BGE 147 I 308 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 07.10.2021, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Regierungsrat des Kantons Zug (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_43/2020 vom 1. April 2021 | |
Regeste |
Art. 87 Abs. 1 und Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG, Art. 78 Abs. 1 BV, Übereinkommen vom 3. Oktober 1985 zum Schutz des baugeschichtlichen Erbes in Europa (sog. Granada-Übereinkommen); Rechtmässigkeit von kantonalen Bestimmungen über den Denkmalschutz (abstrakte Normenkontrolle). |
Kognition des Bundesgerichts bei der abstrakten Normenkontrolle (E. 3). |
Tragweite der Kompetenzbestimmung der Bundesverfassung im Bereich des Heimatschutzes (E. 4). |
Rechtsnatur des Granada-Übereinkommens und Bedeutung der darin an den Gesetzgeber gerichteten Handlungspflichten im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle (E. 5 und 6). |
Vereinbarkeit der konkret angefochtenen kantonalen Bestimmungen über die Denkmalpflege mit dem Granada-Übereinkommen (E. 7). | |
Sachverhalt | |
A. Am 31. Januar 2019 beschloss der Kantonsrat Zug eine Teilrevision des kantonalen Gesetzes vom 26. April 1990 über Denkmalpflege, Archäologie und Kulturgüterschutz (Denkmalschutzgesetz, DMSG; BGS 423.11). Ziel der Revision war, im Rahmen der kantonalen Zuständigkeit strengere Voraussetzungen für den Schutz eines Objektes festzusetzen und dabei die Interessen der betroffenen Grundeigentümer stärker zu berücksichtigen. Erreicht werden sollte dies unter anderem durch die folgende Neufassung einzelner Gesetzesbestimmungen:
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"§ 2 Abs. 1
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Denkmäler nach diesem Gesetz sind Siedlungsteile, Gebäudegruppen, gestaltete Freiräume, Verkehrsanlagen, Einzelbauten, archäologische Stätten und Funde sowie in einer engen Beziehung hiezu stehende bewegliche Objekte, die einen äusserst hohen wissenschaftlichen, kulturellen oder heimatkundlichen Wert aufweisen (zwei von drei Kriterien müssen
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kumulativ erfüllt sein).
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§ 4 Abs. 1
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Objekte, an deren Erhaltung ein äusserst hohes öffentliches Interesse besteht, werden unter kantonalen Schutz gestellt und in das Verzeichnis der geschützten Denkmäler eingetragen.
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§ 25 Abs. 1
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Soweit der Schutz des Denkmals mittels öffentlich-rechtlichem Vertrag mit der Eigentümerschaft nicht sichergestellt werden kann, entscheidet der Regierungsrat über die Unterschutzstellung und den Schutzumfang. Er beschliesst sie, wenn
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a) das Denkmal von äusserst hohem wissenschaftlichen, kulturellen oder heimatkundlichen Wert ist (zwei von drei Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein);
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b) das öffentliche Interesse an dessen Erhaltung allfällige entgegenstehende Privatinteressen oder anderweitige öffentliche Interessen überwiegt;
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c) die Massnahme verhältnismässig ist und eine langfristige Nutzung ermöglicht wird;
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d) die dem Gemeinwesen entstehenden Kosten auch auf Dauer tragbar erscheinen.
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§ 25 Abs. 4
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Objekte, die jünger als 70 Jahre alt sind, können nicht gegen den Willen der Eigentümerschaft unter Schutz gestellt werden, sofern sie nicht von regionaler oder nationaler Bedeutung sind. Bei Bauten bezieht sich das Alter auf das Datum der rechtskräftigen Baubewilligung. Massgebend ist das Alter zum Beginn des Unterschutzstellungsverfahrens oder zum Zeitpunkt der Einreichung eines Bau- oder Abbruchgesuchs durch die Eigentümerschaft."
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Nachdem gegen die Teilrevision des Denkmalpflegegesetzes vom 31. Januar 2019 das Referendum ergriffen worden war, wurde die Gesetzesänderung in der Volksabstimmung vom 24. November 2019 mit einem Ja-Anteil von 65.53 % angenommen. In der Folge wurde die Gesetzesrevision am 13. Dezember 2019 im Amtsblatt des Kantons Zug publiziert.
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B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als Erlassbeschwerde vom 27. Januar 2020 stellen A., B., C., D. und E. den folgenden Antrag in der Sache:
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- in § 2 Abs. 1 die Teile "äusserst" und "(zwei von drei Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein)"
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- in § 4 Abs. 1 das Wort "äusserst"
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- in § 25 Abs. 1 lit. a die Teile "äusserst" und "(zwei von drei Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein)"
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- und § 25 Abs. 4 als Ganzes."
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Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, die angefochtenen Bestimmungen verstiessen gegen die Bundesverfassung sowie völkerrechtliche Schutzpflichten der Schweiz im Bereich des Denkmalschutzes.
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Der Kanton Zug, vertreten durch die Direktion des Innern, sowie der Kantonsrat Zug, unter Verweis auf die umfassende Stellungnahme des Kantons Zug, schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
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A., B., C., D. und E. äusserten sich am 1. April 2020 nochmals zur Sache.
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C. Mit verfahrensleitender Verfügung vom 2. März 2020 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts ein Gesuch der Beschwerdeführer um aufschiebende Wirkung ab.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt § 25 Abs. 4 DMSG auf und weist die Beschwerde im Übrigen ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.2 Im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle ist nach Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG vom angefochtenen Erlass besonders berührt, wen die angefochtene Bestimmung unmittelbar oder zumindest virtuell betrifft. Virtuelle Betroffenheit setzt voraus, dass die beschwerdeführende Person von der angefochtenen Regelung mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal unmittelbar betroffen sein wird (vgl. BGE 142 V 395 E. 2 S. 397). Das schutzwürdige Interesse nach Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG kann rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein (vgl. Urteil 2C_519/2015 vom 12. Januar 2017 E. 1.2.1, nicht publ. in: BGE 143 I 137 ).
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2.4 Zwar ist umstritten, wie sich das neue Recht auf altrechtlich anerkannte Schutzobjekte auswirkt. Nach der Übergangsbestimmung von § 44 Abs. 1 DMSG werden aber Verfahren betreffend die Unterschutzstellung bzw. Inventarentlassung von Denkmälern, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts hängig sind, nach neuem Recht abgeschlossen. Das trifft für die Beschwerdeführer 2 und 3 zu. Gemäss § 44 Abs. 2 DMSG werden hingegen Verfahren betreffend Beiträge an geschützte Denkmäler, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts rechtskräftig zugesichert sind, nach bisherigem Recht abgeschlossen. Die Bestimmung regelt jedoch nur die Verfahren im Zusammenhang mit zugesicherten Beiträgen. Eine Neu- bzw. Deklassifizierung altrechtlich anerkannter Schutzobjekte nach neuem Recht mit Auswirkungen auf künftige Beiträge schliesst jedenfalls der Gesetzeswortlaut nicht von vornherein aus. Die Tragweite des Übergangsrechts ist daher eine heute offene Auslegungsfrage, wovon die Beschwerdeführer 1, 4 und 5 virtuell betroffen sind.
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Erwägung 4 | |
4.1 Nach Art. 78 Abs. 1 BV sind die Kantone für den Natur- und Heimatschutz zuständig. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Zuständigkeitsnorm. Gemäss dem überwiegenden Schrifttum lässt sich daraus aber keine Bedeutung ableiten, die über eine deklaratorische Wirkung hinausginge; sie rufe die ohnehin gemäss Art. 3 und 43 BV gegebene Kompetenz der Kantone im Bereich des Natur- und Heimatschutzes in Erinnerung, enthalte aber keine konkreten inhaltlichen Vorgaben und direkt anwendbaren Schutzverpflichtungen für die Kantone im Bereich des Heimatschutzes (DAJCAR/GRIFFEL, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, Waldmann und andere [Hrsg.], 2015, N. 8 f. zu Art. 78 BV; ARNOLD MARTI, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, Ehrenzeller und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 78 BV; WALTHER/WEBER, § 4 Nationales Recht, in: Handbuch Heimatschutzrecht, Ehrenzeller/Engeler [Hrsg.], 2020, S. 48). Vereinzelt wird dies bedauert und gefordert, dass es zeitgemäss erschiene, die Kantone zu gewissen Schutzleistungen zu verpflichten (vgl. JEAN-BAPTISTE ZUFFEREY, Chapitre premier: Le fondement constitutionnel, les rapports droit fédéral/droit cantonal et la systématique de la LPN, in: Kommentar NHG, Keller und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2019, S. 11 und 20).
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4.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann Art. 78 Abs. 1 BV auch als Aufforderung zum Handeln verstanden werden bzw. soll im Sinne eines Appells die Kantone zu Leistungen im Bereich des Natur- und Heimatschutzes anspornen (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1A.115/2001 und 1P.441/2001 vom 8. Oktober 2001 E. 2d mit Literaturhinweisen; Botschaft vom 19. Mai 1961 über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikel 24 sexies betreffend den Natur- und Heimatschutz, BBl 1961 I 1109 f.). Gemäss der herrschenden Auffassung kann dem geltenden Verfassungsrecht jedoch im Wesentlichen nur entnommen werden, dass die Kantone mit Blick auf Art. 49 Abs. 1 BV das auf Art. 78 Abs. 2-5 BV gestützte Bundesrecht über den Natur- und Heimatschutz beachten müssen, in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich jedoch keinen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen unterstehen (vgl. GIOVANNI BIAGGINI, BV, Kommentar, 2. Aufl. 2017, N. 3 zu Art. 78 BV; AURÉLIEN WIEDLER, La protection du patrimoine bâti, 2019, S. 50 f.). Allerdings ist es die Aufgabe der Kantone, die zur Erhaltung schutzwürdiger Objekte notwendigen Rechtsgrundlagen zu schaffen und über die Unterschutzstellung im Einzelfall zu befinden (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1A.115/2001 und 1P.441/2001 vom 8. Oktober 2001 E. 2d mit Verweis auf BGE 121 II 8 E. 3a S. 15 und BGE 120 Ib 27 E. 3c/dd [recte: E. 2c/dd] S. 33). Insbesondere gilt das für die Erhaltung der Baudenkmäler regionaler und lokaler Bedeutung. Die Kantone sind zwar vom Bundesverfassungsrecht her frei, die Schutzvorkehren festzulegen und den Denkmalbegriff zu bestimmen (vgl. BGE 121 II 8 E. 3a S. 14 f.). Es erscheint aber fraglich, ob es ihnen auch zustände, von ihrer Kompetenznorm von Art. 78 Abs. 1 BV gar keinen oder nur einen minimalistischen Gebrauch zu machen und gänzlich auf wirksame Schutznormen zu verzichten oder ob das nicht der verfassungsrechtlichen Kompetenzzuweisung widersprechen würde. Insofern stellt sich vor allem die Frage der Bedeutung der einschlägigen staatsvertraglichen Verpflichtungen, insbesondere der Granada-Konvention.
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Erwägung 5 | |
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Das baugeschichtliche Erbe im Sinne dieses Übereinkommens umfasst folgende unbewegliche Kulturgüter:
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1. Baudenkmäler: Alle Bauwerke von herausragendem geschichtlichem, archäologischem, künstlerischem, wissenschaftlichem, sozialem oder technischem Interesse, mit Einschluss zugehöriger Einrichtungen und Ausstattungen;
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...
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Art. 3
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Jede Vertragspartei verpflichtet sich:
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1. gesetzliche Massnahmen zum Schutze ihres baugeschichtlichen Erbes zu treffen;
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2. geeignete Vorschriften zu erlassen, um den Schutz der Baudenkmäler, Baugruppen und Stätten zu gewährleisten.
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Art. 4
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Jede Vertragspartei verpflichtet sich:
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1. wirksame Kontroll- und Genehmigungsverfahren einzuführen;
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2. zu verhindern, dass geschützte Kulturgüter verunstaltet, beeinträchtigt oder zerstört werden. In diesem Sinne verpflichten sich die Vertragsparteien, falls dies noch nicht geschehen ist, gesetzlich vorzuschreiben,
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a) dass jede beabsichtigte Zerstörung oder Veränderung von Baudenkmälern, die bereits geschützt sind oder für die Schutzmassnahmen eingeleitet worden sind, wie auch jede Beeinträchtigung ihrer Umgebung der zuständigen Behörde unterbreitet wird; ...
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c) dass die Behörden vom Eigentümer eines geschützten Objektes verlangen können, gewisse Arbeiten durchzuführen, oder dass sie selber diese Arbeiten durchführen können, wenn der Eigentümer säumig ist;
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d) dass ein geschütztes Objekt enteignet werden kann."
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5.2 Nach der Rechtsprechung und der Lehre richten sich die Bestimmungen des Granada-Übereinkommens nicht an die rechtsanwendenden Behörden, weshalb eine kantonale Verfügung im Einzelfall nicht unmittelbar wegen Verletzung des Granada-Übereinkommens angefochten werden kann (Urteil des Bundesgerichts 1A.115/2001 und 1P.441/2001 vom 8. Oktober 2001 E. 2g; EPINEY/KERN, Drittes Kapitel: Internationales und europäisches Natur- und Heimatschutzrecht, in: Kommentar NHG, Keller und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2019, S. 154; BEATRICE WAGNER PFEIFER, Umweltrecht, Besondere Regelungsbereiche, 2013, Rz. 1199; Botschaft vom 26. April 1995 betreffend die Konventionen des Europarats zum Schutz des archäologischen und des baugeschichtlichen Erbes, BBl 1995 III 451 Ziff. 23). Die darin enthaltenen Bestimmungen verpflichten jedoch die Vertragsstaaten zum Erlass entsprechender Normen, d.h. zur Rechtsetzung. Es handelt sich somit um Gesetzgebungsaufträge. Im vorliegenden Fall steht nicht eine individuell-konkrete Verfügung im Streite, sondern es geht um den Erlass einschlägiger Schutzbestimmungen. Es fragt sich daher, ob die Beschwerdeführer geltend machen können, der Kanton Zug habe im Rahmen seiner Gesetzgebung über den Denkmalschutz die gemäss dem Granada-Übereinkommen erforderlichen Regelungen zu treffen bzw. die vorgesehenen Bestimmungen verstiessen gegen die entsprechende völkerrechtliche Verpflichtung der Schweiz.
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5.3 Das Bundesgericht hatte sich auch schon mit der Frage der Handlungspflicht des kantonalen Gesetzgebers auseinanderzusetzen. Es entschied, es handle sich dabei um eine solche ausserhalb der üblichen Kategorien der unmittelbaren bzw. mittelbaren Anwendbarkeit von Normen. Auch wo der Gesetzgeber einen Spielraum hat und eine direkte Anwendung einschlägiger höherrangiger Normen im Einzelfall ausgeschlossen ist, kann er zum damit vereinbarten Handeln verpflichtet sein. Selbst wo keine justiziablen Individualrechte bestehen, sind in diesem Sinne Bestimmungen eines völkerrechtlichen Abkommens nicht bloss politische Absichtserklärungen, sondern sie bilden Teil der objektiven Rechtsordnung und sind als solche im Rahmen der Rechtsetzung durchsetzungsfähig (vgl. BGE 137 I 305 E. 3.2 und 3.3 S. 318 ff. sowie E. 6.5 und 6.6 S. 325 ff.; BGE 147 I 103 E. 11.4; ASTRID EPINEY, a.a.O., N. 79 zu Art. 5 BV; ANDREAS ZÜND, Grundrechtsverwirklichung ohne Verfassungsgerichtsbarkeit, AJP 2013 S. 1355 f.; ZÜND/ERRASS, Pandemie - Justiz - Menschenrechte, in: Pandemie und Recht, ZSR-Sondernummer, 2020, S. 80 f.). Zwar beruht Rechtsetzung auf einem politischen Prozess, der sowohl eine gewisse Zeit beansprucht als auch über eine inhaltliche Spannbreite verfügt. Ein gerichtliches Eingreifen kann sich daher nur rechtfertigen, wenn eine völker- oder verfassungsrechtliche Handlungspflicht des kantonalen Gesetzgebers inhaltlich und zeitlich zureichend bestimmt und messbar erscheint. Ist das der Fall, kann deren Einhaltung im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle geltend gemacht werden. Das trifft nicht nur zu, wenn der kantonale Gesetzgeber überhaupt nicht zeitgerecht handelt (wie das in BGE 137 I 305 zu beurteilen war; zustimmend insoweit beispielsweise REGULA KÄGI-DIENER, AJP 2012 S. 402 f.; eingehend und im Wesentlichen ebenfalls zustimmend EVELYNE SCHMID, Völkerrechtliche Gesetzgebungsaufträge in den Kantonen, ZSR 135/2016 I S. 3 ff.; kritisch etwa MATHIAS KAUFMANN, Die unmittelbare Anwendbarkeit von Verfassungsnormen, Jusletter 16. Oktober 2017 Rz. 14 ff.), sondern gilt ebenfalls, wenn er zwar tätig wird, aber strittig ist, ob er sich inhaltlich an ausreichend konkretisierte Vorgaben des höherrangigen Rechts hält (vgl. BGE 147 I 103 E. 11.4). Die entsprechende für die Gesetzgebung massgebliche Auslegung des Völkerrechts wird in einem solchen Zusammenhang im Übrigen konsequenterweise auch im Einzelfall im Rahmen der völkerrechtskonformen Rechtsanwendung vorfrageweise zu beachten sein.
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Erwägung 6 | |
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6.2 Die Beschwerdeführer berufen sich auf Art. 3 Ziff. 2 und Art. 4 Ziff. 2 in Verbindung mit Art. 1 Ziff. 1 des Granada-Übereinkommens. Auch diese Bestimmungen belassen zwar dem Gesetzgeber der Vertragsparteien einen Handlungsspielraum bei der Definition der Schutzgüter und bei einzelnen Schutzmassnahmen, d.h. insbesondere für die Festlegung der Voraussetzungen und des Umfangs der Schutzgewährung sowie für die Wahl der passenden Mittel. Im Übrigen sind sie aber weitgehend präzise formuliert (vgl. EPINEY/KERN, a.a.O., S. 154) und enthalten eine ausreichend bestimmte grundsätzliche Verpflichtung des Gesetzgebers, Schutzgüter anzuerkennen und taugliche Schutzmassnahmen zu treffen. Dabei sind einzelne Handlungspflichten wie namentlich die gesetzliche Möglichkeit der Enteignung eines geschützten Objekts sogar eindeutig festgelegt. Die hier fraglichen Bestimmungen des Granada-Übereinkommens sind daher geeignet, im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle angerufen zu werden. Bei ihrer Auslegung und der Eingrenzung der daraus fliessenden Verpflichtungen ist aber dem gesetzgeberischen Spielraum Rechnung zu tragen.
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Erwägung 7 | |
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7.3 Strittig ist zunächst die wiederholte Verwendung des Wortes "äusserst" in der Gesetzesnovelle. Nach Art. 1 Ziff. 1 der Granada-Konvention in der deutschsprachigen Fassung sind Baudenkmäler von "herausragendem ... Interesse" zu schützen. Gemäss der Schlussbemerkung des Abkommens sind allerdings gleichermassen die französisch- und englischsprachigen Originalfassungen und nicht die deutsche Übersetzung verbindlich. Danach sind "monuments ... particulièrement remarquables" bzw. "monuments of conspicuous ... interest" zu schützen. Diese Formulierungen indizieren weniger strikte Anforderungen als die deutschsprachige Version. Das in der Gesetzesnovelle des Kantons Zug mehrfach verwendete Wort "äusserst" darf demnach nicht restriktiver ausgelegt werden als der anhand der Originalfassungen des Granada-Abkommens zu verstehende Begriff "herausragend". Der Zuger Gesetzgeber hat an sich keinen Hehl daraus gemacht, die gesetzliche Regelung mit der wiederholten Verwendung des Wortes "äusserst" und insbesondere der entsprechenden Ersetzung des Wortes "sehr" in der bisherigen Fassung von § 4 Abs. 1 DMSG verschärfen zu wollen. Bei einer freien Prüfung des Gesetzestexts wäre das möglicherweise von Belang. Mit Blick auf die erforderliche Völkerrechtskonformität ist jedoch lediglich zu prüfen, ob das neue Gesetz anhand der Granada-Konvention und deren Massstab ausgelegt werden kann, woran die konkrete Wortwahl nichts ändert. Es erscheint insoweit nicht ausgeschlossen, die neuen Bestimmungen, in denen das Wort "äusserst" vorkommt, im Sinne des Granada-Abkommens zu verstehen, auch wenn dadurch der gesetzgeberische Wille abgeschwächt wird. Insofern kann die Gesetzesnovelle demnach konventionskonform ausgelegt werden und verletzt sie Bundesrecht nicht.
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Gemäss Art. 1 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 3 Ziff. 2 und Art. 4 Ziff. 2 der Granada-Konvention sind allerdings alle Bauwerke von herausragendem geschichtlichem, archäologischem, künstlerischem, wissenschaftlichem, sozialem oder technischem Interesse zu schützen. Dies wird erhärtet durch den Explanatory Report to the Convention for the Protection of the Architectural Heritage of Europe, wonach lediglich die "compliance with one or more of the[se] criteria" erforderlich ist (S. 5 des Reports). Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich ohnehin in jedem schutzwürdigen Fall zumindest jeweils zwei der drei in § 25 Abs. 1 lit. a DMSG genannten Kriterien überlagern. So ist ein kulturell oder heimatkundlich interessantes Objekt zwangsläufig auch von wissenschaftlichem bzw. ein heimatkundliches von kulturellem Interesse und umgekehrt. Das Kumulationserfordernis stösst insofern ins Leere und vermag eine Schutzwürdigkeit nicht zu verhindern. Auch die fragliche Bestimmung lässt sich daher in diesem Sinne völker- und bundesrechtskonform auslegen. Ein Verstoss gegen höherrangiges Recht liegt insofern erneut nicht vor.
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7.5.1 Die Beschwerdeführer rügen zunächst, es widerspreche nur schon der Schutzpflicht, die gesetzliche Möglichkeit zu schaffen, jüngere Objekte vom Schutz auszuschliessen. Dabei seien sowohl die Frist von 70 Jahren als auch die Anknüpfung an das Datum der rechtskräftigen Baubewilligung willkürlich und unverhältnismässig. Zwar trifft es zu, dass es aus heutiger Sicht vor 70 Jahren noch keine eigentlichen Baubewilligungen gab und die entsprechende Anknüpfung für gewisse Objekte aus der damaligen Zeit nicht möglich ist. Dieses Problem ist aber lediglich technischer Natur und lässt sich auslegungsmethodisch durch analoge Kriterien durchaus lösen. Fragwürdiger erscheint hingegen die gesetzliche Möglichkeit, jüngere Objekte ganz vom Denkmalschutz auszuschliessen. Obwohl sich eine Schutzwürdigkeit häufig erst durch Zeitablauf ergibt, ist das nicht zwingend. Mitunter kann eine Baute schon nach kurzer Zeit schutzwürdig sein, was ausnahmsweise auch für lokale und nicht nur nationale oder regionale Denkmäler zutreffen mag. Die Regelung, in solchen Fällen die Unterschutzstellung immer von der Zustimmung der Eigentümerschaft abhängen zu lassen, erscheint nicht mit dem Granada-Übereinkommen vereinbar, weil es der Staat diesfalls nicht mehr in der Hand hat, die öffentlichen Schutzinteressen durchzusetzen. Bei Gesamt-, Mit- oder Stockwerkeigentum verfügt sogar jeder einzelne beteiligte Eigentümer über ein entsprechendes Vetorecht. Dies stünde insbesondere in einem gewissen Widerspruch zu den Verpflichtungen gemäss Art. 3 Ziff. 2 der Konvention, geeignete Schutzmassnahmen zu ergreifen, nach Art. 4 Ziff. 1 des Abkommens, wirksame Kontroll- und Genehmigungsverfahren einzuführen, sowie gemäss Art. 4 Ziff. 2 des Übereinkommens, zu verhindern, dass geschützte Kulturgüter beeinträchtigt oder zerstört werden. Können Private entscheiden, dass schutzwürdige Objekte nicht geschützt werden, kann der Staat nicht verhindern, dass diese auch umgebaut oder abgerissen werden. Die entsprechenden Verpflichtungen nach Art. 3 und 4 des Übereinkommens würden damit ausgehöhlt bzw. ihres Sinnes entleert.
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7.6 Zusammenfassend ergibt sich, dass sich die von den Beschwerdeführern beanstandeten Bestimmungen von § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 lit. a DMSG im Einklang mit dem höherrangigen Recht auslegen lassen. Hingegen trifft dasselbe für § 25 Abs. 4 DMSG nicht zu. Der Kanton Zug macht allerdings geltend, bei den angefochtenen Bestimmungen handle es sich sowohl in ihrer Gesamtheit als auch je für sich um Kernregelungen der Teilrevision vom 31. Januar 2019, so dass ihre Aufhebung nicht in Betracht falle, ohne das Gesetz als Ganzes in Frage zu stellen. Die erforderlichen Anpassungen am Gesetzesprojekt bzw. bei der Auslegung der fraglichen Bestimmungen erscheinen jedoch nicht derart zentral, dass damit die ganze Novelle in Frage gestellt würde. Insbesondere verbleibt der Gesetzesänderung auch ohne § 25 Abs. 4 DMSG ein Sinn, weshalb diese Bestimmung für sich allein aufgehoben werden kann. Die Eigentümer werden überdies nicht gehindert, ihre Rechte in den einschlägigen Verwaltungsverfahren geltend zu machen. Die übrigen strittigen Voraussetzungen der Anerkennung eines Objekts als schutzwürdig bzw. der Unterschutzstellung sind zwar im Einklang mit der Granada-Konvention auszulegen, werden dadurch aber nicht inhaltslos und behalten ihre Gültigkeit. Die verfolgte Wirkung wird lediglich abgeschwächt, entfällt aber nicht. Die Gesetzesrevision wird durch den vorliegenden Entscheid mithin nicht obsolet.
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