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24. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. AG in Liquidation gegen Kantonales Steueramt Zürich und Steuerverwaltung des Kantons Zug (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_522/2019 vom 20. August 2020 | |
Regeste |
Art. 127 Abs. 3 BV; Art. 20 Abs. 1 StHG; Art. 626 Ziff. 1 OR i.V.m. Art. 56 ZGB; Doppelbesteuerungsverbot; Hauptsteuerdomizil und Sitzwechsel. |
Über die Konstellation hinaus, in welcher der Steuerpflichtige den Anspruch eines Kantons in Kenntnis des kollidierenden Anspruchs eines anderen Kantons vorbehaltlos anerkennt, ist eine Verwirkung des Beschwerderechts entsprechend dem Charakter des Doppelbesteuerungsverbots als verfassungsmässiges Recht nur mit Zurückhaltung zu bejahen, nämlich dann, wenn sich das Verhalten des Steuerpflichtigen als rechtsmissbräuchlich bzw. treuwidrig erweist (E. 4.2.1). |
Im Hinblick auf die einschneidende Rechtsfolge der Verwirkung des Beschwerderechts geht es zu weit, immer schon dann auf eine solche zu schliessen, wenn der Steuerpflichtige mit einem kollidierenden Steueranspruch eines anderen Kantons rechnen muss und den ersten Kanton hierauf nicht hinweist; Anwendung im konkreten Fall (E. 4.3 und 4.4). | |
Sachverhalt | |
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Während zunächst verschiedene Kunden die von der A. AG entwickelte Software gegen eine jährliche Lizenzgebühr nutzten, interessierte sich 2009 die G. Co., Ltd. für eine exklusive Lizenzierung. Am 28. September 2009 konkretisierten die A. AG und die G. Co., Ltd. ihre Zusammenarbeit mit einem Vertrag über die verbesserte Version der Software für Webserver; im November 2009 reiste der stellvertretende Generaldirektor der G. Co., Ltd. erneut für einige Tage nach U. Am 17. und 18. Juni 2010 fanden in V. Vertragsverhandlungen zwischen der A. AG, handelnd durch C. und D., und der G. Co., Ltd. statt. Dabei kamen die beiden Gesellschaften überein, dass der G. Co., Ltd. keine Exklusivlizenz verliehen werden ![]() ![]() | 2 |
Bereits mit Statutenänderung vom 23. April 2010 (Handelsregistereintrag vom 10. Mai 2010) hatte die A. AG ihren Sitz nach W. (ZG) verlegt, mit neuem Domizil c/o B., X., W. Mit Handelsregistereintrag vom 10. Mai 2010 schieden D. und E. aus dem Verwaltungsrat aus; gleichzeitig wurden deren Arbeitsverträge per 30. Mai 2010 beendet. Neben dem verbleibenden Verwaltungsrat und Präsidenten C., wohnhaft in Y., einer Aussenwacht der Gemeinde Z./ZH, wurde neu B. als Verwaltungsrat eingetragen.
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Nach Veräusserung des Source Code führte die A. AG die bestehenden Lizenzverträge mit Drittkunden bis zu deren Beendigung durch Zeitablauf weiter. Dabei schuldete sie der G. Co., Ltd. gemäss separatem License Agrement vom 1. Juli 2010 10 % der Lizenzeinnahmen. Die Buchhaltung und die Administration der Gesellschaft (Fakturierung, Inkasso) wurden durch die H. AG (einziger Verwaltungsrat B.) bzw. die I. GmbH (Geschäftsführer B.), beide mit Sitz in der S.strasse in T./ZG, besorgt.
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Am 16. Juni 2010 beschloss der Verwaltungsrat der A. AG, den Geschäftsabschluss 2010 auf den 31. Mai 2010 zu erstellen. Am 20. August 2010 bestätigte die Steuerverwaltung des Kantons Zug ein ihr von der A. AG vorgelegtes sog. Steuerruling. Danach ist die Gesellschaft für die Steuerperiode vom 1. Januar 2010 bis 10. Mai 2010 in U./ZH sowie vom 11. Mai 2010 bis 31. Mai 2010 und die folgenden Steuerperioden als gemischte Gesellschaft in W./ZG unbeschränkt steuerpflichtig.
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Nachdem das kantonale Steueramt Zürich am 21. Mai 2014 die Steuerverwaltung des Kantons Zug informiert hatte, es sei abzuklären, in welchem Kanton das Hauptsteuerdomizil der A. AG liege, beanspruchte es mit Vorentscheid vom 3. März 2015 die Steuerhoheit über die A. AG für den Kanton Zürich und die Gemeinde Z./ZH ab 1. Juni 2010.
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B. Kantonale Rechtsmittel der A. AG gegen diese Verfügung blieben erfolglos. (...)
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 5. Juni 2019 beantragt die A. AG, die Entscheide der Vorinstanzen seien aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie seit ihrer ![]() ![]() | 8 |
(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 4 | |
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Erwägung 4.2 | |
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Über die Konstellation hinaus, in welcher der Steuerpflichtige den Anspruch eines Kantons in Kenntnis des kollidierenden Anspruchs eines anderen Kantons, d.h. wenn der andere Kanton im Zeitpunkt ![]() ![]() | 12 |
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Diese Verwirkung ist aber ein Institut zugunsten der steuererhebenden Kantone und nicht der Pflichtigen. Ihr Sinn und Zweck liegt darin, den betroffenen Zweitkanton davor zu bewahren, schon bezogene Steuern auf Grund eines an sich vorrangigen, aber erst ungebührlich spät erhobenen Steueranspruches rückerstatten zu müssen. Deshalb kann - und muss - auch diese Verwirkung nur durch den anderen Kanton und nicht durch den Pflichtigen selbst geltend gemacht werden (vgl. BGE 137 I 273 E. 3.3.4 S. 279 m.H.).
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4.3 Hier geht es um eine Verwirkung des ersten Typs, indem die Steuerverwaltung des Kantons Zug namentlich geltend macht, die damals fachkundig vertretene Beschwerdeführerin (durch die H. AG; diese handelnd durch B., der gleichzeitig Verwaltungsrat der ![]() ![]() | 15 |
Erwägung 4.4 | |
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Die Zürcherischen Steuerbehörden sind erst lange nach Rechtskraft der im Kanton Zug vorgenommenen Veranlagungen tätig geworden. Eine Verwirkung wegen Anerkennung der Steuerforderung, obwohl der andere Kanton im Zeitpunkt der Veranlagung seinen Anspruch bereits konkret erhoben hat oder zumindest mit diesem Ziel gegenüber dem Steuerpflichtigen aktiv geworden ist, fällt damit ausser Betracht. Es kann sich damit nur noch fragen, ob das Verhalten der Beschwerdeführerin als treuwidrig bezeichnet werden muss.
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4.4.2 Mit der Steuerverwaltung des Kantons Zug und entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist dabei zunächst festzustellen, ![]() ![]() | 18 |
Auch wenn die Rulinganfrage damit nicht als in jeder Hinsicht transparent und vollständig bezeichnet werden kann, enthält sie doch keine eigentlichen Unwahrheiten und stellt damit kein treuwidriges Verhalten im Veranlagungsverfahren dar, welches für sich allein eine Verwirkung des Rechts, beschwerdeweise die Doppelbesteuerung geltend machen zu können, bewirkt (im Unterschied etwa zum Urteil 2C_592/2018 vom 1. Oktober 2019 E. 6.4, wo die Steuerpflichtige der Steuerverwaltung des Kantons Appenzell eine unwahre Auskunft erteilt hatte).
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4.4.3 Zu beantworten bleibt damit, ob das Verhalten der Beschwerdeführerin in anderer Hinsicht als treuwidrig bezeichnet werden kann. So hat es etwa das Bundesgericht schon als treuwidrig angesehen, wenn eine Gesellschaft, deren Verwaltungsratspräsident wie auch der Rechtsvertreter Anwälte und diplomierte Steuerexperten sind, trotz Bestehens einer Betriebsstätte im anderen Kanton in der Steuererklärung des Hauptsteuerdomizils diese Betriebsstätte nicht deklariert ![]() ![]() | 20 |
Ohne sichere Kenntnis entweder des Umstands, dass die Steuerbehörden des anderen Kantons im Hinblick auf die Geltendmachung eines kollidierenden Steueranspruchs bereits tätig geworden sind oder zumindest sichere Kenntnis, dass ein solcher Anspruch besteht (so in der Konstellation des Weiterbestehens einer Betriebsstätte), ginge es im Hinblick auf die einschneidende Rechtsfolge der Verwirkung des Beschwerderechts (und damit im Ergebnis die Hinnahme einer aktuellen Doppelbesteuerung) indessen zu weit, immer schon dann, wenn der Steuerpflichtige mit einem kollidierenden Steueranspruch eines anderen Kantons rechnen muss und den ersten Kanton nicht darauf hinweist, auf ein treuwidriges Verhalten zu schliessen.
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In der vorliegend zu beurteilenden Angelegenheit muss zwar davon ausgegangen werden, dass der Sitzwechsel vor allem im Hinblick auf die Liquidation der Beschwerdeführerin erfolgte, um dadurch die im Zusammenhang damit entstehende Steuerlast zu minimieren. Dem fachkundigen Steuervertreter (sowie Domizilgeber und Verwaltungsrat) der Beschwerdeführerin, der gleichzeitig für die Erledigung von deren administrativen Belangen und damit auch die Prüfung der Steuerveranlagungen sowie die Bezahlung der Steuerrechnungen verantwortlich war, musste damit das Risiko, dass die Zürcher Steuerbehörden den Sitzwechsel nicht akzeptieren würden, bewusst sein. Allein daraus lässt sich indessen noch nicht ableiten, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin bzw. das ihr zuzurechnende Verhalten ihres Steuervertreters treuwidrig war, indem sie bzw. ihr Steuervertreter den Kanton Zug nicht auf einen möglicherweise mit dessen Besteuerungsanspruch kollidierenden Anspruch des Kantons Zürich hinwies. Das Beschwerderecht der Beschwerdeführerin mit Bezug auf die Doppelbesteuerung im Kanton Zug ist daher nicht verwirkt. ![]() | 22 |
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