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30. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Stadt Wetzikon (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) |
1D_5/2009 vom 25. August 2010 | |
Regeste |
Nichteinbürgerung einer in Ausbildung begriffenen Person wegen Sozialhilfeabhängigkeit, Diskriminierungsverbot; Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 BV. |
Fehlen der wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit (E. 3). |
Bedeutung des Diskriminierungsverbotes; offengelassen, ob der Kreis der Sozialhilfeabhängigen eine nach Art. 8 Abs. 2 BV geschützte Gruppe darstellt (E. 4.2). |
Unter den konkreten Umständen liegt auch unter Beachtung von Herkunft und sozialer Stellung keine Diskriminierung vor (E. 4.3). |
Grenze der Nichteinbürgerung bildet das Willkürverbot nach Art. 9 BV (E. 4.4). | |
Sachverhalt | |
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X. stellte 2008 mit Zustimmung ihrer Eltern ein Gesuch um Einbürgerung. Nachdem sich der Bürgerrechtsausschuss gegen die ![]() | 2 |
Die Gesuchstellerin rekurrierte erfolglos beim Bezirksrat Hinwil. In der Folge wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde von X. am 29. April 2009 ab. Es ging davon aus, dass der Gesuchstellerin grundsätzlich ein Anspruch auf Einbürgerung zustehe, hielt indessen fest, dass X. das Kriterium der wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit nicht erfülle und sich daran auch mit steigendem Lehrlingslohn nichts ändere. Die Gemeinde könne ohne Verletzung des Diskriminierungsverbotes auf dieses Erfordernis abstellen und habe ihr Ermessen nicht in rechtsverletzender Weise ausgeübt. - Dem Urteil des Verwaltungsgerichts ist eine abweichende Meinung der Minderheit der Kammer beigefügt. Diese geht davon aus, dass der Gesuchstellerin die Einbürgerung wegen ihrer Abstammung von materiell schlecht gestellten und Sozialhilfe beanspruchenden Eltern verweigert worden war, und erblickt in diesem Umstand eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung.
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Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde verlangt X., es sei das angefochtene Verwaltungsgerichtsurteil aufzuheben und die Gemeinde Wetzikon anzuweisen, sie ins Bürgerrecht aufzunehmen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde nach öffentlicher Beratung ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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Nach § 21 Abs. 1 des Zürcher Gemeindegesetzes vom 6. Juni 1926 (GG; LS 131.1) sind die politischen Gemeinden verpflichtet, jeden (seit mindestens zwei Jahren in der Gemeinde wohnenden) Schweizer Bürger auf sein Verlangen in ihr Bürgerrecht aufzunehmen, sofern er sich und seine Familie selber zu erhalten vermag (und weitere Voraussetzungen gegeben sind). Gemäss Abs. 2 werden in der Schweiz geborene Ausländer im Recht auf Einbürgerung den Schweizer Bürgern gleichgestellt. Ferner werden nach Abs. 3 nicht in der Schweiz geborene Ausländer zwischen 16 und 25 Jahren den in der Schweiz geborenen Ausländern in diesem Alter gleichgestellt, sofern ![]() | 8 |
In § 5 der Zürcher Bürgerrechtsverordnung vom 25. Oktober 1978 (BüV; LS 141.11) werden die wirtschaftlichen Verhältnisse als Erfordernis der Einbürgerung gemäss § 21 Abs. 1 GG umschrieben: Die Fähigkeit zur wirtschaftlichen Selbsterhaltung gilt als gegeben, wenn die Lebenskosten und Unterhaltsverpflichtungen des Bewerbers voraussichtlich in angemessenem Umfang durch Einkommen, Vermögen und Rechtsansprüche gegen Dritte gedeckt sind. Zu den Rechtsansprüchen gegen Dritte gehören Forderungen gegenüber Versicherungsgesellschaften, Vorsorgeeinrichtungen oder dem Staat (im Falle der Arbeitslosen- oder Invalidenversicherung); die wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn ein Bewerber (ausschliesslich) von der Fürsorge lebt (vgl. Handbuch des Gemeindeamtes des Kantons Zürich, Ziff. 3.3.1). Auf die Erfüllung der Voraussetzung der wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit kann nach § 22 Abs. 2 GG und § 7 BüV im Einzelfall ganz oder teilweise verzichtet werden (vgl. auch Handbuch des Gemeindeamtes, a.a.O. Ziff. 3.3.2).
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Überdies hält die neue Zürcher Kantonsverfassung vom 27. Februar 2005 (SR 131.211) in Art. 20 Abs. 3 die Leitplanken für die ordentliche Einbürgerung fest. Neben den Erfordernissen angemessener Sprachkenntnisse, Vertrautheit mit den hiesigen Verhältnissen und Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung wird in Art. 20 Abs. 3 lit. b insbesondere verlangt, dass Gesuchsteller in der Lage sein müssen, für sich und ihre Familien aufzukommen.
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Die Beschwerdeführerin gehört zu den 16- bis 25-Jährigen und weist den erforderlichen Schulunterricht auf. Daraus ergibt sich, dass sie gestützt auf das kantonale Recht im Grundsatz unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus einen Anspruch auf Einbürgerung hat (TOBIAS JAAG, Aktuelle Entwicklungen im Einbürgerungsrecht, in: ZBl 106/2005 S. 113/122; PETER KOTTUSCH, in: Kommentar zur Zürcher Kantonsverfassung, Häner [Hrsg.], 2007, N. 5 zu Art. 20 KV/ZH). Zu prüfen ist daher ausschliesslich, ob der Beschwerdeführerin vor diesem Hintergrund die mangelnde wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit entgegengehalten werden kann und ihre Nichteinbürgerung im vorliegenden Fall mangels dieses Erfordernisses vor der Verfassung standzuhalten vermag. Dabei prüft das Bundesgericht die Anwendung des kantonalen Rechts lediglich unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots nach Art. 9 BV. Mit freier Kognition prüft es, ob das ![]() | 11 |
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(...)
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4.2 In seiner Rechtsprechung hat das Bundesgericht das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 8 Abs. 2 BV in seiner direkten und indirekten Form umschrieben und die Diskriminierung als qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen bezeichnet (vgl. BGE 135 I 49 E. 4.1 S. 53 mit Hinweisen). Im Urteil BGE 135 I 49 hat es sich eingehend mit der Frage der Diskriminierung von sozialhilfeabhängigen Personen auseinandergesetzt. Trotz des Umstandes, dass zum Merkmal der sozialen Stellung auch die ![]() | 17 |
Ob die Sozialhilfeabhängigkeit für sich genommen einen Diskriminierungstatbestand im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BV darstellen könnte, braucht auch im vorliegenden Fall nicht abschliessend entschieden zu werden. Es ist zu prüfen, ob über die Sozialhilfeabhängigkeit hinaus Umstände vorliegen, die sich für die Gesuchstellerin als diskriminierend erweisen.
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Die Herkunft kann unbestrittenermassen ein verpöntes Merkmal im Sinne des Diskriminierungsverbotes darstellen und bei der Anwendung im Einzelfall zu einer Verfassungsverletzung führen (vgl. BGE 129 I 217 E. 2.3 und 2.4 S. 227). Der Begriff der Herkunft bezieht sich in erster Linie auf die Zugehörigkeit zu einer geographisch mitbestimmten Bevölkerungsgruppe und kommt im vorliegenden Fall, in dem es um die Abstammung von nicht vermögenden Eltern geht, nicht zur Anwendung (vgl. MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl., S. 712; RAINER J. SCHWEIZER, in: Die schweizerische Bundesverfassung - Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 58 zu Art. 8 BV).
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Unter dem Gesichtswinkel der sozialen Stellung kann die Abstammung, etwa bei Geburt in ausserehelichen Verhältnissen, für die Frage der Diskriminierung von Bedeutung sein (vgl. SCHWEIZER, a.a.O., ![]() | 21 |
Diese Überlegungen zeigen gesamthaft, dass die Abstammung der Beschwerdeführerin von ihren nicht vermögenden Eltern - anders als die Behinderung in der Konstellation von BGE 135 I 49 - keinen hinreichenden Grund darstellt, um einen Diskriminierungstatbestand zu begründen. Das Kriterium ist nicht geeignet, eine Gruppe oder Minderheit zu umschreiben, die sich durch spezifische Eigenheiten oder durch besondere, nicht frei gewählte oder schwer aufgebbare Merkmale auszeichnet und von daher eines besondern verfassungsmässigen Schutzes bedürfte (vgl. BGE 135 I 49 E. 4.4 S. 56; BGE 132 I 49 E. 8 S. 65). Von Bedeutung ist, dass die Frage der Abstammung nur vorübergehend ins Gewicht fällt und die Benachteiligung mit der Aufnahme einer eigenständigen Erwerbstätigkeit entfällt.
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Bei dieser Sachlage erweist sich die Diskriminierungsrüge als unbegründet.
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Dieser Umstand vermöchte für sich allein genommen nicht zur Gutheissung der Beschwerde zu führen. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid gemäss konstanter Rechtsprechung wegen Verletzung des Willkürverbots nur auf, wenn dieser sich unter den gegebenen Verhältnissen im Ergebnis als unhaltbar und verfassungswidrig erweist (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.4 S. 148 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin hat es in der Hand, ein neues Einbürgerungsgesuch einzureichen, wenn ihr Lehrlingslohn bzw. ihre Situation nach dem Lehrabschluss Gewähr für eine hinreichende wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit bietet. Sie ist von den kommunalen Behörden dazu aufgefordert worden. Es sind keine Anzeichen ersichtlich, dass der Beschwerdeführerin bei einem neuen Gesuch die Einbürgerung verweigert würde. Es besteht beim derzeitigen Alter der Beschwerdeführerin keine Gefahr, dass sie des Anspruchs auf Einbürgerung gemäss § 21 Abs. 3 GG verlustig ginge (vgl. BGE 135 I 49 E. 6.3 S. 62). Es ist ihr zuzumuten, für die kurze Zeit von zwei oder drei Jahren bis zum Lehrabschluss und zur Erlangung der wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit zuzuwarten. Anders mag es sich allenfalls bei einer sozialhilfeabhängigen Person verhalten, welche die Einbürgerungsvoraussetzungen grundsätzlich erfüllt, die Ausbildung oder das Hochschulstudium indes erst nach dem 25. Altersjahr abschliesst und daher nicht mehr nach § 21 Abs. 3 GG eingebürgert werden könnte. Diese Frage kann im vorliegenden Fall jedoch offenbleiben.
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