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21. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. März 1955 i.S. Schweizerischer Tabakverband gegen Schwarzer. | |
Regeste |
Art. 2 und 28 Z GB, Art. 41 OR. | |
Sachverhalt | |
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"in erster Linie die Sanierung der Preis- und Rabattverhältnisse und der damit in Zusammenhang stehenden Missbräuche (Prämiensysteme und Zugabewesen) beim Verkauf von Tabakwaren an die Konsumenten und ebenso die Wahrung der allgemeinen lebenswichtigen Interessen der schweizerischen Tabakbranche."
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Sodann bestimmt Art. 3 der Satzung:
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"Mitglieder des Verbandes können werden:
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a. Handelsorganisationen der schweizerischen Tabakbranche;
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b. Einzelfirmen der Tabakindustrie und des Tabakhandels, soweit letztere nicht in schweizerischen Brancheverbänden organisiert sind, die dem Schweizerischen Tabakverbande angehören. Die Aufnahme in den Verband erfolgt durch den Vorstand."
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Zwischen den Verbandsmitgliedern besteht eine Kartellordnung, die sogenannte Tabakkonvention, deren jetzt gültige Fassung vom 14. September 1950 am 1. Januar 1951 in Kraft trat und die frühere vom 12. Juli 1939 ersetzte. Darin sind zur Verwirklichung der Verbandsziele eine Reihe von Einzelvorschriften aufgestellt. Verletzungen ziehen einschneidende wirtschaftliche Massnahmen und Strafen nach sich, wie Bussen, Kürzung der Rabatte auf Warenlieferungen, Preiserhöhungen und Sanktionsaufschläge, Konventionalstrafen, zeitweilige oder dauernde Warensperre (vgl. Art. 5 ff.). Die Verpflichtungen aus dem Abkommen sind nicht nur den Unterzeichnern auferlegt, sondern der Verbandsvorstand ist beauftragt, dafür zu sorgen, dass sie "- soweit nötig - ... auch von den übrigen Brancheangehörigen (Handel) durch Unterzeichnen eines ... von Fall zu Fall ausgearbeiteten Verpflichtungsscheines übernommen werden" (Art. 2). Untersagt und strafbar ist nach Art. 1 lit. k der Konvention u.a.: ![]() | 7 |
Dem ist unter dem Titel "Ausnahmen" beigefügt:
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"Diese Bestimmungen finden keine Anwendung auf Hotels, Restaurants, Bars und Tearooms, Automaten bei bestehenden und in der Branche zugelassenen Tabakspezialgeschäften und auf Mitglieder der von der Industrie anerkannten Einkaufsgenossenschaften."
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Weiter heisst es über das "Bewilligungsverfahren":
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"Gesuche um Bewilligung zur Belieferung im Sinne von Al. 1, Lit. k, werden auf Grund der Bedürfnisfrage, des Fähigkeitsausweises, bisheriger Tätigkeit und finanzieller Lage des Gesuchstellers vom Vorstand des S.T.V. entschieden.
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Die Gesuche sind vom Gesuchsteller oder dem interessierten Lieferanten des S.T.V. schriftlich, begründet und mit einem unterzeichneten Verpflichtungsschein einzureichen."
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Die so angestrebte Regelung der Bedürfnisfrage liegt ausserhalb des Bereiches der durch Art. 93 der VO betreffend die fiskalische Belastung des Tabaks vom 30. Dezember 1947 der Oberzolldirektion übertragenen Aufsichtsbefugnisse über den Handel mit Tabakfabrikaten und der in Art. 94 des nämlichen Erlasses enthaltenen Preisschutz bestimmungen (vgl. BS 6 S. 228).
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B.- Arthur Schwarzer, geboren 1919, erlitt in früher Kindheit einen Unfall mit Rückgratsverletzung, welche eine teilweise Lähmung der Beine verursachte. Er ist kaufmännisch ausgebildet, vermochte aber der gesundheitlichen Behinderung wegen keine befriedigende berufliche Stellung zu finden. Das brachte ihn auf den Gedanken, einen Kiosk zu eröffnen. Als Standort wählte er die nächst der Sihlbrücke gelegene Ecke des promenadenartig gestalteten freien Raumes zwischen Sihlstrasse, Gessnerallee und Schanzengraben in Zürich. Der Stadtrat bewilligte am 20. Oktober 1950 die Errichtung des Kioskes ![]() | 14 |
Da Schwarzer eigener Mittel entbehrte, verbürgte seine Heimatgemeinde einen Kredit von Fr. 3500.--, was ermöglichte, den Kiosk zu bauen und Ende Mai 1951 in Betrieb zu nehmen.
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Zuvor liess Schwarzer durch einen Zürcher Rechtsanwalt beim Schweizerischen Tabakverbande das vom unterschriebenen Verpflichtungsschein begleitete Gesuch um Erlaubnis zum Bezuge und Verkaufe von Tabakwaren unterbreiten. Der Verband lehnte mit Brief vom 13. Januar 1951 ab, weil das Bedürfnis nach einer neuen Verkaufsstelle in der Gegend um die Sihlbrücke verneint werden müsse. Wiedererwägungsgesuche vom 27. Januar und 13. Februar 1951 blieben erfolglos.
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C.- Im Mai 1952 reichte Schwarzer gegen den Schwei zerischen Tabakverband Klage ein mit den Begehren:
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"1. Der Beklagte sei zu verurteilen, dem Kläger die ausdrückliche Bewilligung zu erteilen, sämtliche für seinen Kiosk an der Gessnerallee-Sihlstrasse, Zürich, benötigten Tabakwaren von den dem Schweiz. Tabakverband angeschlossenen Firmen, Fabrikanten, Grossisten usw. zu den in der Konvention des Schweiz. Tabakverbandes enthaltenen Bedingungen zu beziehen, unter Androhung der gesetzlichen Folgen im Falle der Nichterfüllung.
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2. Der Beklagte sei ferner zu verurteilen - ebenfalls unter Androhung der gesetzlichen Folgen im Unterlassungsfalle - den ihm angeschlossenen Firmen und Verbänden durch eingeschriebenen Brief, eventuell in der in den Statuten vorgesehenen Weise mitzuteilen, dass sie berechtigt seien, dem Kläger für seinen Kiosk in Zürich Tabakwaren irgendwelcher Art zu den üblichen Verbandspreisen zu liefern.
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3. Der Beklagte sei schliesslich zu verurteilen, dem Kläger eine richterlich zu bestimmende Summe als Schadenersatz zu bezahlen."
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Der Verband erhob zunächst die Unzuständigkeitseinrede, da sich Schwarzer durch Unterzeichnung des Verpflichtungsscheines der in der Konvention vorgesehenen Schiedsgerichtsbarkeit unterzogen habe. Diese Auffassung wurde vom kantonalen Richter anerkannt, jedoch auf staatsrechtliche Beschwerde Schwarzers hin vom Bundesgericht insoweit verworfen, als die geltend gemachten Ansprüche nicht auf die Konvention oder den Verpflichtungsschein ![]() | 21 |
"1. Die Schiedsgerichtsvereinbarung wird in diesem Falle aufgehoben, sodass das befasste Gericht zuständig sein soll, sowohl die Vertragsklage auf Bewilligung des Kioskes infolge vorhandenen Bedürfnisses als auch die Boykottklage zu beurteilen.
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2. Hinsichtlich der Boykottfrage anerkennt der Kläger, dass sowohl Zwecke als auch Mittel der Beklagten nicht angefochten werden, dagegen die bisher vorgenommene Interessenabwägung zwischen Verbandszweck und Berechtigung des Klägers auf Führung des Kiosks."
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Durch seinen Sachentscheid vom 26. Mai 1954 hiess der Appellationshof des Kantons Bern die Klage gut, indem er den Beklagten unter Androhung strafrechtlicher Ahndung im Widerhandlungsfalle verurteilte, "den ihm angeschlossenen Firmen und Verbänden verbindlich mitzuteilen, dass sie berechtigt seien, dem Kläger für seinen Kiosk an der Gessnerallee/Sihlstrasse in Zürich Tabakwaren irgendwelcher Art zu den üblichen Verbandspreisen zu liefern", und verpflichtete, "dem Kläger an Schadenersatz zu bezahlen: für die Zeit bis zum 31. Mai 1954 Fr. 9500.--, mit Zins zu 5% seit dem 1. Januar 1953; vom 1. Juni 1954 hinweg bis zur Aufhebung der Sperre Fr. 300.-- im Monat."
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D.- Der Beklagte legte Berufung an das Bundesgericht ein. Er beantragt vollumfängliche Abweisung der Klage. Der Kläger schliesst auf Bestätigung des kantonalen Erkenntnisses.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Ausgehend davon, dass mit der oben wiedergegebenen gemeinsamen Parteierklärung "der noch streitige Prozessstoff umschrieben" sei, hat der Appellationshof den ![]() | 26 |
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Die Berufung verficht die Auffassung, dass kein Vernichtungsboykott gegeben sei, vielmehr die Vorinstanz nur von einem Verdrängungsboykott spreche, jedoch, am Ergebnis der Verbandsvorkehren gemessen, auch ein solcher ausscheide. Dem ist fürs erste entgegen zu halten, dass die Grenzen zwischen Verdrängung und Vernichtung fliessend sind. Die Verdrängung aus einer geschäftlichen Stellung und schon die blosse Verhinderung an gewollter geschäftlicher Betätigung enden häufig mit der Vernichtung ![]() ![]() | 28 |
Liegt ein Boykott vor, so sind seine Zulässigkeit zu prüfen und gegebenenfalls seine Grenzen abzustecken. Dabei geht es keineswegs um eine Entscheidung über die vom Beklagten in den Vordergrund der Betrachtung gerückten verfassungsmässigen Freiheitsrechte an sich. Vielmehr hat die Beurteilung danach zu fragen, ob die beanspruchte Boykottbefugnis einen Ausfluss jener Freiheitsrechte darstelle und ob die verhängten Boykottmassnahmen sich innerhalb der für die Rechtsausübung gesetzten Schranken halten bzw. mit Drittrechten vertragen. Es wäre gänzlich abwegig, aus dem Bestehen der Handels- und Gewerbefreiheit, der Vertragsfreiheit und der Vereinsfreiheit die grundsätzliche Schutzlosigkeit Dritter gegenüber Verbandsbeschlüssen und deren Auswirkungen zu folgern, wie es der Beklagte anscheinend will, indem er unterstellt, dass lediglich "kein krasser Missbrauch geübt werden darf". Art. 2 ZGB verpönt jeglichen Rechtsmissbrauch, sobald er offenbar ist, während Art. 41 Abs. 2 OR für den Verstoss gegen die guten Sitten und Art. 28 ZGB für die Verletzung in den persönlichen Verhältnissen nicht einmal jene Offenkundigkeit verlangen.
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3. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Boykott an und für sich ein statthaftes Kampfmittel im Wirtschaftsleben, aber unzulässig dann, "wenn der mit ihm verfolgte Zweck oder die angewandten Mittel ![]() | 30 |
Der Begriff des Verstosses gegen die guten Sitten ist umfassender als derjenige der Beeinträchtigung des subjektiven Rechtes "auf Achtung und Geltung der wirtschaftlichen Persönlichkeit", auf dem die ältere Praxis fusste (BGE 56 II 435). Allein der auf Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz zielende Boykott schliesst normalerweise einen Eingriff in die wirtschaftliche Persönlichkeit des Boykottierten ein. Die Sittenwidrigkeit im Sinne des Art. 41 Abs. 2 OR wird alsdann in der Regel mit einer Verletzung der persönlichen Verhältnisse gemäss Art. 28 ZGB verbunden sein. Die neuere Rechtsprechung hat daher mit Grund den Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechtes wieder einbezogen (BGE 76 II 288).
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Dafür, dass die umschriebenen Voraussetzungen eines zulässigen Vernichtungsboykottes erfüllt seien, ist der Boykottierende "nach den allgemeinen Grundsätzen der Behauptungs- und Beweislast beweispflichtig" (BGE 76 II 290). Das heisst, dass der Vernichtungsboykott im Einzelfalle einer hinreichenden Rechtfertigung bedarf, welche aus der Gegenüberstellung der geltend gemachten Verbandsinteressen mit den Interessen des Boykottierten herzuleiten ist. Eine derartige Interessenabwägung hat die Vorinstanz vorgenommen. Auf die vom Beklagten auch in diesem Zusammenhange wiederholte Bemängelung der Beweiserhebung braucht nicht näher eingetreten zu ![]() | 32 |
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Nun pflegt der Tabakverband über Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Bedürfnisses für eine geschäftliche ![]() ![]() | 34 |
Die zusammenfassende Wertung führt zum Schlusse, dass der Boykott des Beklagten offenbar missbräuchlich ist, gegen die guten Sitten verstösst und eine untragbare Verletzung des Rechtes der wirtschaftlichen Persönlichkeit des Klägers zeitigt. Folgt damit die Gutheissung der Klage aus der geltenden einschlägigen Gerichtspraxis, so erübrigt sich hier eine Auseinandersetzung mit der an dieser geübten Kritik.
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5. Der von der Vorinstanz zugesprochene Schadenersatz ist - jedenfalls mit einer der Vorschrift in Art. 55 Abs. 1 lit. c OG genügenden Begründung - ziffernmässig nicht bestritten. Der Beklagte lehnt, entsprechend seinem grundsätzlichen Prozessstandpunkt, jede Schadenersatzpflicht ab. Wollte man annehmen, darin sei als Geringeres eventuell auch ein Herabsetzungsbegehren inbegriffen, so wäre dieses zu verwerfen. Die Vorinstanz hat die vom Experten errechnete Ersatzforderung ermessensweise bereits gekürzt. Weiter zu gehen besteht kein Anlass. Einem Verbande, der ein wirtschaftliches Monopol oder doch eine monopolähnliche Stellung in Anspruch nimmt und sich für seine Zwecke des Systems der Bedürfnisklausel bedient, erwächst bei ihrer Handhabung gegenüber dem Einzelnen die Obliegenheit zu einlässlicher und objektiver Abklärung der Verhältnisse, bevor durch ![]() | 36 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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