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12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. Mai 1997 i.S. Eduard Joos, Daniel Fischer und Evangelische Volkspartei (EVP) des Kantons Schaffhausen gegen Grosser Rat des Kantons Schaffhausen (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 85 lit. a OG; Stimmrechtsbeschwerde; Ausstand von kantonalen Parlamentariern, die beruflich im Dienst des Kantons stehen. |
Bundesgerichtliche und kantonale Praxis zum Ausstand von Behördemitgliedern (E. 3). |
Aktives Wahlrecht und Wahlrechtsgrundsätze; Prinzip der Erfolgswertgleichheit bei Proporzwahlen und seine Umsetzung im kantonalen Recht (E. 4). |
Ist die Wahl von kantonalen Bediensteten in den Grossen Rat zulässig, so können solche Grossräte bei Abstimmungen im Parlament über personalrechtliche Erlasse und Beschlüsse nicht generell für ausstandspflichtig erklärt werden (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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Das Gesetz über die Einfügung von Art. 3 Abs. 4 in das Gesetz über den Grossen Rat vom 20. Mai 1996 hat folgenden Wortlaut:
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"Im Dienst des Kantons stehende Ratsmitglieder nehmen bei den
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Abstimmungen über personalrechtliche Erlasse und Beschlüsse den Ausstand."
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"Die Ratsmitglieder haben für die Beratung und Abstimmung den Ausstand zu
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nehmen, wenn sie vom Geschäft unmittelbar betroffen werden:
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a) in eigener Sache;
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b) in Angelegenheiten einer ihnen infolge Verwandtschaft, Schwägerschaft
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oder in ähnlicher Weise nahestehenden Person (...);
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c) in Angelegenheiten einer Körperschaft, Personenverbindung oder
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Institution, ausgenommen Gemeinden, in deren Leitung oder gehobenem Dienst
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sie tätig sind oder für die sie eine Beratungsfunktion erfüllen.
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Bei Geschäften, welche die Oberaufsicht über ihren Tätigkeitsbereich
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betreffen, beteiligen sich im Dienst des Kantons stehende Ratsmitglieder an
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der Beratung, nehmen aber bei der Abstimmung den Ausstand.
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Für die Behandlung allgemeinverbindlicher Erlasse besteht keine
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Ausstandspflicht.
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Im Dienst des Kantons stehende Ratsmitglieder nehmen bei den Abstimmungen
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über personalrechtliche Erlasse und Beschlüsse den Ausstand."
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Gegen das Gesetz über die Einfügung von Art. 3 Abs. 4 in das Gesetz über den Grossen Rat erheben am 11. November 1996 Grossrat Eduard Joos sowie Daniel Fischer, beide in ihrer Eigenschaft als Private, und ausserdem die Evangelische Volkspartei (EVP) in gemeinsamer Eingabe Stimmrechtsbeschwerde gemäss Art. 85 lit. a OG und Staatsvertragsbeschwerde nach Art. 84 Abs. 1 lit. c OG. Sie beantragen, Art. 3 Abs. 4 GRG aufzuheben.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
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aus folgenden Erwägungen: | |
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Der Grosse Rat des Kantons Schaffhausen macht geltend, es stünden Bestimmungen über den Ausstand von Parlamentariern zur Diskussion, welche sich beruflich im Dienst des Kantons befänden. Solche Vorschriften beeinträchtigten die Ausübung des politischen Mandates weniger als Unvereinbarkeitsvorschriften für Beamte (vgl. BGE 114 Ia 395). Auch inhaltlich hänge die strittige Norm weniger eng mit dem in Art. 4 der Kantonsverfassung (KV) ![]() | 24 |
b) aa) Gemäss Art. 85 lit. a OG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger. Die politische Stimmberechtigung umfasst das Recht, an Abstimmungen teilzunehmen, Initiativen und Referenden zu unterschreiben, sowie das aktive und passive Wahlrecht. Mit der Stimmrechtsbeschwerde kann die Verletzung sämtlicher im Zusammenhang mit den politischen Rechten stehenden Vorschriften gerügt werden (BGE 120 Ia 194 E. 1b). Ein Anfechtungsobjekt wird in Art. 85 lit. a OG - anders als in Art. 84 Abs. 1 OG für die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte - nicht genannt. Mit Stimmrechtsbeschwerde sind daher jedenfalls kantonale Erlasse anfechtbar, welche das Stimm- und Wahlrecht regeln; dazu gehören nach der Praxis des Bundesgerichtes unter anderem Gesetze, welche Vorschriften über die Unvereinbarkeit eines durch Volkswahl bestimmten politischen Mandates mit einem öffentlichen Amt enthalten (BGE 120 Ia 194 E. 1b; BGE 119 Ia 167 E. 1c; BGE 114 Ia 395).
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bb) Das Bundesgericht hatte sich noch nicht ausdrücklich zur Frage zu äussern, ob auch Vorschriften über den Ausstand von Parlamentariern bei Abstimmungen im Kantonsparlament mit Stimmrechtsbeschwerde anfechtbar sind (vgl. immerhin BGE 116 Ia 242 E. 3a zur Wahl eines Lehrers in die Gemeindeexekutive; BGE 111 Ia 67 E. 3e betrifft eine Autonomiebeschwerde). Im Gegensatz zum Grossen Rat bejahen das die Beschwerdeführer. Sie machen geltend, die umstrittene Ausstandsbestimmung schaffe eine Kategorie von Parlamentariern zweiter Klasse. Wähler, die diesen Grossräten stimmten, würden in ihrer Stimmkraft beeinträchtigt, weil die von ihnen Gewählten bei gewissen wichtigen Abstimmungen im Grossen Rat nicht stimmberechtigt seien. Sodann bringen die Beschwerdeführer vor, ein Beamter sei zwar nach wie vor in das Kantonsparlament wählbar, doch habe er geringere Wahlchancen, weil er in jenen Sachfragen, die seine Stammwählerschaft - die Beamten - besonders interessierten, im Grossen Rat nicht ![]() | 26 |
cc) Der neue Art. 3 Abs. 4 GRG hat behördeninterne Abstimmungen im Grossen Rat und nicht die Ausübung politischer Rechte an Volksabstimmungen zum Gegenstand. Dennoch steht die Rechtsprechung des Bundesgerichtes, wonach sich die Stimmrechtsbeschwerde ausschliesslich auf Wahlen und Abstimmungen der Stimmbürger bezieht (BGE 119 Ia 167 E. 1d; Urteil des Bundesgerichtes vom 14. Februar 1990, E. 1, in ZBl 92/1991 S. 260; BGE 112 Ia 174 E. 2), einem Eintreten auf die zu beurteilende Eingabe nicht entgegen. In der Sache geht es um die Frage, ob die generelle Ausstandspflicht bestimmter Grossräte bei gewissen ratsinternen Abstimmungen in ihrer Wirkung das aktive und passive Wahlrecht der Bürger einschränke.
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dd) In seiner früheren Praxis (nachgezeichnet in BGE 114 Ia 395 E. 3b) zu Beschränkungen des aktiven und passiven Wahlrechts durch Unvereinbarkeitsvorschriften hatte das Bundesgericht lediglich die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG) bzw. wegen Verletzung des Willkürverbotes und des Grundsatzes der Rechtsgleichheit (Art. 4 BV), nicht aber die Stimmrechtsbeschwerde zugelassen. Begründet wurde dies primär mit dem Argument, Unvereinbarkeitsbestimmungen berührten nicht das Recht zu wählen und gewählt zu werden; auch würden sie nicht verhindern, dass jemand als Kandidat vorgeschlagen und allenfalls gültig gewählt werde. In späteren Entscheiden kam das Bundesgericht von dieser Rechtsprechung ab. In BGE 114 Ia 395 (E. 3b) hielt es alsdann fest, Unvereinbarkeitsbestimmungen könnten die gleichen Wirkungen erzielen wie Vorschriften über die Unwählbarkeit. Dabei ging das Gericht vom Grundsatz aus, das Stimmrecht schliesse den Anspruch ein, dass die durch das Volk gewählten Behörden nicht mit Personen besetzt würden, welche ein bestimmtes Amt aufgrund einer Unvereinbarkeit nicht übernehmen dürften. Daher habe ein Wähler das Recht zu fordern, dass einem gewählten Kandidaten nicht mittels Unvereinbarkeitsbestimmungen, die einer objektiven Rechtfertigung entbehrten, unrechtmässig die Befugnis entzogen werde, sein Wahlmandat ![]() | 28 |
ee) Nicht für jede Ausstandsbestimmung im Parlamentsrecht kann eine solche direkte Berührung angenommen werden. Im vorliegenden Fall ist sie jedoch gegeben, da Art. 3 Abs. 4 GRG im Ergebnis zu einer partiellen Unvereinbarkeit der kantonalen Bedienstung mit dem Amt eines Grossrates führt. Zu Recht hält PETER REINERT (Ausstand im Parlament, Diss. Zürich 1991, S. 108) dafür, dass die Pflicht zur Wahrung des Ausstandes das aktive Wahlrecht der Bürger tangiere. Der aus dem Stimmrecht fliessende Grundsatz des gleichen Wahlrechts (Wahlrechtsgleichheit; dazu TOMAS POLEDNA, Wahlrechtsgrundsätze und kantonale Parlamentswahlen, Diss. Zürich 1988, S. 4 ff. und 21 ff.) wird durch eine Ausstandsvorschrift, welche Parlamentarier von der Mitbestimmung bei gewissen Geschäften der Staatsverwaltung generell ausschliesst, relativiert. Die Bürger dürfen zwar ungehindert wählen, doch kann ihr (Wahl-)Wille in diesen Sachfragen nicht zum Durchbruch gelangen, weil der von ihnen Gewählte an der parlamentsinternen Abstimmung nicht teilnehmen kann. Mithin könnten sich deutlich andere Mehrheitsverhältnisse im Parlament ergeben, als sie aufgrund des Wahlergebnisses an sich bestehen (vgl. dazu auch die nachstehende E. 4a und 4d).
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Das passive Wahlrecht ist berührt, da die Wahl von Bürgern, die in gewissen Sachfragen ausstandspflichtig sind, unter Umständen weniger attraktiv erscheint; das kann deren Wahlchancen schmälern (REINERT, a.a.O., S. 108). Dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Ausstandsvorschriften und der Ausübung politischer Rechte besteht, geht im übrigen auch aus BGE 116 Ia 242 (E. 3a) betreffend die Wahl eines Primarlehrers in die Gemeindeexekutive hervor, welche Wahlbehörde der Lehrer ist.
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ff) Die Voraussetzungen für die Stimmrechtsbeschwerde sind somit erfüllt. Es muss daher nicht geprüft werden, ob die Beschwerdeführer allenfalls (auch) die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a OG hätten ergreifen können. Der materiellen Prüfung vorbehalten ist die Frage, ob Art. 3 Abs. 4 GRG tatsächlich das aktive und passive Wahlrecht verletzt. In gleicher Weise wird in der Hauptsache zu klären sein, ob Art. 3 Abs. 4 GRG mit dem (rechts-)gleichen ![]() | 31 |
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b) aa) Auch in den Kantonen hat sich zur aufgeworfenen Frage noch keine einheitliche Praxis ausgebildet. Der Kleine Rat (heute Regierung) des Kantons Graubünden hielt in einem Entscheid fest, ein rekurrierender Sekundarlehrer und Gemeinderat sei von einer Lohnabbauvorlage, welche im Gemeinderat zu behandeln war, zwar ![]() | 34 |
bb) Anders entschied der Regierungsrat des Kantons Solothurn für die Mitwirkung von Beamten und Angestellten der Gemeinden an Abstimmungen in der Gemeindeversammlung. Im Zusammenhang mit der Abstimmung über eine Dienst- und Gehaltsordnung vertrat er die Auffassung, der Beamte oder Angestellte einer Gemeinde stehe dieser nicht nur als interessierter Stimmberechtigter, sondern auch als Arbeitnehmer gegenüber. Selbst wenn die Normen der Dienst- und Gehaltsordnung nicht bestimmte Personen, sondern ihre Funktionen beträfen, seien diese Funktionen gerade in kleineren Gemeinden derart mit den jeweiligen Personen verknüpft, dass diese regelmässig als direkt Beteiligte gälten und dementsprechend abtretungspflichtig (ausstandspflichtig) seien (Grundsätzliche Entscheide des Regierungsrates des Kantons Solothurn und Departementsverfügungen [GER] 1981 S. 13).
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c) Die zitierten kantonalen Entscheide können nicht ohne weiteres auf den hier zu beurteilenden Fall übertragen werden. Sie betreffen, soweit sie konkrete Aussagen zur Ausstandspflicht enthalten, in erster Linie die Mitwirkung von Gemeindebeamten an Abstimmungen über personalrechtliche Fragen an der Gemeindeversammlung oder bei Abstimmungen in der Gemeindeexekutive. Vorliegend geht es um die Ausstandspflicht von Parlamentsmitgliedern. Zudem ![]() | 36 |
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b) Ob das Schaffhauser Recht eine Einschränkung des aktiven Wahlrechtes zulässt, ist nicht klar. Nach dem Wortlaut von Art. 4 KV sowie von Art. 5 und Art. 6 lit. b des Wahlgesetzes steht das aktive Wahlrecht allen Stimmbürgern uneingeschränkt zu; nur das passive Wahlrecht ist "innerhalb der Schranken der Verfassung und Gesetze" gewährleistet. Die bundesgerichtliche Praxis lässt eine Einschränkung politischer Rechte unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit und aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses zu (BGE 114 Ia 395 E. 6a), sofern die Einschränkung auf einem Gesetz im formellen Sinn beruht (REINERT, a.a.O., S. 112; DANIEL ARN, Die Ausstandspflicht im bernischen Gemeinderecht, in: Bernische Verwaltungsrechtsprechung [BVR] 1989, S. 138). Es fragt sich, ob die umstrittene Ausstandspflicht eine diesen Grundsätzen widersprechende Einschränkung des aktiven Wahlrechtes darstellt.
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d) Die Erfolgswertgleichheit umfasst das Recht auf Wirksamkeit der Stimme in dem Sinne, als nicht nur die Teilnahme gleichberechtigter Wähler am Wahlgang, sondern darüber hinaus ein Recht auf parlamentarische Vertretung entsprechend des proportionalen Wähleranteiles gewährleistet ist (POLEDNA, a.a.O., S. 99). Das Bundesgericht hat in BGE 103 Ia 603 (E. 4c) festgehalten, die Verhältniswahl sei ein Wahlsystem, das den in einem Wahlkörper vorhandenen Gruppierungen politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Art, Interessenverbindungen, Vereinigungen mehr neutraler Art usw. jedenfalls dem Grundsatze nach einen Anteil an der Vertretung gewährleiste, die dem Verhältnis ihrer Stärke entspreche und vom Willen der Mehrheit unabhängig sei (bestätigt im Urteil des Bundesgerichtes vom 16. März 1995, E. 3a, in ZBl 97/1996 S. 138; zu den Ausnahmen: KÖLZ, a.a.O., S. 19 ff.).
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Dieses Prinzip ist in der Rechtspraxis wirksam umzusetzen. Das kantonale Recht hat daher sicherzustellen, dass die Gewählten ihre parlamentarische Arbeit wirksam wahrnehmen können. Ausstandsvorschriften stehen dem jedenfalls prinzipiell entgegen, und dementsprechend beeinträchtigen sie die Wahlrechts- und Erfolgswertgleichheit, wie das REINERT (a.a.O., S. 110, unter Hinweis auf HANS MEYER, Die Stellung der Parlamente in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, in: HANS-PETER SCHNEIDER/WOLFGANG ZEH, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin/New York 1989, S. 162 N. 122) zu Recht annimmt. Ob das auch für den von Reinert primär im Auge gehaltenen Fall gilt, in welchem alle Abgeordnete derselben Ausstandspflicht ![]() | 42 |
e) Stellt nach dem Gesagten Art. 3 Abs. 4 GRG eine Einschränkung des aktiven Wahlrechtes dar, so ist zu klären, ob diese vor der verfassungsrechtlichen Garantie des Stimmrechts standhält. Zu fragen ist, ob die Einschränkung - da sie auf einem formellen Gesetz beruht - im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, verhältnismässig ist und das Gleichheitsprinzip beachtet (vorne E. 4b).
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5. a) Das Recht des Kantons Schaffhausen lässt die Wahl von kantonalen Beamten und Angestellten in den Grossen Rat uneingeschränkt zu (WERNER BEELER, Personelle Gewaltentrennung und Unvereinbarkeit in Bund und Kantonen, Diss. Zürich 1983, S. 87). Diese Regelung ist keineswegs ungewöhnlich. Wie das Bundesgericht bereits in BGE 89 I 75 E. 3 feststellte, besteht kein allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz, wonach ein Bediensteter des Kantons nicht Mitglied seiner eigenen Aufsichtsbehörde sein kann (vgl. aber zum Beispiel § 29 Abs. 1 der Thurgauer Kantonsverfassung: BGE 120 Ia 194 E. 2 betreffend Wahl eines Gemeindepfarrers in den Kirchenvorstand). Zahlreiche Kantone lassen in mehr oder weniger weitem Umfang die Wahl von kantonalen Beamten und Angestellten in das Parlament zu (vgl. zu den damit zusammenhängenden Rechtsfragen bereits WERNER BAUMANN, Der Beamte als Bürger, ZBl 62/1961 S. 425 ff., insbesondere S. 428 ff.). So sehen zum Beispiel § 46 der Luzerner Staatsverfassung und Art. 76 Abs. 1 der Urner Kantonsverfassung überhaupt keine Einschränkungen für die Wahl von Beamten vor. Im Kanton Zürich sind gemäss § 106 Ziff. 2 des Gesetzes über die Wahlen und Abstimmungen (Wahlgesetz) alle Beamten wählbar, sofern sie nicht der unmittelbaren Aufsicht des Direktionsvorstehers unterliegen. Im Kanton Bern ist das Personal der kantonalen Zentral- und Bezirksverwaltung nicht wählbar, ![]() | 44 |
b) Die Tatsache, dass das Schaffhauser Recht die Wahl von kantonalen Beamten in den Grossen Rat in Kenntnis der damit allenfalls verbundenen Interessenkonflikte zulässt, ist eine verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung. Eine bei bestimmten Sachfragen generell zur Anwendung kommende Ausstandspflicht für Parlamentarier, welche im Dienste des Kantons stehen, kommt daher nur aus besonders wichtigen Gründen in Frage. Das Bundesgericht hielt nicht zuletzt auch aus diesem Grunde in BGE 111 Ia 67 E. 3e fest, eine Ausstandspflicht im Prozess der demokratischen Willensbildung, zu welcher Abstimmungen im vom Volk gewählten Parlament gehören, treffe grundsätzlich nur diejenigen Behördemitglieder, welche am Ausgang der Abstimmung ein besonderes persönliches Interesse hätten (vgl. insoweit Art. 3 Abs. 1 und 2 GRG). Ein solches besonderes Interesse wird in den Kantonen bei Abstimmungen über personalrechtliche Erlasse und Beschlüsse für im Dienste des Kantons stehende Parlamentarier im allgemeinen verneint, sehen doch - soweit ersichtlich - diejenigen Kantone, welche die Wahl von kantonalen Beamten zulassen, keine mit der umstrittenen Schaffhauser Regelung vergleichbare Ausstandspflicht vor. Auch das Bundesgesetz über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung sowie über die Form, die Bekanntmachung und das Inkrafttreten der Erlasse vom 23. März 1963 (Geschäftsverkehrsgesetz; SR 171.11) sowie das Geschäftsreglement des Ständerates vom 24. September 1986 (SR 171.14) kennen keine entsprechende Ausstandspflicht.
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c) Es entspricht dem Wesen der repräsentativen Demokratie, dass Parlamentarier in der einen oder anderen Form Interessenvertreter sind; sie haben häufig wichtige Funktionen in Berufs- und Wirtschaftsverbänden oder anderen Interessengruppen (HANSJÖRG SEILER, Gewaltenteilung, Bern 1994, S. 752 f.). Für Beamte, die im Parlament sitzen, wird sich möglicherweise im Vergleich zu anderen Parlamentariern öfters die Gelegenheit ergeben, sich für die Interessen ihres Berufsstandes gebührend einzusetzen (allgemein zur politischen Betätigung von Beamten: WALTER KÄMPFER, Die ausserdienstliche Meinungsäusserungsfreiheit und die Vereinsfreiheit ![]() | 46 |
d) aa) Folgt man der Auffassung Seilers, so ist die Ausstandspflicht jedenfalls rechtsgleich und ohne Diskriminierung einzelner Abgeordneter zu regeln. Das ergibt sich aus Art. 4 BV, dem aus der Volkswahl des Parlamentes fliessenden grundsätzlich gleichen Recht des Abgeordneten auf Mitwirkung an der Ratstätigkeit (REINERT, a.a.O., S. 115) und dem im Parlamentsrecht allgemein geltenden Grundsatz der strikten Gleichbehandlung aller Abgeordneten, welcher für Differenzierungen nur beschränkten Spielraum lässt (Näheres bei ANTOINE SANTSCHY, Le droit parlementaire en Suisse et en Allemagne, thèse Neuchâtel 1982, S. 121 f.; KLAUS STERN, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., München 1984, S. 1057). Freilich weist der Grosse Rat in seiner Vernehmlassung darauf hin, der Zweck von Art. 3 Abs. 4 GRG liege in der Stärkung der Objektivität und Integrität staatlicher Organe. Insbesondere solle jeder Verdacht auf eine Selbstbegünstigung von vornherein entkräftet werden, hänge doch die Glaubwürdigkeit des Parlamentes weitgehend von der Voreingenommenheit einzelner Mitglieder oder Gruppierungen bei der Abstimmung über sie selbst betreffende Sachgeschäfte und Vorlagen ab. Auf Bedienstete des Kantons treffe das ganz besonders zu.
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6. Die Stimmrechtsbeschwerde ist somit gutzuheissen und Art. 3 Abs. 4 GRG aufzuheben. Ob die angefochtene Vorschrift auch eine Verletzung des passiven Wahlrechtes zur Folge hat, muss daher nicht mehr geprüft werden. Immerhin ist festzuhalten, dass nach BGE 113 Ia 291 E. 3a jeder Stimmbürger, der die als verfassungskonform anerkannten Voraussetzungen erfüllt, mit den gleichen Chancen wie alle anderen Kandidaten an einer Wahl soll teilnehmen können. Ob die strittige Ausstandsvorschrift eine Beeinträchtigung dieser Chance bewirkt, dürfte nicht leicht festzustellen sein. REINERT (a.a.O., S. 114 f.) ist der Meinung, Wahlchancen würden durch eine Ausstandspflicht kaum verringert, weshalb keine Verletzung ![]() | 49 |
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