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36. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. Oktober 1996 i.S. V.S. sowie deren Kinder L. und A. gegen Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV; Art. 84 Abs. 2, 88 und 100 lit. b Ziff. 3 OG, Art. 4 und Art. 17 Abs. 2 ANAG; Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bei Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung an eine Ausländerin und ihre Kinder, die im Familiennachzug in die Schweiz gelangt sind und nunmehr getrennt von ihrem Ehemann bzw. Vater leben. |
Voraussetzungen des aus Art. 4 BV abgeleiteten Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung (E. 2). |
Beurteilung der Aussichtslosigkeit einer Beschwerde im Zusammenhang mit einem Bewilligungsverfahren, in der die zuständige Behörde über freies Ermessen verfügte (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Mit Verfügung vom 9. Juni 1995 verweigerte die Fremdenpolizei des Kantons Bern V.S. und ihren beiden Kindern die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, da die eheliche Gemeinschaft nicht mehr bestehe. Die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern wies eine Beschwerde ![]() | 2 |
Gegen diesen Entscheid haben V.S. und ihre beiden Kinder mit Eingabe vom 24. April 1996 staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, den angefochtenen Entscheid insoweit aufzuheben, als die unentgeltliche Prozessführung verweigert worden sei.
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Die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
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Die Beschwerdeführer können keinen Anwesenheitsanspruch aus einer derartigen Bestimmung ableiten. Art. 17 Abs. 2 ANAG gibt lediglich einen Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung für den Ehegatten eines Ausländers mit Niederlassungsbewilligung. Der Ehemann der Hauptbeschwerdeführerin verfügt indessen nur über die Aufenthaltsbewilligung, welche nach Art. 14 Abs. 8 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAV; SR 142.201) während der ![]() | 7 |
Besteht kein Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung, was die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausschliesst, käme zwar subsidiär die staatsrechtliche Beschwerde in Betracht (Art. 84 Abs. 2 OG). Mangels Rechtsanspruchs fehlt es aber im Hinblick auf die Verweigerung einer Anwesenheitsbewilligung am rechtlich geschützten Interesse und damit an der Legitimationsvoraussetzung (nach Art. 88 OG) für die Ergreifung der staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 122 II 186 E. 2; BGE 121 I 267 E. 2; BGE 118 Ib 145 E. 6). Die Beschwerdeführer erheben denn auch gar keine Beschwerde in der Sache.
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b) Unabhängig von der fehlenden Legitimation in der Sache selbst kann mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung solcher Verfahrensgarantien geltend gemacht werden, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Eine solche besteht dann, wenn dem Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung zukommt. Ist dies der Fall, kann er die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund von Art. 4 BV zustehen. Dabei prüft das Bundesgericht frei, ob, im Rahmen der dem Beschwerdeführer nach kantonalem Recht eingeräumten Parteistellung im Verfahren, die durch Art. 4 BV gewährleisteten Minimalansprüche respektiert wurden (BGE 114 Ia 307 E. 3c; 120 Ia 220 E. 2a, mit Hinweisen).
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Die Beschwerdeführer rügen mit der von ihnen eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde, die unentgeltliche Prozessführung hätte ihnen nicht mit der Begründung verweigert werden dürfen, ihr Beschwerdebegehren sei aussichtslos. Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ergibt sich, soweit das kantonale Recht keine weitergehenden Ansprüche gewährt, was von den Beschwerdeführern nicht geltend gemacht wird, als Minimalgarantie direkt aus Art. 4 BV (BGE 121 I 60 E. 2a, mit Hinweisen). Insofern ist deshalb auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten, unabhängig davon, dass sie in der Sache selbst nicht zulässig wäre.
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c) Der kantonale Instanzenzug ist ausgeschöpft (Art. 86 und Art. 87 OG). Nach Art. 19 und 20 der bernischen Verordnung vom 19. Juli 1972 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer entscheidet die Polizei- und ![]() | 11 |
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b) Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Praxis Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 119 Ia 251 E. 3b; BGE 119 III 113 E. 3a; BGE 109 Ia 5 E. 4; je mit Hinweisen). Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition (BGE 119 III 113 E. 3, mit Hinweisen).
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3. a) Bei rein ausländischen Ehen hängt - im Unterschied zu Ehen von Ausländern mit Schweizern - der gesetzliche Anspruch auf eine ![]() | 14 |
b) Das freie Ermessen im Sinne von Art. 4 ANAG ist immerhin, wie jedes staatliche Handeln, nicht nach Belieben wahrzunehmen, sondern pflichtgemäss, insbesondere unter Beachtung des Willkürverbots und des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit auszuüben (Peter Kottusch, Das Ermessen der kantonalen Fremdenpolizei und seine Schranken, in ZBl 91/1990, S. 168 ff.); daran ändert der Ausschluss der Überprüfung solcher Entscheide durch richterliche Instanzen nichts. Welche Praxis ein Kanton bei Auflösung des ehelichen Zusammenlebens einschlägt, ist damit allerdings nicht vorgegeben. Er kann, wie dies der Kanton Bern tut, regelmässig die Erneuerung der Bewilligung verweigern, da der Zulassungsgrund entfallen ist (vgl. auch PETER KOTTUSCH, Zur rechtlichen Regelung des Familiennachzugs von Ausländern, in ZBl 90/1989, S. 356). Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gebietet allerdings, dies nicht unbesehen zu tun. Das hat die Polizei- und Militärdirektion im vorliegenden Fall nicht verkannt. Sie verweist auf die "Weisungen zur Ausländergesetzgebung" des Bundesamtes ![]() | 15 |
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte erachtete die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern die Erneuerung der Bewilligung als nicht angezeigt. Die Hauptbeschwerdeführerin sei erst seit drei Jahren in der Schweiz. Sie pflege zwar Kontakte zur schweizerischen Bevölkerung und sei an ihrer Arbeitsstelle sehr geschätzt. In Anbetracht der nicht sehr langen Aufenthaltsdauer könne indessen nicht von einer tiefen Verwurzelung in der Schweiz ausgegangen werden. Der Umstand, dass sie eine neue Beziehung zu einem Schweizer geknüpft habe und sich mit Heiratsabsichten trage, spiele keine Rolle, da sie noch mit ihrem Ehegatten verheiratet sei. Die Kinder besuchten hier die Schule, sprächen fliessend Berndeutsch und seien problemlos integriert. Eine Rückkehr nach Mazedonien sei aber angesichts des Alters der Kinder und weil sie mehrere Jahre dort gelebt und auch bereits die Schule besucht hätten, nicht mit grösseren Schwierigkeiten verbunden. Es werde nicht verkannt, dass die Mutter und die Kinder im vergangenen Jahr viel durchgemacht hätten, gleichzeitig dürfe aber nicht vergessen werden, dass der Aufenthalt in der Schweiz nur ermöglicht worden sei, damit die Familie hier zusammenleben könne. Es könne nicht Aufgabe des Fremdenpolizeirechts sein, familiäre Streitigkeiten zu bereinigen oder kulturelle Unterschiede auszugleichen, indem den betroffenen Personen der Aufenthalt in der Schweiz ermöglicht werde.
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c) Der Umstand, dass die kantonale Rekursinstanz im Rahmen des ihr zustehenden freien Ermessens theoretisch jedes Gesuch um Aufenthaltsbewilligung gutheissen könnte (soweit nicht bundesrechtliche Vorschriften entgegenstehen), bedeutet nicht, dass jeder Beschwerde in diesem Bereich Aussicht auf Erfolg zuerkannt werden müsste mit der Folge, dass die unentgeltliche Rechtspflege in solchen Fällen stets zu gewähren wäre. Auch darf das Bundesgericht bei der Beurteilung der Prozessaussichten nicht sein Ermessen an die Stelle jenes der Rekursinstanz setzen, d.h. es hat nicht zu prüfen, wie es entscheiden würde, wenn es selber und zwar nach freiem Ermessen über die Beschwerde zu befinden hätte. Ist - wie im ![]() | 17 |
Im vorliegenden Fall stand der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Fällung des angefochtenen Entscheids wegen Gewalttätigkeiten in Strafuntersuchung. Unabhängig davon, ob dies zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt hat oder noch führen wird und er allenfalls aus der Schweiz ausgewiesen wird, ist es indessen nicht der Sinn des Instituts der Aufenthaltsbewilligung, den Beschwerdeführern zu einem Ausweg aus ihren familiären Problemen zu verhelfen und sie vor ihrem gewalttätigen Ehemann bzw. Vater zu schützen (unveröffentlichtes Urteil vom 3. Mai 1995 i.S. B.). Ebensowenig ist im fremdenpolizeilichen Verfahren zu entscheiden, welcher der beiden Ehegatten das Scheitern der Ehe verschuldet bzw. die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts durch sein Verhalten veranlasst hat; das hat um so mehr zu gelten, als das Verschuldensprinzip auch in der Praxis des Scheidungsrechts zunehmend in den Hintergrund tritt (vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 15. November 1995 zu einem neuen Scheidungsrecht, in BBl 1996 I 1, insb. S. 27 ff.).
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d) Gemessen an diesen Grundsätzen und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles - wie namentlich der erst relativ kurzen Anwesenheitsdauer der Beschwerdeführer in der Schweiz - ergibt sich, dass die Gewinnaussichten im Verfahren über die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung von der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern als erheblich geringer eingestuft werden durften als die Verlustgefahren. Die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung verletzt daher Art. 4 BV nicht.
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