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7. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Kantonale Steuerkommission Schaffhausen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_49/2008 vom 25. September 2009 | |
Regeste |
Art. 8 Abs. 1, Art. 127 Abs. 2 und Art. 190 BV, Art. 7 Abs. 1 StHG; Dividendenbesteuerung; konkrete Normenkontrolle; verfassungsrechtliches Anwendungsgebot von Bundesgesetzen. |
Tragweite des verfassungsrechtlichen Anwendungsgebotes von Bundesgesetzen im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle betreffend eine kantonale Regelung, die auf einer fünf Jahre später in Kraft getretenen harmonisierungsrechtlichen Gesetzesbestimmung des Bundes beruht. Auch wenn das Bundesgesetz das kantonale Recht inzwischen abdeckt, ist dessen Verfassungsmässigkeit rückblickend zu überprüfen (E. 3 und 4). |
Die selektive Bevorzugung der Dividendeneinkünfte qualifizierter Anteilseigner von Unternehmungen bei der Einkommenssteuer führt zu unhaltbaren Unterscheidungen bei der Besteuerung und ist verfassungswidrig. Eine Gleichstellung der benachteiligten Anteilseigner gestützt auf den Grundsatz der Gleichbehandlung im Unrecht ist aber ausgeschlossen, solange und soweit das nachmalige Bundesgesetz die kantonale Regelung nunmehr abdeckt, was die kantonalen Behörden künftig davor bewahrt, die verfassungswidrige Praxis anpassen zu müssen (E. 5). |
Rechtsfolgen (E. 6). | |
Sachverhalt | |
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B. In ihren Veranlagungen vom 13. Juni 2007 korrigierte die Kantonale Steuerverwaltung Schaffhausen den Wertschriftenertrag für die Steuerperiode 2004 auf Fr. -.-. Im Übrigen übernahm sie die deklarierten Einkünfte und Vermögenswerte und wendete dafür denselben Steuersatz an wie für das gesamte steuerbare Einkommen und Vermögen. Mit Schlussrechnungen vom 16. Juli 2007 wurden diese Veranlagungen eröffnet.
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C. Dagegen erhob X. am 13. August 2007 Einsprache (...). Am 28. August 2007 wies die Kantonale Steuerkommission Schaffhausen die Einsprache ab.
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D. Mit Entscheid vom 14. Dezember 2007 wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen einen dagegen erhobenen Rekurs ab.
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E. X. und Y. führen beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, eventuell subsidiäre Verfassungsbeschwerde. Sie beantragen in ihrer entsprechenden Eingabe vom 16. Januar 2008, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und es sei die Einsprache vom 11. August 2007 gutzuheissen; die ![]() | 5 |
F. Die Steuerkommission des Kantons Schaffhausen und die Eidgenössische Steuerverwaltung schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat unter Verweis auf seinen Entscheid auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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G. Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts entschied über die Beschwerde an einer öffentlichen Sitzung am 25. September 2009.
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(Auszug)
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Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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1.2 Zur Beschwerde an das Bundesgericht ist gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Der hier angefochtene Entscheid regelt die Veranlagung der Beschwerdeführer bei den direkten kantonalen ![]() | 10 |
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1.3.2 Die Beschwerdeführer legen nicht dar, inwiefern im vorliegenden Zusammenhang Art. 11 Abs. 1 KV/SH eine massgebliche Garantiewirkung entfalten sollte, insbesondere inwieweit die Bestimmung ihnen einen Schutz böte, der über die Garantien der Bundesverfassung hinaus reicht. Überdies fehlt es an einer tauglichen Beschwerdebegründung, soweit sich die Beschwerde gegen die Veranlagung bei der Vermögenssteuer richtet. Die Ausführungen der Beschwerdeführer beziehen sich einzig auf die Einkommenssteuer. Inwiefern sie auch für die Vermögenssteuer gelten sollten bzw. wieweit sie für diese übernommen werden könnten, wird nicht dargetan. Eingehendere Erläuterungen wären umso mehr erforderlich gewesen, als sich die Verhältnisse bei der Vermögenssteuer nicht von vorneherein gleich darstellen wie bei der Dividendenbesteuerung. Schliesslich fehlt auch eine taugliche Begründung zur Frage der unterschiedlichen Behandlung von Gesellschaften mit oder ohne Sitz in der ![]() | 13 |
Erwägung 2 | |
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2.3 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten können auch kantonale Erlasse angefochten werden (Art. 82 BGG). Zur abstrakten Anfechtung von § 38 Abs. 3a StG/SH ist indessen die Frist zu Beschwerde längst abgelaufen. In Frage kommt nur noch die Beschwerde gegen den konkreten Einzelakt oder Entscheid. Mit dieser kann auch die Überprüfung des kantonalen Rechts auf dessen Verfassungsmässigkeit hin verlangt werden. Diese so genannte konkrete Normenkontrolle beschränkt sich auf die im Einzelfall zur ![]() | 16 |
Erwägung 3 | |
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"Bei Dividenden, Gewinnanteilen, Liquidationsüberschüssen und geldwerten Vorteilen aus Beteiligungen aller Art, die mindestens 10 Prozent des Grund- oder Stammkapitals ausmachen (qualifizierte Beteiligungen), können die Kantone die wirtschaftliche Doppelbelastung von Körperschaften und Anteilsinhabern mildern."
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Parallel dazu ergingen die Art. 18b und Art. 20 Abs. 1 lit. c und Abs. 1bis des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11), die eine Milderung der Steuerbelastung bei der direkten Bundessteuer durch eine bloss teilweise Besteuerung des Dividendenertrages vorsehen. Nachdem gegen die Unternehmenssteuerreform II ein Referendum zustande gekommen war, wurde die Gesetzesnovelle in der eidgenössischen Volksabstimmung vom 24. Februar 2008 angenommen (BBl 2008 2781). Sie trat am 1. Januar 2009 in Kraft (AS 2008 2893, 2902).
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3.2 Nach Art. 190 BV sind Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend. Damit kann Bundesgesetzen weder im Rahmen der abstrakten noch der konkreten Normenkontrolle die Anwendung versagt werden. Zwar handelt es sich dabei um ein Anwendungsgebot und kein Prüfungsverbot (BGE 131 II 710 E. 5.4 S. 721; BGE 129 II 249 E. 5.4 S. 263 mit Hinweisen; YVO HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, Bd. II, N. 8 zu Art. 190 BV), und es kann sich rechtfertigen, vorfrageweise die Verfassungswidrigkeit ![]() | 20 |
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3.4 Bei einer abstrakten Normenkontrolle, namentlich bei der Überprüfung eines kantonalen Gesetzes, kann das Bundesgericht auch einer nachträglichen Änderung der Rechtslage Rechnung tragen und insbesondere neu in Kraft getretenes, übergeordnetes Recht mitberücksichtigen (BGE 120 Ia 286 E. 2c/bb S. 291; BGE 119 Ia 460 E. 4d S. 473 mit Hinweisen). Das kann aber nicht unbeschränkt gelten, sondern setzt einen engen Zusammenhang vor allem in sachlicher und zeitlicher Hinsicht voraus.
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3.5 Der neue Art. 7 Abs. 1 StHG erlaubt den Kantonen für Kapitalbeteiligungen von mindestens 10 % die Einführung einer Milderung der wirtschaftlichen Doppelbelastung. Entscheiden sich die Kantone für eine solche Milderung, müssen sie zwingend eine Mindestbeteiligung von 10 % verlangen, im Übrigen verfügen sie über einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der kantonalen Regelung. Das gilt insbesondere für die Methode der Entlastung (Teilsatz-, Teilbesteuerungs- oder anderes Verfahren) und deren Umfang. Es ist den Kantonen namentlich überlassen, ob sie die wirtschaftliche Doppelbelastung von Körperschaft und Anteilsinhaber durch eine Reduktion des Steuersatzes oder wie in den neuen, parallel ergangenen Art. 18b und Art. 20 Abs. 1 lit. c und Abs. 1bis DBG durch eine bloss ![]() | 23 |
Erwägung 4 | |
4.1 Art. 38 Abs. 3a StG/SH entspricht dem revidierten Art. 7 Abs. 1 StHG und wird von diesem seit dessen Inkrafttreten am 1. Januar 2009 inhaltlich gedeckt. Schon seit längerem wurde die Frage der Verfassungskonformität der Unternehmenssteuerreform in Fachkreisen diskutiert (vgl. etwa Bericht der Expertenkommission rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung [ERU], erstattet dem Eidgenössischen Finanzdepartement, Bern 2001; Bundesamt für Justiz, Gutachten betreffend die Verfassungsmässigkeit einer Teilbesteuerung von Dividenden im Privatbesitz, erstattet der Eidg. Steuerverwaltung am 29. November 2006; ULRICH CAVELTI, Die Unternehmenssteuerreform II ist verfassungskonform, Neue Zürcher Zeitung vom 29. Januar 2008; ETIENNE GRISEL, Rechtsgutachten zu Handen des Eidgenössischen Finanzdepartements vom 29. November 2006; KEUSCHNIGG/DIETZ, Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform II, Gutachten im Auftrag der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 24. September 2002; MATTEOTTI/FELBER, Verfassungsrechtliche Kritik an der Unternehmenssteuerreform II, Jusletter vom 11. Februar 2008; ROBERT WALDBURGER, Die Vorlage ![]() | 24 |
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4.3 Zu prüfen bleibt indessen die Tragweite von Art. 190 BV in zeitlicher Hinsicht. Art. 38 Abs. 3a StG/SH ist am 1. Januar 2004 und damit fünf Jahre vor Art. 7 Abs. 1 StHG in der Fassung vom 23. März 2007 in Kraft getreten. Es fragt sich, ob sich das spätere ![]() | 26 |
4.3.1 Ob die Geltung von Art. 7 Abs. 1 StHG in der Fassung vom 23. März 2007 auf eine positive Vorwirkung (einer bei seiner Anwendung noch nicht in Kraft getretenen Bestimmung) oder auf eine echten Rückwirkung (der Anwendung nachträglich neuen Rechts auf einen abgeschlossenen Sachverhalt) hinausläuft, kann hier offenbleiben. Genau genommen findet das neue Bundesrecht nicht direkt Anwendung; vielmehr geht es darum, wieweit ein späteres Bundesgesetz vorbestandenes kantonales Recht vor verfassungsgerichtlicher Überprüfung durch das Bundesgericht zu bewahren vermag. Im Allgemeinen gelten so oder anders strenge Voraussetzungen - wie das Erfordernis einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage, von triftigen Gründen, der Wahrung des Verhältnismässigkeitsprinzips usw. - für die Zulässigkeit der Vor- oder Rückwirkung von Gesetzesrecht (vgl. BGE 125 I 182 E. 2b/cc S. 186; BGE 119 Ia 254 E. 3b S. 258; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006, S. 64 ff., Rz. 322 ff.; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009, S. 186 ff., Rz. 8 ff.). Im vorliegenden Zusammenhang ist dementsprechend entscheidend, ob zwischen der Revision des Steuerharmonisierungsgesetzes und der entsprechenden kantonalen Steuerregelung ein genügend enger Zusammenhang vor allem in sachlicher und zeitlicher Hinsicht besteht, der den Schutz vor verfassungsgerichtlicher Kontrolle in einem konkreten Anwendungsfall und nicht im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle zu rechtfertigen vermöchte (vgl. E. 3.4).
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4.3.2 Die fragliche schaffhausische Gesetzesbestimmung wurde am 15. September 2003 erlassen. Sie trat am 1. Januar 2004 in Kraft. Seit etwa 2001 gab es zwar im Bund verwaltungsinterne Abklärungen zur Unternehmenssteuerentlastung, die bundesrätliche Botschaft zum Unternehmenssteuerreformgesetz II datiert aber erst vom 22. Juni 2005 (BBl 2005 4733), erging also rund anderthalb Jahre, nachdem der Kanton Schaffhausen die Entlastung eingeführt hatte. Die beiden Gesetzesrevisionen im Bund und im Kanton stehen nicht in einem derart engen Konnex, dass jene diese bereits damals hätte inhaltlich abdecken können. Sowohl die Frage, ob es je zu einer Änderung des Bundesgesetzes kommen würde, als auch die eventuelle materielle Ausgestaltung des Bundesrechts waren damals völlig offen. Die Vorlage war nicht nur in der Lehre, in der Verwaltung und im Parlament umstritten, sondern auch die ![]() | 28 |
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Erwägung 5 | |
5.1 In der Sache verlangen die Beschwerdeführer nicht, es sei der kantonalen Gesetzesbestimmung über die Entlastung bei der wirtschaftlichen Doppelbelastung von Unternehmen und deren Teilhabern die Anwendung zu versagen. Vielmehr wollen die Beschwerdeführer gleich behandelt werden wie die qualifizierten Anteilseigner, die von der Teilsatzbesteuerung profitieren. Sie machen damit sinngemäss für ihr eigenes Dividendeneinkommen eine Gleichbehandlung im Unrecht geltend, indem sie dieselbe Begünstigung verlangen, wie sie nach ihrer Ansicht in Verletzung des Verfassungsrechts den qualifizierten Anteilseignern zugestanden wird. Eine solche Gleichbehandlung wäre nicht zum vornherein ausgeschlossen (vgl. etwa ASA 76 S. 693, 2A.647/2005 E. 4; ASA 59 S. 733, 2P.261/1988 ![]() | 30 |
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5.4 Wieweit es eine solche Doppelbelastung gibt, ist allerdings umstritten (zur Literatur vgl. die Angaben in E. 4.1). Rechtlich werden Dividendeneinkünfte zum vornherein nicht doppelt belastet. Zwar ![]() | 33 |
5.5 Der schaffhausische Gesetzgeber hat sich selektiv dafür entschieden, Beteiligungseinkünfte im Halbsatzverfahren zu besteuern, wenn die Beteiligungsquote 20 % (oder einen Verkehrswert von mindestens zwei Millionen Franken) erreicht. Im Übrigen wird aber sowohl bei der Unternehmung die Gewinnsteuer erhoben als auch bei den Anteilseignern die Dividende als Einkommen besteuert. Ein Systemwechsel zu einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Verhältnis zwischen juristischer und daran beteiligter natürlicher Person liegt nicht vor. Vielmehr geht es um eine selektive Bevorzugung der ![]() | 34 |
5.6 Die Beschwerdeführer sprechen sich nicht gegen die Anwendung von Art. 38 Abs. 3a StG/SH aus, sondern verlangen, die als verfassungswidrig erkannte Bestimmung sei im Sinne des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Unrecht auf sie selbst bzw. auf ihre Einkünfte aus Beteiligungen an Unternehmungen anzuwenden. Der Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht wird nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausnahmsweise anerkannt, nämlich wenn eine ständige rechtswidrige Praxis einer rechtsanwendenden Behörde vorliegt und die Behörde zu erkennen gibt, dass sie auch in Zukunft nicht von dieser Praxis abzuweichen gedenke (vgl. BGE 134 V 34 E. 9 S. 44; BGE 131 V 9 E. 3.7 S. 20; BGE 127 I 1 E. 3a S. 2 f.). Im vorliegenden Zusammenhang ist zwar nicht zu erwarten, dass die Steuerbehörden des Kantons Schaffhausen der entsprechenden latenten ![]() | 35 |
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