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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Philippe Dietschi | |||
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14. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A.X. und Y. gegen Z. und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) |
6B_413/2008 vom 6. Februar 2009 | |
Regeste |
Art. 10 Abs. 1 BV; Art. 2 Ziff. 1 EMRK; Art. 347 Abs. 2 lit. b StGB; Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. e, Art. 86 Abs. 2 und 3, Art. 114 BGG; Art. 38 des Zürcher Kantonsratsgesetzes; Recht auf Leben; Ermächtigung zur Strafverfolgung eines Oberrichters. |
Das Recht auf Leben richtet sich einerseits als Abwehrrecht gegen den Staat, verpflichtet diesen anderseits, im Rahmen seiner Möglichkeiten den Schutz seiner Bürger zu gewährleisten, Tötungsdelikte aufzuklären und deren Urheber zu verfolgen (E. 2.1). |
Bei Tötungsdelikten stehen die Strafverfolgungsprivilegien in einem Spannungsverhältnis zum Recht auf Leben. Daraus ergibt sich, dass die Interessen an der Strafverfolgung und diejenigen an deren Verhinderung gegeneinander abzuwägen und im Ermächtigungsverfahren unabhängig vom anwendbaren Verfahrensrecht sowohl dem (privilegierten) Beschuldigten als auch den Angehörigen des Opfers Parteirechte einzuräumen sind (E. 2.2 und 2.3). | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
1. Nach Art. 347 Abs. 2 lit. b StGB sind die Kantone berechtigt, die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen Vergehen oder Verbrechen im Amt vom Vorentscheid einer nicht richterlichen Behörde abhängig zu machen. Der Kanton Zürich hat von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und lässt die Strafverfolgung der Mitglieder des Regierungsrates und der oberen Gerichte für amtliche Verrichtungen nur mit Ermächtigung des Kantonsrates zu (§ 38 Abs. 1 des Kantonsratsgesetzes vom 5. April 1981 [KRG; LS 171.1]). Das Ermächtigungsverfahren ist in § 38 Abs. 2-5 KRG allerdings höchst rudimentär geregelt. Zur Frage, nach welchen materiellen Kriterien die Ermächtigung zu erteilen oder zu verweigern ist, äussert sich das Gesetz nicht. Es ist indessen anerkannt, dass dabei nicht nur strafrechtliche Gesichtspunkte allein, sondern auch politische bzw. staatspolitische Überlegungen berücksichtigt werden dürfen (BGE 106 IV 43; Urteil 1P.337/2002 vom 6. März 2003 E. 6.2, in: Pra 2003 Nr. 171). Dementsprechend ![]() | 3 |
Da im Ermächtigungsverfahren aus (zureichenden) staatspolitischen Gründen die Ermächtigung zur Einleitung einer nach rein strafrechtlichen Kriterien angebrachten Strafuntersuchung verweigert werden kann, hat der angefochtene Entscheid überwiegend politischen Charakter. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist der kantonale Gesetzgeber befugt, derartige Entscheide von der Rechtsweggarantie auszunehmen (Art. 29a BV; BBl 1997 I 524; ANDREAS KLEY, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 24 zu Art. 29a BV; GIOVANNI BIAGGINI, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Kommentar, 2007, N. 10 zu Art. 29a BV). Aus Art. 2 EMRK (dazu unten E. 2) ergibt sich in Fällen, in denen dem staatlichen Funktionär wie hier nicht eine absichtliche Tötung vorgeworfen wird, nichts anderes. Der Staat kann seiner Aufklärungspflicht diesfalls auch ohne Einschaltung der Strafjustiz gerecht werden, etwa indem er den Hinterbliebenen entsprechende Zivil-, Verwaltungs- oder Disziplinarverfahren zur Verfügung stellt (Urteile des EGMR Mastromatteo gegen Italien vom 24. Oktober 2004, Recueil CourEDH 2002-VIII S. 123 § 90; Vo gegen Frankreich vom 8. Juli 2004, Recueil CourEDH 2004-VIII S. 1 § 90). Die Behandlung des Ermächtigungsverfahrens durch den Kantonsrat als nicht-gerichtliche Instanz ist damit auch unter diesem Gesichtspunkt konventionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Die Vorwürfe an Oberrichter Z. betreffen seine Amtsführung. Es geht nicht darum, ihn als Privatperson der strafrechtlichen Verfolgung zu entziehen. Das Ermächtigungsverfahren dient vielmehr dazu, ihn seine Amtstätigkeit vor ungerechtfertigten Angriffen unbehelligt ausführen zu lassen und so das reibungslose Funktionieren der Justiz als dritte Staatsgewalt zu gewährleisten. Der Umstand, dass der angefochtene Entscheid von einer politischen Behörde getroffen wurde, steht der Zulässigkeit der Beschwerde ans ![]() | 5 |
Erwägung 2 | |
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Die Verpflichtung zur Aufklärung und Verfolgung von Tötungsdelikten ergibt sich ebenfalls aus Art. 2 Ziff. 1 EMRK. Sie gilt indessen nicht absolut. Bestehen sachliche Gründe, von der Verfolgung oder Bestrafung des Urhebers einer Tötung abzusehen, ist es dem Staat nicht verwehrt, die Interessen an der Verfolgung und Bestrafung des Täters und die entgegenstehenden z.B. staats- oder kriminalpolitischen Interessen gegeneinander abzuwägen und gegebenenfalls Letzteren zum Durchbruch zu verhelfen. Es ist etwa zulässig, aus besonderen Gründen ein Amnestiegesetz zu erlassen, das zur Folge hat, dass selbst ein Mord ungesühnt bleibt (BGE 134 IV 297 E. 4.3.5 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung der Strassburger Organe).
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2.2 Strafverfolgungsprivilegien wie Immunitäten von Parlamentariern und Magistratspersonen können somit in einem Spannungsverhältnis zu Art. 10 Abs. 1 BV und Art. 2 Ziff. 1 EMRK stehen, welche bei Tötungsdelikten die Verfolgung und Bestrafung der Täter grundsätzlich vorschreiben. Ausserhalb des Anwendungsbereichs dieser Bestimmungen können derartige Privilegien mit Art. 29a BV und Art. 6 EMRK in Konflikt treten, wobei zu beachten ist, dass die Rechtsweggarantie im Bereich des Strafrechts die Rechte des Beschuldigten, nicht diejenigen des Opfers oder seiner Angehörigen schützt. Damit können die Beschwerdeführer daraus nichts zu ihren Gunsten ableiten. Hingegen ergibt sich aus dem ![]() | 8 |
2.3 Der Zürcher Kantonsrat hat im angefochtenen Entscheid die Natur des Ermächtigungsverfahrens als Abwägung zwischen den Interessen der Beschwerdeführer an der Verfolgung des von ihnen der fahrlässigen Tötung bezichtigten Oberrichters und denjenigen des Letzteren und des Kantons Zürich am reibungslosen Gang der Justiz verkannt. Er hat dementsprechend - durchaus im Einklang mit seiner Praxis und dem anwendbaren Verfahrensrecht - einzig Oberrichter Z. das rechtliche Gehör gewährt und auf eine Begründung seines Entscheids verzichtet. Das ist unhaltbar. Im Licht des verfassungs- und konventionsrechtlich garantierten Rechts auf Leben wäre der Kantonsrat verpflichtet gewesen, beiden Seiten die gleichen Parteirechte einzuräumen und seinen Entscheid zu begründen. Dies ist auch dem Kantonsrat als politischer Behörde ohne weiteres möglich und zumutbar, indem er den begründeten Antrag seiner Justizkommission oder einen begründeten Gegenantrag eines seiner Mitglieder annehmen und diesen damit samt Begründung zum Beschluss erheben würde (vgl. BGE 132 I 196 E. 3; BGE 131 I 18 E. 3.1 betreffend die Begründung von negativen Einbürgerungsentscheiden).
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