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27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Regierung des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_382/2007 vom 24. April 2008 | |
Regeste |
Art. 29, 30 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 28 ff. ZGB; formelle Rechtsverweigerung; Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung. | |
Sachverhalt | |
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Die St. Galler Kantonsregierung sandte der Bundesbehörde, von der sie die Meldung erhalten hatte, am 2. Mai 2005 einen Brief mit Kopie an Behördenmitglieder bzw. leitende Vertreter der Verhandlungspartner auf der Gegenseite. In diesem Schreiben äusserte die Kantonsregierung unter anderem, sie werte das Verhalten von Prof. Dr. X. bzw. des ihm unterstellten und von ihm offensichtlich beauftragten Assistenten als nicht akzeptierbar und distanziere sich in aller Form davon. Gleichzeitig teilte sie mit, dass sie Prof. Dr. X. im ![]() | 2 |
Prof. Dr. X. stellte mit Eingabe vom 20. Februar 2006 den Antrag, die Kantonsregierung habe förmlich festzustellen, dass die Schreiben vom 2. und 3. Mai 2005 in verschiedener Hinsicht rechtsverletzend gewesen seien. Insbesondere behauptete er dabei, das Schreiben der Regierung vom 2. Mai 2005 habe seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Mit Entscheid vom 23. Januar 2007 trat die Kantonsregierung im Wesentlichen auf die Rechtsbegehren von Prof. Dr. X. nicht ein. Stattdessen verwies sie ihn auf den Weg der öffentlich-rechtlichen Klage an das kantonale Verwaltungsgericht.
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Diesen Weg beschritt Prof. Dr. X. in der Folge. Wie im Verfahren vor der Kantonsregierung behielt er sich ausdrücklich Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche in der Angelegenheit vor. Mit Urteil vom 19. September 2007 hat das Verwaltungsgericht die öffentlich-rechtliche Klage abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
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Das Bundesgericht heisst die hiergegen erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gut und weist die Sache zu neuer Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
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2.1 Das Verwaltungsgericht qualifizierte das umstrittene Schreiben der Kantonsregierung vom 2. Mai 2005 an sich als Verwaltungsmassnahme im Sinne eines sog. Realakts. Es anerkannte dem Grundsatz nach seine Zuständigkeit zur Beurteilung einer Feststellungsklage des Inhalts, mit dem behördlichen Schreiben sei das Ansehen bzw. die Ehre des Beschwerdeführers verletzt worden. Dabei ![]() | 7 |
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2.3 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung, auf Beurteilung innert angemessener Frist sowie auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 1 und 2 BV). Eine Gehörsverletzung im Sinne einer formellen Rechtsverweigerung liegt nach der Praxis des Bundesgerichts vor, wenn eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht eintritt, obschon sie darüber entscheiden müsste. In welcher Form und in welchem Umfang die diesbezüglichen Verfahrensrechte zu gewährleisten sind, lässt sich nicht generell, sondern nur im Hinblick auf den konkreten Fall beurteilen (vgl. BGE 117 Ia ![]() | 9 |
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Erwägung 3 | |
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3.2 Entsprechend hielt das Bundesgericht in BGE 113 Ia 257 E. 4b S. 262 fest, dass die Regelung von Art. 28-28l ZGB eine Auswirkung ![]() | 12 |
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3.3.2 Ferner weist das Schreiben vom 2. Mai 2005 eine Bedeutung auf, die über die Rechtsbeziehung aus dem Auftragsverhältnis hinausgeht. Dies zeigt sich nicht nur darin, dass der Beschwerdeführer seine Ehre aufgrund dieses Schreibens auch in anderen Aspekten als ![]() | 15 |
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Erwägung 4 | |
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4.2 Bei dem vom Beschwerdeführer verteidigten guten Ruf geht es um ein "civil right", das geeignet ist, in den Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu fallen (vgl. BGE 130 I 388 E. 5.3 S. 398; BGE 134 I 140 E. 5.2 S. 147). Das Verwaltungsgericht stellt deshalb zu Recht nicht in Abrede, dass der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Parteiverhandlung im kantonalen Gerichtsverfahren besass. Es macht jedoch geltend, die Rechtsuchenden hätten nach dem anwendbaren kantonalen Verfahrensrecht und seiner Praxis davon auszugehen, dass es in der Regel keine öffentlichen Verhandlungen durchführe, sondern solche nur auf entsprechenden Antrag hin anordne. Dies gelte sowohl für das Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren (vgl. Art. 64 VRP/SG) als auch für das öffentlich-rechtliche Klageverfahren (vgl. Art. 80 VRP/SG); die letztgenannte Bestimmung verweist auf die Vorschriften über die Beschwerde.
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4.3 Es trifft zu, dass den soeben genannten Bestimmungen der Grundsatz der Schriftlichkeit des Verfahrens zugrunde liegt (vgl. CAVELTI/VÖGELI, a.a.O., Rz. 999). Das Verwaltungsgericht kann in Anwendung von Art. 55 VRP/SG eine mündliche Verhandlung anordnen. Diese ist gemäss Art. 60 des kantonalen Gerichtsgesetzes vom 2. April 1987 (GerG/SG; sGS 941.1) öffentlich, sofern die Öffentlichkeit nicht aus besonderen Gründen ausgeschlossen wird. Eine öffentliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist damit möglich. Werden aber Verfahren vor dem Verwaltungsgericht üblicherweise schriftlich durchgeführt, so hat die bisherige bundesgerichtliche ![]() | 20 |
4.4 Der Beschwerdeführer behauptet demgegenüber, bei fehlendem Antrag auf Parteiverhandlung dürfe ein Verzicht auf diesen Verfahrensanspruch nur dann bejaht werden, wenn gesetzlich geregelt sei, dass die Parteiverhandlung bloss auf Antrag hin erfolge. Dieser Einwand hilft ihm indessen nicht. Ob ein rechtsgültiger stillschweigender Verzicht auf einen Verfahrensanspruch vorliegt, ist nicht allein anhand der anwendbaren kantonalen Rechtsnormen, sondern gestützt auf die nach Treu und Glauben zu beurteilenden konkreten Sachumstände zu entscheiden. Der Beschwerdeführer hat sich vor Verwaltungsgericht von einem mit der kantonalen Rechtslage und Praxis vertrauten Anwalt vertreten lassen. In einem solchen Fall ist das kantonale Gericht nicht verpflichtet, den anwaltlich vertretenen Rechtsuchenden darauf hinzuweisen, dass er ausdrücklich um eine Parteiverhandlung ersuchen müsse, wenn er eine solche wünsche (vgl. BGE 121 I 30 E. 6a S. 41). Die vom Beschwerdeführer zitierte Aussage von CAVELTI/VÖGELI (a.a.O., Rz. 1010), wonach korrekterweise vom Gericht ausdrücklich auf die Möglichkeit der Parteiverhandlung hinzuweisen sei, erfolgte vor dem Hintergrund von Laienbeschwerden und kann daher im vorliegenden Zusammenhang nicht zu einer anderen Beurteilung führen.
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4.5 Angesichts des Verfahrensausgangs wird das Verwaltungsgericht die öffentlich-rechtliche Klage mit einem erweiterten Prozessstoff neu zu beurteilen haben. Da in diesem Verfahren in wesentlichen Aspekten etwas Neues zur Diskussion steht, liesse es sich nicht rechtfertigen, einen erst im neuen kantonalen Gerichtsverfahren gestellten Antrag auf mündliche Parteiverhandlung als verspätet zu bezeichnen. Das Fehlen eines Gesuchs um Anordnung einer Parteiverhandlung im ersten vorinstanzlichen Prozess könnte dem Beschwerdeführer somit nicht als Verzicht auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung auch im zweiten kantonalen Gerichtsverfahren entgegengehalten werden (vgl. Urteil des EVG I 573/03 vom 8. April 2004, E. 3.7.2, publ. in: EuGRZ 2004 S. 724).
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