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37. Auszug aus dem Urteil vom 16. Juni 1971 i.S. F. gegen D. und Obergericht des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiete der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern. |
Art. 2 Ziff. 2: Ob ein Urteil Rechtskraft erlangt hat, bestimmt sich nach dem Recht des Staates, in dem es gefällt worden ist (Erw. 4). |
Art.2 Ziff. 3: Auslegung von Abs. 2 (Erw. 5). |
Art. 2 Ziff. 5: Wann ist ein in Deutschland gefälltes Vaterschaftsurteil, das dem ausserhalb von Deutschland befindlichen Beklagten gemäss § 175 der deutschen ZPO in Deutschland durch "Aufgabe zur Post" zugestellt worden ist, mit der öffentlichen Ordnung der Schweiz offensichtlich unvereinbar? (Erw. 6). | |
Sachverhalt | |
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"Wenn Sie zum Termin nicht erscheinen und sich nicht durch eine mit schriftlicher Vollmacht versehene, volljährige Person vertreten lassen, kann auf Antrag ein Versäumnisurteil gegen Sie erlassen werden. Ihre schriftlichen Mitteilungen bleiben in diesem Fall unberücksichtigt. Unterbleibt die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten und machen Sie dem Gericht auch keine im Bezirk des Amtsgerichtes Speyer am Rhein wohnhafte Person namhaft, die zum Empfang der für Sie bestimmten Schriftstücke bevollmächtigt ist, so können alle zukünftigen Zustellungen an Sie durch Aufgabe zur Post bewirkt werden (§ 174 Abs. 2, § 175 Abs. 1, § 208 der Zivilprozessordnung)."
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F. liess im Februar 1968 dem Gericht durch einen italienischen Anwalt eine Eingabe zugehen, blieb aber der Verhandlung vom 26. März 1968 fern. Der Vertreter des Klägers beantragte dem Gericht, den Beklagten durch Versäumnisurteil zu verpflichten, dem Kläger eine monatliche Unterhaltsrente von 95 DM zu bezahlen. Das Amtsgericht sprach am 26. März 1968 ein diesem Antrag entsprechendes Urteil aus. Gegen dieses Versäumnisurteil liess F. im Mai 1968 Einspruch erheben und ausführen, er kenne Frau D. nicht und habe mit ihr noch nie geschlechtlich verkehrt. Das Gericht setzte Termin zur mündlichen Verhandlung über Einspruch und Hauptsache auf den 9. Juli 1968 an.
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Der Kläger betrieb den Beklagten anfangs Oktober 1969 in Zürich für eine Forderung von Fr. 4083.45 nebst Zins. F. erhob Rechtsvorschlag. Gestützt auf das Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 26. März 1968 erwirkte der Kläger beim Einzelrichter des Bezirks Zürich die definitive Rechtsöffnung. Der Beklagte focht diesen Entscheid beim Obergericht des Kantons Zürich an, indem er geltend machte, die Bedingungen des Haager Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15. April 1958 (im folgenden: Haager Abkommen; AS 1964, S. 1283 ff.) seien nicht oder wenigstens nicht in allen Teilen erfüllt. Das Obergericht wies den Rekurs am 7. Januar 1971 ab.
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B.- Gegen den Entscheid des Obergerichts vom 7. Januar 1971 hat F. staatsrechtliche Beschwerde erhoben.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Nach Art. 4 Ziff. 3 des Abkommens hat die Partei, welche die Vollstreckung beantragt, im Falle einer Versäumnisentscheidung eine beglaubigte Abschrift der das Verfahren einleitenden Ladung oder Verfügung und die Urkunden, aus denen sich die ordnungsgemässe Zustellung dieser Ladung oder Verfügung ergibt, beizubringen. Der Beschwerdeführer rügt, dass diese Unterlagen vom Beschwerdegegner nicht vorgelegt worden seien. Sie fehlen in der Tat. Art. 4 Ziff. 3 gilt aber nur für Versäumnisentscheide. Die beiden hier in Frage stehenden Entscheide sind zwar entsprechend der Ausdrucksweise der DZPO als Versäumnisurteile bezeichnet. Nach internationalem Zivilprozessrecht liegt indessen kein Versäumnisurteil vor, wenn sich der Beklagte, wie es hier geschehen ist, auf den Prozess eingelassen hat (GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht ![]() | 9 |
Selbst wenn indessen die beiden Urteile als Versäumnisentscheidungen im Sinne des Art. 4 Ziff. 3 des Abkommens zu gelten hätten, schlüge die Argumentation des Beschwerdeführers nicht durch. Wird die Vorschrift des Art. 4 Ziff. 3 rein nach ihrem Wortlaut genommen, so könnte der Einwand allenfalls als begründet gelten. Das Urteil vom 26. März 1968 wird in den Erwägungen als Versäumnisurteil bezeichnet, und es wurde, wie ausgeführt, weder eine Abschrift der Vorladung noch eine Zustellungsurkunde eingelegt. Es wäre aber formalistisch und dem Sinne der Abkommensregel zuwider, aus diesem Grund die Vollstreckung abzulehnen. In der von dem zuständigen Justizbeamten unterzeichneten schriftlichen Urteilsausfertigung ist festgehalten, dass der Beschwerdeführer zu der Gerichtsverhandlung vom 26. März 1968 auf diplomatischem Weg vorgeladen und dass ihm die Vorladung am 23. Dezember 1967 an seinem Wohnort Terracina (Agro) zugestellt wurde. Diese urkundliche Bestätigung verschafft der Vollstreckungsbehörde praktisch die gleiche Gewähr dafür, dass der Beklagte vorgeladen und ihm die Ladung ordnungsgemäss zugestellt wurde, wie eine beglaubigte Abschrift der Vorladung und eine förmliche Zustellungsbescheinigung. Es mag freilich, unter der Voraussetzung, dass es sich überhaupt um einen Versäumnisentscheid im Sinne des Abkommens gehandelt hätte, beanstandet werden, dass sich der Vertreter des D. wohl nicht ernstlich darum bemüht hat, genau die Dokumente vorzulegen, die in Art. 4 des Abkommens genannt sind. Wie der Beschwerdeführer mit Recht ausführt, sind bei der Vollstreckung ausländischer Urteile im Interesse der Rechtssicherheit bestimmte Förmlichkeiten unumgänglich. Da aber die genannte Feststellung im Urteil vom 26. März 1968 der Vollstreckungsbehörde hinsichtlich Ladung und Zustellung die Sicherheit gibt, wie sie Art. 4 Ziff. 3 gewährleisten will, würde es dem Sinn dieser Vorschrift zuwiderlaufen, ohne sachlichen Grund in rein formaler Auslegung des Abkommens die Vollstreckung zu verweigern. So zu entscheiden, rechtfertigt sich aus einem weitern Grund. Nach Art. 4 Ziff. 3 müssen nur bei Versäumnisentscheiden eine Abschrift der das Verfahren einleitenden Ladung und eine Urkunde ![]() | 10 |
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Nach der Ansicht des Beschwerdeführers entscheidet sich die Frage, ob das Urteil richtig zugestellt wurde, nicht nach dem Haager Abkommen von 1958. Dieses verlange in Art. 2 Ziff. 3, ![]() ![]() | 12 |
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6. a) Es ist deshalb nur noch zu prüfen, ob die Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) der schweizerischen Eidgenossenschaft offensichtlich unvereinbar ist (Art. 2 Ziff. 5). Der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung greift nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann Platz, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde. Ein Urteil kann dabei, wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, sowohl wegen seines materiellen Inhalts wie wegen des Verfahrens, in welchem es zustande kam, gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind der Anwendung der Ordre-public-Klausel mit Bezug auf die Vollstreckung ausländischer Urteile engere Grenzen gezogen als im Gebiet der direkten Gesetzesanwendung (BGE 96 I 391 und 397 f. mit Hinweisen auf frühere Urteile). Es kommt hinzu, dass das Haager Abkommen von 1958 den Gebrauch des Vorbehalts ![]() | 14 |
b) Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vor dem Amtsgericht Speyer sinngemäss die Einrede des Mehrverkehrs erhoben, ohne dafür aber Beweise anzutragen. Da er sich um den Prozess nicht mehr kümmerte, nachdem sein Anwalt das Mandat niedergelegt hatte und er selber nach Italien zurückgekehrt war, kann mit dem Obergericht erwogen werden, er habe es seiner eigenen Nachlässigkeit zuzuschreiben, wenn er keine Beweise beantragen konnte, um darzutun, dass er nicht der Vater des D. sei. Er behauptet zwar, er habe nichts davon gewusst, dass sein Anwalt das Mandat niedergelegt habe, doch wäre es seine Sache gewesen, die Verbindung mit ihm aufrecht zu erhalten. Es wurde ihm übrigens, was mit seiner Behauptung nicht im Einklang ist, mit der Vorladung, die ihm am 23. Dezember 1967 in Terracina zugestellt wurde, bekannt gegeben, dass sein Anwalt das Mandat niedergelegt habe. Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, das Amtsgericht habe dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör verweigert. Die Behauptung, nach schweizerischer Rechtsauffassung hätte ihm das Gericht ausdrücklich den Ausschluss vom Beweis androhen müssen, ist nicht stichhaltig. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, selbst wenn man annähme, er hätte sich pflichtwidrig zu wenig um den Prozess gekümmert, hätte das Gericht, nachdem Mehrverkehr behauptet war, die entsprechenden Beweise von Amtes wegen erheben müssen, da nach schweizerischem Recht ein Beklagter einen absoluten Anspruch auf ein Blutgruppengutachten habe. Es besteht freilich nach der Rechtsprechung ein bundesrechtlicher Anspruch auf eine Blutgruppenuntersuchung, doch kann diese auch in einem schweizerischen Prozess dann verweigert werden, wenn der Beklagte diesen Beweis nach dem kantonalen Prozessrecht nicht frist- und formgerecht beantragt hat (BGE 90 II 152; vgl. auch BGE 90 I 110, BGE 90 II 224, BGE 91 II 2). Ist es in einem schweizerischen Vaterschaftsprozess möglich und zulässig, die vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift genannten Beweismittel auszuschliessen, wenn sie von der Prozesspartei nicht rechtzeitig und formrichtig beantragt wurden, so verstösst ein ausländisches Urteil, das auf der gleichen Rechtsauffassung fusst, nicht gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz.
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Wenn eine Partei nicht in der Bundesrepublik wohnt, ist sie nach § 174 Abs. 2 DZPO zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten verpflichtet, falls sie nicht einen in einem bestimmten deutschen Ort oder Bezirk wohnhaften Prozessbevollmächtigten bestellt hat. Kommt die Partei dieser Pflicht nicht nach, so können die spätern Zustellungen nach § 175 Abs. 1 in der Art bewirkt werden, dass der Gerichtsvollzieher das zu übergebende Schriftstück unter der Adresse der Partei nach ihrem Wohnort zur Post gibt. Die Zustellung wird mit der Aufgabe zur Post als bewirkt angesehen, selbst wenn die Sendung als unbestellbar zurückkommt. Das Bundesgericht hat in BGE 96 I 398 E. 4a festgestellt, dass diese unterstellte oder fingierte Zustellung dem Rechtsschutzinteresse der ausländischen Partei wenig Rechnung trägt, da diese vor allem die Folgen zu tragen hat, wenn ihr durch ein Versehen der Post die Sendung nicht zukommt. Die Rechtskraft kann in einem solchen Fall eintreten, obschon die Partei von dem Urteil keine Kenntnis erhielt. Das Bundesgericht hat in dem genannten Entscheid die Frage offen gelassen, ob die Annahme der Rechtskraft gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstiesse, wenn das Urteil nach § 175 DZPO zugestellt wurde und die Sendung die Partei infolge eines Versehens der Postorgane nicht erreicht hat, da in jenem Fall festgestellt war, dass die Urteilsausfertigung der beklagten Partei durch die Post ausgehändigt worden war (BGE 96 I 398 /99).
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Im hier zu beurteilenden Fall wurden zwei Urteile ausgesprochen. Am 26. März 1968 wurde der Beklagte durch Versäumnisurteil verpflichtet, dem Kläger D. eine monatliche Unterhaltsrente von DM 95 zu bezahlen. Dieses gemäss § 175 DZPO zugestellte Urteil wurde dem Beklagten zugestandenermassen an seinem italienischen Wohnort ausgehändigt. Er hat dagegen Einspruch erhoben und bediente sich damit des Rechtsbehelfs, mit dem ein (erstes) Versäumnisurteil grundsätzlich allein angefochten werden kann (§ 338 DZPO; BAUMBACH/LAUTERBACH, Kommentar N 1 zu § 338 DZPO). Der Einspruch ![]() | 18 |
Der Beschwerdeführer wurde mit der Vorladung, die ihm am 23. Dezember 1967 auf diplomatischem Wege zugestellt wurde, unter Hinweis auf die §§ 174 Abs. 2 und 175 Abs. 1 DZPO aufgefordert, einen Prozess- bzw. Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, und es wurde ihm eröffnet, dass im Unterlassungsfall alle zukünftigen Zustellungen durch Aufgabe zur Post bewirkt werden könnten. Da die Eröffnung "alle zukünftigen Zustellungen" betraf, musste dem Beschwerdeführer klar sein, dass auch im Einspruchsverfahren Zustellungen gemäss § 175 DZPO erfolgen konnten. Die Zustellung nach § 175 verstösst wenigstens dann nicht gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz, wenn, wie hier, das Gericht die im Ausland wohnhafte ![]() | 19 |
"Eine im Ausland wohnende Partei ist gehalten, nach Empfang der ersten an sie gelangten Vorladung durch Ernennung eines Vertreters im Kanton Rechtsdomizil zu nehmen, widrigenfalls die ferneren Vorladungen an sie ediktaliter erlassen werden können. Von dieser Vorschrift und ihren Rechtsfolgen ist ihr mit der Vorladung Kenntnis zu geben."
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Art. 144 regelt die Mitteilung von Abwesenheitsurteilen, und Abs. 3 lautet:
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"Wurde das Kontumazurteil gegen eine im Ausland befindliche Partei erlassen, die trotz der an sie ergangenen Aufforderung keine Rechtsvertretung im Kanton gemäss Art. 69 dieses Gesetzes bestellte, so genügt die Veröffentlichung des Dispositivs im Kantonsamtsblatt."
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Das Bundesgericht behält sich die Prüfung der Frage vor, ob ein Vollstreckungsbegehren dann wegen offensichtlichen Verstosses gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz abzulehnen ist, wenn ein Urteil nach § 175 DZPO zugestellt wird, ohne dass die in Frage kommende Partei vorher zur Bezeichnung eines Zustellungsbevollmächtigten aufgefordert und auf die Folgen der Unterlassung hingewiesen wurde.
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