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22. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. September 1997 i.S. X. gegen Regierung des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV; Legalitätsprinzip im Abgaberecht. | |
Sachverhalt | |
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X. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid der Regierung aufzuheben. Er rügt eine Verletzung von Art. 4 BV (formelle Rechtsverweigerung; Fehlen einer gesetzlichen Grundlage im Abgaberecht).
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Die Regierung des Kantons Graubünden beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
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aus folgenden Erwägungen: | |
2. Das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage im Abgaberecht ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein selbständiges verfassungsmässiges Recht, dessen Verletzung unmittelbar gestützt auf Art. 4 BV mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend gemacht werden kann (BGE 120 Ia 265 E. 2a S. 266, mit Hinweisen). Öffentliche Abgaben bedürfen grundsätzlich einer Grundlage in einem formellen Gesetz, welches zumindest den Kreis der Abgabepflichtigen sowie Gegenstand und Bemessungsgrundlagen der Abgabe selber festlegt. Diese Anforderungen dürfen für gewisse Kausalabgaben, was die Vorgaben über die Abgabenbemessung (nicht aber die Umschreibung des Kreises der Abgabepflichtigen und des Gegenstandes der Abgabe) anbelangt, in bestimmten Fällen herabgesetzt werden, namentlich dort, wo das Mass der Abgabe durch überprüfbare verfassungsrechtliche Prinzipien (Kostendekkungs- und Äquivalenzprinzip) begrenzt wird und nicht allein der Gesetzesvorbehalt diese Schutzfunktion erfüllt (BGE 122 I 61 E. 2a S. 63; BGE 121 I 230 E. 3e S. 235, 273 E. 3a S. 274 f.; BGE 120 Ia 1 E. 3c S. 3, 171 E. 5 S. 178 f., 265 E. 2a S. 266; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 2. Aufl., Zürich 1993, S. 500 f.).
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Im übrigen müssen öffentliche Abgaben, wenn nicht notwendigerweise in allen Teilen auf der Stufe des formellen Gesetzes, so doch in genügender Bestimmtheit zumindest in rechtssatzmässiger Form festgelegt sein (Erfordernis des Rechtssatzes; Urteil des Bundesgerichts vom 9. Juni 1995, ZBl 97/1996 S. 567, E. 5b/aa; ![]() | 6 |
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"Art. 36 Kostenpflicht
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1 Die Behörden können für ihre Amtshandlungen den Beteiligten Kosten
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auferlegen.
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2 Haben mehrere Beteiligte eine Amtshandlung gemeinsam verlangt oder
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veranlasst, haften sie für die Kosten solidarisch, soweit die Behörde
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nichts anderes entscheidet.
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3 Die Kosten gliedern sich in:
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a) die Staatsgebühr, welche für die Beanspruchung der Behörde erhoben
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wird;
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b) die Auslagen der Kanzlei für mit Amtshandlungen verbundene
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Ausfertigungen und Mitteilungen;
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c) die Barauslagen, die insbesondere Übersetzungskosten, Expertenhonorare
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und andere durch das Verfahren verursachte Aufwendungen umfassen.
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Art. 40 Bemessung
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1 Der Rahmen für die Staatsgebühr beträgt Fr. 10.-- bis Fr. 20'000.--.
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Die
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Höhe der Gebühren für Ausfertigungen und Mitteilungen sowie den Ersatz der
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Barauslagen regelt die Regierung durch Verordnung.
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2 Innerhalb des Gebührenrahmens ist die Staatsgebühr nach dem Umfang und
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der Schwierigkeit der Sache sowie nach dem Interesse und der
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wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Gebührenpflichtigen zu bemessen."
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Das Gesetz umschreibt somit die Abgabepflichtigen (die "Beteiligten"), den Gegenstand der Abgabe ("Amtshandlungen") und die Bemessung in den Grundzügen, nämlich durch einen Gebührenrahmen und die Kriterien für dessen Konkretisierung. Umstritten ist jedoch, ob diese Umschreibung genügend bestimmt ist, um als gesetzliche Grundlage gelten zu können.
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b) Der Begriff der Amtshandlung ist ausserordentlich weit. Er umfasst - in der Auslegung, die ihm die Regierung offenbar gibt und die jedenfalls zum Wortlaut des Gesetzes nicht im Widerspruch ![]() | 30 |
c) Ebenso vage ist die Umschreibung der Abgabepflichtigen: "beteiligt" kann eine sehr unbestimmte Zahl von Personen sein, beispielsweise alle Teilnehmer an einer Demonstration oder an einem sportlichen oder kulturellen Anlass. "Beteiligt" sein können auch Personen, die ohne eigenes Verschulden und sogar ohne jegliches Aktivwerden Anlass für eine Amtshandlung wurden, wie zum Beispiel Opfer von Naturkatastrophen oder Gewaltverbrechen. Der Begriff der "Beteiligten" geht damit ebenfalls weit über den Begriff des "Verursachers" im Sinne von Art. 59 USG und ähnlichen Bestimmungen hinaus. Dabei ist zu beachten, dass die allgemeine Festlegung des Verursacherprinzips in Art. 2 USG nicht als genügend bestimmte, unmittelbar anwendbare gesetzliche Grundlage für eine Kostenauflage betrachtet wird, sondern nur als Prinzip, das der Konkretisierung durch die nach Art. 48 USG zu erlassenden ![]() | 31 |
d) Die Bemessungsgrundlagen sind wohl betragsmässig mit einem oberen und einem unteren Rahmen festgelegt. Der Rahmen ist indessen sehr weit gefasst (Fr. 10.-- bis Fr. 20'000.--). Im Bereich von Gerichtsgebühren hat freilich das Bundesgericht derart weitgefasste formellgesetzliche Gebührenrahmen nicht beanstandet (BGE 106 Ia 249 E. 2/3 S. 251 ff.), weil offene gesetzliche Regelungen in der Schweiz in diesem Bereich verbreitet sind und ihre Anwendung (welche durch Verordnungen oder Richtlinien immerhin regelmässig näher normiert ist) einer neutralen Gerichtsinstanz obliegt, welche mit solchen Ermessensentscheiden vertraut ist, und weil die Angemessenheit der im Einzelfall auferlegten Gebühren anhand der verfassungsmässigen Grundsätze der Kostendeckung und der Äquivalenz überprüfbar ist (vgl. BGE 120 Ia 171 E. 4 S. 175 ff.; BGE 106 Ia 249 E. 3a S. 252 f.). Vorliegend fehlt es jedoch an jeglicher rechtssatzmässigen Konkretisierung auch auf unterer Stufe. Zudem ist der personelle und sachliche Anwendungsbereich viel unbestimmter als bei Gerichtsgebühren.
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e) Hinzu kommt schliesslich, dass nach dem Wortlaut von Art. 36 Abs. 1 VVG/GR die Behörden die Kosten auferlegen "können". Es liegt somit im Ermessen der Behörden, ob und für welche Amtshandlungen sie Kosten erheben wollen. Vorliegend wurde denn auch während Jahren auf die Kostenauflage für die Erfassung von Wildunfällen verzichtet, bis schliesslich das zuständige Departement sich zu einer "Praxisänderung" entschloss.
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f) Gesamthaft belässt die vorliegend herangezogene gesetzliche Grundlage den rechtsanwendenden Behörden einen übermässig weiten Spielraum. Sie weist nicht die erforderliche Bestimmtheit auf, um auch für Amtshandlungen ausserhalb des Bereiches von Verfügungsverfahren, auf den sich das Gesetz vorab bezieht (vgl. Art. 1 VVG/GR), unmittelbar Grundlage für Gebühren- oder Kostenersatzverfügungen bilden zu können. Dass im Einzelfall sowohl das Kostendeckungs- als auch das Äquivalenzprinzip zu beachten sind und diese Schranken vorliegend eingehalten sein dürften, vermag ![]() | 34 |
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