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17. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. April 1997 i.S. I. gegen Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte im Kanton Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 und 31 BV; Grundsatz der Unabhängigkeit des Anwalts. |
Es verstösst nicht gegen Art. 31 BV, wenn die kantonale Aufsichtsbehörde einem Anwalt die Berufsausübung wegen Verletzung des Unabhängigkeitsgrundsatzes insoweit untersagt, als dieser, obwohl er gleichzeitig leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung ist, die bei seiner Arbeitgeberin versicherten Klienten im Bereich des Anwaltsmonopols vertritt (E. 4d-f). | |
Sachverhalt | |
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"1. Im Rahmen von persönlichen Mandaten ist der Anwalt unabhängig. Die Standesregeln gehen den arbeitsvertraglichen Bestimmungen vor.
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2. Der Anwalt entscheidet selbst über die Annahme oder Niederlegung von Mandaten.
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3. Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, einen freiberuflichen Anwalt zu mandatieren.
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4. Die Y.-Rechtsschutz respektiert das Berufsgeheimnis des Anwalts, soweit ihn der Mandant nicht davon entbindet.
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5. Die Y.-Rechtsschutz verpflichtet alle Angestellten zur Wahrung des Berufsgeheimnisses des Anwalts.
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6. Der Anwalt handelt unter seinem eigenen Namen. Zur Schaffung klarer Verhältnisse weist er auf das Arbeitsverhältnis mit der Y.-Rechtsschutz hin.
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7. Die Y.-Rechtsschutz verzichtet auf Werbung mit dem Anwaltstitel von Mitarbeitern."
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Die Aufsichtsbehörde stellte in ihrem Entscheid fest, Fürsprecher I. habe durch Führung des Anwaltsmandats im vorerwähnten Strafverfahren gegen das standesrechtliche Gebot der Unabhängigkeit verstossen; sie verzichtete jedoch auf die Ausfällung einer Disziplinarstrafe, weil davon ausgegangen werden könne, dass I. nach Kenntnisnahme ihres Entscheides in vergleichbaren Fällen eine anwaltliche Tätigkeit im Kanton Luzern inskünftig unterlassen werde.
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Die von I. hiergegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab
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4. a) Der Grundsatz der Unabhängigkeit des Anwalts ist von herausragender Bedeutung (für eine umfassende Darstellung: FELIX WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Zürich 1986, S. 53-60; Verein Zürcherischer Rechtsanwälte, Handbuch über die Berufspflichten des Rechtsanwaltes im Kanton Zürich, Zürich 1988, S. 189-191; JÖRG PAUL MÜLLER, Funktion des Rechtsanwaltes im Rechtsstaat - Mittel und Grenzen der Staatsaufsicht, Bern 1985, S. 12/13). Daraus ergeben sich Pflichten des Anwalts, aber auch Rechte (beispielsweise das Berufsgeheimnis), die ausschliesslich einem unabhängigen Anwalt eingeräumt werden können. Der Grundsatz der Unabhängigkeit ist als Berufspflicht des Anwalts weltweit anerkannt (vgl. zum folgenden ausführlich: ALBERT-LOUIS DUPONT-WILLEMIN, Le secret professionnel et l'indépendance de l'avocat, Bulletin des Schweizerischen Anwaltsverbands (SAV) Nr. 101, 1986, S. 9 ff., insbesondere S. 12 ff.). Er ist nicht nur in den Standesregeln internationaler Berufsorganisationen verankert (beispielsweise: International Code of Ethics der "International Bar Association"; Principes fondamentaux de la profession d'avocat der Union internationale des avocats; Standesregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Gemeinschaft), sondern findet sich auch in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen. Allerdings ist das Erfordernis der Unabhängigkeit in den verschiedenen Ländern in sehr unterschiedlicher Weise ausgestaltet. In den romanischen Ländern, deren Gesetzgebung sich aus dem französischen Recht herleitet, ist dem Anwalt jedwede Erwerbstätigkeit ausserhalb seines Berufes verboten, allenfalls abgesehen von eng begrenzten und abschliessend aufgezählten Ausnahmen (vgl. den Code Judiciaire Belge [Art. 437] und das Règlement interne du Barreau de Paris de décembre 1983 [Art. 55], nach welchen der Anwaltsberuf in der Regel mit einer besoldeten Tätigkeit unvereinbar ist). Nach den meisten angelsächsischen Gesetzgebungen ist der Anwalt demgegenüber in weitem Mass zur Ausübung zusätzlicher beruflicher Tätigkeiten befugt, wobei lediglich einige eng begrenzte Ausnahmen gemacht werden. Es gibt sodann Länder, welche, wiewohl dem romanischen Rechtskreis zugehörig, Nebentätigkeiten des Anwalts weitgehend zulassen (vgl. Art. 27 des "Statuto general de la Abogacia española"). Das Recht der Bundesrepublik Deutschland steht zwischen angelsächsischer und französischer Lösung, indem insbesondere ein Angestelltenverhältnis zu einem privatrechtlich organisierten Unternehmen ![]() ![]() | 11 |
b) Das Bundesgericht hatte im unveröffentlichten Urteil vom 17. Oktober 1980 i.S. J. zu prüfen, ob das Unabhängigkeitsgebot bei einem Anwalt gewahrt ist, der von einer Gewerkschaft angestellt ist und im Rahmen dieser Tätigkeit die rechtliche Beratung und Vertretung der Gewerkschaftsmitglieder ausübt. Das Bundesgericht hat den Fall, der Begründung des angefochtenen Entscheides entsprechend, unter dem Aspekt beurteilt, ob die finanzielle Unabhängigkeit des Anwalts gegenüber seinen Klienten gewahrt bleibt, was im Hinblick darauf bejaht wurde, dass die Entschädigung durch die Gewerkschaft und nicht durch die vertretenen Klienten erfolgte. Im Urteil vom 22. Oktober 1987 i.S. C. (BGE 113 Ia 279) hatte sich das Bundesgericht zum Fall eines Berner Anwalts auszusprechen, der gegen eine Pauschalentschädigung für eine soziale Institution, welche Bedürftigen unentgeltliche Rechtsberatung und Vertretung im Prozess gewährte, tätig war und dabei namentlich die Aufgabe hatte, das Alimenteninkasso zu besorgen. Das Bundesgericht hat das Unabhängigkeitsgebot gemäss Art. 9 des bernischen Fürsprechergesetzes entgegen der Auffassung der kantonalen Anwaltskammer ![]() | 12 |
Im Urteil vom 18. Oktober 1985 i.S. S. (RDAF 1986 S. 157 ff.) hatte sich das Bundesgericht in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle auf Beschwerde eines Musiklehrers und Studenten der Rechtswissenschaft hin mit der Regelung des Kantons Genf zu befassen, welche dem Rechtsanwalt jede überwiegende Erwerbsarbeit neben derjenigen als Anwalt verbot. Hierbei wurde erkannt, dass die vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung (Sicherung der Qualität der Dienstleistung, Unabhängigkeit des Anwalts) zwar im öffentlichen Interesse liegt, der Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit aber nicht verhältnismässig sei, da in den meisten Fällen eine zweite Erwerbstätigkeit neben derjenigen des Anwalts die Qualität der erbrachten Leistungen und die Unabhängigkeit des Anwalts nicht tangiere. Es handle sich letztlich um eine unzulässige wirtschafts- und standespolitische Massnahme zugunsten der Anwälte, die ein volles Pensum haben, zulasten derjenigen, die freiwillig oder gezwungenermassen die Anwaltstätigkeit nur in einem Teilpensum ausüben. In einem neuesten Urteil vom 12. Dezember 1996 i.S. G. hiess das Bundesgericht die Beschwerde eines Anwalts, der im Hauptberuf als Leiter der Schadensabteilung einer Versicherung tätig war, gegen einen die Zulassung zum Anwaltsberuf abweisenden Entscheid teilweise gut, soweit lediglich beabsichtigt war, unabhängig vom Arbeitsverhältnis gewisse Mandate zu führen. Das Bundesgericht hielt aber fest, dass ein Verbot der anwaltlichen Vertretung des eigenen Arbeitgebers bzw. der Ausübung von Mandaten unter dessen Einfluss mit der Handels- und Gewerbefreiheit vereinbar sei, da insoweit die erforderliche Unabhängigkeit des Anwalts nicht gegeben wäre (vgl. S. 22/23 des erwähnten Urteils).
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c) Die Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte im Kanton Luzern ist in ihrem Entscheid zum Schluss gekommen, dem Beschwerdeführer fehle als Leiter des Rechtsdienstes einer Rechtsschutzversicherung die erforderliche Unabhängigkeit, um als unselbständiger Anwalt im Monopolbereich aufzutreten. Hieran ändere auch die diesbezüglich mit der Arbeitgeberin getroffene Vereinbarung nichts. In seiner Funktion habe der Beschwerdeführer ![]() | 14 |
d) Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, es sei willkürlich, dass die Aufsichtsbehörde - trotz der detailliert formulierten Unabhängigkeitsvereinbarung zwischen ihm und der Arbeitgeberin - seine freie Willensentscheidung im Rahmen der Mandatsübernahme für Klienten der Y. Rechtsschutz in Frage gestellt sehe. Diese Annahme stehe in Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die eine Verletzung des Unabhängigkeitsgebotes sowohl bei einem Gewerkschaftsanwalt, der die gerichtliche Vertretung von Gewerkschaftsmitgliedern übernommen habe, als auch im Falle des von einer sozialen Institution angestellten Rechtsanwaltes, welche Bedürftigen die unentgeltliche Prozessführung gewährte, verneint habe (vgl. BGE 113 Ia 279 und zitiertes Urteil i.S. J.). Dass die Aufsichtsbehörde der vorliegenden Unabhängigkeitsvereinbarung einen anderen Stellenwert beimesse als bei einer gemeinnützigen Organisation, erweise sich als unhaltbar. Auch sei willkürlich, dem Beschwerdeführer zu unterstellen, dass er sich, indem er die Prozesschancen von Rechtsschutzklienten gegebenenfalls im Rahmen der Interessenvertretung anders einschätzen werde, zum "Diener zweier Herren" mache. Kein Anwalt, auch der wirtschaftlich selbständige nicht, sei davor gefeit, einmal gefasste Meinungen überdenken zu müssen.
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e) Wie indessen die Aufsichtsbehörde zutreffend festgestellt hat, nimmt der Beschwerdeführer als Leiter des Rechtsdienstes einer Rechtsschutzversicherung und in der gleichen Sache tätiger Rechtsanwalt eine Doppelfunktion wahr. Daraus braucht nicht in jedem Fall eine Interessenkollision zu resultieren. Doch ist die Möglichkeit einer Gefährdung der Unabhängigkeit und der eigenverantwortlichen Berufsausübung als Anwalt augenscheinlich. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, wie sie in den Urteilen i.S. S. ![]() | 16 |
f) Der Beschwerdeführer macht im weiteren geltend, es sei willkürlich, ihm zu unterstellen, dass er im Unterschied zu einem freiberuflichen Anwalt zur treuen Interessenwahrung seines Klienten nicht in der Lage sei. Auch der freiberufliche Anwalt eines rechtsschutzversicherten Klienten müsse gemäss Usanz vor der Klageeinleitung oder der Einlegung eines Rechtsmittels die Versicherung um eine Kostengutsprache angehen. Lehne die Versicherung wegen Aussichtslosigkeit eine weitere Verfahrensfinanzierung ab, stehe dem Klienten gemäss Art. 9 der Verordnung über die Rechtsschutzversicherung vom 18. November 1992 (im folgenden auch: Verordnung; SR 961.22) jederzeit die Möglichkeit offen, seine Prozessaussichten unabhängig beurteilen zu lassen.
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Der Beschwerdeführer verkennt indessen, dass die genannte Verordnungsbestimmung nicht das Verhältnis zwischen dem ![]() | 18 |
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