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118. Urteil vom 22. Dezember 1971 i.S. X. gegen Aufsichts kommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich. | |
Regeste |
Disziplinarrecht der Anwälte. Verletzung des Berufsgeheimnisses. |
Zum Begriff des Berufsgeheimnisses und der unzulässigen Offenbarung desselben (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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"Der Rechtsanwalt wahrt Geheimnisse, die ihm um seines Berufes willen anvertraut werden oder die er bei Ausübung seines Berufes wahrnimmt. Er legt diese Pflicht auch seinen Mitarbeitern und Angestellten auf und wacht über ihre Erfüllung."
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B.- Dr. X., Rechtsanwalt in Zürich, war seit Juli 1969 Berater und Vertreter der in Klosters wohnhaften Frau Y. in deren Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann, wobei er mit Rücksicht auf die von ihr angeführten besonderen Umstände sich zunächst mit einem Kostenvorschuss von Fr. 7500.-- begnügte. Nachdem er ihr am 25. März 1970 für seine bisherigen Bemühungen mit Fr. 91 917.25 Rechnung gestellt und die Erbringung weiterer Leistungen von der Bezahlung der Hälfte der Rechnung abhängig gemacht hatte, bestritt Frau Y. die Angemessenheit dieser Honorarforderung und wechselte den Anwalt.
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Mit Eingabe vom 9. November 1970 ersuchte Dr. X. die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich (AK), ihm die Einleitung der sich aufdrängenden Verfahren zur einwandfreien Abklärung der Zusammenhänge sowie zur rechtlichen Einforderung seines Honorars zu ermöglichen "durch die sofortige Entbindung vom Anwaltsgeheimnis sowie von allen üblichen standesrechtlichen Loyalitätsverpflichtungen". Zur Begründung machte er Ausführungen über Frau Y. und ihren Charakter und behauptete, sie habe ihn mit raffinierten Mitteln und Manövern dazu gebracht, ohne hinreichenden Vorschuss für sie tätig zu sein. Von dieser Eingabe verschickte er Kopien an den Rechtsanwalt, dem Frau Y. das ihm entzogene Mandat übertragen hatte, an zwei weitere Rechtsanwälte, an die Bündner Anwaltskammer sowie an die Gebührenkommission des Vereins Zürcher Rechtsanwälte.
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Die AK ermächtigte Dr. X. mit Beschluss vom 2. Dezember 1970, sein Berufsgeheimnis inbezug auf Frau Y. gegenüber den zuständigen Gerichten insoweit zu offenbaren, als dies für die Begründung seiner Honorarforderung notwendig erscheine. Dagegen sei die AK nicht legitimiert, noch würde es sich rechtfertigen, ihn von seinen "standesrechtlichen Loyalitätsverpflichtungen" zu entbinden. In einem besonderen Verfahren werde ![]() | 5 |
In seiner Vernehmlassung zu dieser Frage machte Dr. X. vor allem geltend, dass Art. 321 StGB die Verletzung des Berufsgeheimnisses abschliessend regle und für den Disziplinartatbestand des § 14 AnwG keinen Raum lasse. Er bestritt ferner, dass die Eingabe Berufsgeheimnisse enthalte, deren Bekanntgabe an Dritte unzulässig gewesen wäre.
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Mit Beschluss vom 1. September 1971 auferlegte die AK Dr. X. eine Ordnungsbusse von Fr. 400.--. Die Begründung dieses Entscheids lässt sich wie folgt zusammenfassen: § 14 AnwG sei eine Norm des Verwaltungsstrafrechts, zu deren Erlass der Kanton Zürich gemäss Art. 64 und 31 Abs. 2 BV befugt gewesen sei. Art. 321 StGB enthalte nach der ständigen Rechtsprechung der AK sowie nach der in der Rechtslehre überwiegend vertretenen Auffassung keine abschliessende Ordnung, da diese Bestimmung private Interessen schütze und dem öffentlichen Interesse des Staates an der Erhaltung der Vertrauenswürdigkeit der Anwälte nicht hinreichend Rechnung trage. Dr. X. habe mit der Zustellung von Kopien seiner Eingabe vom 9. November 1970 an Dritte diese über Dinge orientiert, die in die Persönlichkeits- und Geheimsphäre seiner Klientin gefallen seien, sie in ein übles Licht gestellt hätten und den Empfängern der Eingabe sonst nicht bekannt geworden wären (wird näher ausgeführt). Dem Beschuldigten sei zugute zu halten, dass er über das Verhalten seiner Klientin offensichtlich empört gewesen sei und dass angesichts des Kreises der Personen, denen gegenüber er die Geheimhaltungspflicht verletzt habe, kein besonders krasser Fall vorgelegen haben möge. Doch gehöre die Beobachtung der Geheimhaltungspflicht zu den grundlegenden Obliegenheiten des Anwalts, deren Verletzung nicht leicht wiege, weshalb sich, nachdem Dr. X. bereits am 3. Juni 1970 wegen Verletzung der Standespflichten und Standeswürde mit Fr. 200.-- gebüsst worden sei, eine Ordnungsbusse von Fr. 400.-- rechtfertige.
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C.- Gegen diesen Entscheid der AK hat Dr. X. beim Bundesgericht gleichzeitig eine Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 268 ff. BStP und eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte eingereicht. Mit beiden Rechtsmitteln wird Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts sowie Verletzung des Art. 4 BV durch rechtsungleiche ![]() | 8 |
D.- Mit Urteil vom 23. November 1971 ist der Kassationshof auf die Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verspätung nicht eingetreten.
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E.- Die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich beantragt sinngemäss Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Die Beschwerde macht in erster Linie geltend, dass Art. 321 StGB die Verletzung des Berufsgeheimnisses der Rechtsanwälte abschliessend regle, § 14 AnwG bundesrechtswidrig sei und die aufgrund dieser Bestimmung erfolgte disziplinarische Bestrafung des Beschwerdeführers gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb.-Best. zur BV) verstosse. Damit wird eine Verletzung eidgenössischen Rechts im Sinne des Art. 269 Abs. 1 BStP gerügt. Der Umstand, dass die Zürcher Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte kein Gericht, sondern eine Verwaltungsbehörde ist, schliesst die Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht aus, da diese sich nach Art. 12 Abs. 1 und 268 Ziff. 3 BStP auch gegen Straferkenntnisse kantonaler Verwaltungsbehörden richten kann. Fragen kann sich nur, ob der angefochtene Entscheid ein Straferkenntnis im Sinne dieser Bestimmungen sei. Das ist zu verneinen.
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§ 22 AnwG bezeichnet zwar die Sanktionen, mit denen Verstösse gegen die Pflichten der Rechtsanwälte zu ahnden sind, als Disziplinarstrafen und Strafen. Die Anwendbarkeit des Art. 268 BStP hängt jedoch nicht von der Bezeichnung, sondern von der rechtlichen Natur der Sanktion ab. Aus diesem Gesichtspunkt ![]() | 13 |
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a) Das Disziplinarstrafrecht steht, wie GERMANN (a.a.O.) ausführt, ausserhalb des Strafrechts. Der Grundsatz "nulla poena sine lege" (Art. 1 StGB) ist daher im Disziplinarstrafrecht nicht anwendbar, sofern dieses ihn nicht selber aufstellt, und das gleiche gilt für die Verjährungsbestimmungen des StGB (BGE 73 I 290). Die gegenseitige Unabhängigkeit von Disziplinarstrafrecht und gemeinem Strafrecht kommt auch darin zum Ausdruck, dass der Grundsatz "ne bis in idem" im Verhältnis zwischen ihnen nicht gilt (DUBACH a.a.O. S. 109a ff.; SCHWANDER, ![]() | 15 |
b) Aus dieser gegenseitigen Unabhängigkeit von eidgenössischem Straf- und kantonalem Disziplinarstrafrecht folgt, dass es dem kantonalen Gesetzgeber nicht verwehrt ist, die Bewahrung des in Art. 321 StGB geschützten Berufsgeheimnisses der Rechtsanwälte ihnen auch im Anwaltsgesetz zur Pflicht zu machen und für die Verletzung dieser Pflicht disziplinarische Sanktionen vorzusehen, wie es durch § 14 Abs. 1 und § 22 des Zürcher Anwaltsgesetzes geschehen ist. Das kantonale Recht könnte dabei den Begriff des Berufsgeheimnisses wohl auch in einer andern, engeren oder weiteren Sinne verwenden als Art.321 Ziff. 1 StGB. Fraglich mag sein, ob § 14 Abs. 2 AnwG, wonach der Rechtsanwalt zur Offenbarung eines Berufsgeheimnisses auch dann befugt ist, wenn es ihm "ein höheres Interesse notwendig erscheinen lässt", mit Art. 321 StGB vereinbar ist, dessen Ziff. 2 die Straflosigkeit der Offenbarung nur vorsieht bei Einwilligung des Berechtigten oder schriftlicher Bewilligung der Aufsichtsbehörde (vgl. GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht S. 617 Anm. 35c und GIACOMETTI, ZBl 44/1945 S. 316). Dagegen verstösst § 14 Abs. 1 AnwG nicht gegen Art. 321 StGB und ist eine disziplinarische Ahndung der Verletzung des Berufsgeheimnisses der Rechtsanwälte, sei es neben einer Bestrafung gemäss Art. 321 StGB oder ohne solche, keineswegs bundesrechtswidrig. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses der Anwälte stellt, wie MARTIN-ACHARD (La discipline des professions libérales, ZSR 1951 S. 272a) zutreffend bemerkt, gleichzeitig ein Vergehen und einen Disziplinarfehler dar und kann zu einer ![]() | 16 |
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Die Eingabe an die AK vom 9. November 1970, von welcher Kopien an fünf Dritte gesandt wurden, enthielt eingehende Ausführungen über das Zustandekommen des dem Beschwerdeführer von Frau Y. erteilten Mandates, Angaben über ihre und ![]() | 19 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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