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14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft See/Oberland (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_338/2016 vom 3. April 2017 | |
Regeste |
Art. 6 Ziff. 3 lit. c und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 29 Abs. 3, Art. 31 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 130 und Art. 132 StPO: notwendige und amtliche Verteidigung. | |
Sachverhalt | |
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Am 8. März 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Sie beantragt eine Bestrafung mit einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 100.- sowie mit einer Busse von Fr. 1'000.-. Mit Eingabe vom 21. Juni 2016 liess A. bei der Einzelrichterin in Strafsachen des Bezirksgerichts Uster ein Gesuch um Bestellung einer amtlichen Verteidigung stellen, das mit Verfügung vom 22. Juni 2016 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich mit Beschluss vom 16. August 2016 ab.
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B. A. erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Angelegenheit sei an die Vorinstanz zurückzuweisen mit den Auflagen, es sei Rechtsanwalt C. als amtlicher Verteidiger zu ernennen und die Untersuchung unter Mitwirkung der Verteidigung zu wiederholen. (...)
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.2 Notwendige bzw. obligatorische Verteidigung im strafprozessualen Sinn bedeutet, dass der Betroffene in Anbetracht der rechtlichen und tatsächlichen Umstände in den verschiedenen Stadien des Strafverfahrens zwingend und ohne entsprechendes Ersuchen vertreten sein muss und dass er darauf auch mit einer persönlichen (Selbst-)Verteidigung nicht verzichten kann (BGE 131 I 350 E. 2.1 S. 352 f. mit Hinweisen).
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Erwägung 2.3 | |
2.3.1 Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Vorinstanz habe seinen verfassungs- und konventionsrechtlichen Anspruch auf ![]() | 8 |
2.3.2 Der Beschwerdeführer wurde, nachdem er am 16. Februar 2014 angehalten worden war, von den Kantonspolizisten ein erstes Mal auf seine strafprozessualen Rechte und Pflichten aufmerksam gemacht. Anlässlich der gleichentags vorgenommenen Einvernahme durch die Kantonspolizei wurde er darauf hingewiesen, dass er berechtigt sei, auf eigenes Kostenrisiko eine Verteidigung zu bestellen oder eine amtliche Verteidigung zu beantragen. Die Frage, ob er das verstanden habe, wurde vom Beschwerdeführer bejaht und entsprechend protokolliert. Bei der Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft vom 16. April 2015 wurde der Beschwerdeführer ausdrücklich darauf angesprochen, wie er sich zur Frage der Verteidigung stelle, worauf dieser antwortete, er sei "bei klarem Verstand" und könne "sich selber verteidigen". Anlässlich der Erhebung der finanziellen Verhältnisse im Strafverfahren wurde der Beschwerdeführer am 28. Januar 2016 von der Staatsanwaltschaft erneut darauf aufmerksam gemacht, dass er jederzeit eine Verteidigung bestellen oder eine amtliche Verteidigung beantragen könne (die massgebenden Gesetzesbestimmungen wurden zudem im Schreiben aufgeführt). Am 7. Februar 2016 verlangte der Beschwerdeführer - unter Bezugnahme auf das Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 28. Januar 2016 - zum ersten Mal ![]() | 9 |
2.3.3 Dass darüber hinaus unter dem Blickwinkel von Art. 6 Ziff. 1 EMRK aufgrund der konkreten Umstände ein Einschreiten seitens der Behörden geboten gewesen wäre und dem Beschwerdeführer von Amtes wegen eine notwendige Verteidigung hätte bestellt werden müssen, ist vorliegend nicht ersichtlich. Der in der Schweiz geborene Beschwerdeführer verweist hauptsächlich auf sein "höchst bescheidenes Bildungsniveau" und seine "schwache Sozialisierung", weil er vom 7. bis zum 11. Lebensjahr in Südamerika gelebt habe. Davon kann jedoch keine Rede sein. Den Akten kann entnommen werden, dass er die erste Primarschulklasse sowie die gesamte Oberstufe in der Schweiz absolviert hat, die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrscht und einer Arbeit als Detailhandelsfachmann nachgeht. Er plant, eine Handelsschule zu absolvieren und seine Fremdsprachenkenntnisse anlässlich eines Sprachaufenthalts zu verbessern (wofür er monatlich von seinem Salär eine Rückstellung von Fr. 1'000.- vornimmt). Seine protokollierten Äusserungen erwecken nicht den Eindruck, dass er ausserhalb der allgemein anerkannten Wert- und Tatsachenvorstellungen lebt, und deshalb das Wesen eines Strafverfahrens nicht zu erkennen vermöchte (gemäss eigenen Angaben soll er sich während der Strafuntersuchung danach erkundigt haben, ob er seinerseits den Geschädigten wegen Nötigung anzeigen könne). Während des gesamten Verfahrens gab es keine Anhaltspunkte für eine körperliche oder psychische Beeinträchtigung, eine verminderte Intelligenz oder eine wenig entwickelte Persönlichkeitsstruktur und insoweit bestand für die Behörden auch kein Anlass, dem Beschwerdeführer - entgegen dessen klar geäusserten Willen, sich selber zu verteidigen - eine notwendige Verteidigung zu bestellen. Dass er dabei auf die Teilnahme an den Einvernahmen des Geschädigten und ![]() | 10 |
Erwägung 2.4 | |
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2.4.3 Der Beschwerdeführer macht hauptsächlich geltend, bei der Beurteilung der Schwere der Tat und der angedrohten Sanktion komme es nicht auf die Strafe an, die das Gericht vermutlich aussprechen würde, sondern auf das gesetzlich zulässige Höchstmass. Vorliegend bedrohe das Gesetz die gegen ihn erhobenen Vorwürfe mit je einer Maximalstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe (Art. 90 Abs. 2 SVG und Art. 180 Abs. 1 StGB). Das Gericht sei grundsätzlich frei, auf eine solche Maximalstrafe zu erkennen, weshalb von einem Fall notwendiger Verteidigung auszugehen sei. Dieser Argumentation, mit ![]() | 13 |
2.4.4 Da unbestrittenermassen keine körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen beim Beschwerdeführer vorliegen (vgl. dazu Urteile des Bundesgerichts 1B_318/2014 vom 27. Oktober 2014 E. 2.1 und 1B_279/2014 vom 3. November 2014 E. 2.1), ist zu prüfen, ob ein "anderer Grund" i.S.v. Art. 130 lit. c StPO gegeben ist. Dieser Tatbestand ist in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bisher ohne Konturen geblieben. In der Lehre wird beispielsweise die Fremdsprachigkeit genannt, sofern eine Übersetzung zur effektiven Wahrnehmung der Interessen der beschuldigten Person nicht ausreicht (statt vieler NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 10 zu Art. 130 StPO), oder Gründe vorliegen, die üblicherweise nicht zu einer notwendigen Verteidigung führen, nach den konkreten Umständen aber die Verteidigungsfähigkeit in gleichem Masse einschränken wie körperliche und geistige Beeinträchtigungen (NIKLAUS RUCKSTUHL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 32 zu Art. 130 StPO; LIEBER, a.a.O., N. 21 zu Art. 130 StPO). Im Zweifelsfall sei eine notwendige Verteidigung zu bestellen (HARARI/ALIBERTI, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, N. 31 zu Art. 130 StPO; SCHMID, a.a.O, N. 10 zu Art. 130 StPO), namentlich ![]() | 14 |
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Erwägung 3 | |
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3.2 Zur Sicherung der wirksamen und effektiven Verteidigung als Grundvoraussetzung eines fairen Strafprozesses (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) gewährleistet Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK unter anderem die unentgeltliche Bestellung eines amtlichen Verteidigers, falls dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich erscheint und die beschuldigte Person mittellos ist. Ob eine Pflichtverteidigung im Interesse der ![]() | 18 |
3.3 In Bezug auf die Frage, ob die Bestellung eines amtlichen Verteidigers im Interesse der Rechtspflege erforderlich erscheint, bringt der Beschwerdeführer erneut vor, dass ihm eine Maximalstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe drohen könne. Diese (abstrakte) Sanktionsandrohung rechtfertige seines Erachtens für sich alleine schon eine amtliche Verteidigung. Dabei beruft er sich hauptsächlich auf das bereits ![]() | 19 |
3.4 Auch wenn der Beschwerdeführer dies bestreitet, entspricht die schweizerische Strafprozessordnung im Bereich der amtlichen Verteidigung den soeben referierten konventionsrechtlichen Anforderungen. Über die Fälle der notwendigen Verteidigung hinaus wird eine amtliche Verteidigung angeordnet, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person ist die Verteidigung namentlich geboten, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und (kumulativ) der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre (Art. 132 Abs. 2 StPO). Wie sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ("namentlich") ergibt, ist nicht ausgeschlossen, dass die Gewährung der amtlichen Verteidigung auch aus anderen als den genannten Gründen geboten sein kann (Urteile ![]() | 20 |
3.5 Mit dieser Regelung der amtlichen Verteidigung wird die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK für den Bereich des Strafprozessrechts umgesetzt (BGE 139 IV 113 E. 4.3 S. 119). Diese Rechtsprechung unterscheidet nach der Schwere der Strafdrohung drei Fallgruppen. Falls das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtsposition des Betroffenen eingreift, ist die Bestellung eines amtlichen Rechtsbeistands grundsätzlich geboten. Dies trifft namentlich dann zu, wenn dem Angeschuldigten eine Strafe droht, deren Dauer die Gewährung des bedingten Strafvollzugs ausschliesst. Falls kein besonders schwerer Eingriff in die Rechte des Gesuchstellers droht (sog. relativ schwerer Fall), müssen besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Gesuchsteller, auf sich allein gestellt, nicht gewachsen wäre. Das Bundesgericht hat einen relativ schweren Fall etwa bei einer Strafdrohung von drei Monaten Gefängnis unbedingt (BGE 115 Ia 103 E. 4 S. 105 f.), bei einer "empfindlichen Strafe von jedenfalls mehreren Monaten Gefängnis" (BGE 120 Ia 43 E. 3c S. 47) oder bei der Einsprache gegen einen Strafbefehl von 40 Tagen Gefängnis bedingt (Urteil 1P.627/2002 vom 4. März 2003 E. 3.2, in: Pra 2004 Nr. 1 S. 1) angenommen. Bei offensichtlichen Bagatelldelikten, bei denen nur eine Busse oder eine geringfügige Freiheitsstrafe in Frage kommt, verneint die Bundesgerichtspraxis einen verfassungsmässigen Anspruch auf einen amtlichen Rechtsbeistand (BGE 120 Ia 43 E. 2a S. 44 f.; BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232 f.; Urteile 1B_380/2015 vom 1. Dezember 2015 E. 2.4; 1B_66/2015 vom 12. August 2015 E. 1, in: Pra 2015 Nr. 107 S. 872; je mit Hinweisen).
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3.6 Daraus, aber auch aus dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 3 StPO ("jedenfalls dann nicht"), folgt, dass nicht automatisch von einem Bagatellfall auszugehen ist, wenn die im Gesetz genannten Schwellenwerte nicht erreicht sind (Urteil 1B_263/2013 vom 20. November 2013 E. 4.3 mit Hinweis). Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Formulierung von Abs. 2 durch die Verwendung des Worts ![]() | 22 |
Erwägung 3.7 | |
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3.7.2 Die Vorinstanz hat ausgeführt, der Anklagevorwurf beschränke sich auf zwei Sachverhalte, d.h. einerseits die Frage, ob der Beschwerdeführer am 16. Februar 2014 um ca. 20 Uhr mit seinem Fahrzeug einen genügenden Abstand zum vor ihm fahrenden Wagen eingehalten habe, und andererseits, ob er in der anschliessend stattgefundenen, mündlichen Auseinandersetzung ein (geschlossenes) Klappmesser behändigt und dem anderen Fahrzeuglenker entgegengehalten habe. Es handle sich somit weder um komplexe Sachverhalte noch seien komplizierte beweismässige Abklärungen notwendig gewesen; vielmehr hätten sich die Beweismittel auf die Aussagen des Beschwerdeführers, des Geschädigten und seiner Ehefrau sowie auf die beschlagnahmten Gegenstände (Klappmesser, Pistolenmagazin und 14 Pistolenpatronen) beschränkt. Diese Einschätzung der Vorinstanz, welche die ![]() | 24 |
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