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44. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. November 1995 i.S. M.F. und R.F. gegen Kantonsgericht St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV; kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf unentgeltliche aussergerichtliche Rechtsberatung. | |
Sachverhalt | |
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C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 31. März 1995 beantragen M.F. und R.F. dem Bundesgericht, den Entscheid des Einzelrichters für Rekurse in Familiensachen des Kantonsgerichts St. Gallen vom 27. Februar 1995 aufzuheben. Zudem ersuchen sie um die unentgeltliche Prozessführung für das Verfahren vor Bundesgericht.
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Der Einzelrichter in Familiensachen des Kantonsgerichts St. Gallen verzichtete unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid auf eine Stellungnahme.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Der Umfang des Anspruches auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung bestimmt sich zunächst nach den Vorschriften des kantonalen Rechts. Nur wenn dieses der bedürftigen Partei nicht in ausreichendem Mass die Möglichkeit sichert, ihre Rechte zu wahren, greifen die unmittelbar aus Art. 4 BV hergeleiteten Regeln ein, die ein Mindestmass an Rechtsschutz gewährleisten (BGE 120 Ia 14 E. 3a S. 15, BGE 116 Ia 102 E. 4a S. 104, BGE 115 Ia 193 E. 2 S. 194, je mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, der auf kantonalem Prozessrecht basierende Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung sei verletzt worden, so dass der angefochtene Entscheid unter diesem Gesichtspunkt nicht zu prüfen ist. Vielmehr berufen sie sich direkt auf das aus Art. 4 BV abgeleitete Recht auf Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts verschafft Art. 4 BV einer bedürftigen Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Prozess Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und auf Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sofern sie eines solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen bedarf (BGE 120 Ia 179 E. 3 S. 180 f., BGE 120 Ia 14 E. 3a S. 15, BGE 119 Ia 264 E. 3a S. 265).
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b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist die Annahme des Einzelrichters in Familiensachen des Kantonsgerichts St. Gallen, sie hätten den Anwalt nicht für den Scheidungsprozess, sondern für ausserprozessuale Beratung beigezogen, keineswegs ein "formalistisch-juristisches Konstrukt". Die Beschwerdeführer haben ihren Scheidungsprozess selbständig eingeleitet ![]() | 8 |
Unter diesen Umständen ist einzig die Frage zu prüfen, ob direkt aus Art. 4 BV ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung für ausserprozessuale Beratungen abgeleitet werden kann. Das Bundesgericht hatte sich zwar bereits verschiedentlich mit der aussergerichtlichen unentgeltlichen Verbeiständung auseinanderzusetzen, doch bezog sich dies immer auf Fälle, in denen das kantonale Prozessrecht einen entsprechenden Anspruch vorsah (BGE 117 Ia 22 E. 4d S. 26, BGE 109 Ia 107 E. 3b S. 110 f.). Demgegenüber wurde ein direkt aus Art. 4 BV abgeleiteter Armenrechtsanspruch für ausserprozessuale Rechtsberatungen bislang stets abgelehnt (BGE 117 Ia 22 E. 4d S. 26; SPÜHLER, a.a.O., Rz. 424, mit Hinweis auf den unveröffentlichten Entscheid des Bundesgerichtes vom 2. Juli 1992 i.S. D.). Während diese Rechtsprechung teilweise gebilligt wird (FAVRE, L'assistance judiciaire gratuite en droit suisse, Diss. Lausanne 1989, S. 114), wird in der Literatur auch die Auffassung vertreten, dass sich der verfassungsrechtliche Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung auch auf ausser- und vorprozessuale Beratung erstrecke, weil Bedürftige andernfalls auf die Dienste von meist auf summarische Rechtsberatung beschränkten Organisationen angewiesen wären und weil sich die aussergerichtliche Rechtsvertretung eigne, oft viel aufwendigere Prozesse zu verhindern (MARTIN, Probleme des Rechtsschutzes, ZSR NF/II 107 [1988], S. 50 f.; JAQUOT, Die Kosten der Rechtsverfolgung, Diss. Zürich 1978, S. 63; SALZMANN, Das besondere Rechtsverhältnis zwischen Anwalt und Rechtsstaat, Diss. Freiburg 1976, S. 81).
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Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen, dass sich der verfassungsrechtliche Mindestanspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung ausschliesslich auf die Vertretung im Rahmen eines Prozesses beschränkt. Zunächst ist festzuhalten, dass keineswegs gesichert ist, dass durch die aussergerichtliche Rechtsberatung oft viel aufwendigere Prozesse verhindert werden können. Insbesondere im vorliegenden Fall verfängt das Argument der Verhinderung eines Prozesses ![]() | 10 |
c) Aus diesen Gründen ist an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, dass sich der aus Art. 4 BV abgeleitete Mindestanspruch auf die Vertretung im Prozess beschränkt und dass kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ausserprozessuale Rechtsberatung besteht. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen.
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