BGE 133 I 19 | |||
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3. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. A.X. und B.X. gegen Steuerverwaltung des Kantons Thurgau und Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen (Staatsrechtliche Beschwerde) |
2P.84/2006 vom 3. November 2006 | |
Regeste |
Art. 127 Abs. 3 BV; interkantonale Doppelbesteuerung; Schuldzinsenverlegung bei Liegenschaftenhändlern. |
Die Schuldzinsen sind bei Liegenschaftenhändlern nach dem quotenmässigen System proportional nach Lage der geschäftlichen und privaten Aktiven zu verlegen (Praxisänderung; E. 6). | |
Sachverhalt | |
B.X., wohnhaft in D. (SG), besitzt mit seiner Ehefrau A.X. im Kanton St. Gallen vier Liegenschaften im Privatvermögen (drei in E. und eine in D.) und in den Kantonen Thurgau bzw. St. Gallen vier Liegenschaften im Geschäftsvermögen (drei in F., G. und C., alle im Kanton Thurgau, und eine in H., Kanton St. Gallen); er wird als Liegenschaftenhändler besteuert. In der Veranlagung für die Staats- und Gemeindesteuern des Jahres 2004 nahm der Kanton St. Gallen eine objektmässige Ausscheidung der geschäftlichen Schuldzinsen vor und schied die privaten Schuldzinsen proportional zur Lage der Gesamtaktiven aus. Auch der Kanton Thurgau ging im Veranlagungs- bzw. Einspracheverfahren der kantonalen Steuern des Jahres 2004 von einer objektmässigen Verteilung der geschäftlichen Schuldzinsen aus; die privaten Schuldzinsen wurden zwar nach Lage der Aktiven auf das Privatvermögen verteilt, die Geschäftsliegenschaften im Kanton Thurgau übernahmen aber keine privaten Schuldzinsen.
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Das Bundesgericht heisst die von A.X. und B.X. gegen die Kantone Thurgau und St. Gallen wegen interkantonaler Doppelbesteuerung (Art. 127 Abs. 3 BV) eingereichte staatsrechtliche Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.2 Die Beschwerdeführer rügen insofern eine Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots, als der Kanton St. Gallen bei der interkantonalen Steuerausscheidung die Schuldzinsen des Privatvermögens aufgrund sämtlicher Aktiven verlegt, der Kanton Thurgau für diese Schuldzinsenverlegung demgegenüber nur die Aktiven des Privatvermögens berücksichtigt habe. Aufgrund dieser unterschiedlichen Zuweisung seien die anteiligen privaten Schuldzinsen von Fr. 62'691.- für die gleiche Steuerperiode 2004 nicht abgezogen worden. Gegen den Kanton Thurgau machen die Beschwerdeführer namentlich geltend, ihr dortiges steuerbares Einkommen erhöhe sich zu Unrecht um die anteiligen Privatschuldzinsen; der Kanton St. Gallen habe die Schuldzinsen dem Kanton Thurgau zwar zugewiesen, dieser habe sie aber mangels Privatvermögen in seinem Kanton nicht übernommen. Den Eventualantrag gegen den Kanton St. Gallen begründen die Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass sich ihr Einkommen in diesem Kanton um die dem Kanton Thurgau zugewiesenen Privatschuldzinsen (Fr. 62'691.- von total Fr. 135'169.- an Privatschuldzinsen) erhöhe, was ebenfalls zu einer Doppelbesteuerung im gleichen Steuerjahr führe.
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Erwägung 4 | |
4.1 Der Kanton St. Gallen hat eine objektmässige Ausscheidung der geschäftlichen Schuldzinsen vorgenommen, indem er jeder in seinem Kanton und im Kanton Thurgau gelegenen Geschäftsliegenschaft die betreffenden Schuldzinsen zugewiesen hat; zudem hat er die privaten Schuldzinsen proportional zur Lage der gesamten Aktiven, insbesondere der Privat- und Geschäftsliegenschaften, ausgeschieden. Er hat das Gesamt-Nettoeinkommen auf Fr. 218'600.- und das steuerbare Nettovermögen auf 1,41 Mio. Franken festgesetzt, wobei sich dieses im Kanton St. Gallen steuerbare Nettoeinkommen nach einem Abzug von Fr. 72'478.- an privaten und Fr. 28'124.- an geschäftlichen Schuldzinsen ergab. Der Kanton St. Gallen teilte in seiner Ausscheidung dem Kanton Thurgau ein Nettovermögen von Fr. 924'740.- und ein negatives Einkommen von Fr. 42'770.- nach Abzug von Fr. 62'691.- an privaten und Fr. 226'136.- an geschäftlichen Schuldzinsen zu. Der negative Betrag wurde offenbar vom steuerbaren Einkommen im Kanton St. Gallen abgezogen.
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5.1 Im quotenmässigen System werden die Schuldzinsen proportional nach Lage der Aktiven verteilt. Darunter ist die Gesamtheit der geschäftlichen und privaten, beweglichen sowie unbeweglichen Aktiven zu verstehen (vgl. BGE 121 I 14 E. 6d S. 21; BGE 97 I 36 E. 3 S. 42; siehe auch BGE 119 Ia 46 E. 5 S. 51). Bei der proportionalen Verteilung der Schuldzinsen auf die Kantone im Verhältnis der Aktiven sind die Schuldzinsen in erster Linie auf die Vermögenserträge zu verlegen. Soweit der (nach Lage der Aktiven zu übernehmende) Schuldzinsenanteil den Vermögensertrag in einem Kanton übersteigt, ist dieser von den übrigen Kantonen zu tragen, die noch über einen Nettoertrag aus Vermögen verfügen. Wenn die Passivzinsen im Ganzen den Vermögensertrag übersteigen, ist der Überschuss auf das übrige Einkommen zu verlegen (BGE 120 Ia 349 E. 5 S. 356; BGE 119 Ia 46 E. 5 S. 51).
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6.2 Wenn auch grundsätzlich daran festzuhalten ist, dass dem Liegenschaftskanton die Gesamtheit der Liegenschaftserträge und -gewinne zur ausschliesslichen Besteuerung zusteht, so bedeutet dies nicht, dass er den Steuerpflichtigen zu einem höheren als dem erzielten Einkommen besteuern darf. Dem Liegenschaftskanton sind vielmehr nach neuer bundesgerichtlicher Rechtsprechung insofern Grenzen gesetzt, als er auf die Situation des Steuerpflichtigen (Unternehmung wie Privatperson) und dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (vgl. Art. 127 Abs. 2 BV) Rücksicht nehmen muss: So kann etwa der Belegenheitskanton den Wertzuwachs aus der Veräusserung einer Betriebsliegenschaft ausschliesslich besteuern; er ist aber verpflichtet, den Geschäftsverlust, den die Unternehmung im Sitzkanton (oder weiteren Kantonen mit Betriebsliegenschaften) aufweist, mit dem Grundstückgewinn zu verrechnen (vgl. BGE 131 I 249 E. 6.3 S. 261 f.). Das Bundesgericht hat diese neue Regel zur Vermeidung von Ausscheidungsverlusten in der Folge mehrfach bestätigt und sowohl auf Liegenschaften im Privatvermögen (BGE 131 I 285) als auch auf Kapitalanlageliegenschaften einer Unternehmung ausgedehnt (BGE 132 I 220). Ausserdem werden Schulden und die darauf entfallenden Schuldzinsen quotenmässig, d.h. proportional nach Lage der Aktiven zwischen den betroffenen Kantonen aufgeteilt (vgl. E. 5.1; siehe auch BGE 132 I 220 E. 3.1 S. 224 sowie Urteil 2P.65/2006 vom 31. August 2006, E. 2.3, je mit Hinweisen).
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Diese Vorgehensweise ist nicht nur einfach zu handhaben, sondern sie hat neben den soeben erwähnten Vorzügen den weiteren Vorteil, dass sie die "Aktivierung" der Schuldzinsen beseitigt und damit indirekt auch die Gefahr einer gesetzwidrigen Bilanzierung: Nach Gesetz sind Aktiven bei ihrer Errichtung höchstens nach dem Wert anzusetzen, der ihnen im Zeitpunkt, auf welchen die Bilanz errichtet wird, für das Geschäft zukommt (Art. 960 Abs. 2 OR; für Aktiengesellschaften: Art. 665 [Bewertung des Anlagevermögens] und Art. 670 OR [Aufwertung, u.a. von Grundstücken]; vgl. StE 2002 B 72.13.1 Nr. 3, 2A.157/2001, E. 2c; ZUPPINGER, a.a.O., S. 79). Gemäss dem Grundsatz der Massgeblichkeit der Handelsbilanz gelten die zwingenden Vorschriften des Buchführungsrechts grundsätzlich auch im Steuerrecht (vgl. BGE 132 I 175 E. 2.2 S. 177 f. mit Hinweisen). Durch die "Aktivierung" von Schuldzinsen wird buchhalterisch ein Mehrwert der Liegenschaft gegenüber ihrem Buchwert ausgewiesen. Wenn aber der Wert der Liegenschaft die "aktivierten" Schuldzinsen infolge einer negativen Preisentwicklung im Immobilienmarkt nicht auszugleichen vermag, kann dies zu einer Verletzung der gesetzlichen Höchstbewertungsvorschriften führen. Auch dies spricht dafür, von der bisherigen Praxis abzurücken und den Schuldzinsenabzug bei Liegenschaftenhändlern inskünftig ebenfalls nach dem quotenmässigen System, d.h. proportional nach Lage der geschäftlichen und privaten Aktiven vorzunehmen.
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Erwägung 7 | |
7.1 Demnach sind die Taxationen sowohl des Kantons Thurgau (Einspracheentscheid des Gemeindesteueramts C. vom 6. März 2006) als auch des Kantons St. Gallen (Veranlagungsverfügung des Gemeindesteueramts D. vom 9. Februar 2006) aufzuheben und die Sache ist jeweils zur Neuveranlagung im Sinne der Erwägungen an die Gemeindesteuerämter zurückzuweisen. Die Beschwerdeführer werden insofern doppelt besteuert, als sie im Kanton St. Gallen auf dem Betrag von Fr. 218'600.- und im Kanton Thurgau auf dem Betrag von Fr. 16'700.- taxiert werden, wobei beide Kantone das steuerbare Einkommen auf Fr. 218'600.- bzw. Fr. 206'300.- festgesetzt haben, ohne die Schuldzinsen zusammen im Ergebnis vollständig zum Abzug zuzulassen.
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