![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
![]() | ![]() |
36. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Volkspartei des Kantons Solothurn gegen Kamber und Bühler sowie Kantonsrat Solothurn (Staatsrechtliche Beschwerde) |
1P.113/2005 vom 3. Mai 2005 | |
Regeste |
Berücksichtigung der politischen Richtungen bei der Besetzung öffentlicher Ämter, Begriff der verfassungsmässigen Rechte; Art. 60 KV/SO, Art. 189 Abs. 1 lit. a BV, Art. 84 Abs. 1 lit. a OG. | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Gegen diesen Wahlbeschluss hat die Schweizerische Volkspartei des Kantons Solothurn (SVP/SO) beim Bundesgericht mit dem Antrag um Aufhebung staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie erachtet sich aufgrund von Art. 60 der Kantonsverfassung zur Beschwerde legitimiert und rügt wegen der Nichtberücksichtigung des SVP-Kandidaten eine Verletzung des Anspruchs auf angemessene Vertretung im Obergericht.
| 2 |
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
| 3 |
Aus den Erwägungen: | |
2. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen, ob die Voraussetzungen für das Eintreten auf eine staatsrechtliche Beschwerde gegeben sind (vgl. BGE 129 I 173 E. 1 S. 174). Im vorliegenden Fall ist unter diesem Gesichtswinkel insbesondere zu prüfen, ob sich die Beschwerdeführerin auf ein verfassungsmässiges Recht gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a OG berufen kann und daher im Sinne von Art. 88 OG zur Beschwerde legitimiert ist.
| 4 |
5 | |
6 | |
![]() | 7 |
8 | |
Art. 60 - Ämterbesetzung
| 9 |
Öffentliche Ämter sind durch die am besten geeigneten Personen zu besetzen. Nach Möglichkeit sind die verschiedenen Bevölkerungskreise, namentlich die Regionen und die politischen Richtungen, angemessen zu berücksichtigen.
| 10 |
Der Gehalt dieser Verfassungsbestimmung ist nach den üblichen Auslegungsregeln zu bestimmen (vgl. BGE 112 Ia 208 E. 2a S. 212) und zudem mit § 96 der Staatsverfassung des Kantons Luzern ![]() | 11 |
12 | |
Der programmatische Charakter von Art. 60 KV/SO wird durch die Wendung "nach Möglichkeit" weiter unterstrichen. Dieser Umstand schliesst für sich allein genommen die Justiziabilität nicht aus und spricht insoweit nicht gegen die Annahme eines verfassungsmässigen Rechts. Ein solches kann auch anerkannt werden, wenn formale und eindeutige Kriterien der Anwendung fehlen und dem Entscheidträger ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. In diesem Sinne hat das Bundesgericht der Bestimmung von § 96 StV/LU, welche bei der Behördenbestellung eine angemessene Rücksicht auf die Vertretung der politischen Parteien fordert, den Charakter eines verfassungsmässigen Rechtes nicht abgesprochen (vgl. ZBl 92/1991 S. 260; ZBl 95/1994 S. 366; Urteil 1P.427/1999 vom 9. Februar 2000; vgl. auch den in ZBl 95/1994 S. 366 E. 1b/bb erwähnten Entscheid vom 15. Juni 1992 i.S. Groupe Vivre demain).
| 13 |
![]() | 14 |
An dieser Beurteilung der mangelnden Justiziabilität von Art. 60 KV/SO vermag auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu § 96 StV/LU nichts zu ändern. Anders als die Solothurner Verfassung bezieht sich § 96 StV/LU auf bestimmt umschriebene Behörden und erwähnt ausdrücklich die politischen Parteien ; hinsichtlich der Erwähnung der politischen Parteien ist die luzernische Verfassungsbestimmung auch anlässlich von Revisionen nicht geändert worden (vgl. ZBl 95/1994 S. 366 E. 1b/bb). Demgegenüber sind bei der Ämterbesetzung nach Art. 60 KV/SO lediglich die politischen Richtungen zu berücksichtigen. Dieser Ausdruck ist vergleichsweise wesentlich unbestimmter als derjenige der politischen Parteien gemäss § 96 StV/LU sowie derjenige der verschiedenen Parteirichtungen gemäss Art. 11 der alten Kantonsverfassung vom 23. Oktober 1887 (aKV/SO). Nach dieser Bestimmung sollten bei der Wahl sämtlicher staatlicher Behörden die verschiedenen Parteirichtungen möglichst berücksichtigt werden. Im Vergleich dazu ist mit dem neuen Art. 60 KV/SO in vermehrtem Masse eine offene Formulierung gewählt worden. Sie spricht nicht nur die politischen Richtungen, sondern darüber hinaus neu auch die verschiedenen Bevölkerungskreise und die Regionen an. Damit kommt ihr ausschliesslich ein programmatischer Gehalt zu. Sowohl der ![]() | 15 |
An dieser Beurteilung vermag auch der Entscheid des Regierungsrates vom 27. Januar 1998 (publ. in: Grundsätzliche Entscheide des Regierungsrates des Kantons Solothurn, 1998 Nr. 5) nichts Wesentliches zu ändern. Der Regierungsrat wandte in diesem Entscheid Art. 60 KV/SO zwar auf die Wahl einer kommunalen Umweltkommission an und hob sie auf, weil der stärksten Fraktion kein Kommissionsmandat zugesprochen worden war. Er hielt fest, dass die Verfassungsbestimmung zwingend die Berücksichtigung einer starken Minderheit erfordere, und er bezog sich ohne weitere Ausführungen auf seine frühere Praxis zu Art. 11 aKV/SO. Dabei setzte er sich mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht auseinander, welche ohne abschliessende Beurteilung Zweifel an einem eigentlichen Rechtsanspruch zum Ausdruck brachte (BGE 112 Ia 174 E. 3d S. 179). Insbesondere ging er aber nicht auf die neue Formulierung in Art. 60 KV/SO ein, welche, wie aufgezeigt, gegenüber der alten Verfassungsbestimmung wesentlich offener gehalten ist, und legte nicht dar, dass auch nach neuem Verfassungstext ein eigentlicher Rechtsanspruch bestehe. Damit kann dem Regierungsratsentscheid vom 27. Januar 1998 im Hinblick auf die Beurteilung durch das Bundesgericht und die Anforderungen von Art. 88 OG keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden.
| 16 |
17 | |
2.6 Soweit sich die Beschwerdeführerin darüber hinaus sinngemäss auf das Willkürverbot nach Art. 9 BV beruft, ist festzuhalten, dass das allgemeine Willkürverbot für sich allein keine geschützte Rechtsstellung nach Art. 88 OG verschafft (vgl. BGE 126 I 81; BGE 121 I 267; 112 Ia E. 2d S. 178). Auch unter diesem Gesichtswinkel kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
| 18 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |