![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
15. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Kanton Zürich sowie Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) |
2P.91/2002 vom 27. November 2002 | |
Regeste |
Art. 5 Ziff. 5 EMRK; Art. 13b Abs. 1 und Art. 13c Abs. 2 ANAG; Einmaligkeit des Rechtsschutzes; Genugtuungsforderung für eine durch den Haftrichter nicht genehmigte Ausschaffungshaft. |
Das Prinzip der Einmaligkeit des Rechtsschutzes steht einer Überprüfung der Widerrechtlichkeit der Ausschaffungshaft im Staatshaftungsverfahren grundsätzlich nicht entgegen (E. 3). |
Verweigert der Haftrichter im Rahmen von Art. 13c Abs. 2 ANAG die Genehmigung der Ausschaffungshaft, sind Schadenersatz- oder Genugtuungsansprüche gestützt auf Art. 5 Ziff. 5 EMRK ausgeschlossen, wenn die Fremdenpolizei das Vorliegen der Haftvoraussetzungen in vertretbarer Weise bejaht hat (E. 4). | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Aus den Erwägungen: | |
2. Nach Art. 5 Ziff. 5 EMRK hat jede Person, die von Festnahme oder Freiheitsentzug betroffen ist, Anspruch auf Schadenersatz, falls dabei materielle oder formelle Vorschriften, wie sie sich aus Ziff. 1-4 von Art. 5 EMRK ergeben, verletzt worden sind; ein Verschulden der haftanordnenden Behörde ist nicht erforderlich (BGE 125 I 394 E. 5a S. 398; BGE 119 Ia 221 E. 6a S. 230). Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält damit eine eigene Haftungsnorm, die im kantonalen Verfahren gegebenenfalls unabhängig vom materiell strengeren Staatshaftungsrecht anzuwenden ist (ANDREAS ZÜND, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht: Verfahrensfragen und Rechtsschutz, in: AJP 1995 S. 866). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob dieses hier - wie der Beschwerdeführer subsidiär geltend macht - willkürlich ausgelegt wurde. Mit dem Hinweis auf die "gesetzlich vorgeschriebene Weise" des Freiheitsentzugs nimmt Art. 5 EMRK für die Rechtmässigkeit der Haft formell wie materiell auf das innerstaatliche Recht Bezug. Wurden die Bestimmungen des nationalen (Haft-)Rechts missachtet, kann hierin eine Verletzung von Art. 5 EMRK liegen, selbst wenn die entsprechenden Normen inhaltlich über die konventionsmässigen Garantien hinausgehen (BGE 125 I 394 E. 5b S. 400; BGE 119 Ia 221 E. 6a S. 230; Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. Wassink gegen Niederlande vom 27. September 1990, Serie A, Bd. 185-A, Ziff. 24 und 27; i.S. Benham gegen Grossbritannien vom 10. Juni 1996, Ziff. 40, Recueil CourEDH 1996-III S. 738; i.S. Tsirlis gegen Griechenland vom 29. Mai 1997, Ziff. 56 ff., Recueil CourEDH 1997-III S. 909; i.S. Steel gegen Grossbritannien vom 23. September 1999, Ziff. 54 und 56, Recueil CourEDH 1998-VII S. 2719; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl/Strassburg/Arlington ![]() | 2 |
3 | |
3.1 Der Grundsatz, wonach die Rechtmässigkeit rechtskräftiger Entscheide im Haftungsprozess nicht mehr kontrolliert werden kann, soll sicherstellen, dass im Verwaltungsverfahren abschliessend beurteilte Fragen im Staatshaftungsprozess nicht erneut aufgeworfen werden (vgl. BGE 126 I 144 E. 2a S. 147 f. mit Hinweisen; ""Einmaligkeit des Rechtsschutzes bzw. des Instanzenzuges"). Er setzt regelmässig voraus, dass die am ursprünglichen Verfahren beteiligten Parteien überhaupt die Möglichkeit hatten, den betreffenden Entscheid anzufechten, hiervon jedoch keinen oder erfolglos Gebrauch gemacht haben (vgl. BGE 119 Ib 208 E. 3c; HÄFELIN/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Zürich 2002, Rz. 2265 f.). Im vorliegenden Fall waren die kantonalen Behörden zur Beschwerde gegen die umstrittenen Haftentlassungsanordnungen nicht legitimiert (vgl. Art. 103 OG). Dazu befugt wäre einzig das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement oder das Bundesamt für Ausländerfragen gewesen (vgl. BGE 129 II 1 E. 1); von diesen Bundesbehörden kann jedoch nicht erwartet werden, dass sie zum Schutz der Kantone vor Entschädigungsforderungen sämtliche Verweigerungen von Haftgenehmigungen anfechten. Ist ein Rechtsmittel nicht geeignet, zu einer Korrektur des umstrittenen Aktes, sondern bloss noch zur Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit zu führen, bleibt die Überprüfung dieses Aktes im Staatshaftungsverfahren zulässig, auch wenn von der entsprechenden Beschwerdemöglichkeit kein ![]() | 4 |
3.2 Nichts anderes ergibt sich aus dem Entscheid 2P.291/1995 vom 31. Januar 1996, in dem das Bundesgericht zum Schluss gekommen ist, dass die richterliche Feststellung einer Widerrechtlichkeit im Haftprüfungsverfahren unabhängig von der Ausgestaltung des kantonalen Staatshaftungsrechts für das Entschädigungsverfahren verbindlich bleibt, soweit nicht Revisionsgründe geltend gemacht werden (zitiert bei HUGI YAR, a.a.O., Rz. 7.117). Diesem Urteil lag ein bundesgerichtlicher Entscheid zur Frage der fehlenden Vollzugsmöglichkeit der Wegweisung und zur Problematik eines noch schwebenden Weg- bzw. Ausweisungsverfahrens im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK zugrunde, welcher durch den kantonalen Staatshaftungsrichter nicht mehr ohne Verletzung von Art. 5 EMRK in Frage gestellt werden durfte. Das Bundesgericht prüft bei Staatshaftungsprozessen auf staatsrechtliche Beschwerde hin das Vorliegen der Haftvoraussetzungen im Übrigen frei (vgl. BGE 119 Ia 221 E. 8a S. 235 f.). Inwiefern es mit Blick hierauf verfassungswidrig sein sollte, wenn der kantonale Staatshaftungsrichter - bei Fehlen eines im Haftbeschwerdeverfahren ergangenen letztinstanzlichen Urteils - das Vorliegen der Widerrechtlichkeit seinerseits vorfrageweise überprüft, ist nicht ersichtlich, zumal der staatshaftungsrechtliche ![]() | 5 |
6 | |
Erwägung 4.1 | |
4.1.1 Nach Art. 13c Abs. 1 ANAG (SR 142.20) wird die Ausschaffungshaft von der Behörde des Kantons angeordnet, der für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung zuständig ist. In der Folge hat gestützt auf Art. 13c Abs. 2 ANAG eine richterliche Instanz aufgrund einer mündlichen Verhandlung nicht nur die Rechtmässigkeit, sondern auch die Angemessenheit der Haft obligatorisch und von Amtes wegen innerhalb von 96 Stunden zu prüfen. Die Fremdenpolizei kann eine Ausschaffungshaft zwar nur bei Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 13b ANAG anordnen; im Rahmen der Anwendung dieser Bestimmung steht ihr aber sowohl bezüglich der Rechtsfolge wie der Auslegung der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe ein Ermessens- und Beurteilungsspielraum zu (vgl. ANDREAS AUER, La Constitution fédérale, les droits de l'homme et les mesures de contrainte à l'égard des étrangers, in: AJP 1994 S. 749 ff., insbesondere S. 751 Ziff. 11). Da der Haftrichter im Rahmen seiner Angemessenheitskontrolle auch die Handhabung dieser Freiräume überprüfen kann, liegt in der Verweigerung der Haftgenehmigung nicht notwendigerweise die Feststellung einer Rechtsverletzung bzw. einer entschädigungsauslösenden Widerrechtlichkeit (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., Rz. 460 f.; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 6. Aufl., Basel/Stuttgart 1986, Nr. 67 B. IV.). Ein Entscheid ist unangemessen, wenn er zwar innerhalb des Ermessens- und Beurteilungsspielraums der zuständigen Behörde bleibt, jedoch nicht richtig, d.h. unzweckmässig erscheint (PIERRE MOOR, Droit administratif, Bd. I, 2. Aufl., Bern 1994, S. 375 f.). Ein eigentlicher Ermessens- und damit ein ![]() | 7 |
8 | |
4.1.3 Das vom Gesetzgeber konzipierte, über die Anforderungen von Art. 5 EMRK hinausgehende richterliche Kontrollsystem bei den Zwangsmassnahmen hat nicht zur Folge, dass der betroffene Ausländer immer dann schon Schadenersatz- oder Genugtuungsansprüche erwerben würde, wenn der Haftrichter eine von der ![]() | 9 |
Erwägung 4.2 | |
4.2.1 Gemäss Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG kann der Ausländer zur Sicherung eines erstinstanzlichen Wegweisungsentscheids in Haft genommen werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere weil sein bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass er sich behördlichen Anordnungen widersetzt. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darf die Ausschaffungshaft nicht einfach vorsorglicherweise angeordnet werden, nur weil erfahrungsgemäss eine bestimmte Anzahl der zur Ausreise verpflichteten Ausländer untertaucht; die zuständige Behörde muss vielmehr in jedem konkreten Fall aufgrund der verschiedenen Indizien eine Prognose stellen, was nicht immer leicht fällt (ALAIN WURZBURGER, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, in: RDAF 1997 I S. 332 f.) und zu abweichenden Einschätzungen zwischen der Fremdenpolizei und dem Haftrichter, der sich aufgrund der obligatorischen mündlichen Verhandlung ein eigenes Bild zu machen hat (vgl. Art. 13c Abs. 2 ANAG; BGE 122 II 154 E. 2b S. 156 f.), führen kann. Das Verhalten des Ausländers ist jeweils in seiner Gesamtheit zu würdigen (Urteile 2A.322/2000 vom 26. Juli 2000, E. 2b; 2A.479/1999 vom 4. Oktober 1999, E. 3b; 2A.22/1998 vom 6. Februar 1998, E. 3; HUGI YAR, a.a.O., Rz. 7.66). Dass der Betroffene illegal in die Schweiz eingereist ist, genügt zur Annahme ![]() | 10 |
4.2.2 Die Fremdenpolizei stellte im vorliegenden Fall bei ihrer Beurteilung in erster Linie auf die Mittellosigkeit und die gemäss dem Entscheid des Bundesamts für Flüchtlinge vom 6. November 1998 unglaubwürdigen und widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers über seinen Reiseweg und Aufenthalt ab. Das Bundesamt hatte in diesem Zusammenhang festgestellt, dass es die vom Beschwerdeführer genannte Anwaltskanzlei in Limbe nicht gebe und die Kopie seiner Identitätskarte vom 26. April 1997 datiere, obwohl sie nach seinen Angaben vom April 1995 stammen solle; im Übrigen wolle der Beschwerdeführer per Schiff nach Kindu in der Demokratischen Republik Kongo gelangt sein, dabei handle es sich jedoch um eine Stadt im Landesinnern. Schliesslich sei nicht einzusehen, weshalb sich ein angeblich von den Behörden Kameruns Gesuchter durch eine Reise über dieses Land, d.h. über Douala, dem Risiko aussetzen sollte, dort festgenommen zu werden. Der Beschwerdeführer versuche offensichtlich, sich anhand allgemein bekannter Umstände eine Verfolgungslegende ohne jeglichen realen Hintergrund zurechtzulegen. Wenn die Fremdenpolizei gestützt hierauf davon ausging, es könne auf eine Untertauchensgefahr geschlossen werden, war dies vertretbar und nicht bundesrechtswidrig, zumal der Beschwerdeführer bei seiner Befragung am 8. November 1998 ![]() | 11 |
12 | |
4.3.1 Der Haftrichter ging davon aus, dass gegenüber der Einschätzung vom 10./11. November 1998 keine neuen Elemente dazu gekommen seien, die für eine Untertauchensgefahr sprächen, weshalb es nach wie vor an einem Haftgrund fehle; dabei zog er wiederum das Resultat seiner mündlichen Verhandlung, an der die Polizeibehörde nicht teilgenommen hatte, in seine Beurteilung mit ein. Die Fremdenpolizei hatte ihrerseits der (neuen) Tatsache Rechnung getragen, dass sich der Beschwerdeführer trotz des vollziehbaren Wegweisungsentscheids des Bundesamts für Flüchtlinge - nach seiner Haftentlassung in den internationalen Teil des Flughafens - am 12. November 1998 geweigert hatte, ein Flugzeug zu besteigen und in seine Heimat zurückzukehren. Bei seiner erneuten Verhaftung hatte er den Wegweisungsentscheid - auch hinsichtlich des Entzugs der aufschiebenden Wirkung - immer noch nicht angefochten. Wenn die Fremdenpolizei deshalb annahm, der Beschwerdeführer könnte sich bei Kenntnis des für den 21. November 1998 geplanten neuen Ausschaffungsversuchs diesem durch Untertauchen zu entziehen versuchen, war dies wiederum vertretbar und die damit bis zur richterlichen Prüfung verbundene kurze Inhaftierung durch Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG gedeckt. Ihre Einschätzung bestätigte sich in der Folge im Übrigen, wehrte sich der Beschwerdeführer doch nach den glaubwürdigen Darstellungen der Flughafenpolizei an diesem Tag erneut vehement gegen eine Ausschaffung, ![]() | 13 |
4.3.2 Zu Unrecht macht der Beschwerdeführer geltend, seine zweite Ausschaffungshaft sei zudem widerrechtlich gewesen, da der zu sichernde Wegweisungsentscheid durch seine Entlassung aus dem Transitbereich am 12. November 1998 dahingefallen sei und in der Folge ein ordentliches Asylverfahren habe durchgeführt werden müssen: Im Haftverfahren sind Fremdenpolizei und Haftrichter grundsätzlich an den durch die Haft zu sichernden ausländer- bzw. asylrechtlichen Entscheid gebunden. Sie haben einzig zu prüfen, ob überhaupt ein solcher vorliegt; dessen Rechtmässigkeit können sie - eigentliche Nichtigkeit vorbehalten - nicht in Frage stellen. Das Verfahren vor dem Haftrichter dient nicht der Überprüfung von Wegweisungsentscheiden oder von anderen den Ausländer zur Ausreise verpflichtenden Anordnungen (BGE 128 II 193 E. 2.2.2 S. 198 mit Hinweisen; Urteil 2A.241/2002 vom 28. Juni 2002, E. 2.2.1), wofür andere Behörden zuständig sind. Die Anordnung der Ausschaffungshaft setzt lediglich das Vorliegen eines erstinstanzlichen Wegweisungsentscheids voraus (BGE 128 II 193 E. 2.1 S. 196); dieser muss nicht rechtskräftig sein und kann bei einer Gutheissung der Beschwerde im Asylverfahren nachträglich wegfallen, ohne dass die Ausschaffungshaft deshalb widerrechtlich würde. Die Praxis der Asylrekurskommission zur Frage, wann das Flughafenverfahren und ein in diesem ergangener Wegweisungsentscheid wegen einer "faktischen Einreise" dahinfällt, war am 18. November 1998 noch unklar; ein erster entsprechender Grundsatzentscheid stammte vom 14. August ![]() | 14 |
4.4 Unabhängig davon, dass das beanstandete Verhalten der Fremdenpolizei - wie dargelegt - keine staatshaftungsrelevante Widerrechtlichkeit darstellte, war die mit der kurzfristigen Festhaltung des Beschwerdeführers verbundene Beeinträchtigung in seinen persönlichen Verhältnissen gestützt auf die konkreten Umstände auch nicht derart schwer, dass über die Haftentlassung hinaus die Zusprechung einer geldwerten Genugtuung verfassungs- oder konventionsmässig hätte geboten sein können: Der Beschwerdeführer gelangte am 30. Oktober 1998 ohne das zur Einreise erforderliche Ausweispapier oder Visum per Flugzeug an die Schweizer Grenze, wo er ein Asylgesuch stellte. Es wurde ihm in der Folge die Einreise vorläufig verweigert (vgl. BGE 123 II 193 E. 4 S. 199 ff.) und für die voraussichtliche Dauer des Verfahrens, längstens aber für 15 Tage, die Transitzone des Flughafens als Aufenthaltsort zugewiesen. Die damit verbundene Freiheitsbeschränkung stützte sich auf eine hinreichende asylrechtliche Grundlage und bildete einen rechtmässigen Eingriff in seine Freiheit zur Verhinderung einer unerlaubten Einreise bzw. zur Sicherstellung des Vollzugs eines schwebenden Aus- bzw. Wegweisungsverfahrens im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK. Die entsprechenden Beeinträchtigungen waren Folge des vom Beschwerdeführer gewählten Vorgehens und ![]() | 15 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |