich umso mehr auf, wenn der Rechtssuchende in der Rechtsmittelbelehrung - wie im vorliegenden Fall - über die Höhe des Vorschusses, die Zahlungsfrist und die Säumnisfolgen weitgehend im Unklaren gelassen worden ist. Der Grundsatz von Treu und Glauben, den es auch im formstrengen Prozess zu beachten gilt, erheischt, dass dem Säumigen in derartigen Fällen Gelegenheit gegeben wird, seine Zahlung nachzuholen. Damit wird die ordnungsgemässe Abwicklung des Verfahrens in keiner Weise in Frage gestellt. - Dass das Kantonsgericht Wallis im Berufungsfall Holzer (Urteil vom 20. Januar 1970) mit Rücksicht auf die soeben angestellten Überlegungen und auf die neuere bundesgerichtliche Rechtsprechung eine derartige Nachfrist gewährte, hätte das Kreisgericht Oberwallis im übrigen veranlassen müssen, im vorliegenden Fall ebenso zu verfahren.
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