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82. Urteil vom 16. Dezember 1970 i.S. X. gegen Y. und Kanton Thurgau, Staatsanwaltschaft und Obergericht. | |
Regeste |
Willkür; kantonales Strafprozessrecht, Kostenauflage. | |
Sachverhalt | |
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Das Gemälde stammte aus dem Besitz von Y., der es mit den erwähnten Gutachten unmittelbar vorher, Ende Februar/Anfang März 1967, dem Münchner Kunsthändler Alexander Gebhardt für DM 35'000.-- verkauft hatte.
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B.- Am 7. Oktober 1967 liess Frau X. durch ihren Anwalt bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau Strafanzeige gegen Y. wegen Urkundenfälschung und Betrug erstatten, weil das von ihr als echt erworbene Gemälde eine Fälschung sei. Sie beschuldigte Y., das echte Werk und eine Kopie davon besessen zu haben. Von der Kopie habe er Schwarzweissphotos ![]() | 3 |
Zur Begründung dieser Beschuldigung liess Frau X. in der Strafanzeige ausführen, sie habe vom erworbenen Bild eine Farbphotographie aufnehmen lassen und diese dem sachverständigen Gerstenberg unterbreitet. In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 16. Juni 1967 habe dieser daraufhin erklärt, die Farbphoto stelle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht das von ihm am 8. August 1962 expertisierte Gemälde von Rubens dar. Nach Besichtigung des in ihrem Besitze befindlichen Bildes in St. Gallen habe Prof. Gerstenberg schliesslich in einer eidesstattlichen Erklärung vom 27. Juni 1967 bestätigt, dieses sei mit dem von ihm am 8. August 1962 begutachteten Originalgemälde von Rubens nicht identisch.
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Am gleichen Tage, da er zuhanden von Frau X. seine eidesstattliche Versicherung vom 16. Juni 1967 abgab, unterzeichnete Prof. Gerstenberg eine ihm von Podmaniczky und einem gewissen Dr. Schön vorgelegte Bestätigung, wonach es doch möglich sei, dass die ihm vorgelegte Farbphoto das von ihm begutachtete Original wiedergebe, er sich aber durch die Farben der Photographie geirrt habe. Am 17. Juni 1967 sandte Prof. Gerstenberg Frau X. die Kopie dieser am Vortage unterzeichneten und mit seiner eidesstattlichen Versicherung vom 16. Juni 1967 nicht im Einklang stehenden Bestätigung. Diese war mit einer vom 17. Juni 1967 datierten Widerrufserklärung versehen, gemäss welcher er seine Bestätigung vom 16. Juni 1967 widerrufe und bei seiner Erklärung verbleibe, dass er in der ihm vorgelegten Farbphoto nicht das Gemälde erkennen könne, das er am 3. August 1962 begutachtet habe. In der Strafanzeige wurden diese Bestätigung Gerstenbergs vom 16. Juni 1967 und ihr Widerruf vom 17. Juni 1967 nicht erwähnt.
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Gegen die Auferlegung der Untersuchungskosten beschwerte sich Frau X. beim Obergericht des Kantons Thurgau. Dieses wies die Beschwerde mit Beschluss vom 4. Juni 1970 ab, weil die Anzeige ausschliesslich gestützt auf die widersprüchlichen Gutachten Gerstenbergs und somit leichtfertig und mutwillig erstattet worden sei.
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D.- Gegen diesen Entscheid des Obergerichts hat Frau X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV erhoben mit dem Antrag, ihn aufzuheben. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen.
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E.- Das Obergericht, die Anklagekammer und die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau sowie Y. beantragen die Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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b) Der Beschwerdegegner Y. hat mit seinen Gegenbemerkungen zur Beschwerde eine Anzahl neuer Akten eingereicht. Er verlangt, diese vertraulich zu behandeln und sie der Beschwerdeführerin nicht zu öffnen. Würde diesem Begehren entsprochen und nähme das Gericht darin Einsicht, so würde ihm bekannt, was einer Prozesspartei, der Beschwerdeführerin, unbekannt bleibt. Dem Entscheid Akten zu Grunde zu legen, zu denen die Beschwerdeführerin keine Stellung beziehen konnte, käme einer Gehörsverweigerung gleich. Eine vertrauliche Aktenentgegennahme kann nur ganz ausnahmsweise in Kauf genommen werden, und zwar im Interesse des grundsätzlich Einsichtsberechtigten, um richterlich überprüfen zu können, ob diesem Einsichtsrecht zu Recht berechtigte und schützenswerte Geheimhaltungsinteressen entgegengehalten werden (BGE 95 I 109). Ein solcher seltener Ausnahmefall liegt nicht vor und wird ![]() | 12 |
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Die Beschwerdeführerin betrachtet die Anwendung von § 31 lit. a StPO in Verbindung mit § 84 GGG als "fragwürdig", macht aber deswegen weder eine Verletzung kantonalen Verfahrensrechtes noch eine Verletzung von Art. 4 BV geltend. Sie anerkennt vielmehr, dass nach ständiger thurgauischer Rechtsprechung auch bei Einstellung einer kriminellen Untersuchung die Kostenauflage an den Anzeiger möglich ist, sofern dieser in verwerflicher, leichtfertiger oder mutwilliger Weise Strafanzeige erstattet hat. Nach ihrer Auffassung hat das Obergericht ihr aber willkürlich Leichtfertigkeit bei der Erstattung der Strafanzeige vorgeworfen und deshalb mit der Kostenüberbindung Art. 4 BV verletzt.
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b) Diese beiden eidesstattlichen Erklärungen Gerstenbergs waren an sich geeignet, Zweifel an der Identität des von der Beschwerdeführerin erworbenen mit dem von Gerstenberg begutachteten Gemälde zu wecken. Das Verhalten Gerstenbergs vom 16./17. Juni 1967 andererseits musste diese Zweifel erschüttern. Denn die abweichend von der eidesstattlichen Versicherung vom 16. Juni 1967 gleichentags abgegebene Bestätigung, die Farbphotographie stelle möglicherweise doch das von ihm begutachtete Gemälde dar, und der am nächsten Tag erfolgte Widerruf dieser Bestätigung verrieten die Unsicherheit Gerstenbergs und die Unzuverlässigkeit seiner verschiedenen, widersprüchlichen Beurteilungen. Es fällt denn auch auf und ist offensichtlich nicht einem Versehen zuzuschreiben, dass die Beschwerdeführerin diese Bestätigung Gerstenbergs vom 16. Juni 1967 und deren Widerruf in der Strafanzeige verschwiegen hat. Das Obergericht verfiel deshalb nicht in Willkür mit seiner sachlich vertretbaren Auffassung, wenn ein namhafter Gelehrter seine Meinung so oft ändere, Erklärungen abgebe und diese kurz darauf widerrufe, so hätte für die Beschwerdeführerin Anlass zu besonderer Vorsicht bestanden und zusätzliche Abklärungen wären absolut unerlässlich gewesen. Frei von Willkür ist auch die obergerichtliche Feststellung, entsprechende Untersuchungen seien unterblieben. Denn die Strafanzeige enthält keine Angaben über derartige Untersuchungen, die der Abklärung der widersprüchlichen Äusserungen Gerstenbergs dienten und dessen These von der Nichtidentität des begutachteten und des der Beschwerdeführerin gelieferten Bildes stützen sollten.
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Keine dieser Beschuldigungen konnte sich auf die Äusserungen Gerstenbergs stützen, die sich ausschliesslich auf die Identität des von ihm begutachteten mit dem von der Beschwerdeführerin erworbenen Gemälde bezogen, ohne sich mit der Frage des Zustandekommens der Gutachten oder des Inverkehrbringens des der Beschwerdeführerin verkauften Bildes samt Gutachten zu befassen. Andere Unterlagen für diese Beschuldigungen hat die Beschwerdeführerin in der Strafanzeige nicht vorgebracht. Sie entbehrten somit jeder Grundlage und beruhten auf haltlosen Verdächtigungen. Darin liegt ein prozessuales Verschulden, also ein zu missbilligendes Verhalten (ROBERT KEHL in ZStr. 64 (1949) S. 387 f., vgl. ZR 64 Nr. 51 S. 87 mit Literaturverweisungen, BGE 84 I 16). Angesichts dieser Umstände durfte das Obergericht ohne Willkür der Beschwerdeführerin die Untersuchungskosten wegen leichtfertiger und mutwilliger Anzeigeerstattung auferlegen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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