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2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Februar 1997 i.S. X. gegen Verein Zürcherischer Rechtsanwälte und Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 31 BV, Art. 10 EMRK; § 7 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 des Zürcher Gesetzes vom 3. Juli 1938 über den Rechtsanwaltsberuf; Missachtung des Verbots aufdringlicher Werbung und der Pflicht, klare Rechtsverhältnisse zu schaffen. | |
Sachverhalt | |
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Am 7. November 1995 liess der Verein Zürcherischer Rechtsanwälte der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich einen in englischer Sprache abgefassten Prospekt der Y. AG zukommen und verzeigte X. sowie zehn weitere Rechtsanwälte im Dienste dieser Firma insbesondere wegen Missachtung des Verbots aufdringlicher Werbung (§ 7 Abs. 2 AnwG) und der Pflicht, klare Rechtsverhältnisse zu schaffen (§ 8 Abs. 1 AnwG). Nach Durchführung des Disziplinarverfahrens büsste die Aufsichtskommission X. am 4. April 1996 wegen Verletzung dieser Bestimmungen mit Fr. 500.--. Sie begründet ihren Beschluss (veröffentlicht in ZR 95/1996 Nr. 44) im wesentlichen wie folgt:
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Beim fraglichen Prospekt, der in rund 4'000 Exemplaren an die Y. Organisationen im Ausland und an die diversen Niederlassungen der Y. AG in der Schweiz versandt worden sei, handle es sich um ein Faltblatt mit fünf Textspalten, in dem unter der Überschrift "Legal Services Switzerland" (rechtliche Dienstleistungen Schweiz) und nach einer kurzen Beschreibung der Firma die betreuten Rechtsgebiete sowie die "Philosophie" der Y. AG vorgestellt würden. Lose eingelegt in den Faltprospekt sei ein vierspaltiges Verzeichnis der schweizerischen "Offices providing legal services" (Büros mit rechtlichen Dienstleistungen) der Firma mit den Namen und den Spezialgebieten der dort tätigen Juristen, welche grösstenteils als "attorney" (Rechtsanwalt) bezeichnet würden.
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X. hat gegen den Entscheid der Aufsichtskommission staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Das Bundesgericht weist diese ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
2. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts steht der Anwalt unter dem Schutze der Handels- und Gewerbefreiheit, ebenso wie die Angehörigen anderer liberaler Berufe und alle übrigen Personen, die einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit nachgehen; geschützt ist sowohl die selbständige wie auch die unselbständige Berufsausübung (BGE 119 Ia 374 E. 2a S. 375; BGE 113 Ia 279 E. 1 S. 282, mit Hinweisen). Art. 31 Abs. 1 BV gewährleistet im Rahmen der Bundesverfassung die Handels- und Gewerbefreiheit, behält indes in Abs. 2 "kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerben" vor; diese dürfen ihrerseits jedoch den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen. Unzulässig sind wirtschaftspolitische oder standespolitische Massnahmen, die den freien Wettbewerb behindern, um gewisse Gewerbezweige oder Bewirtschaftungsformen zu sichern oder zu begünstigen. Zulässig sind dagegen andere im öffentlichen Interesse begründete Massnahmen, wie namentlich polizeilich motivierte Eingriffe zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit sowie von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr oder sozialpolitisch begründete Einschränkungen. Diese bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, müssen durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit sowie der Rechtsgleichheit (namentlich im Sinne der Wettbewerbsneutralität) wahren (BGE 121 I 129 E. 3b S. 131 f.; BGE 118 Ia 175 E. 1 S. 177, je mit Hinweisen).
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Es trifft zu, dass die Aufsichtskommission Form und Aufmachung des Faltblatts nicht beanstandet hat. Sie wirft der Y. AG und dem Beschwerdeführer vielmehr dessen Inhalt vor, nämlich die Anpreisung als grösstes Anwaltsbüro der Schweiz ("the largest Swiss law firm") und die falsche Behauptung, sämtliche Rechtsberater seien Anwälte. Weshalb Werbung, die gar zu falschen Behauptungen greift, nicht aufdringlich im Sinne von § 7 Abs. 2 AnwG sein soll, ist nicht ersichtlich. Falsche (bzw. übertriebene) Behauptungen über die Qualifikationen desjenigen, der eine Dienstleistung anbietet, können ohne weiteres als "aufdringlich" gelten; jedenfalls ist eine entsprechende Gesetzesauslegung nicht willkürlich.
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c) Der Beschwerdeführer macht des weitern geltend, es fehle an einem überwiegenden öffentlichen Interesse, welches die anwaltsrechtlichen Werbeschranken rechtfertigen könnte. Es handle sich dabei vielmehr um eine wirtschafts- und standespolitische Massnahme, die den freien Wettbewerb behindere.
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aa) Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung ein striktes Werbeverbot für Anwälte zwar stets abgelehnt, es anderseits aber als zulässig erachtet, die Werbetätigkeit von Anwälten besonderen Schranken zu unterwerfen (BGE 67 I 80 E. 3 S. 87 ff.; BGE 68 I 11 E. 1 S. 14 f., 65 E. 1 S. 68 f.; BGE 87 I 262 E. 2 S. 265 f.; vgl. BGE 96 I 35 ff.). Den Kantonen ist es insbesondere erlaubt, aufdringliche und irreführende Werbung zu untersagen. Der Zweck entsprechender Normen lässt sich auch heute nicht beanstanden, selbst wenn ihre Anwendung mit Blick auf die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse (im Vergleich zu diesen älteren Entscheiden des Bundesgerichts) allenfalls gewisser Anpassungen bedarf. Das Publikum soll darauf vertrauen können, dass Rechtsanwälte, wenngleich Gewerbetreibende, sich in ihrer Berufsausübung nicht von Gewinnstreben beherrschen lassen, sondern in erster Linie ihre Verantwortung als "Diener des Rechts" und "Mitarbeiter der Rechtspflege" wahrnehmen und in dieser Funktion die Rechtsuchenden bei der Verfolgung ihrer subjektiven Rechtsschutzinteressen beraten und unterstützen (vgl. BGE 106 Ia 100 E. 6b S. 104), sie gegebenenfalls aber auch davon abhalten, ![]() | 10 |
bb) Der angefochtene Entscheid wendet das Verbot aufdringlicher Empfehlung nach § 7 Abs. 2 AnwG vor diesem Hintergrund nicht in verfassungswidriger Weise an. Die Aufsichtskommission hat den Prospekt der Y. AG beanstandet, weil er falsche Informationen (alle Rechtsberater der Y. AG seien Rechtsanwälte) enthält, die Y. AG als grösstes Rechtsanwaltsbüro der Schweiz bezeichnet und Vergleiche zu anderen grossen Anwaltsbüros zieht (von denen sich die Y. AG dadurch unterscheide, dass sie neben hochqualifizierter Rechtsberatung weitere - ausführlich beschriebene - Dienstleistungen anbiete). Die falschen Angaben, wozu neben der Behauptung, alle Rechtsberater der Y. AG seien Rechtsanwälte, auch die zumindest verwirrliche Selbstdeklaration als Anwaltsbüro gehört, dürfen ohne weiteres als im Rahmen anwaltlicher Werbung unzulässig angesehen werden. Der Vergleich mit den andern grösseren Anwaltsbüros kann ebenfalls als verpöntes reklamehaftes Sich-Herausstellen gelten. Das Verbot derartiger Werbung liegt im überwiegenden öffentlichen Interesse und ist nicht unverhältnismässig.
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e) Der Beschwerdeführer beruft sich ergänzend zur Rüge der Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit auf die in Art. 10 EMRK verankerte Meinungsäusserungsfreiheit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich im Urteil i.S. Casado Coca vom 24. Februar 1994 (Serie A Nr. 285-A) mit der Tragweite dieses grundrechtlichen Anspruchs im Bereiche der Werbung von Rechtsanwälten auseinandergesetzt. Der Gerichtshof hat dabei massgeblich darauf abgestellt, dass in den Mitgliedstaaten des Europarats unterschiedliche Auffassungen darüber herrschen, ob und wie weit den Anwälten Werbung erlaubt sein soll. Er hat auch darauf hingewiesen, dass seit einiger Zeit gewisse Lockerungen des Werbeverbots festzustellen seien. Zum Entscheid darüber, wie weit diese reichen müssten und wo zu einem bestimmten Zeitpunkt das richtige Gleichgewicht zwischen den auf dem Spiele stehenden Interessen liege, seien die ordentlichen Gerichte besser geeignet als der internationale Richter. Die Meinungsäusserungsfreiheit nach Art. 10 EMRK und die Praxis dazu enthalten demnach keine weiterführenden Gesichtspunkte, die nicht bereits im Lichte der Handels- und Gewerbefreiheit zu berücksichtigen gewesen wären.
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