BGE 96 I 673 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
102. Auszug aus dem Urteil vom 16. Dezember 1970 i.S. X. gegen Eidg. Steuerverwaltung | |
Regeste |
Verrechnungssteuer, Konkurs des Steuerpflichtigen. |
Kann der Bankgläubiger Zinsguthaben mit den Rückgriffsansprüchen der Bank verrechnen, wenn diese vor der Steuerüberwälzung in Konkurs gefallen ist? (Erw. 4). |
Verhältnis von Art. 46 Abs. 1 zu Art. 46 Abs. 2 VStG (Erw. 5). | |
Sachverhalt | |
A.- Im Verlaufe des Konkursverfahrens über die Bank Y., bei welcher X. verschiedene Kundenguthaben besass, wurde festgestellt, dass die entsprechenden Zinsen jeweils ohne Verrechnungssteuerabzug gutgeschrieben worden waren. Die Konkursverwaltung kürzte deshalb die betreffenden Konti nachträglich um die verfallenen Verrechnungssteuerbeträge und kollozierte die Kapital- und Zinsguthaben des X. in der fünften Klasse. Die Eidg. Steuerverwaltung (EStV) machte in der Folge gestützt auf Art. 46 Abs. 1 VStG gegen X. eine Steuerforderung von Fr. 136 527.30 geltend. Da X. die Zahlung verweigerte, liess sie dessen Ansprüche auf die Konkursdividende bis zur Höhe von Fr. 140 000.-- verarrestieren und leitete Betreibung ein. Da X. gegen den Zahlungsbefehl Rechtsvorschlag erhob, fällte die EStV gestützt auf Art. 41 VStG einen formellen Entscheid und stellte darin fest, X. schulde ihr eine Verrechnungssteuer im Betrage von Fr. 136 527.30.
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B.- X. erhob dagegen Einsprache, u.a. mit der Begründung, die Rückgriffsansprüche der Bank seien spätestens im Zeitpunkt der Konkurseröffnung durch Verrechnung mit seinen Kapital- und Zinsforderungen gegen die Bank untergegangen, so dass Art. 46 Abs. 1 VStG zum vorneherein nicht anwendbar sei; im übrigen dürfe sich die EStV für die vor dem 1. Januar 1967 entstandenen Verrechnungssteuerforderungen schon deshalb nicht auf Art. 46 Abs. 1 VStG stützen, da der bis zum 31. Dezember 1966 anwendbare Verrechnungssteuerbeschluss keine entsprechende Bestimmung enthalten habe und dem neuen Verrechnungssteuergesetz keine Rückwirkung zukomme.
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Die EStV wies die Einsprache ab, und zwar im wesentlichen mit folgender Begründung: Die Zinsforderungen des Einsprechers seien monatlich fällig geworden. Mit ihnen seien auch die entsprechenden Rückgriffsansprüche der Bank entstanden. Nach Art. 46 Abs. 1 VStG seien diese mit der Konkurseröffnung auf den Bund übergegangen. Dass die Konkursverwaltung in ihrer Kollokationsverfügung die Verrechnungssteuer auf den Einsprecher überwälzt habe, sei in diesem Zusammenhang unmassgeblich. Es treffe auch nicht zu, dass die Rückgriffsansprüche mit der Konkurseröffnung durch Verrechnung mit den Forderungen des Einsprechers gegenüber der Bank untergegangen seien. Da der Rückgriffsanspruch eine öffentlichrechtliche Forderung darstelle, könne er nicht gegen den Willen des Berechtigten zur Verrechnung gebracht werden (Art. 125 Ziff. 3 OR). Der Einsprecher habe weder vor der Konkurseröffnung eine entsprechende Erklärung abgegeben noch habe die Bank oder der Bund einer Verrechnung zugestimmt. Auch die Behauptung, die vor dem Inkrafttreten des VStG entstandenen Regressansprüche seien mangels einer gleichlautenden Regelung im Verrechnungssteuerbeschluss und im neuen Gesetz nicht auf den Bund übergegangen, treffe nicht zu, da für die Verrechnungssteuerforderungen ab 1. Januar 1967 ausschliesslich das VStG gelte, und zwar unbekümmert darum, wann die Forderungen entstanden seien. Von einer unzulässigen Rückwirkung des VStG könne somit nicht die Rede sein.
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C.- X. führt gegen den Einspracheentscheid der EStV Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass er der EStV nichts schulde und dass deshalb der Arrest und die Betreibung aufzuheben seien und das Betreibungsamt anzuweisen sei, die in der Sache hinterlegten Fr. 140 000.-- freizugeben. Die Beschwerdebegründung ergibt sich, soweit sie für die Entscheidung von Bedeutung ist, aus den nachfolgenden Erwägungen.
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D.- Die EStV beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Nach Art. 12 Abs. 1 VStG bzw. Art. 6bis VStB entsteht die Verrechnungssteuerforderung im Zeitpunkt, in dem die steuerbare Leistung fällig wird. Diese ist nach Massgabe von Art. 14 Abs. 1 VStG bzw. Art. 6quater VStB bei der Auszahlung, Überweisung, Gutschrift oder Verrechnung ohne Rücksicht auf die Person des Gläubigers um den Steuerbetrag zu kürzen. Vereinbarungen, die dieser Pflicht widersprechen, sind nichtig. Solange die Überwälzung nicht stattgefunden hat, besteht für den Steuerpflichtigen, d.h. für den Schuldner der steuerbaren Leistung, unter Vorbehalt der Vorschriften über die Verjährung ein Rückgriffsanspruch gegenüber dem Leistungsgläubiger. Fällt der Steuerpflichtige in Konkurs, bevor er seiner Pflicht zur Überwälzung nachgekommen ist, so gehen die ihm zustehenden Rückgriffsrechte bis zur Höhe der noch nicht bezahlten Steuern auf den Bund über (Art. 46 Abs. 1 VStG). Hat er indessen im Zeitpunkt der Konkurseröffnung die Steuer überwälzt, und ist damit der Rückgriffsanspruch untergegangen, die Steuer jedoch noch nicht entrichtet, so geniesst die Steuerforderung bis zur Höhe des überwälzten Betrags im Konkurs ein Vorrecht zweiter Klasse (Art. 46 Abs. 2 VStG). Der Verrechnungssteuerbeschluss vom 1. September 1943 enthielt keine dem Art. 46 VStG entsprechende Ordnung. Bis zum Inkrafttreten des neuen Verrechnungssteuergesetzes am 1. Januar 1967 war der Bund für Verrechnungssteuern, welche eine in Konkurs geratene Bank durch Kürzung der steuerbaren Leistung auf ihre Gläubiger überwälzt, aber noch nicht bezahlt hatte, mit einer Forderung in der fünften Klasse am Erlös der Konkursmasse beteiligt. Das gleiche galt, wenn die Bank ihre Rückgriffsansprüche im Zeitpunkt der Konkurseröffnung noch nicht geltend gemacht hatte. Damit bestand für den Bund die Gefahr, dass er dem Bankgläubiger mehr Verrechnungssteuern zurückerstatten musste, als ihm selbst als Gläubiger der fünften Klasse aus der Konkursmasse zugekommen war. Dieser sachwidrige Einbruch ins System der Verrechnungssteuer sollte mit dem Erlass von Art. 46 VStG beseitigt werden (vgl. die Botschaft zum Verrechnungssteuergesetz vom 18. Oktober 1963, BBl 1964 II S. 981).
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Dem Beschwerdeführer wurden als Gläubiger der in Konkurs gefallenen Bank sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten des neuen Verrechnungssteuergesetzes Zinsen gutgeschrieben. Es fragt sich deshalb zunächst, ob die Ordnung von Art. 46 VStG im vorliegenden Fall auf sämtliche Zinsgutschriften bzw. die darauf verfallenen Verrechnungssteuern anzuwenden ist. Dies ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers zu bejahen. Art. 46 VStG ist zusammen mit den übrigen Vorschriften des neuen Verrechnungssteuergesetzes am 1. Januar 1967 in Kraft getreten. In Art. 72 Abs. 1 VStG wird zudem der alte Verrechnungssteuerbeschluss vom 1. September 1943 vorbehaltlos aufgehoben. Der Einwand, die Anwendung des neuen Rechts auf Steuerforderungen bzw. Rückgriffsansprüche, die vor dem 1. Januar 1967 entstanden sind, stelle eine unzulässige Rückwirkung dar, ist unbehelflich, denn die Regel, wonach Verwaltungsgesetze grundsätzlich nicht rückwirkend angewendet werden dürfen, bezieht sich nicht auf den Fall, wo Verhältnisse, die zwar noch unter der Herrschaft des alten Rechts entstanden sind, beim Inkrafttreten des neuen Rechts noch fortdauern (A. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 189; vgl. auch BGE 94 I 391 Erw. 5); dies ergibt sich im übrigen auch aus den intertemporalen Vorschriften des Schlusstitels zum ZGB, die mangels einer besonderen gesetzlichen Regel auch im öffentlichen Recht gelten (BGE 92 I 238 Erw. 4; vgl. insbesondere Art. 3 SchlT ZGB und G. BROGGINI, Intertemporales Privatrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. I, 1969, S. 439 ff.). Was die vor dem Inkrafttreten des neuen Verrechnungssteuergesetzes fällig gewordenen Zinsen auf den Guthaben des Beschwerdeführers anbelangt, so bestanden sowohl die Forderungen des Bundes für die darauf verfallenen Verrechnungssteuern als auch die entsprechenden Rückgriffsansprüche der Bank gegen den Beschwerdeführer am 1. Januar 1967 immer noch, denn es wird weder geltend gemacht, die Verrechnungssteuern seien vor diesem Datum bezahlt worden, noch wird behauptet, die Rückgriffsansprüche der Bank seien mit Rücksicht auf eine unter der Herrschaft des alten Rechts erfolgte Steuerüberwälzung vor dem 1. Januar 1967 untergegangen. Der Anwendung von Art. 46 VStG steht somit im vorliegenden Fall nichts im Wege.
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4. Der Beschwerdeführer wendet ein, auch wenn die Belastung mit der Verrechnungssteuer nicht vor der Konkurseröffnung erfolgt sei, könne er die gegen ihn geltend gemachte Steuerforderung mit seinen Guthaben gegenüber der Bank in deren Konkurs verrechnen, zumal die Konkursverwaltung einer solchen Verrechnung zugestimmt habe. Diese Auffassung geht fehl. Wohl ist nicht zu bezweifeln, dass ohne die Sonderregelung in Art. 46 Abs. 1 VStG der Beschwerdeführer den Rückgriffsanspruch der Konkursmasse ihm gegenüber mit seiner Forderung für Darlehenszinsen verrechnen könnte (Art. 123 OR). Dieses Recht würde ferner grundsätzlich auch durch eine Legalzession des Rückgriffsanspruchs nicht geschmälert, finden doch in einem solchen Fall die Vorschriften des Zessionsrechts, insbesondere Art. 169 Abs. 1 OR Anwendung, wonach der Schuldner dem neuen Gläubiger gegenüber Gegenforderungen verrechnen kann, welche er gegen den früheren Gläubiger hatte (VON TUHR/SIEGWART, II, S. 821; VON BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 339). Die in Art. 46 Abs. 1 VStG vorgesehene Legalzession bewirkt jedoch, dass der Rückgriffsanspruch der Bank mit der Konkurseröffnung zu einer Forderung des Bundes aus öffentlichem Recht wird. Art. 125 Ziff. 3 OR schliesst die Verrechnung einer solchen Forderung gegen den Willen des Gläubigers aus (IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl., Nr. 124 I b, S. 34). Eine derartige Zustimmung vonseiten der EStV liegt nicht vor, weshalb im vorliegenden Fall eine Verrechnungsmöglichkeit entfällt. Dass die Konkursverwaltung der vom Beschwerdeführer begehrten Verrechnung zugestimmt hat, ist unbehelflich; die Konkursverwaltung konnte vom Zeitpunkt der Konkurseröffnung an nicht mehr über den Rückgriffsanspruch verfügen. Dass vor der Konkurseröffnung eine Verrechnungserklärung abgegeben worden wäre, behauptet der Beschwerdeführer selbst nicht.
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5. Der Beschwerdeführer macht hilfsweise geltend, der Bund könne seine Steuerforderung gegenüber der in Konkurs gefallenen Bank im Konkursverfahren eingeben und werde zufolge des ihm zustehenden Konkursprivilegs die ganze Steuerforderung gedeckt erhalten, so dass es eine unbillige Härte darstelle, die noch nicht bezahlten Verrechnungssteuern gestützt auf Art. 46 Abs. 1 VStG vom Gläubiger der steuerbaren Leistung einzufordern. Auch damit dringt der Beschwerdeführer jedoch nicht durch. Verrechnungssteuerforderungen sind nach dem klaren Wortlaut von Art. 219 Abs. 4 zweite Klasse lit. m SchKG nur privilegiert, wenn der Schuldner die Über wälzung vor der Konkurseröffnung vorgenommen hat. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, so besteht kein Konkursprivileg. Wortlaut, Sinn und Entstehungsgeschichte von Art. 46 VStG enthalten ferner keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Abs. 1 bloss dann angewendet werden dürfte, wenn das Verfahren nach Abs. 2 nicht zur Deckung des Bundes führen würde. Wie der Bund zur Geltendmachung seiner Verrechnungssteuerforde rungen vorzugehen hat, wenn der Steuerpflichtige in Konkurs fällt, liegt nicht im Ermessen der Verwaltung, sondern ergibt sich aus der klaren Regelung des Art. 46 VStG. Sind die Voraussetzungen zur Anwendung von Abs. 1 dieser Bestimmung er füllt, so fällt Abs. 2 ausser Betracht.
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