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29. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT gegen Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, SRG SSR (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_1032/2012 vom 16. November 2013 | |
Regeste |
Art. 10 EMRK; Art. 16 Abs. 2, Art. 17, 35 Abs. 2 sowie Art. 93 Abs. 3 BV; Art. 4-6, 94, 95 Abs. 3 lit. b und Art. 97 Abs. 2 lit. b RTVG; Grundrechtsbindung der SRG im Werbebereich; "Was das Schweizer Fernsehen totschweigt". |
Bei ihrem privatrechtlichen Handeln im Werbebereich ist die SRG grundrechtsgebunden. Sie hat dabei insbesondere (auch) dem ideellen Gehalt der Freiheitsrechte Rechnung zu tragen. Die blosse Befürchtung, eine umstrittene (ideelle) Werbung könnte ihrem Ruf abträglich sein, stellt kein hinreichendes Interesse dar, die Ausstrahlung eines ihr gegenüber kritischen Werbespots zu verweigern, solange der Auftraggeber nicht widerrechtlich handelt (E. 3-5). | |
Sachverhalt | |
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Am 15. November 2011 stellte der VgT der publisuisse SA eine überarbeitete Fassung seines Werbespots zu. Darin ersetzte er die Ergänzung "was andere Medien totschweigen" in Bild und Ton durch die Formulierung "was das Schweizer Fernsehen totschweigt".
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Nach Koordination mit der SRG und Rücksprache mit dem VgT strahlte die publisuisse SA im Zeitraum vom 23. bis zum 31. Dezember 2011 den ersten Werbespot achtzehn Mal aus; die zweite Version erachtete sie als geschäfts- und imageschädigend im Sinne ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
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B. Gegen die Nichtausstrahlung des überarbeiteten Spots anstelle des ursprünglichen gelangte der VgT an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), da "erneut" ein Werbespot ![]() | 4 |
Das Bundesgericht heisst die vom VgT hiergegen eingereichte Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut, hebt den Entscheid der UBI auf und stellt fest, dass die Verweigerung der Ausstrahlung des Werbespots in der zweiten Fassung die verfassungsmässigen Rechte des VgT verletzt hat.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
1.1 Entscheide der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen über den Inhalt redaktioneller Sendungen sowie über den Zugang zum Programm ("Recht auf Antenne") können mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 86 Abs. 1 lit. c BGG). Der Verein gegen Tierfabriken Schweiz, dessen Zugangsbeschwerde die UBI abgewiesen hat, ist hierzu legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auch die verweigerte Ausstrahlung einer Werbebotschaft kann mit der rundfunkrechtlichen Zugangsbeschwerde beanstandet werden (BGE 136 I 167 E. 3.3.2; zu deren Einführung: BBl 2003 1741 mit ausdrücklichem Hinweis auf das Urteil des EGMR VgT gegen Schweiz vom 28. Juni 2001 [Nr. 24699/94], Recueil CourEDH 2001-VI S. 271 § 44 ff.; ANDREAS KLEY, Beschwerde wegen verweigertem Programmzugang: Trojanisches Pferd oder Ei des Kolumbus?, Medialex 2008 S. 15 ff., dort 29). Soweit die SRG geltend macht, der Beschwerdeführer habe der Ausstrahlung des Spots in seiner ursprünglichen Fassung zugestimmt, weshalb überhaupt keine Zugangsverweigerung vorliege, übersieht sie, dass er dies nur unter Protest getan hat und um seine schweizweite multimediale Medienkampagne nicht zu gefährden. Die aufgeworfene Frage des Zugangs zum Werbefernsehen kann deshalb im vorliegenden Verfahren überprüft werden, auch wenn die ursprüngliche Fassung des Spots ausgestrahlt worden ist.
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1.2 Die Rechtsschriften an das Bundesgericht haben die Begehren und deren Begründung zu enthalten, wobei in gedrängter Form ![]() | 8 |
Erwägung 2 | |
2.1 Als Ausfluss der Medien-, Programm- und Informationsfreiheit besteht - auch nach der Praxis der Strassburger Organe (vgl. den Unzulässigkeitsentscheid der EKMR Association mondiale pour l'Ecole Instrument de Paix gegen Schweiz vom 24. Februar 1995, in: VPB 59/1995 Nr. 144 S. 1044 ff.; BGE 123 II 402 E. 5 mit Hinweisen) - grundsätzlich kein "Recht auf Antenne", d.h. kein Anspruch darauf, dass ein Veranstalter eine bestimmte Information oder Auffassung eines Dritten gegen seinen Willen bzw. gegen sein redaktionelles Konzept ausstrahlen muss (BGE 136 I 167 E. 3.3.1 mit zahlreichen Hinweisen; vgl. auch BARRELET/WERLY, Droit de la communication, 2. Aufl. 2011, N. 271). Die SRG verfügt zwar nach wie vor über eine Sonderstellung in der schweizerischen Rundfunklandschaft, kann jedoch nicht (mehr) als "Monopolmedium" gelten (vgl. AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, 2. Aufl. 2006, N. 592; MARTIN DUMERMUTH, Die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes und das duale System, ZSR 125/2006 I S. 229 ff., dort 239 ff.). Die neuen Technologieformen (Internet, Digitalfernsehen usw.) erlauben dem Publikum, sich aus den unterschiedlichsten Quellen zu informieren; gleichzeitig gestatten sie es dem Einzelnen, sich im Rahmen einer Vielzahl von Medien über die private Kommunikation hinaus Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu verschaffen.
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2.2 Die Verweigerung des Zugangs Dritter zu redaktionellen Gefässen kann unter dem Blickwinkel der Verfassung oder der EMRK nur ausnahmsweise als rechtswidrig im Sinne von Art. 97 Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio und Fernsehen (RTVG; SR 784.40) qualifiziert werden (BGE 136 I 167 E. 3.3.2 S. 174). ![]() | 10 |
Erwägung 3 | |
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Erwägung 3.2 | |
3.2.1 Bei der Akquisition und Ausstrahlung der Werbung wird die SRG nicht unmittelbar im Rahmen ihres Programmauftrags tätig (vgl. BGE 123 II 402 E. 3). Sie kann ihre Programme unter Einhaltung der öffentlichrechtlichen Vorgaben mittels Werbung finanzieren, ist hierzu jedoch nicht verpflichtet. Macht sie von der Werbung als Finanzierungsinstrument Gebrauch, muss sie sich an die entsprechenden, im öffentlichen Interesse erlassenen Beschränkungen bezüglich der Abgrenzung zum Programm (Art. 9 RTVG), der Werbedauer (Art. 11 RTVG) und der Werbeverbote (Art. 10 RTVG) halten (vgl. BGE 126 II 7 ff. und 21 ff.). Allfällige Verletzungen der betreffenden Regeln können verwaltungsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen (vgl. Art. 89 ff. RTVG). Die SRG hat zudem - wie alle anderen Veranstalter - sicherzustellen, dass das Werbeprogramm kein nationales oder internationales Recht verletzt. Es ist deshalb sachgerecht, wenn sie der publisuisse SA gegenüber darauf achtet, dass ![]() | 12 |
3.2.2 Obwohl der Werbevertrag an sich den privatrechtlichen Regeln unterliegt (BGE 123 II 402 E. 3), hat die SRG/publisuisse SA in diesem Bereich jedoch auch angemessen den Vorgaben von Art. 35 Abs. 2 BV Rechnung zu tragen. Danach ist an die Grundrechte gebunden und hat zu deren Verwirklichung beizutragen, wer staatliche Aufgaben wahrnimmt. Dies ist bei der SRG im Rahmen ihres programmrechtlichen Auftrags im an sich von ihr privatrechtlich bewirtschafteten Werbebereich der Fall, da dieser als Nebenaktivität zur Finanzierung ihrer Programme dient (vgl. BGE 138 I 274 ff. [Aushängen von Plakaten im Bahnhof]). Sie ist als privilegierte Konzessionärin des Bundes (vgl. Art. 23 ff. RTVG) im Werbebereich nicht gleich frei wie Private (vgl. BGE 123 II 402 E. 3c/bb S. 411 unter Hinweis auf die bundesrätlichen Weisungen vom 15. Februar 1984 [BBl 1984 I 364 ff.]; Urteil des EGMR VgT gegen Schweiz vom 28. Juni 2001 [Nr. 24699/94] § 44 ff.). Im redaktionellen Teil des Programms kann die SRG sich unbeschränkt auf ihre Programmautonomie berufen (vgl. Art. 6 RTVG). Macht sie von der Möglichkeit, ihr Programm durch Werbung zu finanzieren, Gebrauch, kann sie sich bei der Auswahl der zugelassenen Werbesendungen indessen nicht in gleicher Weise auf ihre Programmautonomie berufen, da sie in diesem Bereich grundrechtsgebunden handeln muss, auch wenn der konkret abgeschlossene Werbevertrag zivilrechtlicher Natur ist. Im Vergleich zum Zugang zum redaktionellen Programm besteht beim Werbefernsehen eine geringere Autonomie der SRG, da und soweit dem Zuschauer gegenüber klar ist, dass es sich bei der entsprechenden Botschaft um die Auffassung eines Dritten im Rahmen eines (ideellen) Werbebeitrags handelt.
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3.2.3 Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt und diese gegebenenfalls mit Nebenaktivitäten finanziert, ist nicht nur an das Willkürverbot und den Grundsatz der Rechtsgleichheit gebunden, sondern muss generell auch dem besonderen ideellen Gehalt der Freiheitsrechte Rechnung tragen (BGE 138 I 274 E. 2.2.2 S. 283 mit Hinweisen). Er hat die widerstreitenden Interessen nach objektiven Gesichtspunkten gegeneinander abzuwägen und legitime Bedürfnisse, Appelle an die ![]() | 14 |
3.2.4 Der beschwerdeführende Verein wollte mit der umstrittenen (bezahlten) Werbung unter Hinweis auf seine Homepage bzw. die dortige Dokumentation über seine Anliegen informieren und der Öffentlichkeit gegenüber auf die (seiner Ansicht nach) einseitige bzw. ungenügende Berichterstattung über seine Aktionen in den Medien aufmerksam machen. Sein Werbespot fällt in den Schutzbereich der Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 16 Abs. 2 BV). Danach hat jede Person das Recht, ihre Meinung frei zu bilden, sie ungehindert zu äussern und entsprechend zu verbreiten (BGE 138 I 274 E. 2.2.1 S. 281; BGE 132 I 256 E. 3 S. 258; BGE 127 I 164 E. 3a-c S. 167 ff.). Einschränkungen sind jedoch im Rahmen von Art. 36 BV zulässig. Zwar besteht kein Anspruch auf beliebig viel Werbung, weil sonst keine redaktionellen Inhalte mehr möglich wären. Eine kapazitätsbezogene Begrenzung und damit eine Auswahl ist naturgemäss nötig und zulässig. Diese muss indessen - wie bei der Werbung auf dem öffentlichen Boden - grundrechtskonform erfolgen. Für die Zulassung zur Werbung gelten verfassungsrechtlich vorrangig die Rechtsgleichheit sowie die Wirtschafts- und die Meinungsfreiheit der Personen, die ihr Anliegen (gegen Bezahlung) verbreiten wollen, falls sie ihrerseits dabei nicht widerrechtlich handeln.
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Erwägung 4 | |
4.1 Die SRG konnte die Ausstrahlung des abgeänderten Spots somit nur verweigern bzw. in die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers eingreifen, soweit eine gesetzliche Grundlage hierfür bestand, ihr Handeln im öffentlichen Interesse lag und die Massnahme als verhältnismässig gelten konnte. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der publisuisse SA genügten mit Blick auf die Grundrechtsbindung der SRG hierzu nicht, auch wenn sie ausdrücklich vorsehen, dass geschäfts- oder imageschädigende Werbungen zurückgewiesen werden können. Dabei handelt es sich nicht um eine gesetzliche Grundlage im Sinne von Art. 36 BV (vgl. BGE 138 I 273 E. 3 ![]() | 16 |
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4.3 Die blosse Befürchtung, die umstrittene Werbung könnte dem Ruf der SRG potenziell abträglich sein, stellt kein hinreichendes Interesse dar, die Ausstrahlung in der gewünschten Form zu verweigern (BGE 138 I 274 E. 3.5.1). Die SRG macht nicht geltend, dass die Homepage des Beschwerdeführers als solche widerrechtliche Inhalte aufwiese. Wäre dies der Grund für die Verweigerung gewesen, hätte sie den Spot auch nicht in der von ihr als zulässig eingeschätzten Art ausstrahlen dürfen. Für deren Inhalt ist die SRG grundsätzlich nicht verantwortlich; sie ist nicht gehalten, beworbene Produkte oder damit ![]() | 18 |
Erwägung 5 | |
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5.2 Nachdem der Werbebeitrag zumindest in seiner ursprünglichen Form doch ausgestrahlt worden ist, kann auf weitere Anordnungen verzichtet werden. Sollte der beschwerdeführende Verein an der Ausstrahlung des überarbeiteten Spots festhalten wollen, obwohl seine Kampagne abgeschlossen ist, hätte er sich mit einem entsprechenden Gesuch an die SRG/publisuisse SA zu wenden, welche ihm dies in dem Sinn gestatten müsste, dass sie (unter erneuter Abgeltung der Werbezeit) mit ihm einen entsprechenden Werbevertrag abschliesst.
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