![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
81. Urteil vom 18. November 1970 i.S. X. gegen Kantonsgericht St. Gallen. | |
Regeste |
Gerichtspolizei im Strafprozess. Art. 4 BV. |
Wann sind die Grenzen zulässiger Kritik überschritten und darf der Anwalt wegen "unanständigen Benehmens" gegenüber den Behörden der Strafrechtspflege und gegenüber einem Experten mit einer Ordnungsbusse bestraft werden? (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
1 | |
A.- Rechtsanwalt X. in St. Gallen hatte den wegen verschiedener Vermögensdelikte angeklagten A. zu verteidigen, der ![]() | 2 |
In der Hauptverhandlung vom 10./11. Juni 1970 beantragte der Staatsanwalt Verurteilung des Angeklagten zu 3 Jahren Zuchthaus, während der Verteidiger Freisprechung von sämtlichen Anklagepunkten verlangte. Das Kantonsgericht sprach ihn von zwei Anklagen frei und verurteilte ihn zu 18 Monaten Zuchthaus sowie Fr. 500.-- Busse. Ferner auferlegte es dem Verteidiger in Anwendung von Art. 194 Ziff. 4 ZPO eine Ordnungsbusse von Fr. 200.-- "wegen unanständigen Benehmens gegenüber dem Gerichtsexperten sowie Beamten und Behördemitgliedern der Strafrechtspflege" (Disp. Ziff. 10 Abs. 1). Dieser Vorwurf bezieht sich auf Äusserungen des Verteidigers in dessen Eingabe vom 12. März 1969.
| 3 |
B.- Gegen diese Bussenverfügung hat X. staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er macht Verletzung von Art. 4 BV (Willkür) geltend und führt zur Begründung dieser Rüge aus, dass und weshalb seine ihm im angefochtenen Entscheid zum Vorwurf gemachten Äusserungen nicht leichtfertig gemacht worden seien und ihre Beurteilung durch das Kantonsgericht nicht nur auf einer Verkennung der Aufgaben und Pflichten des Anwaltes und insbesondere des Strafverteidigers beruhe, sondern auch mit den Rechten des Angeklagten im Strafverfahren unvereinbar sei. Die nähere Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit notwendig, aus den nachstehenden Erwägungen.
| 4 |
C.- Die Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen hat dem Bundesgericht mitgeteilt, dass sie unter Hinweis auf die Akten und ihr Urteil und unter Bestreitung der tatsächlichen Vorbringen des Beschwerdeführers (soweit sie sich nicht mit den Akten decken) von einer Vernehmlassung Umgang nehme.
| 5 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, Art. 194 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO oder die Anwendung dieser Bestimmung ![]() | 6 |
7 | |
Das im vorliegenden Falle streitige Äusserungsrecht des Anwalts ergibt sich in erster Linie aus dem Äusserungsrecht der Partei. Deshalb dürfen auch ihm keine Beschränkungen auferlegt werden, durch welche der Anspruch der von ihm vertretenen Partei auf rechtliches Gehör beeinträchtigt würde. Daneben ist die nicht zu unterschätzende Bedeutung des freien Anwaltsstandes für die Sicherung einer integern, den rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Rechtspflege zu berücksichtigen. In der Rechtsprechung (BGE 60 I 16,BGE 71 I 378) wie auch in der Lehre (GULDENER, Zivilprozessrecht S. 611/12) ![]() | 8 |
9 | |
a) In seiner Eingabe vom 12. März 1969 hat der Beschwerdeführer das Gutachten des Gerichtsexperten Dr. N. eingehend kritisiert und dabei auch beanstandet, dass der Untersuchungsrichter seinem Auftragsschreiben an den Experten "Ausführungen zur Persönlichkeit des Angeklagten" beigefügt habe, deren Kopie sich nicht bei den Akten befinde und durch die der Experte, den er in diesem Zusammenhang als "Ausländer" bezeichnete, beeinflusst worden sei. Das Kantonsgericht erblickt hierin ein "sehr unanständiges Benehmen" des Beschwerdeführers, zumal da er sich, nachdem er erfuhr, dass der Experte Bündner sei, nicht entschuldigt habe. Der Vorwurfist unhaltbar. Wenn ein Anwalt zur Widerlegung der Schlüssigkeit eines ![]() | 10 |
b) Im angefochtenen Entscheid wird weiter ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich den Untersuchungsbehörden gegenüber dadurch unanständig benommen, dass er ihnen habe "schwere Mängel des Untersuchungsverfahrens und krasse Gesetzeswidrigkeiten zur Last legen wollen". Im Anschluss hieran werden zwei Vorwürfe des Beschwerdeführers genannt, die zu beanstanden seien. Nach dem im Eingang von Erw. 3 Gesagten ist nur zu prüfen, ob diese beiden Vorwürfe die Ordnungsbusse zu begründen vermögen. Bemerkt sei immerhin, dass die Rüge von Verfahrensmängeln und Gesetzwidrigkeiten, die der Anwalt nachher nicht zu beweisen vermag, an sich keinesfalls geeignet ist, eine Ordnungsstrafe zu rechtfertigen. Er ist verpflichtet, solche Mängel geltend zu machen, und darf sich dabei weitgehend auf die Angaben seines Klienten verlassen. Wenn er erhebliche, seien es wirkliche oder bloss vermeintliche, Missstände rügt, so ist auch eine scharfe Ausdrucksweise hinzunehmen.
| 11 |
Inwiefern die im angefochtenen Entscheid kurz widerlegte Behauptung des Beschwerdeführers, der Untersuchungsrichter und der (an der Einvernahme des Angeschuldigten beteiligte) Polizeikorporal seien befangen gewesen und hätten in Ausstand treten müssen, "unanständig" sein soll, sagt das Kantonsgericht mit keinem Wort und ist auch nicht einzusehen. Soweit die Ordnungsbusse wegen dieser Rüge verhängt wurde, ist sie offensichtlich unhaltbar.
| 12 |
Als besonders schwerwiegend bezeichnet das Kantonsgericht den unbewiesenen und in der Hauptsache widerlegten Vorwurf des Beschwerdeführers, der Angeklagte sei bei der Einvernahme durch den Polizeifunktionär "einer richtigen ,Gehirnwäsche' unterzogen" worden, worin - wie in der staatsrechtlichen Beschwerde zugegeben wird - eine Anspielung auf Methoden liegt, die in Diktaturstaaten Anwendung finden.
| 13 |
Der Beschwerdeführer hat in seiner Eingabe vom 12. März 1969 einerseits unter Hinweis auf die Einvernahmeprotokolle festgehalten, dass sein Klient während der rund drei Monate dauernden Untersuchungshaft sehr zahlreichen, stunden- und tagelangen polizeilichen Verhören unterzogen worden sei; ![]() | 14 |
c) Als "unanständig" im Sinne von Art. 194 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO bezeichnet es das Kantonsgericht schliesslich, dass der Beschwerdeführer in der Eingabe vom 12. März 1969 erklärte, es wäre "nicht nur ein Unglück für den Angeschuldigten und seine Angehörigen, sondern auch für unsere Strafrechtspflege und ihre Integrität", wenn die mit Gesetz und Recht nicht in Einklang stehenden Methoden, die hier angewendet worden seien, um den Angeschuldigten zur Verurteilung zu bringen, Erfolg hätten. Das Kantonsgericht nimmt an, damit werde ihm "gleichsam auf Vorschuss hin" ein Vorwurf gemacht und überdies versucht, es "in ungehöriger Art zu beeinflussen". Diese Würdigung der Ausführungen des Beschwerdeführers wird in der Beschwerde mit Recht als unhaltbar angefochten.
| 15 |
Eine Beschwörung des Gerichts, wie sie hier vorliegt, überschreitet die Grenzen der dem Anwalt gestatteten rhetorischen Freiheit nicht. Dieser Appell an die Verantwortlichkeit des Gerichts ist umso weniger zu beanstanden, als es in der Folge den Angeschuldigten in zwei wesentlichen Punkten freigesprochen und die vom Staatsanwalt beantragte Freiheitsstrafe auf die Hälfte herabgesetzt hat. Dass mit jenen Ausführungen dem Gericht gleichsam auf Vorschuss hin ein Vorwurf gemacht werde, lässt sich im Ernste nicht behaupten. Ebensowenig lag darin der Versuch einer ungehörigen Beeinflussung des Gerichts. Von einer solchen könnte nur gesprochen werden, wenn der Beschwerdeführer dem Gericht für den Fall der Verurteilung des Angeschuldigten irgendwelche Nachteile, wie z.B. eine ![]() | 16 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 17 |
18 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |