![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
17. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_182/2013 vom 18. Juli 2013 | |
Regeste |
Art. 1, 74 f., 81 Abs. 1 und Art. 90 Abs. 3 StGB, Art. 7 und 10 BV, Art. 7 Ziff. 1 EMRK; Arbeitspflicht im Straf- und Massnahmenvollzug. |
Die Arbeitspflicht für Eingewiesene gemäss Art. 90 Abs. 3 StGB dient dem Vollzug der Massnahme und stellt keine zusätzliche Bestrafung dar (E. 3). | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
B. X. beantragte am 6. Dezember 2011 unter anderem, er sei von der Arbeitspflicht zu befreien. Diesen Antrag wies das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich am 19. März 2012 ab.
| 2 |
Ein Rekurs von X. an die Justizdirektion des Kantons Zürich blieb ebenso ohne Erfolg wie die Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, welches das Rechtsmittel am 10. Januar 2013 abwies.
| 3 |
C. X. führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und er sei von der Arbeitspflicht zu befreien. Zudem sei ihm für das vorinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Dies verlangt er auch vor Bundesgericht.
| 4 |
D. Das Verwaltungsgericht und das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich wurden zur Vernehmlassung, beschränkt auf die Frage der unentgeltlichen Rechtspflege, eingeladen. Beide Behörden beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat nicht repliziert.
| 5 |
Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Hauptpunkt ab.
| 6 |
Aus den Erwägungen: | |
7 | |
8 | |
1.2 Gemäss Art. 123 Abs. 2 BV sind die Kantone für den Straf- und Massnahmenvollzug zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. Während die Grundzüge in Art. 74-92 StGB geregelt sind, hat die kantonale Gesetzgebung diese Grundsätze umzusetzen (vgl. Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen ![]() | 9 |
10 | |
Im Straf- und Massnahmenvollzug befindet sich der Insasse in einem besonderen Rechtsverhältnis, welches nicht mit jenem in Freiheit vergleichbar ist. Namentlich hat er teilweise erhebliche Einschränkungen in seiner persönlichen Freiheit hinzunehmen. Diese sind stets rechtmässig, wenn sie notwendig und sinnvoll sind, um ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt zu gewährleisten, den Anspruch des Schutzes der öffentlichen Sicherheit genügend berücksichtigen und nicht unverhältnismässig sind (BENJAMIN F. BRÄGGER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 9 zu Art. 74 StGB).
| 11 |
1.4 Nach Art. 81 Abs. 1 StGB ist der Gefangene zur Arbeit verpflichtet. Die Arbeit hat so weit als möglich seinen Fähigkeiten, seiner Ausbildung und seiner Neigung zu entsprechen. Unter der Marginalie "Vollzug von Massnahmen" wird in Art. 90 Abs. 3 StGB bestimmt, dass arbeitsfähige Eingewiesene zur Arbeit angehalten werden, soweit ihre stationäre Behandlung oder Pflege dies erfordert oder zulässt. Dabei sind Art. 81-83 StGB sinngemäss anwendbar. Gemäss § 103 der Justizvollzugsverordnung des Kantons Zürich vom 6. Dezember 2006 (JVV; LS 331.1) sind die verurteilten Personen im ![]() | 12 |
13 | |
14 | |
Während bei jüngeren Personen die Resozialisierung im Vordergrund steht, verschieben sich mit zunehmendem Alter der Insassen die Schwerpunkte, wobei schliesslich der besonderen Fürsorgepflicht und dem Entgegenwirkungsprinzip Vorrang zukommt. Bei älteren Gefangenen und Eingewiesenen dient die Arbeit dazu, Haftschäden wie Vereinsamung sowie psychische und physische Degeneration zu vermeiden. Dabei hat die Arbeit stets den Fähigkeiten, der Ausbildung ![]() | 15 |
16 | |
1.8 Der Arbeitseinsatz im Straf- und Massnahmenvollzug ist nicht mit einem Arbeitsverhältnis auf dem freien Arbeitsmarkt vergleichbar. Es handelt sich um einen Einsatz in einem geschlossenen System (vgl. Urteil 8C_176/2007 vom 25. Oktober 2007 E. 4.2). Während die Arbeit im Vollzug den Fähigkeiten der Personen angepasst wird, müssen die Arbeitnehmer in Freiheit stets dafür Sorge tragen, dass sie über das in ihrem Arbeitsbereich erforderliche Wissen verfügen. Zudem existiert im Vollzug kein Konkurrenzdruck. Der Eingewiesene oder Gefangene muss nicht um seine finanziellen Verhältnisse besorgt sein, da grösstenteils der Staat für Kost und Logis aufkommt (vgl. jedoch Art. 380 Abs. 2 StGB). Demnach unterscheiden sich die Arbeitsanforderungen in Freiheit wesentlich von jenen im Vollzug, der eine "geschützte Werkstatt" darstellt. Die Arbeit im Straf- und Massnahmenvollzug dient der Resozialisierung, der Vermeidung von Haftschäden und der Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung, während die Arbeit in Freiheit und die anschliessende AHV die Finanzierung des Lebensunterhaltes bezwecken. Im Unterschied zur Arbeitspflicht im Strafvollzug besteht auf dem freien Arbeitsmarkt keine Verpflichtung, einer Arbeit nachzugehen. Die AHV korrespondiert deshalb nicht mit einer vorausgegangenen Arbeitspflicht und ist auch nicht dazu gedacht, diese in einem fortgeschritteneren Alter abzulösen. Das Rechtsinstitut der Altersrente ist nicht in das ![]() | 17 |
Erwägung 2 | |
18 | |
Im Sonderrechtsverhältnis des Straf- und Massnahmenvollzugs stellt sich die Frage der Befreiung von der Arbeitspflicht ab einem bestimmten Alter nicht (E. 1). Demnach liegt keine Gesetzeslücke, sondern ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers vor. Die Rüge ist unbegründet.
| 19 |
20 | |
Nach Art. 190 BV sind Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend. Damit kann Bundesgesetzen weder im Rahmen der abstrakten noch der konkreten Normenkontrolle die Anwendung versagt werden. Zwar handelt es sich dabei um ein Anwendungsgebot und kein Prüfungsverbot (BGE 137 I 128 E. 4.3.1 S. 132 f. mit Hinweisen; YVO HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], Bd. II, 2. Aufl. 2008, N. 8 zu Art. 190 BV), und es kann sich rechtfertigen, vorfrageweise die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes zu prüfen. Wird eine solche festgestellt, muss das Gesetz dennoch angewandt werden, und das Bundesgericht kann lediglich den Gesetzgeber einladen, die fragliche Bestimmung zu ändern (BGE 136 II 120 E. 3.5.1 S. 130 mit Hinweisen).
| 21 |
Vorliegend rechtfertigt es sich, die übrigen Rügen in der gebotenen Kürze zu prüfen.
| 22 |
23 | |
Die Rüge ist unbegründet. Während bei jüngeren Insassen die Resozialisierung im Vordergrund steht, sind bei älteren Personen in erster Linie Haftschäden zu vermeiden und der Alltag zu strukturieren (E. 1.6).
| 24 |
25 | |
Er legt nicht dar, inwiefern seine Würde durch die Arbeitspflicht verletzt und der angebliche Eingriff unverhältnismässig sein soll (vgl. Art. 36 BV). Auf die Rüge ist nicht einzutreten.
| 26 |
27 | |
Die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates sind nicht in der Weise völkerrechtlich verbindlich, dass deren Missachtung für sich allein als Verstoss gegen verfassungsmässige Rechte der Bürger oder wegen Verletzung eines Staatsvertrages mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden könnte, und sie begründen insofern keine subjektiven Rechte und Pflichten (vgl. BGE 122 I 222 E. 2a/aa S. 226; BGE 118 Ia 64 E. 2a S. 70; je mit Hinweisen). Dies gilt auch bezüglich der neuen Strafvollzugsgrundsätze des Ministerkomitees vom 11. Januar 2006 (Rec[2006]2; vgl. die gemeinsame Übersetzung für Deutschland, Österreich und die Schweiz, Mönchengladbach 2007; vgl. Urteil 1C_229/2008 vom 18. August 2008 E. 2.3).
| 28 |
Weil die Strafvollzugsgrundsätze keine subjektiven Rechte begründen, kann deren Verletzung nicht mit Beschwerde in Strafsachen angefochten werden. Wie der Beschwerdeführer selbst anerkennt, konkretisieren die Empfehlungen den allgemeinen Normalisierungsgrundsatz. Da dieser bei älteren Insassen in den Hintergrund rückt, verlieren auch die Empfehlungen entsprechend an Gewicht.
| 29 |
30 | |
![]() | 31 |
32 | |
Die Arbeitspflicht ist geeignet, erforderlich und grundsätzlich zumutbar, um die im Alter überwiegenden Vollzugsgrundsätze (Anstaltsordnung, Vermeidung von Haftschäden, Strukturierung) zu gewährleisten (E. 1.6 und 1.8). Die vom Beschwerdeführer aufgezeigte Alternative zur Arbeitspflicht erscheint nicht geeignet, die angestrebten Ziele zu garantieren. Sie würde die ordnungsgemässe Anstaltsführung erschweren. Diese setzt unter anderem eine Strukturierung des Alltags der Insassen voraus. Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten müssten freiwillig sein, ansonsten sie einer (ebenfalls verpönten) Verpflichtung gleichkämen. Stellt man den Gefangenen frei, ob und wann sie an einem Beschäftigungsprogramm teilnehmen wollen, wäre es unmöglich, die Anstalt geordnet zu führen. Ebenso wenig könnten Haftschäden vermieden werden, da es ihnen freistehen würde, den Tag in ihrem Zimmer zu verbringen, was zu einer Vereinsamung oder psychischen und physischen Degeneration führen könnte.
| 33 |
34 | |
![]() | 35 |
36 | |
Das Strafgesetzbuch (in der am 1. Januar 1942 in Kraft getretenen Fassung) sah vor, dass die Gefangenen "zur Arbeit angehalten" werden (aArt. 37 Abs. 3 Satz 1 StGB). Der Beschwerdeführer selbst bezeichnet dies als Arbeitspflicht. Die entsprechende Bestimmung für die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern lautete damals beinahe gleich (aArt. 42 Ziff. 3 StGB). Für die Haftstrafe sah aArt. 39 Ziff. 3 StGB vor: "Der Haftgefangene wird zur Arbeit angehalten. Es ist ihm gestattet, sich angemessene Arbeit selbst zu beschaffen. Macht er von dieser Befugnis keinen Gebrauch, so ist er zur Leistung der ihm zugewiesenen Arbeit verpflichtet."
| 37 |
Nach der am 1. Juli 1971 in Kraft getretenen Teilrevision lauteten die Bestimmungen für Gefangene und Verwahrte identisch: "Der Gefangene (bzw. Verwahrte) ist zur Arbeit verpflichtet, die ihm zugewiesen wird" (aArt. 37 Ziff. 1 Abs. 2 und aArt. 42 Ziff. 3 Abs. 1 StGB [Version in Kraft bis 31.12.2006]). Gemäss Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 stellt Art. 90 Abs. 3 StGB (Version in Kraft seit 01.01.2007) eine Relativierung der in Art. 81 Abs. 1 StGB festgehaltenen Verpflichtung dar, weil ein Teil der Eingewiesenen gar nicht arbeitsfähig ist (BBl 1999 2123 Ziff. 214.4). Hingegen ergibt sich weder aus der Botschaft noch aus den Protokollen von National- und Ständerat, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, die Arbeitspflicht für Verwahrte abzuschaffen (vgl. BBl 1999 2123 Ziff. 214.4; AB 2002 S 1060 f., 1306; AB 2002 N 1178 ff., 1185 ff., 2171; AB 2001 S 507 ff.; AB 2001 N 531 ff., 560 ff., 591 ff.; AB 1999 S 1104 ff.). ![]() | 38 |
39 | |
Der Verwahrung kann ein gewisser Strafcharakter nicht abgesprochen werden, weshalb das Rückwirkungsverbot zu beachten ist (vgl. BGE 134 IV 121 E. 3.3.3 S. 128 f.; vgl. Urteil M. gegen Deutschland, a.a.O., § 146). Da die Arbeitspflicht der Erfüllung der Vollzugsgrundsätze dient, stellt sie keine (zusätzliche) Bestrafung dar (E. 1 und 2.6). Die Rüge ist unbegründet.
| 40 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |