BGE 132 I 196 | |||
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23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Einwohnergemeinde Burg (Staatsrechtliche Beschwerde) |
1P.570/2005 vom 10. Mai 2006 | |
Regeste |
Art. 29 Abs. 2 BV; Verweigerung einer Einbürgerung ohne Begründung. |
Würdigung der Diskussionsvoten an einer Gemeindeversammlung vor dem Hintergrund der Begründungserfordernisse; die vom Antrag des Gemeinderates abweichende Verweigerung der Einbürgerung ist nicht hinreichend begründet und hält vor der Verfassung nicht stand (E. 3.3). | |
Sachverhalt | |
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Aufgrund der durchgeführten Erhebungen befürwortete und beantragte der Gemeinderat der Einwohnergemeindeversammlung die Zusicherung des Einwohnerbürgerrechts für die Familie. Anlässlich der Gemeindeversammlung vom 3. Juni 2005 stellte sich die Familie kurz vor und beantwortete einige Fragen. Zwei Stimmbürger äusserten sich kritisch, ein Stimmbürger positiv zum Einbürgerungsgesuch von A.
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In offener Abstimmung lehnten die Stimmberechtigten die Einbürgerung von A. mit 35 Nein gegen 9 Ja ab. Den Kindern B. und C. wurde das Einwohnerbürgerrecht indes zugesichert.
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Gegen diesen Entscheid der Einwohnergemeindeversammlung hat A. beim Bundesgericht mit dem Antrag um Aufhebung wegen Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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3.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unterliegen ablehnende Einbürgerungsentscheide der Begründungspflicht (BGE 131 I 18 E. 3 S. 20 mit Hinweisen). Es besteht keine feste Praxis, wie der aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessenden Begründungspflicht im Einzelnen nachzukommen ist, und es ergeben sich hierfür verschiedene Möglichkeiten (BGE 131 I 18 E. 3.1 S. 20). Bestätigt eine Gemeindeversammlung einen ablehnenden Antrag des Gemeinderates, kann in der Regel und vorbehältlich abweichender Voten davon ausgegangen werden, dass die Gemeindeversammlung dem Antrag und seiner Begründung zustimmt (BGE 131 I 18 E. 3.1 S. 20; Urteil 1P.516/2005 vom 19. Januar 2006). Verweigert die Gemeindeversammlung entgegen dem Antrag des Gemeinderates eine Einbürgerung, wird sich die Begründung hierfür in erster Linie aus den Wortmeldungen ergeben müssen. Findet indes keinerlei Diskussion statt, so fehlt es - ähnlich wie bei Urnenabstimmungen (BGE 129 I 232 E. 3.5 S. 241 ff., BGE 129 I 217 E. 3 S. 230) - an einer Begründung, und es kann eine solche in aller Regel auch im Nachhinein nicht erstellt werden (BGE 129 I 232 E. 3.5 S. 241); dies hat zur Folge, dass den Anforderungen von Art. 29 Abs. 2 BV insoweit nicht Genüge getan wird.
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3.2 Im vorliegenden Fall hat der Gemeinderat die erforderlichen Abklärungen getroffen und die Einbürgerung mit seinem Antrag an die Einwohnergemeindeversammlung befürwortet. Es wird von keiner Seite geltend gemacht, dass im Vorfeld der Einwohnergemeindeversammlung öffentliche Diskussionen stattgefunden hätten oder Presseartikel oder Flugblätter verfasst worden wären, aus denen sich Hinweise und Gründe für eine Verweigerung der Einbürgerung der Beschwerdeführerin ergäben (vgl. BGE 129 I 217 E. 2.3.2 S. 228). Anlässlich der Einwohnergemeindeversammlung hat der Gemeinderat gemäss dem Protokoll keine weitern Ausführungen zum Einbürgerungsgesuch der Beschwerdeführerin gemacht. Ein Stimmbürger erkundigte sich nach der Doppelbürgerschaft, worauf die Beschwerdeführerin die Bereitschaft zur Abgabe ihres bisherigen Passes erklärte. Ein weiterer Stimmbürger wies darauf hin, dass er die Beschwerdeführerin als sehr positiv erlebt habe. Demgegenüber haben sich zwei Stimmbürger kritisch geäussert.
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Ein anderer Stimmbürger erklärte: "Ich habe sie (die Beschwerdeführerin) als Mitarbeiterin kennen gelernt. Wir gaben ihr seinerzeit die Chance, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Sie hat diese Chance absolut nicht genutzt. Schon ziemlich bald ist sie hinter die andern Mitarbeiterinnen gekommen und hat sich auch mit den Vorgesetzten nicht verstanden und auch angelegt. A. hat eine Arbeitseinstellung und Arbeitsleistung an den Tag gelegt, die uns dazu bewogen hat, das Arbeitsverhältnis sehr schnell wieder aufzulösen. Sie arbeitete lediglich drei Monate bei uns. Ich möchte dazu noch sagen, dass ich hier analog einem Arbeitgeberbericht, den ich verfasst habe, diese Äusserungen gemacht habe." Die Beschwerdeführerin entgegnete: "Das war wegen meiner Gesundheit und dem Unfall. Sie haben die Stunden nicht bezahlt, die sie hätten müssen." Daraufhin der Stimmbürger: "A. hatte einen Anwalt genommen. Sie ist mit ihren Forderungen bei Gericht jedoch nicht durchgekommen, weil ihre Aussagen nicht wahr waren. Dass A. einen Unfall hatte, will ich nicht bestreiten. Das hat jedoch nichts damit zu tun, dass sie hinter die andern Mitarbeiterinnen gekommen ist und Unruhe im Team gestiftet hat und dass ihre Arbeitsbemühungen und der Arbeitswille sehr schwach waren." Und wiederum die Beschwerdeführerin: "In der Zeit des Unfalls musste ich arbeiten. Danach bin ich nicht mehr zur Arbeit. Ich hatte Probleme mit den Einzahlungen. So habe ich meinen Anwalt gefragt und der versicherte mir, weiter zu schauen." Zu dieser Begebenheit belegte die Beschwerdeführerin im bundesgerichtlichen Verfahren, dass das Arbeitsverhältnis rund neun Monate gedauert hatte und die finanzielle Seite ihres Arbeitsverhältnisses aussergerichtlich erledigt worden war.
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Diesen Wortmeldungen anlässlich der Einwohnergemeindeversammlung lässt sich keine rechtsgenügliche Begründung für die Abweisung des Einbürgerungsgesuches entnehmen. Es kann nicht gesagt werden, dass die beiden intervenierenden Stimmbürger eigentliche gegen eine Einbürgerung sprechende Motive vorgebracht hätten. Sie haben lediglich ein gewisses Missbehagen bekundet und ihre Wortmeldungen persönlich gehalten. Sie haben kaum zum Ausdruck gebracht, dass eine Einbürgerung für sie nicht in Frage komme, und demnach auch nicht sinngemäss die Abweisung des Einbürgerungsgesuches vorgeschlagen. Aus den unausgesprochenen und im Unbestimmten verbliebenen Motiven kann nicht auf Gründe geschlossen werden, die verallgemeinerungsfähig wären und tatsächlich gegen eine Einbürgerung sprechen würden. Es kann daher auch nicht gesagt werden, dass diese Vorbringen von den Teilnehmern oder einer Mehrheit der Einwohnergemeindeversammlung wirklich geteilt und übernommen worden wären und aus ihrer Sicht die Abweisung des Einbürgerungsgesuches belegen würden. Es ist denn auch symptomatisch, dass sich keiner der Stimmbürger (offen) gegen den Einbürgerungsantrag des Gemeinderates wandte oder die Gründe und Abklärungen des Gemeinderates - etwa mit dem Hinweis auf eine mangelnde Integration - in Frage stellte. Aufgrund der in der Einwohnergemeindeversammlung geführten Diskussion liesse sich auch im Nachhinein eine den Anforderungen von Art. 29 Abs. 2 BV genügende Begründung kaum erstellen (vgl. BGE 129 I 232 E. 3.5 S. 241). Die Einwohnergemeinde hat denn im bundesgerichtlichen Verfahren auch gar nicht erst den Versuch unternommen, den Einwohnergemeindeversammlungsbeschluss nachträglich zu begründen oder eine entsprechende Erklärung abzugeben.
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