BGE 134 I 179 | |||
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20. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. U. gegen Ausgleichskasse Zug (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_704/2007 vom 17. März 2008 | |
Regeste |
Art. 127 Abs. 1 BV; Art. 52 AHVG; Art. 25 FLG; § 28 KZG/ZG; gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Schadenersatz. | |
Sachverhalt | |
A. Mit Verfügung vom 13. Juli 2006 verpflichtete die Ausgleichskasse des Kantons Zug U., einziges Mitglied des Verwaltungsrates der in Konkurs gefallenen Firma X. AG, zur Bezahlung von Schadenersatz für ab April 2001 entgangene bundes- und kantonalrechtliche Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von Fr. 74'933.50. Die dagegen erhobene Einsprache wies die Ausgleichskasse mit Einspracheentscheid vom 15. September 2006 ab.
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C. U. lässt Beschwerde führen mit dem sinngemässen Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Schadenersatzforderung abzuweisen; eventuell sei die Sache an das kantonale Gericht zur weiteren Sachverhaltsabklärung zurückzuweisen.
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Während die Vorinstanz und die Ausgleichskasse Abweisung beantragen, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Stellungnahme.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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6.1 Nach konstanter Rechtsprechung bedarf die Verpflichtung zu einer öffentlichrechtlichen Geldleistung einer formell-gesetzlichen Grundlage, welche die Leistungspflicht mindestens in den Grundzügen festlegt (Art. 127 Abs. 1 BV, analog auch auf andere Geldleistungen anwendbar; BGE 133 V 402 E. 3.2 S. 404 f.; BGE 132 I 117 E. 4.2 S. 121; BGE 132 II 371 E. 2.1 S. 374). Delegiert der Gesetzgeber die Kompetenz zur Festlegung einer Abgabe an eine nachgeordnete Behörde, so muss er zumindest den Kreis der Abgabepflichtigen, den Gegenstand und die Bemessungsgrundlagen der Abgabe selber festlegen (BGE 132 II 371 E. 2.1 S. 374; BGE 130 I 113 E. 2.2 S. 116; BGE 128 I 317 E. 2.2.1 S. 321). Das Bundesgericht prüft frei, ob die Delegationsnorm diesen Anforderungen entspricht (BGE 129 I 346 E. 5.1 S. 354). Die Rechtsprechung hat diese Vorgaben für die Abgabenbemessung bei gewissen Arten von Kausalabgaben gelockert, wo das Mass der Abgabe durch überprüfbare verfassungsrechtliche Prinzipien (Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip) begrenzt wird und nicht allein der Gesetzesvorbehalt diese Schutzfunktion erfüllt (BGE 130 I 113 E. 2.2 S. 116 mit Hinweisen). Diese mögliche Lockerung betrifft nur die Vorgaben zur Bemessung der Abgaben, nicht die Umschreibung der Abgabepflicht (Subjekt und Objekt) als solche (BGE 132 I 117 E. 4.2 S. 121). Bei der hier zur Diskussion stehenden Schadenersatzpflicht handelt es sich nicht um eine Kausalabgabe, so dass die genannte Lockerung nicht zur Anwendung kommen kann.
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6.3 Das KZG/ZG ist ein formelles Gesetz. Fraglich ist jedoch, ob es eine analoge Haftungsbestimmung wie Art. 52 AHVG enthält. Die zugerische Praxis stützt sich dazu auf § 28 KZG/ZG. Diese Bestimmung mit dem Titel "Ergänzendes Recht" steht im 6. Abschnitt des KZG/ZG mit dem Abschnittstitel "Straf- und Schlussbestimmungen". Ihr Abs. 1 lautet: "Soweit dieses Gesetz den Vollzug nicht abschliessend regelt, finden die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Familienzulagen in der Landwirtschaft als ergänzendes Recht Anwendung." Das Gesetz enthält somit nicht selber eine Haftungsbestimmung, sondern bloss eine dynamische Verweisung auf eine andere Gesetzgebung. Solche Verweisungen sind im Lichte des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots wie auch der demokratischen Zuständigkeitsordnung problematisch, soweit das verwiesene Recht Bestimmungen enthält, die aufgrund ihrer Bedeutung für die Rechtsstellung des Bürgers rechtssatzmässig festgelegt bzw. demokratisch legitimiert sein sollten. Sie können allerdings unter Umständen als gesetzliche Grundlage ausreichen (eingehend BGE 123 I 112 E. 7c S. 127 ff.). Voraussetzung dafür ist, dass die Verweisung als solche hinreichend klar und eindeutig ist (BGE 124 I 6 E. 4a S. 8; UELI KIESER, Streifzug durch das Familienzulagenrecht, in: SZS 1995 S. 276 ff., 281 f.). Das Bundesgericht hat es (im Rahmen von staatsrechtlichen Beschwerden) als nicht willkürliche Gesetzesanwendung beurteilt, § 33 Abs. 2 des zürcherischen Kinderzulagengesetzes vom 8. Juni 1958 sowie § 29 des (alten) nidwaldnerischen Gesetzes vom 30. April 1972 über die Kinderzulagen, wonach generell die Vorschriften über die eidgenössische Alters- und Hinterlassenenversicherung sinngemäss Anwendung finden, als hinreichende gesetzliche Grundlage für eine Arbeitgeberhaftpflicht zu betrachten. Es wies dabei auch darauf hin, dass die eidgenössische Regelung vor der kantonalen Norm ergangen war und seither nicht geändert wurde, dass eine enge inhaltliche und verfahrensmässige Verbindung zwischen der eidgenössischen AHV-Gesetzgebung und der kantonalen Kinderzulagengesetzgebung bestehe und dass der Schadenersatz nach kantonalem Recht neben dem bundesrechtlichen quantitativ von untergeordneter Bedeutung sei (Urteile 2P.251/1996 vom 30. Juni 1997, E. 2b; 2P.284/1998 / 2P.313/1998 vom 21. Februar 2001, E. 4b/bb; vgl. auch Urteil P.22/1985 vom 25. Mai 1988, E. 2).
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6.4 Die hier zur Diskussion stehende zugerische Regelung unterscheidet sich wesentlich von der zürcherischen und nidwaldnerischen: Zum einen verweist sie nicht direkt auf das AHVG, sondern auf das FLG, welches seinerseits auf das AHVG weiterverweist. Eine solche indirekte Verweisung ist im Lichte des Legalitätsprinzips noch problematischer als eine direkte. Zum andern verweist sie nicht generell auf die Vorschriften des AHVG, sondern nur für die Regelung des Vollzugs. Eine Haftungsbestimmung kann klarerweise nicht als blosse Vollzugsbestimmung betrachtet werden. Das FLG, auf welches das kantonale Gesetz verweist, enthält denn auch in Art. 25 Abs. 1 für den Vollzug eine Verweisung auf die Bestimmungen des AHVG, in Abs. 3 hingegen ausdrücklich für die Haftung auf (u.a.) Art. 52 AHVG. Zwar verwies die bis 31. Dezember 2002 in Kraft gestandene ursprüngliche Fassung (AS 1952 S. 823) nur auf den Vollzug. Es mag sein, dass sich der kantonale Gesetzgeber von dieser ursprünglichen Fassung von Art. 25 FLG inspirieren liess. Aber erstens hat das Bundesgericht - soweit ersichtlich - nie entschieden, ob die alte Fassung von Art. 25 FLG eine hinreichende gesetzliche Grundlage für eine Haftung darstellt (bejahend: JEAN-MAURICE FRÉSARD, La responsabilité de l'employeur pour le non-paiement de cotisations d'assurances sociales selon l'art. 52 LAVS, in: SVZ 55/1987 S. 8; eher verneinend: KIESER, Streifzug, a.a.O., S. 280 Anm. 22). Und zweitens ist - insbesondere bei Gesetzen, welche den Privaten eine Pflicht auferlegen - in erster Linie der Gesetzeswortlaut massgebend, wie ein unbefangener Leser ihn verstehen muss. Dass unter "Vollzug" auch eine materiellrechtliche Haftungsvorschrift verstanden werden kann, ist nach alltagssprachlichem wie juristischem Sprachverständnis ausgeschlossen. Schliesslich reicht auch die inhaltliche Konnexität zwischen der eidgenössischen AHV und der kantonalen Kinderzulagenregelung nicht aus, um auf das Erfordernis einer hinreichend klaren gesetzlichen Grundlage zu verzichten. So stellt auch Art. 69 Abs. 1bis IVG, welcher für das kantonale Gerichtsverfahren eine Kostenpflicht vorschreibt, keine genügende gesetzliche Grundlage für eine Kostenvorschusspflicht dar (BGE 133 V 402), obwohl ein enger Konnex zur bundesrechtlich vorgeschriebenen Kostenpflicht sowie zu der für das eidgenössische Recht geltenden Vorschusspflicht (Art. 62 BGG) besteht. Auch hat die Konnexität zwischen AHV-Recht und kantonalem Familienausgleichsrecht nicht dazu geführt, dass im Verfahrensrecht das Bundesrecht analog für die kantonalrechtlichen Abgaben angewendet wurde (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 142/04 vom 12. August 2005, E. 1).
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6.5 Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass im Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 346/99 vom 20. März 2001 entgegen der Darlegung der Vorinstanz, deren Auffassung nicht bestätigt wurde, § 28 KZG/ZG i.V.m. Art. 25 Abs. 3 FLG bilde eine genügende gesetzliche Grundlage für die Schadenersatzpflicht für die FAK-Beiträge. Vielmehr richtete sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in jenem Verfahren ausdrücklich nur gegen den gestützt auf Bundesrecht beurteilten Schadenersatz (die FAK-Beiträge betreffend erhob der damalige Beschwerdeführer staatsrechtliche Beschwerde, auf welche das Bundesgericht mit Urteil 2P.284/1999 vom 20. Oktober 1999 nicht eintrat), weshalb zu der hier umstrittenen Frage nicht Stellung genommen werden konnte und musste. Folgerichtig wurden im genannten Urteil die entgangenen FAK-Beiträge von der Schadenersatzsumme abgezogen.
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