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29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Oktober 1997 i.S. Stürm gegen Staatsanwaltschaft und Kantonsgericht des Kantons Wallis (Revisionsgesuch) | |
Regeste |
Art. 139a OG; Revision wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. |
Verhältnis von Art. 139a OG zu Art. 50 EMRK (E. 3a). |
Die vom Ministerkomitee des Europarates im vorliegenden Fall zugesprochene Entschädigung betrifft den durch die Konventionsverletzung entstandenen Schaden sowie die Kosten des innerstaatlichen und des Strassburger Verfahrens. Es bleibt daher kein Raum, um auf dem Weg über die Revision eine Entschädigung für allfällige weitere Verfahrenskosten zu verlangen (E. 3b). | |
Sachverhalt | |
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Die Europäische Menschenrechtskommission stellte in ihrem Bericht vom 16. Januar 1996 betreffend die vier gegen die Urteile der I. öffentlichrechtlichen Abteilung gerichteten Beschwerden fest, es liege eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 3 EMRK (übermässige Dauer der Untersuchungshaft) und von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (übermässige Dauer des Strafverfahrens) vor; hingegen seien Art. 5 Ziff. 4 und Art. 5 Ziff. 5 EMRK nicht verletzt worden.
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Mit Eingabe vom 20. November 1996 stellte Walter Stürm ein Begehren um Revision der sechs von ihm in Strassburg angefochtenen Urteile des Bundesgerichts. Dessen I. öffentlichrechtliche Abteilung weist das Revisionsgesuch ab, soweit sie darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Anwältin des Gesuchstellers reichte das Revisionsbegehren am 20. November 1996 dem Bundesgericht ein. Sie führte aus, der Generalsekretär des Ministerkomitees habe ihr mit Schreiben vom 17. Oktober 1996 mitgeteilt, dass die unter den Nrn. 20231/92, 20545/92, 23117/93 und 23223/94 registrierten Beschwerden am 13. September 1996 vom Ministerkomitee gutgeheissen worden seien. Die Frist von 90 Tagen sei somit gewahrt. Das Bundesamt für Justiz habe den Entscheid des Ministerkomitees noch nicht zugestellt.
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Gemäss Art. 141 Abs. 1 lit. c OG ist das Revisionsgesuch innerhalb von 90 Tagen, von dem Tag an gerechnet, an dem das Bundesamt für Justiz den Parteien den Entscheid der europäischen Behörde, d.h. des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte oder des Ministerkomitees des Europarates, zustellte, dem Bundesgericht einzureichen. Massgebend für den Fristenlauf ist demnach die Mitteilung durch das Bundesamt für Justiz. Ob der Beschwerdeführer allenfalls schon früher vom Strassburger Urteil Kenntnis erhalten hat, ist gleichgültig (ARTHUR HAEFLIGER, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 352). Die offizielle Zustellung des Entscheids des Ministerkomitees durch ![]() | 6 |
Bei dem als "interim resolution" (résolution intérimaire) bezeichneten Entscheid des Ministerkomitees vom 13. September 1996, den der Generalsekretär des Komitees im vorliegenden Fall der Anwältin des Gesuchstellers mit Schreiben vom 17. Oktober 1996 zustellte, handelt es sich nicht um die Schlussresolution, sondern um den gemäss Art. 32 Ziff. 1 EMRK zu treffenden "Zwischenentscheid" über die Frage der Konventionsverletzung. Der Entwurf der Schlussresolution wurde vom Ministerkomitee am 5. September 1997 beraten und ohne Änderungen angenommen. Die mit dem Text des Entwurfs wörtlich übereinstimmende endgültige Fassung des Entscheids des Ministerkomitees "Résolution finale DH (97) 477 Walter Stürm II (W.S.) c. la Suisse" datiert vom 17. September 1997, weil nach der Annahme des Resolutionsentwurfs durch das Ministerkomitee dem betroffenen Staat eine Frist von 10 Tagen zustand, um rein redaktionelle Änderungen am Resolutionsentwurf zu beantragen. Da die Schweiz im vorliegenden Fall keine solchen Änderungen verlangte, hat das Bundesamt für Justiz - um Zeit zu gewinnen - den Anwälten des Gesuchstellers die betreffende Resolution des Ministerkomitees bereits am 5. September 1997 zugestellt. Es ist nach dem Gesagten verfehlt, wenn der Gesuchsteller in seiner Eingabe vom 10. September 1997 behauptet, der Entscheid des Ministerkomitees vom 13. September 1996 sei "durch das Bundesamt für Justiz willkürlich fast 11 Monate lang zurückgehalten worden".
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In der Rechtslehre wird darauf hingewiesen, Art. 50 EMRK und Art. 139a OG könnten einander in die Quere kommen, da nach der erstgenannten Regel der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Entschädigung zuspricht, wenn die innerstaatlichen Gesetze nur eine unvollkommene Wiedergutmachung gestatten, und nach der zweiten Bestimmung die Revision nur zulässig ist, wenn keine andere Möglichkeit der Wiedergutmachung besteht (HAEFLIGER, a.a.O., S. 353; POUDRET, a.a.O., S. 49/50). Es wird die Meinung vertreten, die Revision sei stets zuzulassen, wenn sie den Eingriff in die Rechte des Privaten wiedergutmachen könne; der Entschädigung sei die Funktion des letzten Mittels zu überlassen, die ihr Art. 50 EMRK zuweise (POUDRET, a.a.O., S. 50; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], Zürich 1993, Rz. 256, S. 158; PAOLA DE ROSSI, Auswirkungen der Teilrevision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege im Bereich der Zivilrechtspflege, in: Mitteilungen aus dem Institut für zivilgerichtliches Verfahren in Zürich, Heft Nr. 15, Dezember 1992, S. 25). Ob der nationalen Vorschrift (Art. 139a OG) ![]() | 10 |
b) Im vorliegenden Fall hiess das Ministerkomitee die vier Beschwerden des Gesuchstellers wegen Verletzung von Art. 5 Ziff. 3 EMRK (übermässige Dauer der Untersuchungshaft) und Art. 6 Ziff. 1 EMRK (übermässige Dauer des Strafverfahrens) gut und gestattete die Veröffentlichung des Berichts der Menschenrechtskommission. Ausserdem sprach es dem Gesuchsteller nach Art. 32 Ziff. 2 EMRK zu Lasten der Schweizerischen Eidgenossenschaft einen Gesamtbetrag ("somme globale") von Fr. 10'000.-- zu als "gerechte Entschädigung" im Sinne der Regel Nr. 9 und der Ziff. 2bis des Anhangs der "Regeln des Ministerkomitees für die Anwendung von Art. 32 EMRK" (letztmals revidiert am 19. Dezember 1991).
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aa) Mit dem Revisionsgesuch wird beantragt, die Entscheide des Bundesgerichts seien wegen Verletzung von Art. 5 Ziff. 3 und Art. 6 Ziff. 1 EMRK aufzuheben und diese Verletzung sei "durch eine angemessene Strafmilderung zu heilen". Der Gesuchsteller ist der Meinung, die vom Kantonsgericht Wallis am 1. Juni 1994 gegen ihn ausgefällte Zuchthausstrafe von zehneinhalb Jahren sei "aufgrund des Entscheides des Ministerkomitees derart zu reduzieren, dass sie zumindest vollständig verbüsst" sei, "wenn nicht mehr, und entsprechend eine Entschädigung mit Genugtuung geschuldet" sei.
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Das Strafurteil des Walliser Kantonsgerichts vom 1. Juni 1994 bildete nicht Gegenstand der vier hier in Frage stehenden Urteile der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts. Auf das Revisionsgesuch kann deshalb nicht eingetreten werden, soweit mit ihm eine Strafmilderung verlangt wird.
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bb) Im weiteren beantragt der Gesuchsteller, es sei ihm eine "angemessene Entschädigung für die innerstaatlichen Verfahren sowie für die Verfahren vor der Europäischen Kommission und dem Europäischen Ministerkomitee zuzusprechen".
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Wie erwähnt, hat das Ministerkomitee dem Gesuchsteller gemäss Art. 32 Ziff. 2 EMRK zu Lasten der Schweizerischen Eidgenossenschaft einen Gesamtbetrag von Fr. 10'000.-- als "gerechte Entschädigung" (satisfaction équitable) zugesprochen. Diese Entschädigung betrifft den ihm durch die Konventionsverletzung entstandenen ![]() | 15 |
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