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4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Januar 1996 i.S. Peter Jans und Jürg Diggelmann gegen Stadtrat der Stadt St. Gallen sowie Regierung und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 85 lit. a OG. Finanzreferendum. Gemeindeordnung und Finanzreglement der Stadt St. Gallen; Schutzbautenverordnung vom 27. November 1978 (BMV). |
Bei der Ermittlung der massgeblichen Kosten nach dem Nettoprinzip darf die Gemeinde den aus Ersatzbeiträgen für nicht erstellte Schutzräume (Art. 7 BMV) finanzierten Teil nicht von den Gesamtkosten der Vorlage in Abzug bringen; eine solche Fondsentnahme gilt weder als Beitrag eines Dritten noch als dem Referendum nicht unterstehende zweckgebundene Ausgabe (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Mit Interpellation vom 26. Oktober 1993 stellten Gemeinderat Peter Jans und 22 Mitunterzeichner dem Stadtrat verschiedene Fragen zur Zivilschutzanlage Zil, insbesondere zum Auftraggeber des Projekts, zu den bereits angefallenen und den noch zu erwartenden Kosten sowie der weiteren Behandlung des Bauvorhabens.
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Am 1. Februar 1994 fasste der Stadtrat folgenden Beschluss:
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"Das Projekt für die Erstellung einer Bereitstellungsanlage mit
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Sanitätsposten und Quartier-Kommandoposten nordwestlich der
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Sekundarschule Zil im Kostenbetrage von Fr. 1'700'000.-- wird gutgeheissen
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und dafür, nach Abzug der zweckgebundenen Mittel aus der
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Spezialfinanzierung für die Erstellung und Einrichtung öffentlicher
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Schutzräume von Fr. 1'600'000.--, ein Verpflichtungskredit von
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Fr. 100'000.-- erteilt."
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Mit Beschluss vom 15. März 1994 beantwortete der Stadtrat die Interpellation Jans vom 26. Oktober 1993. Er führte im wesentlichen aus, die Erstellung und Ausrüstung von Bereitstellungsanlagen (BSA) für den Zivilschutz erfolgten durch die Politische Gemeinde aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen von Bund und Kanton. Nach der im Zuge der Zivilschutz-Reform 95 überarbeiteten generellen Zivilschutzplanung müssten in der Stadt noch zwei BSA, eine im Osten (Zil) und eine im Westen (Winkeln), erstellt werden. Die Projektierung der Anlage Zil sei abgeschlossen, und die Baubewilligung sei rechtskräftig. Die Projektierung habe Fr. 180'000.-- gekostet, die der Stadtrat in eigener Kompetenz im Rahmen des Voranschlags der Investitionsrechnung gesprochen habe. Von den 1,7 Mio. Franken Gesamtkosten würden 1,6 Mio. Franken aus dem aus ![]() | 11 |
Am 5. April 1994 erhoben Peter Jans und Jürg Diggelmann Rekurs bei der Regierung des Kantons St. Gallen. In der Sache beantragten sie, es sei festzustellen, dass der Stadtrat mit seinem Beschluss vom 1. Februar 1994, 1,7 Mio. Franken für den Bau der Zivilschutzanlage Zil auszugeben, seine Finanzkompetenzen überschritten habe, und der Stadtrat sei anzuweisen, den Kredit dem Grossen Gemeinderat zur Beschlussfassung vorzulegen. Die Regierung wies den Rekurs am 19. April 1995 ab.
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Den Rekursentscheid der Regierung fochten Peter Jans und Jürg Diggelmann mit Beschwerde vom 9. Mai 1995 beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen an, beantragten dessen Aufhebung und wiederholten im übrigen die bereits vor der Regierung gestellten Anträge. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde am 25. September 1995 ab.
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Dieses Urteil fechten Peter Jans und Jürg Diggelmann mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 2. November 1995 an und beantragen u.a. dessen Aufhebung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts auf.
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Aus den Erwägungen: | |
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c) Streitig ist, wie der Kreditbetrag für die Bestimmung des zuständigen Organs zu ermitteln ist. Einig sind sich die Beteiligten darin, dass dabei das sogenannte Nettoprinzip zur Anwendung kommt, was bedeutet, dass derjenige Betrag massgebend ist, den das Gemeinwesen selber aufzubringen hat. Das Nettoprinzip ist im Staatsrecht des Kantons St. Gallen offenbar seit der Einführung des Finanzreferendums unbestritten (H. OESTER, Das Finanzreferendum im Kanton St. Gallen, St. Galler Diss., Winterthur 1962, S. 145 ff.); für die Stadt St. Gallen sieht Art. 35 Abs. 2 des Finanzreglements vom 19. Mai 1987 (FR) ausdrücklich vor, dass Verpflichtungskredite netto zu beschliessen sind, "wenn die Beiträge Dritter in ihrer Höhe gesetzlich festgelegt oder rechtskräftig zugesichert sind oder wenn er unter dem Vorbehalt bestimmter Leistungen Dritter erteilt wird". Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Nettoprinzip bestehen nicht (Entscheid des Bundesgerichts vom 29. November 1988 in ZBl 90 1989 129 E. 2b; BGE 100 Ia 366 E. 4b S. 375; kritisch dazu allerdings I. GRAF, Problem Finanzreferendum, Berner Diss., Grüsch 1989, S. 120 ff.).
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"1Die Ersatzbeiträge werden von der Gemeinde für die Erstellung,
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Erneuerung
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und Ausrüstung von öffentlichen Schutzbauten, insbesondere von öffentlichen
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Schutzräumen, verwendet. Sind in einer Gemeinde die vorgeschriebenen
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öffentlichen Schutzbauten erstellt und ausgerüstet, so kann der Kanton die
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Verwendung der Ersatzbeiträge für weitere Zivilschutzmassnahmen freigeben.
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2Die einer Gemeinde von den Hauseigentümern entrichteten Ersatzbeiträge
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sind bei der Erstellung, Erneuerung und Ausrüstung der nächsten
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öffentlichen Schutzbaute von den beitragsberechtigten Kosten abzuziehen.
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3Die Kantone können anordnen, dass Ersatzbeiträge zur ganzen oder
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teilweisen Deckung des Gemeindeanteils der Kosten zur Erstellung und
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verwendet werden."
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b) Die Gemeinden sind von Bundesrechts wegen die Hauptträger des Zivilschutzes auf ihrem Gebiet (Art. 10 Abs. 1 des Zivilschutzgesetzes vom 23. März 1962; SR 520.1; ZSG). Die Pflicht, Schutzräume zu erstellen bzw. erstellen zu lassen, trifft die Gemeinden, nicht den Kanton (Art. 1 BMG); diese erheben die Ersatzabgabe (Art. 6 Abs. 4 BMV), führen das entsprechende Konto in ihrer Rechnung und verwenden die Ersatzbeiträge nach der Vorschrift von Art. 7 Abs. 1 BMV. Zu Unrecht will das Verwaltungsgericht aus Art. 7 Abs. 2 BMV ableiten, dass nicht die Gemeinde, sondern der Kanton (durch das kantonale Amt für Zivilschutz) über den Einsatz der Mittel verfüge. Diese Bestimmung stellt lediglich klar, dass sich der Bund nur an Kosten beteiligt, die nicht durch eingegangene Ersatzbeiträge gedeckt sind.
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Die Ersatzbeiträge stehen nach der insoweit klaren bundesrechtlichen Regelung der Gemeinde zu. Ob sie diese Mittel in eigener Kompetenz oder, wie das Verwaltungsgericht ausführt, nur im Einverständnis mit dem Kanton einsetzen darf, ändert daran nichts. Das gleiche gilt, soweit der Kanton nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 BMV in besonderen Fällen eine andere Verwendung der Ersatzbeiträge anordnen kann. Die Entnahme von Mitteln für eine kommunale Schutzbaute aus dem mit Ersatzbeiträgen geäufneten Finanzierungskonto kann somit nicht als Drittbeitrag des Kantons im Sinne von Art. 35 Abs. 2 FR betrachtet werden.
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c) Stehen die Ersatzbeiträge der Gemeinde zu, so stellen sie eine kraft Bundesrecht für eine bestimmte Aufgabe - die Erstellung, Erneuerung und Ausrüstung von öffentlichen Schutzbauten - reservierte Spezialfinanzierung der Gemeinde dar (Art. 19 Abs. 1 FR). Die Ersatzbeiträge werden nicht für ein konkretes Vorhaben geleistet; die Beitragspflicht knüpft einzig daran an, dass ein Hauseigentümer von der Pflicht zur Erstellung von Schutzräumen befreit wurde (Art. 1 Abs. 3 BMG). Die Gemeinde anderseits muss die vorgeschriebenen öffentlichen Schutzräume errichten, auch wenn die eingegangenen Ersatzbeiträge für deren Finanzierung nicht ausreichen. Auch die Ersatzpflichtigen können daher nicht als Dritte im Sinne von Art. 35 Abs. 2 FR betrachtet werden, deren Beiträge von der gesamten Baukreditsumme für ein konkretes Projekt abgerechnet werden können.
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d) Bei einer ganz oder teilweise aus einem Fonds finanzierten Ausgabe erfolgt eine erste Zweckbindung bereits mit der Fondseinlage, so dass ![]() | 37 |
e) Es gibt somit keinen stichhaltigen Grund, zur Bestimmung des für die Ausgabe zuständigen Organs den aus Ersatzbeiträgen finanzierten Anteil von der Gesamtkreditsumme abzuziehen. Der Stadtrat, der nach Art. 41 Ziff. 1 lit. b GO nur befugt ist, neue Investitionen bis zu Fr. 200'000.-- zu tätigen, hat demzufolge mit dem Kreditbeschluss vom 1. Februar 1994 über 1,7 Mio. Franken seine Ausgabenkompetenz überschritten.
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