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10. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Evangelisch-Reformierte Kirchgemeinde A. sowie Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) |
2P.118/2002 vom 29. November 2002 | |
Regeste |
Art. 9, 29, 30 und 72 BV; Art. 58 Abs. 2 aBV; § 114 KV/AG; Verbot der geistlichen Gerichtsbarkeit; Autonomie der Landeskirche; Zuständigkeit kircheninterner oder staatlicher Justizorgane zur Beurteilung der vermögensrechtlichen Nebenfolgen bei Nichtwiederwahl eines Pfarrers? |
Es obliegt den staatlichen Instanzen, festzulegen, welche Bereiche vom landeskirchlichen Rechtsschutzauftrag gemäss § 114 KV/AG erfasst werden. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beurteilung vermögensrechtlicher Streitigkeiten aus kirchlichem Dienstrecht habe auf dem Wege des kircheninternen Beschwerde- und nicht des staatlichen Klageverfahrens zu erfolgen, hält vor dem Verbot der geistlichen Gerichtsbarkeit stand (E. 4.2) und verletzt weder die landeskirchliche Autonomie (E. 4.3) noch das Willkürverbot (E. 4.4). |
Die landeskirchliche Rekurskommission vermag als gerichtsähnliches Organ trotz gewisser Mängel einen genügenden Rechtsschutz zu gewährleisten (E. 4.5). | |
Sachverhalt | |
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Mit Schreiben vom 14. Juni 1999 machte X. gegenüber der Kirchgemeinde Ansprüche auf Abgangsentschädigung, Abgeltung von nicht bezogenem Weiterbildungsurlaub, Dienstalterszulagen und Genugtuung geltend. Am 18. September 1999 wies das Kuratorium der Kirchgemeinde die Forderung als ungerechtfertigt zurück.
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Nach erneuter Ablehnung seiner Forderung im Rahmen des Vorverfahrens nach § 63 des aargauischen Gesetzes vom 9. Juli 1968 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG/AG) erhob X. am 12. Juli 2000 gegen die Evangelisch-Reformierte Kirchgemeinde A. beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau verwaltungsgerichtliche Klage (§ 60 Ziff. 3 VRPG/AG) mit dem Begehren, die Kirchgemeinde zu verpflichten, ihm nach richterlichem Ermessen eine Entschädigung zu leisten. Begründet wurde die Forderung mit Entschädigungsansprüchen für nicht bezogenen Weiterbildungsurlaub und mit Ansprüchen auf (seit 1993 nicht mehr ausgerichtete) Dienstalterszulagen.
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Mit Urteil vom 11. März 2002 trat das Verwaltungsgericht - nachdem es das Verfahren auf die Frage der Zuständigkeit beschränkt hatte - auf die Klage nicht ein. Das Gericht hielt dafür, dass vermögensrechtliche Ansprüche aus kirchlichem Dienstrecht nicht auf dem Wege des staatlichen Klage-, sondern des kircheninternen Beschwerdeverfahrens zu beurteilen seien.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 22. Mai 2002 stellt X. beim Bundesgericht die Anträge, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 11. März 2002 sei aufzuheben und das Gericht sei anzuweisen, auf die verwaltungsgerichtliche Klage vom 12. Juli 2000 einzutreten.
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Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Der Beschwerdeführer nimmt den Standpunkt ein, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht nicht auf die verwaltungsgerichtliche Klage eingetreten. Entgegen der vom Gericht vertretenen ![]() | 7 |
2.2 Im angefochtenen Urteil kommt das Verwaltungsgericht zum Schluss, zwar schliesse § 60 Ziff. 3 VRPG/AG die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts im Klageverfahren im kirchlichen Bereich nicht von vornherein aus, doch könne aus dem Umstand, dass das landeskirchliche Rechtsschutzsystem lediglich ein Beschwerde- und kein Klageverfahren vorsehe, in Bezug auf vermögensrechtliche Streitigkeiten aus dem kirchlichen Dienstverhältnis nicht auf eine Rechtsschutzlücke geschlossen werden. Weder das Organisationsstatut der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau vom 25. November 1981/26. März 1985 (im Folgenden: Organisationsstatut bzw. OS) noch die Kirchenordnung der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau vom 22. November 1976 (im Folgenden: Kirchenordnung bzw. KO) enthielten einen Vorbehalt zugunsten des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens, und die Landeskirchen seien gemäss § 114 Abs. 1 der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 (KV/AG) verpflichtet, ![]() | 8 |
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Für den kircheninternen Rechtsschutz der Evangelisch-Reformierten Landeskirche bestimmt Art. 14 des (gemäss § 110 Abs. 2 KV/AG der Genehmigung des Grossen Rats unterliegenden) Organisationsstatuts:
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Aufsicht und Beschwerde
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1 Beschlüsse, Verfügungen und Entscheide kirchlicher Behörden können nach Massgabe der Kirchenordnung durch Beschwerde weitergezogen werden.
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2 Für das Verfahren gelten sinngemäss die Vorschriften des Verwaltungsrechtspflegegesetzes, soweit in der Kirchenordnung nicht etwas anderes bestimmt ist.
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Gemäss § 140 Abs. 1 der Kirchenordnung können Verfügungen und Entscheide der Organe der Landeskirche und der Kirchgemeinden mit Verwaltungsbeschwerde angefochten werden. Vom Kirchenrat werden Beschwerden (u.a.) gegen Beschlüsse, Verfügungen und Entscheide der Kirchgemeindeversammlung und der Kirchenpflege beurteilt (§ 142 Abs. 1 KO). Beschlüsse, Verfügungen und Entscheide der Synode und des Kirchenrates unterliegen der Beschwerde an die Rekurskommission (§ 142 Abs. 2, 1. Satz KO), welche die oberste Beschwerdeinstanz der Landeskirche bildet (Art. 9 OS). Entscheide der Rekurskommission können (nach Massgabe von § 114 Abs. 2 KV/AG sowie § 59b VRPG/AG) an den Regierungsrat weitergezogen werden (§ 142 Abs. 2, 2. Satz KO). Für das Verfahren vor den Organen der Kirchgemeinden und der Landeskirchen sieht § 143 KO die (grundsätzliche) Kostenlosigkeit vor (Abs. 1); im Übrigen gelten die Bestimmungen des kantonalen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (Abs. 2).
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Erwägung 4 | |
4.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Verbots der geistlichen Gerichtsbarkeit "im Sinne von Art. 30 Abs. 1 BV und § 114 KV/AG": Ob ein weltlicher oder kirchlicher Streitgegenstand vorliege, beurteile sich nach staatlichem Recht. Aus § 112 Abs. 2 KV/AG ergebe sich, dass die Wahl (u.a.) der Pfarrer dem kirchlichen bzw. geistlichen Bereich zuzuordnen sei, was jedoch nicht bedeute, dass das gesamte kirchliche Dienstrecht und insbesondere auch dessen vermögensrechtliche Aspekte innerkirchliche Angelegenheiten darstellten. Die kirchliche Urteilskompetenz in Fragen des Dienstrechts reiche nur so weit, als sich die Zuständigkeit kirchlicher Instanzen durch das Selbstbestimmungsrecht der Kirche rechtfertigen lasse. Dies gelte etwa für die Nicht(wieder)wahl, Entlassung, Versetzung oder die Anordnung anderer disziplinarischer Massnahmen, würde doch bei der Beurteilung solcher Statusfragen durch den Staat das Selbstbestimmungsrecht der Kirche verletzt. Eine Zuständigkeit der kirchlichen Instanzen lasse sich dann nicht rechtfertigen, wenn eine vermögensrechtliche Streitigkeit zu beurteilen sei, die erst nach Beendigung des kirchlichen Dienstverhältnisses entstanden sei und sich deshalb auf den Status des Geistlichen gar nicht mehr auswirken könne. Diesfalls liege ein reiner ![]() | 16 |
4.2 Die vom Beschwerdeführer gemachte begriffliche Unterscheidung zwischen "weltlichen" und "kirchlichen" Streitgegenständen wird der Sache nicht gerecht: Die durch die Regelung von § 114 KV/AG anvisierten Streitgegenstände können, auch wenn hierüber eigene Satzungen der Landeskirche oder der Kirchgemeinde bestehen, durchaus "weltlicher Natur" sein, wie dies zum Beispiel für Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis (Arbeitszeit, Ferien, Besoldung) zutreffen kann (vgl. dazu insbesondere den Hinweis bei KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, Aarau 1986, N. 2 zu § 114 KV/AG, S. 384, wonach sich § 114 KV/AG durchwegs auf "Normen, welche die äusseren Angelegenheiten der Kirche betreffen", beziehe; ferner MICHAEL MERKER, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Zürich 1998, § 59b Rz. 2 und 6). Richtig ist, dass es letztendlich den staatlichen Instanzen obliegt, festzulegen, welche Bereiche durch den der Landeskirche in § 114 KV/AG erteilten Rechtsschutzauftrag erfasst werden bzw. wie die diesbezügliche Abgrenzung zu ziehen ist. Das hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Nichteintretensentscheid denn auch getan. Im Übrigen lässt sich das Verbot der geistlichen Gerichtsbarkeit nicht aus § 114 KV/AG herleiten, welcher keine Abwehrnorm in dieser Richtung enthält, sondern im Gegenteil den Entscheid über Streitigkeiten aus der Anwendung landeskirchlicher Satzungen den ![]() ![]() | 17 |
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4.4 Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Auslegung von § 60 Ziff. 3 VRPG/AG. Nach der im angefochtenen Entscheid massgeblichen (vor dem 1. November 2000 gültigen) Fassung dieser ![]() | 19 |
"vermögensrechtliche Streitigkeiten, an denen der Kanton, eine Gemeinde, oder eine öffentlich-rechtliche Körperschaft oder Anstalt des kantonalen oder kommunalen Rechts beteiligt ist, sofern nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben oder der Zivilrichter zuständig ist. Ausgenommen sind die Staatsbeiträge und jene Streitigkeiten, auf welche die Bestimmungen über die Rechtspflege in Sozialversicherungssachen zur Anwendung kommen."
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Der Beschwerdeführer scheint auf die seit 1. November 2000 gültige neue Formulierung der Bestimmung Bezug zu nehmen, welche - bei ansonsten gleichem ersten Satz - die verwaltungsgerichtliche Klage ausschliesst, "sofern nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben oder ein Zivilgericht oder ein Spezialrekursgericht zuständig ist". Er macht geltend, da die Kirche ihre Entscheidkompetenz vom Staat ableite, müsse sich ihre Zuständigkeit zur Beurteilung vermögensrechtlicher Streitigkeiten auf einen gültigen Vorbehalt im staatlichen Recht abstützen. Einen solchen Vorbehalt zugunsten der landeskirchlichen Justizorgane, welche insbesondere nicht unter den Begriff "Spezialrekursgericht" fielen, enthalte § 60 Ziff. 3 VRPG/AG gerade nicht. Wenn das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zum Schluss komme, ein Verzicht auf die Gerichtsbarkeit in vermögensrechtlichen Angelegenheiten würde eine ausdrückliche Regelung im Organisationsstatut voraussetzen, lege es § 60 Ziff. 3 VRPG/AG offensichtlich unrichtig aus. Soweit die Kirche in den Grauzonen zwischen staatlicher und innerkirchlicher Angelegenheit nicht ausdrücklich eine eigene Gerichtsbarkeit beanspruche, bleibe es bei der staatlichen Grundordnung, der staatlichen Gerichtsbarkeit. Da sich dieser Einwand in gleicher Weise auch unter Bezugnahme auf die im vorliegenden Verfahren massgebende, bis 31. Oktober 2000 gültige Fassung von § 60 Ziff. 3 VRPG/AG ins Feld führen liesse, ist die Rüge zu behandeln, wiewohl Zweifel daran bestehen, ob sie in einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG entsprechenden Weise erhoben wurde.
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Die Zuständigkeitsnorm von § 60 Ziff. 3 VRPG/AG kann in vertretbarer Weise verschieden ausgelegt werden. Bei Berücksichtigung der Regelung von § 114 KV/AG, wonach die Landeskirchen selber zur Sicherstellung eines genügenden Rechtsschutzes verpflichtet sind, erscheint die im angefochtenen Urteil vorgenommene Auslegung dieser Bestimmung jedenfalls nicht als willkürlich. Von Gewicht ist insbesondere das Argument, dass die Kompetenz ![]() | 22 |
4.5 Zu prüfen bleibt, ob die landeskirchliche Rekurskommission, welche als Rechtsmittelinstanz angerufen werden kann, in diesem ![]() ![]() | 23 |
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