BGE 97 I 262 | |||
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38. Auszug aus dem Urteil vom 7. Juli 1971 i.S. Eheleute Mueller-Gilliers gegen Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich und Direktion der Justiz des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Art. 88 OG. | |
Sachverhalt | |
1 | |
Das von der Beschwerdeführerin 1 einige Wochen nach der Scheidung ihrer ersten Ehe geborene Kind Monika wurde auf Klage des geschiedenen Ehemannes als ausserehelich erklärt. Hierauf bestellte die Vormundschaftsbehörde dem Kind gemäss Art. 311 Abs. 1 ZGB einen Beistand, der den Vaterschaftsprozess gegen B. durchführte. Am 6. März 1970 genehmigte die Vormundschaftsbehörde den vom Beistand eingereichten Schlussbericht. Zugleich beschloss sie in Anwendung des Art. 311 Abs. 2 ZGB, der Mutter die elterliche Gewalt zu versagen, und ernannte dem Kind einen Vormund.
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Sie selbst und der mit ihr seit einigen Jahren verbundene Beschwerdeführer 2 (mit dem sie sich im August 1970 verheiratete) fochten jene Entscheidung ohne Erfolg beim Bezirksrat Zürich an und zogen die Sache dann an die kantonale Direktion der Justiz weiter. Durch Verfügung vom 18. September 1970 abgewiesen, erhoben sie die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde, namentlich um die Aufhebung der für das Kind Monika angeordneten Vormundschaft und dessen Stellung unter elterliche Gewalt zu erlangen.
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Aus den Erwägungen: | |
6. Gegenüber dem Entscheid betreffend die Stellung eines ausserehelichen Kindes unter Vormundschaft oder unter elterliche Gewalt ist in erster Linie die Frage nach der Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ins Auge zu fassen. Sie wurde in der Rechtsprechung nicht immer in gleichem Sinne beantwortet. Ein Urteil vom 21. März 1930 i.S. Schlittler betraf eine staatsrechtliche Beschwerde, die wie die vorliegende von der ausserehelichen Mutter und deren Ehemann wegen der Stellung des Kindes unter Vormundschaft erhoben wurde. Die Legitimation zu dieser Beschwerde wurde damals der Mutter (nicht aber auch deren Ehemann) ebenso zuerkannt wie im vorausgegangenen zivilrechtlichen Beschwerdeverfahren betreffend die örtliche Zuständigkeit. Die II. Zivilabteilung hatte hierüber ausgeführt (Urteil vom 23. Januar 1930, Erw. 2): "Die angefochtene Anordnung der Vormundschaft gerät nur mit den Rechten der Mutter des Kindes in Konflikt, dagegen nicht mit Rechten des Ehemannes derselben, der ja natürlich die elterliche Gewalt nicht für sich beanspruchen könnte." (BGE 56 II 1ff.). Auch zu einer Gerichtsstandsbeschwerde gemäss Art. 68 Abs. 1 lit. b des nun geltenden OG wurde die aussereheliche Mutter (in einem ebenfalls auf Zuerkennung der elterlichen Gewalt an sie angehobenen Verfahren) als legitimiert befunden, und zwar ohne dass diese Beschwerdebefugnis auch nur in Diskussion gezogen wurde (BGE 72 II 333ff.). In spätern staatsrechtlichen Urteilen werden dann Zweifel an der Beschwerdelegitimation der ausserehelichen Mutter gegenüber Entscheidungen geäussert, welche die Stellung des Kindes unter Vormundschaft oder unter elterliche Gewalt betreffen. So heisst es in einem Urteil vom 11. November 1953 i.S. Staub: "Ob, wenn die Behörde ihr Ermessen missbraucht oder überschreitet und damit die Interessen des Kindes offensichtlich verletzt, den Eltern nicht bloss die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde, sondern auch die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte zusteht, kann dahingestellt bleiben" (weil es in jenem Falle bloss um die Wahl des Pflegeplatzes für das Kind ging). Ein Entscheid vom 11. Februar 1959 i.S. Jäger lässt diese Legitimationsfrage ebenfalls ausdrücklich offen und beschränkt sich darauf, das Recht zur Führung einer staatsrechtlichen Beschwerde gegenüber solchen das aussereheliche Kindesverhältnis betreffenden Entscheidungen "weiteren Verwandten des Kindes" (insbesondere dem damals als Beschwerdeführer aufgetretenen Grossvater) abzusprechen. Zur Entscheidung kam die mehrmals aufgeworfene Frage am 24. Mai 1961, und zwar in verneinendem Sinne. Dieses Urteil hebt hervor, dass das Gesetz der Vormundschaftsbehörde ein freies Ermessen einräumt, wobei das leibliche und geistige Wohl des Kindes ausschliesslich massgebend sein muss. Somit stehe den ausserehelichen Eltern gegenüber der Entscheidung über Vormundschaft oder elterliche Gewalt kein eigenes Recht, keine Befugnis zu, die sich aus der Persönlichkeit oder aus den verwandtschaftlichen Beziehungen zum Kind ergeben würde. Das die Befugnis zur Erhebung einer vormundschaftlichen Aufsichtsbeschwerde nach Art. 420 ZGB rechtfertigende allgemeine Interesse genüge nach Art. 88 OG nicht, um auch die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu begründen. "Es bedürfte hiefür einer Beeinträchtigung von dem Beschwerdeführer unmittelbar zustehenden Rechten." (BGE 87 I 211 ff.).
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Gegenüber dieser Betrachtungsweise wendet H. HUBER (ZbJV 1962 S. 380 f.) ein, der Entscheid scheine dem Wesen der staatsrechtlichen Beschwerde nicht gerecht zu werden, "denn das rechtlich geschützte Interesse, das für die Legitimation genügt, braucht nicht geradezu in einem dieser Mutter zustehenden subjektiven Zivilrecht zu bestehen". Auch HEGNAUER (ZSR 1965 II 134 Anm. 5, sowie Kommentar, N 203/4 und 273 zu Art. 324-327 ZGB) hält dafür, die aussereheliche Mutter habe ein eigenes rechtlich geschütztes Interesse an der elterlichen Gewalt, und zwar um ihrer Persönlichkeit willen, da die Beziehungen zwischen Mutter und Kind von Natur aus entsprechend intensiv seien.
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In einem nicht veröffentlichten Urteil vom 15. Februar 1967 i.S. Flore Müller hat das Bundesgericht die Einwendungen der beiden Autoren nicht als durchschlagend befunden. Es drängt sich jedoch eine neue Überprüfung der umstrittenen Frage auf, zumal da das Bundesgericht in den letzten Jahren dazu gelangt ist, die in Art. 88 OG aufgestellten Voraussetzungen der Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde zu lockern. Freilich verpönt der Gesetzeswortlaut eindeutig eine Popularbeschwerde, die jedermann ohne Rücksicht auf ein persönliches rechtliches Interesse erheben könnte. Zur Führung einer solchen Beschwerde ist nur berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung persönlich in seinem Rechtsbereich betroffen wird und sich daher auf eine Beeinträchtigung rechtlich geschützter eigener Interessen zu berufen vermag. Ob dies im Einzelfalle zutrifft, lässt sich aber an Hand der allgemein gefassten gesetzlichen Umschreibeung der Beschwerdebefugnis oftmals nicht zweifelsfrei feststellen, und es ist denn auch die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde in Lehre und Rechtsprechung immer wieder erörtert worden (vgl. darüber CLAUDE BONNARD, Essai sur l'objet de la lésion au sens de l'art. 88 OJ..., ZSR 1959 S. 289 ff., mit zahlreichen Verweisungen). Indem das Gesetz als Grund zur Beschwerde "Rechtsverletzungen" ins Auge fasst, die der Beschwerdeführer erlitten hat, legt es zwar eine enge Auslegung des Begriffes des "rechtlichen" gegenüber dem (die Beschwerdebefugnis nicht begründenden) bloss "tatsächlichen Interesse" nahe (vgl. über diese Unterscheidung neuestens BGE 96 I 598 ff.). Indessen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass jemand in seiner Rechtsstellung auch durch eine Verfügung beeinträchtigt werden kann, die nicht unmittelbar gegen ihn gerichtet ist. So ist heute anerkannt, dass die einem Nachbarn erteilte Baubewilligung nicht nur dann die Rechtsstellung des Beschwerdeführers berührt, wenn sie in dessen eigene Baufreiheit eingreift, sondern ganz allgemein dann, wenn sie gegen kantonale oder kommunale Vorschriften verstösst, die ausser dem Gemeinwohl auch den Schutz des Nachbars bezwecken (BGE 91 I 409 ff., BGE 92 I 208 Erw. 2; über die Tragweite des öffentlichrechtlichen Immissionenschutzes vgl. BGE 95 I 196 Erw. 1). Ferner steht es dem Angehörigen eines Berufes, zu dessen Ausübung es eines Fähigkeitsausweises bedarf, zu, sich wegen Verletzung der Rechtsgleichheit (Art. 4 BV) zu beschweren, wenn Dritten die berufliche Betätigung ohne solchen Ausweis gestattet wird (BGE 86 I 281 ff., BGE 93 I 517 Erw. 2 b). Die Frage, ob sich über die Abweisung eines Baugesuches auch derjenige wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte beschweren kann, der am Baugrundstück weder Eigentum noch ein anderes Recht besitzt, jedoch nach kantonalem Gesetz zur Stellung des Baugesuches mit Zustimmung des Eigentümers berechtigt war, wurde früher verneint, weil die abweisende Verfügung ihn nicht in seinen eigenen rechtlichen Interessen berühre (BGE 86 I 102 Erw. 3); die neuere Rechtsprechung erachtet ihn nun aber als beschwerdeberechtigt (BGE 94 I 138 ff.). Diese Entscheidungen tragen einem aufweitherzige Zulassung der staatsrechtlichen Beschwerde gerichteten Postulate Rechnung, wie es in der schweizerischen Rechtslehre und -praxis seit längerer Zeit verfochten wird (vgl. die Verhandlungen des Schweizerischen Juristenvereins von 1962 über Probleme der staatsrechtlichen Beschwerde, insbesondere die Ausführungen von H. MARTI, ZSR 1962 II 554ff.).
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Im Lichte dieser neuen Rechtsprechung ist nun auch die Beschwerdelegitimation der ausserehelichen Mutter entgegen BGE 87 I 211 ff. zu bejahen. Die jenem Entscheid zugrundeliegende Betrachtungsweise trägt den natürlichen Beziehungen zwischen Mutter und Kind nicht in genügender Weise Rechnung. Diese Bindung äussert sich in einem gegenseitigen Geben und Nehmen, wobei allerdings das Kind sich in grösserer Abhängigkeit befindet. Es bestehen beiderseits eigenständige Interessen, die jedoch miteinander verflochten sind. Die Mutter ist um das Kind besorgt und empfindet Freude, wenn es dem Kinde gut geht. Ebenso gereicht es zum Wohl des Kindes, wenn es sieht, dass die Mutter glücklich ist. Anderseits wirken sich ungünstige Lebensverhältnisse der Mutter in entsprechender Weise auf das Kind aus, und umgekehrt. Das Gesetz trägt dieser von Natur bestehenden innern Verbundenheit von Mutter und Kind Rechnung, indem es ganz allgemein bestimmt, die Mutter habe für das Kind zu sorgen wie für ein eheliches (Art. 324 Abs. 2 ZGB). Diese Sorgepflicht erschöpft sich nicht in der Tragung der Unterhaltskosten, sondern umfasst grundsätzlich - sofern die vormundschaftlichen Organe nichts anderes verfügen - die unmittelbare Fürsorge für das Kind. Die Mutter hat somit für angemessene Unterbringung und Pflege des Kindes zu sorgen (vgl. HEGNAUER N 60 f. zu Art. 324-327 ZGB). Angesichts dieser durch Rechtsnormen mitbestimmten Stellung der ausserehelichen Mutter erscheint es als gerechtfertigt, ihr gegenüber letztinstanzlichen kantonalen Entscheiden über die Anordnung einer Vormundschaft für das Kind oder die Zuerkennung der elterlichen Gewalt das Recht zur Führung einer staatsrechtlichen Beschwerde einzuräumen, sofern sie eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend machen will. Sie handelt dabei in Ausübung ihres Persönlichkeitsrechts und, da dessen Wahrung auch für das Kindeswohl von grosser Bedeutung ist, zugleich um des Kindes selbst willen, dessen Interessen in einer so persönlichen Angelegenheit niemand so gut zu verfechten vermag wie eben die Mutter.
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Die in BGE 87 I 213 Mitte erwähnten, von der II. Zivilabteilung als Staatsgerichtshof gefällten Entscheidungen befassen sich nicht mit dieser Legitimationsfrage. Nur eines jener Urteile erging über die Beschwerde einer ausserehelichen Mutter; es lautet auf Abweisung, ohne die Beschwerdebefugnis als solche in Frage zu stellen (i.S. Schulthess vom 20. März 1947). Im übrigen hat die II. Zivilabteilung neuerdings in einem Urteil vom 2. Oktober 1969 ausgesprochen, dass die aussereheliche Mutter legitimiert ist, gegenüber einem auf Art. 311 ZGB beruhenden, unmittelbar nur das Kind betreffenden Entscheide Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 68 Abs. 1 lit. b OG zu führen (BGE 95 II 298 ff., Erw. 2).
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