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2. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_707/2008 vom 22. Dezember 2008 | |
Regeste |
Art. 29a BV, Art. 80 Abs. 1 und 2 sowie Art. 130 Abs. 1 und 4 BGG, § 5 VO BGG/ZH; Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich als letzte kantonale Rechtsmittelinstanz in Straf- und Massnahmevollzugsstreitigkeiten. | |
Sachverhalt | |
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B. Am 25. Oktober 2005 wurde die probeweise Entlassung widerrufen und X. (gestützt auf aArt. 45 Ziff. 3 Abs. 3 StGB) in den stationären Massnahmenvollzug zurückversetzt. Am 25. August 2005 bzw. 24. März 2006 wurde sie erneut strafrechtlich schuldig gesprochen (wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte, Widerhandlung gegen das Waffengesetz und weiterer Straftaten). Am 17. November 2005 wurde X. aus der Klinik Schlosstal/Winterthur ein weiteres Mal in die Klinik Rheinau eingewiesen. Am 19. September 2006 wurde sie aus einer sozialtherapeutischen Wohngruppe in A. (nach wie vor im Rahmen des stationären Massnahmenvollzuges) ins Psychiatriezentrum Hard/Embrach versetzt, nachdem sie zum wiederholten Mal gegen Vollzugsvorschriften verstossen hatte (eigenmächtiges Absetzen der Medikamente, Entweichen aus dem Massnahmenvollzug, Fremd- und Autoaggressionen etc.). Am 1. Januar 2007 erfolgte erneut eine notfallmässige Einweisung ins ![]() | 2 |
C. Gemäss Vollzugsakten wurde die Verurteilte letztmals am 20. Juni 2007 ins Psychiatriezentrum Hard zurückverlegt. Am 21. November 2007 verfügte das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich ihre erneute Versetzung von der Rehabilitationsabteilung des Psychiatriezentrums Hard in die geschlossene Massnahmestation (Abteilung B.) des Psychiatriezentrums Rheinau. Die Verlegung dränge sich angesichts des nach wie vor äusserst schwierigen Massnahmenvollzuges (Tablettenschmuggel, Drogenmissbrauch, Aufbrechen von Behältnissen, Zertrümmern von Einrichtungsgegenständen, unerlaubte Entfernungen, akute Suizidalität, massive Auto- und Fremdaggressionen, Persönlichkeitsstörung vom sog. Borderline-Typus, Dissozialität, fehlende Therapiebereitschaft, akute Gefahr weiterer Straftaten etc.) als Notfallmassnahme auf. Am 22. November 2007 wurde die Verurteilte durch die Kantonspolizei Zürich in die geschlossene Abteilung B. der Klinik Rheinau eingeliefert.
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D. Gegen die Einweisungsverfügung vom 21. November 2007 rekurrierte X. am 3. Dezember 2007 bei der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich (nachfolgend: JD). Sie beantragte die Aufhebung der erfolgten Einweisung in die geschlossene Abteilung B. der Klinik Rheinau, die sofortige Rückversetzung ins Psychiatriezentrum Hard sowie die Wiederherstellung der aufschiebenden Rechtsmittelwirkung. Letzteres lehnte die JD mit prozessleitender Verfügung vom 12. Dezember 2007 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen blieb ohne Erfolg (Urteil des Bundesgerichts 1B_305/2007 vom 22. Januar 2008). Am 20. März wurde die Versetzung von X. in die geschlossene Massnahmestation (Abteilung C.) des Psychiatriezentrums Rheinau verfügt. Am 1. April 2008 wies die JD den bei ihr erhobenen Rekurs in der Sache ab, soweit er - aufgrund der zwischenzeitlich verfügten Versetzung in eine andere (geschlossene) Abteilung des Psychiatriezentrums Rheinau - nicht gegenstandslos geworden sei. X. gelangte dagegen mit Eingabe vom 7. Mai 2008 an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, welches auf die bei ihm eingereichte Beschwerde am 4. Juli 2008 mangels (derzeitiger) Zuständigkeit nicht eintrat und das Rechtsmittel an das Bundesgericht zur Behandlung weiterleitete. Dieses hat am 17. Juli 2008 das Verfahren betreffend Versetzung in die geschlossene Massnahmestation eröffnet. X. hat hierzu am 9. September 2008 unaufgefordert eine Beschwerdeergänzung eingereicht. ![]() | 4 |
E. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, die JD und das Amt für Justizvollzug haben mit Eingaben vom 11., 20. und 26. November 2008 auf eine Stellungnahme zur Beschwerde gegen die verwaltungsgerichtliche Nichteintretensverfügung vom 4. Juli 2008 verzichtet.
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Aus den Erwägungen: | |
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2.1 Eine formelle Rechtsverweigerung liegt nach der Praxis des Bundesgerichts vor, wenn eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht eintritt, obschon sie darüber befinden müsste (vgl. BGE 117 Ia 116 E. 3a). Überspitzter Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung ist gegeben, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und damit dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (BGE 132 I 249 E. 5; BGE 130 V 177 E. 5.4.1). Ob eine solche Rechtsverweigerung vorliegt, prüft das Bundesgericht frei (BGE 128 II 139 E. 2a; BGE 127 I 31 E. 2a/bb; BGE 125 I 166 E. 3a). Die Auslegung und Anwendung des einschlägigen kantonalen Rechts untersucht es hingegen nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 131 I 217 E. 2.1, BGE 131 I 467 E. 3.1).
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In der Sache geht es vorliegend um eine Anordnung betreffend den Massnahmenvollzug, welche nach den Vorschriften des Bundesgerichtsgesetzes der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht unterliegt (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG). Wie erwähnt, ist gemäss § 5 VO BGG/ZH unter der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht die ordentliche Beschwerde an das Bundesgericht zu verstehen. Vorbehalte in Bezug auf die früher nicht der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterworfenen ![]() | 11 |
Dass und inwieweit § 5 VO BGG/ZH als kantonale Zuständigkeits- und Rechtsmittelregelung gegen höherrangiges Recht verstossen könnte, ist dabei nicht ersichtlich, stützt sich besagte Bestimmung doch gerade auf die dem Regierungsrat in Art. 130 Abs. 4 BGG in Verbindung mit Art. 67 der Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005 (KV/ZH; SR 131.211) eingeräumte Befugnis, Ausführungsbestimmungen in die Form nicht referendumspflichtiger Erlasse zu kleiden, soweit dies zur Einhaltung der Übergangsfrist nötig ist. Dass diese bundesrechtliche Ermächtigung erst auf den Fristablauf hin eine entsprechende Kompetenz des Regierungsrats begründen würde, trifft entgegen der im angefochtenen Entscheid vertretenen Auffassung nicht zu. Art. 130 Abs. 4 BGG schliesst nämlich nicht aus, dass die nach dem Bundesrecht erforderlichen Anpassungen bereits vor Ablauf der Übergangsfrist vorgenommen werden. Ein solches Vorgehen kann sich aufdrängen, wenn bereits frühzeitig absehbar ist, dass die Übergangsfrist für die notwendigen Anpassungen im ordentlichen kantonalen Gesetzgebungsverfahren nicht ausreichen wird, oder wenn aufgrund des Rechtswechsels vom bisherigen Bundesrechtspflegegesetz (OG) zum geltenden BGG ein unverzüglicher Handlungsbedarf besteht. Das ist vorliegend der Fall. Der Regierungsrat musste sofort handeln, weil die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gemäss § 43 Abs. 2 VRG mit der Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (vgl. Art. 98a OG) umschrieben wurde, ein Rechtsmittel, das es seit Inkrafttreten des BGG nicht mehr gibt und dessen Geltungsbereich ein anderer ist als derjenige der neuen Einheitsbeschwerde, namentlich was das bisherige Erfordernis der Verfügungsgrundlage im öffentlichen Recht des Bundes im Sinne von Art. 5 VwVG (SR 172.021) anbelangt.
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Dass der Regierungsrat die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts insofern erweiterte, ist deshalb nicht zu beanstanden, weil nur auf diese Weise eine klare, mit übergeordnetem Recht im Einklang ![]() | 13 |
2.5 Zusammenfassend ergibt sich, dass das kantonale Verwaltungsgericht zur Verneinung seiner Zuständigkeit vom klaren Wortlaut der regierungsrätlichen Verordnung und vom Sinn der Übergangsregelung gemäss Art. 130 Abs. 1 und 4 BGG abweicht, ohne hierfür triftige Gründe zu nennen. Der angefochtene Nichteintretensentscheid hält damit weder vor Verfassungs- noch vor Gesetzesrecht des Bundes stand. Daran ändert im Übrigen auch nichts, dass die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts bisher auf Beschwerden gegen Rekursentscheide der JD in Massnahmen- und Strafvollzugsstreitigkeiten eingetreten ist und diese behandelt hat. Das war zutreffend, weil sich das Verwaltungsgericht selber nicht als zuständig erachtete. Ob es dies allerdings zu Recht tat, war in diesen Fällen nicht zu prüfen. Vorliegend verhält es sich aber anders, weil ein entsprechender Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts vor Bundesgericht angefochten ist.
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