BGE 81 II 197 | |||
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35. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Mai 1955 i. S. Garesa A.-G. gegen Grand Anstalt. | |
Regeste |
1. Ausschluss neuer Vorbringen vor Bundesgericht (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG) (Erw. 2). |
3. Rechtsnatur und Art der Übertragung von Namenaktien (Erw. 4). |
4. Klage des Nichtbesitzers, der beweist, dass er die streitigen Namensaktien seinerzeit zu Eigentum erworben hat, gegen den gegenwärtigen Besitzer. Zusprechung der Klage, a) mangels Nachweises einer gültigen Indossierung auf den Besitzer oder eines gültigen Blankoindossamentes, b) wegen Tatsachen, die die Rechtmässigkeit des Besitzes verdächtig machen, c) weil der Besitzer, der die Herausgabe verweigert, weder ein eigenes Recht noch ein Drittmannsrecht an den Aktien geltend macht (Erw. 5-7). | |
Sachverhalt | |
A.- Die Baugeschäft und Chaletfabrik Davos A.-G. in Davos (hienach Chaletfabrik A.-G. genannt) hat ein Aktienkapital von Fr. 145'000.--, eingeteilt in 145 voll einbezahlte, auf den Namen lautende Aktien zu Fr. 1000.--. Die Statuten sehen vor, dass Name und Wohnort jedes Aktionärs in einem vom Verwaltungsrate geführten Aktienbuch einzutragen sind. Jeder Erwerb von Aktien ist zur Eintragung in das Aktienbuch anzumelden, unter Vorlegung der betreffenden Aktien und Nachweis des Erwerbes. Nur im Aktienbuch vorgemerkte Personen werden als Aktionäre betrachtet, und das Stimmrecht in der Generalversammlung steht nur den im Zeitpunkte der Einberufung im Aktienregister eingetragenen Aktionären zu. Beim Erwerb von Aktien durch Nicht-Aktionäre haben die Aktionäre ein Vorkaufsrecht. Nach der Anmeldung eines solchen Erwerbes sind sämtliche Aktionäre zu unterrichten, worauf sie das Vorkaufsrecht binnen 14 Tagen ausüben können (§§ 2, 3, 7 der Statuten).
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B.- Die Garesa A.-G. mit ursprünglichem Wohnsitz in Genf, nun in Zürich, behauptet, Eigentümerin der Aktien Nr. 74 bis 145 der Chaletfabrik A.-G. zu sein. Am 18. Februar 1953 hob sie beim Bezirksamt Oberlandquart ein Verfahren auf Kraftloserklärung dieser ihr angeblich abhanden gekommenen Aktien an. Auf die Bekanntmachung im bündnerischen Kantonsamtsblatt vom 6. März 1953 sandte am 4. September 1953, dem zweitletzten Tage der auf sechs Monate bemessenen Frist, die Liechtensteinische Landesbank dem Bezirksamt Oberlandquart die vermissten Aktien "im Auftrag der Grand-Anstalt, Vaduz" ein.
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C.- Hierauf teilte die Garesa A.-G. der Grand Anstalt mit, sie sei Eigentümerin der erwähnten Aktien, und bat um Auskunft, ob die Grand Anstalt ihrerseits das Eigentum beanspruche, oder wer sonst allenfalls Eigentumsrechte zu haben behaupte. Diese Anfrage wie auch eine zweite blieben unbeantwortet. Binnen der ihr vom Bezirksamt gemäss Art. 977/985 OR gesetzten Frist klagte die Garesa A.-G. gegen die Grand Anstalt beim Bezirksgericht Oberlandquart auf Feststellung ihres Eigentums an den 72 Aktien der Chaletfabrik A.-G. und auf unbeschwerte Herausgabe dieser Aktien. Die Beklagte trug im Vermittlungsverfahren auf Abweisung dieser Begehren an. Nach Zustellung der Klage ersuchte sie zweimal um Erstreckung der Beantwortungsfrist. Doch wurde ihr eine zweite Verlängerung der Frist verweigert mit Hinweis auf Art. 99 der bündnerischen ZPO. So unterblieb die Klagebeantwortung, und am weitern Verfahren vor den kantonalen Instanzen nahm die Beklagte nicht teil.
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D.- Während das Bezirksgericht aus formellen Gründen nicht auf die Klage eintrat, wies das Kantonsgericht von Graubünden sie mit Urteil vom 21. Oktober 1954 im Sinne der Erwägungen ab. Das Kantonsgericht geht von einer zugunsten der Beklagten als Besitzerin bestehenden Rechtsvermutung aus. Nun habe die Klägerin zwar den Erwerb sämtlicher (nicht nur der streitigen) Aktien der Chaletfabrik A.-G. in den Jahren 1945 bis 1947 bewiesen. Unbewiesen sei dagegen, dass sie im Zeitpunkt des angeblichen Verschwindens Devecseris - eines Mitgliedes des Verwaltungsrates der Chaletfabrik A.-G., der die streitigen Aktien nach Angabe der Klägerin etwa im Jahre 1949 veruntreut haben soll - immer noch Eigentümerin dieser Aktien war. Das hätte sie, falls es zutreffen sollte, leicht durch Edition des Aktienbuches der Chaletfabrik A.-G. nachweisen können. Die statt dessen vorgelegte Bescheinigung dieser Gesellschaft sei nicht beweiskräftig. Die Klägerin habe es auch unterlassen, die Strafuntersuchungsakten edieren zu lassen, um das Verschwinden Devecseris, die Veruntreuung der streitigen Aktien und die Anhebung einer Strafuntersuchung zu beweisen. "Hat somit die Klägerin den Beweis dafür, dass ihr Eigentumsrechte an den streitigen Aktien zustehen bzw. im Zeitpunkte von deren Verschwinden zustanden, in keiner Weise erbracht, so ist ihre Klage und damit die Appellation abzuweisen. Die Frage, inwiefern die Beklagte an den Aktien gutgläubig Eigentum erwarb bzw. erwerben konnte, braucht unter diesen Umständen gar nicht weiter geprüft zu werden."
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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4. Indessen ist der Klägerin darin beizustimmen, dass Namenaktien in der Regel nicht durch blosse Übergabe der Aktientitel zu Eigentum übertragen werden können. Zwar will die Klägerin die streitigen Aktien zu Unrecht überdies als vinkuliert betrachtet wissen. Den (in A der Tatsachen erwähnten) Bestimmungen der Statuten ist weder ein Ausschluss noch eine von den gesetzlichen Regeln abweichende Form der Übertragung zu entnehmen. Ferner unterstellen die Statuten den rechtsgeschäftlichen Erwerb von Aktien nicht einer Zustimmung der Gesellschaft. Nicht einmal die Aufnahme als Mitglied bedarf solcher Zustimmung, vielmehr besagen die statutarischen Vorschriften über die Anmeldung und den Nachweis des Erwerbes nichts, was über die Regeln des Art. 685 OR hinausginge. Nur das den bereits eingetragenen Aktionären vorbehaltene Vorkaufsrecht steht ausserhalb der gesetzlichen Ordnung. Es unterstellt den rechtsgeschäftlichen Erwerb einer auflösenden Bedingung während einer Schwebezeit, die bis 14 Tage nach Bekanntgabe eines dem Verwaltungsrat angemeldeten Erwerbes an die eingetragenen Aktionäre dauert. Hat man es somit, (unter Vorbehalt des erwähnten Vorkaufsrechtes) nicht mit vinkulierten Namenaktien zu tun, so genügt aber dennoch zur Übertragung nicht die blosse Besitzübergabe. Namenaktien sind freilich nicht Namenpapiere im engern Sinne von Rektapapieren, aber auch nicht wie Sachen übertragbare Inhaberpapiere, sondern, wie sich aus Art. 684 Abs. 2 OR ergibt, gesetzliche Orderpapiere (vgl.BGE 78 II 265ff. und zu den Kritiken von A. WIELAND und KONRAD BLOCH in SJZ 49 S. 69 ff. und 317 ff. die Bemerkungen von GUHL in ZbJV 90 S. 306). Es bedarf daher der Übergabe der Aktie mit einem den Erwerber legitimierenden Indossament (oder einer als gleichwertig zu betrachtenden Abtretungserklärung, sei sie nun auf dem Aktientitel selbst angebracht oder davon getrennt; vgl. BÜRGI, N. 16 zu Art. 684 OR). Allerdings lassen sich Namenaktien (wie andere Orderpapiere) auch blanko indossieren und können alsdann, solange das Blankoindossament nicht ausgefüllt ist, wie Inhaberpapiere, also durch blosse Besitzübergabe, in Umlauf kommen und den Eigentümer wechseln (vgl. SCHUCANY, N. 2 zu Art. 684 OR, und GUHL, a.a.O.).
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5. Nach den dargelegten Grundsätzen ist die Klägerin, wie das Kantonsgericht zutreffend entschieden hat, in den Jahren 1945-1947 Eigentümerin nicht nur der heute streitigen, sondern aller 145 Aktien der Chaletfabrik A.-G. geworden. Das folgt aus dem Kaufvertrag mit Optionsrecht vom 15. Oktober 1945 und der von den Verkäufern ausgestellten "Quittance" vom 10. Februar 1947, deren Ziffer 3 lautet:
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"Les versements ayant été régulièrement effectués, et la totalité des actions transférée, Garesa SA se trouve aujourd'hui seul et unique propriétaire des actions de Baugeschäft und Chaletfabrik AG à Davos."
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Das Kantonsgericht hat allerdings die Form der Übertragung auf die Klägerin nicht näher festgestellt. Es durfte aber aus der "Quittance" in Verbindung mit den Zeugenaussagen der Verkäufer folgern, dass die Aktien entweder auf die Klägerin indossiert wurden oder entsprechende Abtretungserklärungen (die Zeugen sprechen von Zessionen) oder Blankoindossamente vorlagen, seien es bereits von Vorgängern der beiden Verkäufer angebrachte oder solche der Verkäufer selbst. In einer Klausel des Kaufvertrages vom 15. Oktober 1945 war vorgesehen, dass die von der Klägerin jeweilen gegen Preiszahlung abzurufenden Aktien "mit Blankoindossament versehen" in ein Banksafe zu legen seien, über das nur beide Parteien gemeinsam sollten verfügen können. Doch ist über die Einhaltung dieser Vereinbarung und über die Art der Abwicklung der Leistungen aus dem Kaufvertrag nichts festgestellt.
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Da die Klägerin alle Aktien der Chaletfabrik A.-G. von Baumann und Müller erwarb, war ein Vorkaufsrecht anderer Aktionäre nicht gegeben. Die Verkäufer konnten ein solches Recht nicht für sich in Anspruch nehmen, um den Kaufvertrag zunichte zu machen, und weitere Aktionäre waren nicht vorhanden.
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6. Dem gültig von der Klägerin erworbenen Eigentum hält das angefochtene Urteil eine seither durch Besitzerwerb entstandene Vermutung zugunsten der Beklagten entgegen. Es nimmt zwar nicht geradezu gutgläubigen Eigentumserwerb durch die Beklagte an, sondern lässt offen, wie es sich damit verhalten möge. Dagegen habe der gegenwärtige Besitz der Beklagten eine verstärkte Beweislast der Klägerin zur Folge, in dem Sinne, dass diese nicht nur den Erwerb des Eigentums, sondern auch dessen Fortdauer mindestens bis zum Verschwinden Devecseris beweisen müsse, was sie nicht getan und gar nicht ernstlich, jedenfalls nicht mit tauglichen Mitteln versucht habe. Indessen ist nicht einzusehen, was mit einem solchen Nachweis für die Klägerin gewonnen wäre, wenn dann doch, wie es das Kantonsgericht anzunehmen scheint, eine Rechtsvermutung zugunsten der Beklagten als gegenwärtiger Besitzerin der Aktien begründet ist. Entfällt dagegen eine aus dem Besitz der Beklagten abzuleitende Rechtsvermutung zu ihren Gunsten, so ist die Klägerin nach wie vor als Eigentümerin der streitigen Aktien zu betrachten. Denn in diesem Falle ist nicht einzusehen, wieso dieses Eigentum erloschen sein sollte. Insbesondere ist den dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Akten nichts zu entnehmen, was auf einen Übergang des Eigentums auf eine dritte Person (oder auf den Erwerb anderer Rechte an den streitigen Aktien durch irgendjemand) schliessen liesse.
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a) Einmal hat man es nicht mit Inhaberpapieren, sondern mit Orderpapieren zu tun, die normalerweise nicht durch blosse Besitzübergabe zu Eigentum oder einem beschränkten dinglichen Recht übertragen werden können, sondern der Indossierung oder einer Abtretungserklärung bedürfen. Bei Wertpapieren solcher Art lässt sich daher nicht aus dem Besitz allein, sondern nur in Verbindung mit einer formell ordnungsmässigen Indossierung oder Abtretung eine Rechtsvermutung herleiten. Anders ist es, wie bereits dargetan, nur bei Blankoindossierung, die jedoch im vorliegenden Falle nicht nachgewiesen ist.
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b) Sollte die Beklagte die Aktien aber auch mit formell ordnungsmässigen, von einem hiezu legitimierten Vorbesitzer ausgestellten Blankoindossamenten in Besitz genommen haben, so wäre den Zweifelsgründen Rechnung zu tragen, die diesen Besitz als verdächtig erscheinen lassen (vgl.BGE 76 II 344). Die Beklagte hat, als die Klägerin sich vor dem Prozess auf ihr Eigentum berief, deren Anfrage nach allfälligen von ihr an diesen Aktien beanspruchten Rechten unbeantwortet gelassen. Falls die Beklagte wirklich eigene Rechte an den Aktien zu haben glaubt, müsste sie doch wohl den Erwerbsgrund kennen und sich über die Umstände des Geschäftsabschlusses und der Übertragung zu äussern vermögen. Verweigert ein Besitzer die Aufschlüsse über seinen Erwerb, die nach der Sachlage von ihm nach Treu und Glauben verlangt werden dürfen, so macht er sich verdächtig, so dass die aus dem Besitz abzuleitende Rechtsvermutung entfällt (vgl. OSTERTAG, 2. Aufl., N. 12 zu Art. 930/31 und N. 24 zu Art. 933 ZGB). Insbesondere im Prozess ist der Besitzer verpflichtet, das Seinige zur Abklärung des Sachverhaltes beizutragen, zumal wenn er, wie gewöhnlich, über die Umstände seines Erwerbes besser unterrichtet ist als der klagende Nichtbesitzer (vgl.BGE 66 II 145). Es ist auch zu bedenken, dass eine nicht auf einem Erwerbsgeschäft beruhende Besitznahme, selbst wenn sich der Besitzer gutgläubig als Eigentümer betrachtet, gegenüber dem frühern Besitz eines Klägers nicht durchzudringen vermag, der sich seinerseits auf ein gültiges Erwerbsgeschäft stützt (BGE 65 II 62ff.). Dem Besitzer ist daher grundsätzlich zuzumuten, dass er sich über den Grund des Besitzes ausspreche. An solchen Angaben fehlt es hier völlig.
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c) Endlich lässt sich aus der Tatsache, dass sich die streitigen Aktien bei der Beklagten befinden (d.h. von einer Bank in deren Auftrag vorgelegt wurden), deshalb nichts gegen die Klägerin herleiten, weil die Beklagte sich gar nicht auf ein bestimmtes ihr oder einem Dritten (d.h. einem Zwischenbesitzer) zustehendes Recht berufen hat. Bei diesem Sachverhalte muss die Beklagte als Besitzerin ohne Recht angesehen werden. Denn nicht der Besitz eines Andern als blosse Tatsache bildet gegenüber einem frühern Besitzer, der das seinerzeit erworbene Eigentum nachweist, einen materiellrechtlichen Erlöschungsgrund. Diese Wirkung könnte vielmehr nur einem bessern Recht des Besitzers zukommen, das sich unter gewissen Voraussetzungen freilich auf eine durch den Besitz begründete Rechtsvermutung stützen liesse. Ist aber kein bestimmtes Recht des beklagten Besitzers behauptet, so kann der Klage des frühern Besitzers nicht entgegengehalten werden, dass ein solches Recht unter Umständen (immerhin unter Vorbehalt der Widerlegung durch den Kläger) zu vermuten gewesen wäre.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung der Klägerin wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichtes von Graubünden vom 21. Oktober 1954 aufgehoben und die Klage gutgeheissen, d.h. festgestellt, dass die Klägerin Eigentümerin der 72 Namenaktien Nr. 74 - 145 der Baugeschäft und Chaletfabrik Davos A.-G. ist, und die Beklagte zu deren Herausgabe an sie verpflichtet.
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