BGE 81 II 180 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
32. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Juni 1955 i.S. Schmidiger gegen Schmidiger. | |
Regeste |
In der Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Entscheid, der in einer vermögensrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeit ergangen ist, muss angegeben werden, dass und wieso der für die Berufung erforderliche Streitwert nicht erreicht sei, wenn der Streitgegenstand nicht in einer bestimmt bezifferten Geldsumme besteht (Art. 71, 55 Abs. 1 lit. a OG). |
Ergibt sich aus dem Bundesrecht, welche Behörde zum Entscheid hierüber berufen ist? | |
Sachverhalt | |
Zu dem noch unverteilten Nachlass des im Jahre 1942 verstorbenen Josef Schmidiger-Bitzi gehört die Liegenschaft "Unter Trübenbach" in Schüpfheim. Am 31. Juli 1954 ersuchten drei der sieben Erben unter Berufung auf Art. 612 ZGB den Gemeinderat von Schüpfheim, die Liegenschaft öffentlich, eventuell unter den Erben zu versteigern. Ein vierter Erbe schloss sich diesem Antrag an, während die drei übrigen Erben (die heutigen Beschwerdeführer) den Antrag stellten, auf das Gesuch nicht einzutreten, eventuell es abzuweisen. Sie machten geltend, der Gemeinderat sei zum Entscheid darüber, ob die Voraussetzungen für einen Verkauf erfüllt seien, nicht zuständig; hierüber habe der Richter zu befinden; eventuell sei das Gesuch abzuweisen, weil eine Teilung ohne Verkauf möglich sei.
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Der Gemeinderat trat auf das Gesuch nicht ein. Auf Beschwerde der Gesuchsteller hat dagegen der Regierungsrat des Kantons Luzern am 3. Februar 1955 erkannt, der Gemeinderat werde angewiesen, "das Begehren um Anordnung einer Steigerung zu behandeln". Zur Begründung führte er aus, nach richtiger Auslegung von Art. 612 ZGB habe die in dessen drittem Absatz genannte "zuständige Behörde" nicht nur über die Versteigerungsart, sondern auch darüber zu entscheiden, ob überhaupt ein Verkauf stattzufinden habe. Diese Behörde sei nach § 8 des luzernischen EG zum ZGB der Gemeinderat.
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Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist nach Art. 68 OG nur zulässig in Zivilsachen, die nicht nach Art. 44-46 OG der Berufung unterliegen. In vermögensrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeiten, bei denen der Streitwert nach Massgabe der vor der letzten kantonalen Instanz noch streitigen Rechtsbegehren wenigstens Fr. 4000.-- beträgt (Art. 46 OG), ist sie also unzulässig.
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Im vorliegenden Falle streiten die Parteien darüber, ob die zum Nachlass gehörende Liegenschaft als solche in die Teilung einbezogen (einem Lose zugewiesen) oder verkauft werden soll, und ist zwischen ihnen ein kontradiktorisches Verfahren eingeleitet worden, um einen endgültigen behördlichen Entscheid über diese zivilrechtliche Frage herbeizuführen. Bei einem solchen Verfahren handelt es sich um eine vermögensrechtliche Zivilrechtsstreitigkeit (vgl. BGE 78 II 180), und zwar gilt dies unabhängig davon, ob das Verfahren nach den einschlägigen Vorschriften vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde durchzuführen ist und welche kantonale Behörde sich tatsächlich damit befasst. Will ein daran Beteiligter geltend machen, dass ein darin ergangener Entscheid der obern kantonalen Behörde Bundesrecht verletze, so steht ihm also das Rechtsmittel der Berufung zu Gebote, wenn die Berufungssumme erreicht ist. Mit der Berufung kann in diesem Falle insbesondere auch die Rüge erhoben werden, dass sich eine nach eidgenössischem Recht nicht zuständige Behörde mit der Sache befasse. Falls über die Zuständigkeit ein selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 49 OG ergeht, kann dieser - immer vorausgesetzt, dass der erforderliche Streitwert gegeben ist - wegen Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften über die sachliche oder örtliche Zuständigkeit unmittelbar (vor Erlass des Endentscheides) durch Berufung angefochten werden und lässt sich die erwähnte Rüge mit der Berufung gegen den Endentscheid nicht mehr erheben (Art. 49 und 48 Abs. 3 OG).
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Mit einem solchen Zwischenentscheide hat man es hier zu tun. Dass die Vorinstanz damit eine aus Art. 610 ff. ZGB sich ergebende Vorschrift über die sachliche Zuständigkeit verletzt habe, könnte also nur dann durch Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden, wenn feststünde, dass der Streitwert nach Massgabe der vor der Vorinstanz noch streitigen Rechtsbegehren Fr. 4000.-- nicht erreicht.
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Wie es sich damit verhalte, geben die Beschwerdeführer nicht an. Dies ausfindig zu machen, kann aber nicht Sache des Bundesgerichtes sein. Zwar enthält Art. 71 OG, der den Inhalt der Beschwerdeschrift regelt, keine dem Art. 55 Abs. 1 lit. a OG entsprechende Vorschrift. Indessen versteht sich von selbst, dass in einem Falle, wo wie hier die Zulässigkeit der Beschwerde vom Streitwert abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmt bezifferten Geldsumme besteht, der Beschwerdeführer angeben muss, dass und wieso der für die Berufung erforderliche Streitwert nicht erreicht sei. Man kann nicht etwa sagen, auf den Streitwert komme nichts an, weil eines der beiden Rechtsmittel ohnehin zulässig sei und eine als Beschwerde bezeichnete Rechtsschrift als Berufung behandelt wird, wenn dieses Rechtsmittel gegeben ist und die dafür geltenden Formvorschriften erfüllt sind. Denn abgesehen davon, dass letzteres hier mangels Streitwertangabe nicht der Fall wäre, ist eben immer nur das eine oder das andere Rechtsmittel zulässig und kann die Frage, mit welchem von beiden man es zu tun habe, nicht offen gelassen werden, weil das Berufungs- und das Beschwerdeverfahren in wesentlichen Punkten verschieden geregelt sind. Man muss z.B. wissen, ob der Eintritt der Rechtskraft gehemmt wird oder nicht (Art. 54 im Gegensatz zu Art. 70 OG) und ob eine Parteiverhandlung stattfinden muss oder nicht (Art. 62 und 73 OG).
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Auf die vorliegende Beschwerde ist also nicht einzutreten, weil ihre Zulässigkeit nicht dargetan ist. (Sie hätte im übrigen auch aus materiellen Gründen keinen Erfolg haben können, weil das ZGB die hier streitige Zuständigkeitsfrage nicht regelt, sondern ihre Regelung den Kantonen überlässt, und die Vorinstanz mit ihren Ausführungen über Art. 610 ff. ZGB in Wirklichkeit auch nur sagen wollte, dass kein Anlass bestehe, "den Richter hier von Bundesrechts wegen einzuschalten", m.a.W. dass das Bundesrecht einer ausdehnenden Auslegung von § 8 des kantonalen EG zum ZGB nicht im Wege stehe.)
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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