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47. Urteil vom 12. Mai 1971 i.S. Grosheintz gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn. | |
Regeste |
Art. 89 OG, Massgeblichkeit der tatsächlichen Zustellung des kantonalen Entscheides bei Benützung der Post. |
Charakter der Gebühr als Entgelt für eine staatliche Leistung; massgebende Gesichtspunkte für die Bemessung. |
Eine Gebühr von 7‰ des Verkehrswertes der abgetrennten Parzelle verstösst, wenn sie zum objektiven Wert der staatlichen Leistung in einem offensichtlichen Missverhältnis steht, gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und wird zur Gemengsteuer. | |
Sachverhalt | |
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"Dem Grundeigentümer werden folgende Gebühren auferlegt:
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A.- Grenzänderungen.
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1. Für jede Grenzänderung (Grundtaxe, einmal pro Mutation) Fr. 4.-
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2. Für Fr. 1'000.-- Verkehrswert der abgetrennten Fläche: Fr. 7.-
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Für Verkehrswert unter Fr. 500.--: Fr. 3.50
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Für jedes angebrochene Tausend ist der volle Wert-
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zuschlag zu berechnen."
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3. ....
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B.- Dr. Pierre Grosheintz führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Art. 4 BV und 62 sol. KV. Er beantragt, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und die geschuldete Gebühr von Fr. 3'080.-- auf Null, eventuell auf Fr. 140.-- herabzusetzen; weiter eventuell habe das Bundesgericht sie auf einen Betrag zwischen Fr. 440.-- und Fr. 660.--, weiter eventuell auf Fr. 567.-- bis Fr. 644.-- bzw. Fr. 1'232.-- herabzusetzen. Der Regierungsrat sei anzuweisen, über den Aufgaben- und Tätigkeitsbereich des kantonalen Vermessungsamtes und den auf die einzelnen Tätigkeiten entfallenden Anteil der Gesamtkosten des Amtes sowie über die allfällig ohne ![]() | 11 |
Die Begründung dieser Anträge ergibt sich soweit notwendig aus den nachfolgenden Erwägungen.
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C.- Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt, auf die Beschwerde wegen Verspätung nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
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Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit zu einer Replik gegeben, und er hat hievon Gebrauch gemacht. Auf Grund der Antwortvorbringen hat er durch Anfrage beim Grundbuchgeometer feststellen lassen, dass in den Fr. 882.50, mit denen der Geometer vom Staat entschädigt worden sei, auch die Vermarkungskosten, Gehilfenlöhne sowie die Arbeitsstunden des Geometers selbst von Fr. 586.60 inbegriffen sind.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Um rechtzeitig zu sein, muss die staatsrechtliche Beschwerde binnen 30 Tagen von der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung des Entscheides an gerechnet, dem Bundesgericht eingereicht werden (Art. 89 OG). Wird für die Zustellung die Post benützt, so ist die tatsächliche Zustellung, nicht der Tag massgebend, an welchem die Zustellung erfolgt wäre, wenn der Briefträger den Adressaten an dessen Wohnort getroffen hätte. Das gilt nicht bloss, wenn die Sendung dem Adressaten in die Ferien oder an eine neue Adresse nachgesandt werden muss, sondern auch, wenn in der Zustellung eine geringfügige Verzögerung eintritt, weil der Adressat seine Wohnung oder das Büro wegen eines Todesfalles, einer Reise oder aus andern Gründen für wenige Tage geschlossen hat. Denn in der nicht sofortigen Annahme liegt in solchen Fällen vorübergehender Abwesenheit vom Wohnort keine Annahmeverweigerung, welche die Beschwerdefrist in Lauf setzen würde. Eine Annahmeverweigerung könnte nur angenommen werden, wenn der Adressat längere Zeit ohne Angabe der ![]() | 16 |
Es steht nicht fest, wann erstmals versucht wurde, die Sendung vom 29. Mai 1969 dem Beschwerdeführer zuzustellen. Der Briefumschlag, in welchem die Zustellung erfolgte, trägt bloss den Vermerk: "Frist 7.6." Das entspricht insofern der Vorschrift von Art. 157 der Vollziehungsverordnung zum Postverkehrsgesetz (AS 1967, 1457), als danach dann, wenn der Bezugsberechtigte nicht anzutreffen ist, eine Abholungseinladung mit Fristangabe zu hinterlassen ist. Freilich wird darin auch verlangt, dass der Zustellungsversuch auf der Sendung vorzumerken ist. Wenn das heisst, dass der Tag des Zustellungsversuches anzugeben sei, wäre dies hier nicht geschehen. Doch steht fest, dass die Sendung am 7. Juni 1969 und damit innert der dafür gesetzten Frist eingelöst wurde. Diese effektive Zustellung ist für den Fristenlauf massgebend. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Beschwerdeführer habe den Wohnsitz bis zum 7. Juni 1969 verlassen, um Zustellungen an ihn zu vereiteln. Die Beschwerdefrist begann somit am 8. Juni 1969 zu laufen und sie endigte am 7. Juli. Die am 5. Juli zur Post gegebene Beschwerde ist rechtzeitig.
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Bei dieser Sachlage kann unerörtert bleiben, ob die mit einer Nachnahme belastete Sendung die Beschwerdefrist überhaupt in Laufzu setzen vermag (was in BGE 23 II 1398für die Berufungsfrist verneint wird; vgl. auch BGE 63 I 26).
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3. Der Beschwerdeführer hat in der Einsprache an den Regierungsrat die Herabsetzung des Abgabesatzes von 7‰ auf 1‰ verlangt. Er erklärt, daran nicht mehr festhalten zu wollen. Sein Antrag gehe auf Aufhebung des Entscheides des Regierungsrates "wegen Verfassungswidrigkeit der staatlichen Forderung". Da die behauptete Verfassungswidrigkeit sich daraus ergeben soll, dass die Gebühr nach dem im Zeitpunkt des Erlasses ![]() | 20 |
Wegen Verfassungswidrigkeit einer generellen Norm kann die staatsrechtliche Beschwerde nicht bloss an den Erlass, sein Inkrafttreten, sondern noch an jede Anwendungsverfügung angeschlossen werden (BGE 90 I 79, BGE 91 I 459, BGE 92 I 364 E. 1). Wird die Verfassungswidrigkeit bejaht, führt dies nicht zur Aufhebung, sondern zur Nichtanwendung des Erlasses auf den Beschwerdeführer.
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5. Die Gebühr unterscheidet sich von der Steuer dadurch, dass sie nicht voraussetzungslos geschuldet ist, sondern ein Entgelt darstellt für eine staatliche Leistung. Es gilt, wenn die Abgabe ihren Gebührencharakter behalten und nicht zur Steuer werden soll, das Kostendeckungsprinzip (BGE 72 I 397, BGE 82 I 300, BGE 84 I 165 mit Verweisungen auf die frühere Rechtsprechung; A. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 164/5). Danach soll der gesamte Ertrag der Gebühren die gesamten Kosten des betreffenden Verwaltungszweiges in der Regel nicht übersteigen (IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl. Nr. 412, IV 510). Es können also auch die allgemeinen Unkosten des betreffenden Verwaltungszweiges mitberücksichtigt werden. Die Gebühr darf den objektiven Wert der staatlichen Leistung überschreiten, weil unter dieser nicht bloss die unmittelbare ![]() | 23 |
Der Regierungsrat verweist auf die Urteile des Bundesgerichtes vom 24. Januar 1951 i.S. Constantin von Arx und vom 2. Juli 1958 i.S. Carl Hartmann und macht geltend, dass seit dem Erlass dieser Urteile die Gebühren nicht unangemessen geworden seien. Denn der Beschwerdeführer übersehe das starke Ansteigen der Vermessungskosten. Im ersten Fall entstand bei Anwendung des Tarifs zur Leistung des Staates kein Missverhältnis. Die Gebühr wurde bei Vermessungskosten von Fr. 116.50 auf Fr. 179.-- festgesetzt. Das Urteil stellte deshalb fest, dass die Abgabe zur Tätigkeit, für welche sie verlangt werde, noch in einem angemessenen Verhältnis stehe. Es bezeichnet dagegen bereits als fraglich, ob der Umstand die geforderte Abgabe noch als Gebühr erscheinen lasse, dass der Nettoüberschuss im Durchschnitt der Jahre 1939 bis 1949 etwa 12% der Ausgaben oder nicht ganz Fr. 7'300.-- ausmachte. Es liess die Frage offen. Seither hat sich nach den Feststellungen des Regierungsrates ![]() | 24 |
Daraus ist ersichtlich, dass die Gebühr bei Zugrundelegung des Verkehrswertes eines Grundstückes eindeutig zur Gemengsteuer geworden ist und den Gebührencharakter eingebüsst hat. Zwischen der staatlichen Leistung der Grenzfestsetzung oder grundbuchmässigen Abtrennung eines Grundstückes und der Abgabe ist ein offensichtliches Missverhältnis entstanden. Die neuere Rechtsprechung hat ein derartiges Missverhältnis nicht erst bei einem Abgabesatz von 7‰ des Verkehrswertes der abgetrennten Parzelle, sondern schon bei einem solchen von 5‰ angenommen und erklärt, die nach Massgabe von Ziff. 1 des Tarifes des Vermessungsamtes der Stadt Bern über die Nachführungsarbeiten vom 7. Dezember 1960 für Nachführungsarbeiten erhobene Grundtaxe von Fr. 30.- nebst einem Zuschlag von 5‰ des Verkehrswertes der abgetrennten Grundstücksflächen stehe in keinem vernünftigen Verhältnis zum Arbeitsaufwand des Gemeinwesens und zum Wert der erbrachten Leistung und verstosse somit gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (BGE 97 I 208, Erw. 7c).
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Bei der dem Beschwerdeführer auferlegten Abgabe von Fr. 3'670.60 entfallen Fr. 3'084.-- auf die tarifmässige Gebühr von 7‰ des Verkehrswertes der abgetrennten Fläche und nur Fr. 586.60 auf Vermarkungskosten, Gehilfenlöhne und Verschiedenes und Fr. 295.90 auf das Guthaben des Geometers, das ![]() | 26 |
Der Entscheid des Regierungsrates ist deshalb aufzuheben.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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