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9. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Februar 1956 i. S. Schweiz. Bundesbahnen gegen Meier. | |
Regeste |
Eisenbahnhaftpflicht. |
Passivlegitimation. | |
Sachverhalt | |
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Als am 2. Juli 1954 ein Lastwagen der Transportfirma Emil Meier auf dem Fabrikareal der A.-G. Hunziker & Cie dieses Geleise überquerte, rammte ihn eine mit Bundesbahnpersonal bemannte Rangier-Dampflokomotive der SBB, die, nachdem sie Tankwagen zum thermischen Kraftwerk geführt hatte, auf der Rückfahrt zur Station Döttingen-Klingnau begriffen war. Personen wurden nicht verletzt. Dagegen wurde der Lastwagen stark beschädigt.
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B.- Mit Klage vom 22. Juli 1955 verlangte Emil Meier von den SBB rund Fr. 14'000.-- Schadenersatz. Die beklagte Bahnunternehmung bestritt vor allem ihre Passivlegitimation. Sie machte im wesentlichen geltend, im Falle der Anwendbarkeit des EHG treffe die Haftpflicht den "Inhaber der Eisenbahnunternehmung" (Art. 1 Abs. 1 EHG). Dies sei derjenige, auf dessen Rechnung und Gefahr die Unternehmung zur Zeit des Unfalls geführt werde. Nach Art. 6 und 7 des Bundesgesetzes über die Rechtsverhältnisse der Verbindungsgeleise zwischen dem schweizerischen Eisenbahnnetz und gewerblichen Anstalten vom 19. Dezember 1874 (VG; siehe BS 7 S. 23 ff.) seien die SBB nur verpflichtet, den Betrieb bis zum Anschlusspunkt (Anschlussweiche) zu besorgen. Was ausserhalb dieses Punktes geschehe, sei Sache des Anschliessers ("des Besitzers des Verbindungsgeleises"). Dieser sei Herr des Verkehrs auf dem Anschlussgeleise, auch wenn die SBB vertraglich den Transport der ankommenden und abgehenden ![]() ![]() | 3 |
C.- Durch Vorentscheid vom 14. November 1955 hat der Appellationshof des Kantons Bern (II. Zivilkammer) die Passivlegitimation der Beklagten bejaht mit der Begründung, wenn die Beklagte den Betrieb auf einem Verbindungsgeleise vertraglich übernehme, habe er öffentlichen Charakter. Art. 6 VG sei dispositiver Natur. Bei Beurteilung der Frage, ob die Beklagte den Betrieb auf dem streitigen Verbindungsgeleise übernommen habe, falle in Betracht, dass derjenige als Betriebsunternehmer erscheine, auf dessen Rechnung der Betrieb geführt werde. Wer den Betrieb auf dem Verbindungsgeleise ökonomisch für sich ausnütze, müsse die Haftpflicht tragen. Das sei die Beklagte, sie sich im Anschlussvertrag zur Zustellung und Abholung der Bahnwagen zur bzw. bei der Verladerampe gegen eine Gebühr von Fr. 4.- pro Wagen verpflichtet habe. Dazu komme, dass alle Züge auf dem Verbindungsgeleise mit Lokomotiven und Personal der Beklagten geführt würden. Angesichts der technischen Einordnung des Betriebs auf dem Verbindungsgeleise in den Fahrdienst der SBB und der sonst noch bestehenden Bahnvorschriften über den Betrieb auf diesem Geleise könne von einer selbständigen Führung des Betriebs durch die Anschliesserin nicht die Rede sein. Vielmehr sei der Betrieb der Beklagten über den Anschlusspunkt hinaus ausgedehnt worden. In den regelmässigen Fahrten der Beklagten auf dem Verbindungsgeleise zwecks Zustellung und Abholung der Bahnwagen sei dessen bestimmungsgemässe Verwendung zu erblicken. Die Eigentumsverhältnisse am Verbindungsgeleise seien bei Beurteilung der Frage, welche Unternehmung bezüglich des den Unfall verursachenden ![]() | 4 |
D.- Gegen diesen Entscheid hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, ihre Passivlegitimation sei zu verneinen. In der Berufungsbegründung führt sie aus, dass der Betrieb auf dem Verbindungsgeleise in erster Linie vom Anschliesser wirtschaftlich ausgenützt werde und dass das unmittelbare Interesse daran bei ihm liege, auch wenn sie den technischen Betrieb übernommen habe. Ferner hält sie daran fest, dass jener Betrieb nicht öffentlichen, sondern privaten Charakter habe und daher nicht als ihr eigener Betrieb gelten könne, und dass Art. 6 VG die "Verbindungsgeleise-Unternehmung" von der öffentlichen Bahnunternehmung ohne Rücksicht darauf, ob und wie die beiden Unternehmungen einander Dienste leisten, nach einem formellen Kriterium (Anschlusspunkt) abgrenze. Dies habe den Vorteil, dass rasch und einfach bestimmt werden könne, wer der Haftpflichtige sei. Auch sei es sachlich richtig, dass der "Besitzer des Verbindungsgeleises" haftpflichtig sei. Er setze die Gefahr, indem er den Betrieb aus eigenen wirtschaftlichen Interessen in Gang bringe. Dies gelte unabhängig davon, wer die technische Durchführung besorge. Art. 13 VG bedeute, dass der Besitzer des Verbindungsgeleises jedenfalls dann nach EHG hafte, wenn er den Betrieb selber besorge. Besorge er ihn nicht selbst, sondern beauftrage er damit z.B. die Hauptbahn selbst, so hafte er nach Art. 1 EHG auch für diese als diejenige Person, deren er sich zum Betrieb des Transportgeschäftes bediene.
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Entgegen der Auffassung, welche die Beklagte im kantonalen Verfahren vertreten hat, lässt sich aus Art. 13 VG nicht ableiten, dass die Haftpflicht aus Unfällen beim Betrieb eines Verbindungsgeleises sich nur hinsichtlich des Personenschadens nach dem EHG richte, wogegen die Ersatzpflicht für Sachschaden bei solchen Unfällen nach dem OR zu beurteilen sei. Wenn Art. 13 VG die bundesgesetzlichen Bestimmungen "über die Verbindlichkeit der Eisenbahnen etc. für die beim Bau und Betrieb herbeigeführten Tötungen und Verletzungen" als anwendbar erklärt, so knüpft er unzweifelhaft an den Titel an, den das bei Erlass des VG im Wurf liegende erste EHG (vom 1. Juli 1875) nach dem bundesrätlichen Entwurf vom 26. Mai 1874 in Anlehnung an Art. 38 Ziff. 2 des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember 1872 tragen sollte ("Bundesgesetz betreffend die Verbindlichkeit der Eisenbahnen und anderer vom Bunde konzedierter Transportanstalten für die beim Bau und Betriebe herbeigeführten Tötungen und Verletzungen"; vgl. BBl. 1874 I S. 889, 899). Bereits dieser Entwurf enthielt eine dem heutigen Art. 11 Abs. 1 und 2 ![]() | 8 |
Für den Fall, dass die Haftpflicht für beim Betrieb eines Verbindungsgleises eingetretene Sachschäden nach dem EHG zu beurteilen ist, hat die Beklagte mit Recht nicht in Abrede gestellt, dass der Inhaber der Bahnunternehmung auch dann belangt werden kann, wenn nicht ihm selber, sondern nur seinem Personal ein Verschulden vorgeworfen wird (vgl. BGE 37 II 224 Erw. 2).
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Der Entscheid über die Passivlegitimation der Beklagten hängt also davon ab, ob sie im Sinne des EHG Inhaber der Eisenbahnunternehmung sei, bei deren Betrieb der eingeklagte Sachschaden entstanden ist.
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3. Art. 6 VG bestimmt, es sei Sache des Besitzers des Verbindungsgeleises, die Wagen beim Anschlusspunkt (Anschlussweiche) zu holen und dorthin abzuliefern, sowie dieselben auf seinem Geleise zu beladen und abzuladen; hinsichtlich der Art der Beladung habe er sich den auf der Hauptbahn geltenden Vorschriften zu unterziehen. Nach der Ansicht der Beklagten setzt diese Bestimmung ein für allemal die Grenze zwischen der "Verbindungsgeleise-Unternehmung" und der öffentlichen Eisenbahnunternehmung fest. Art. 6 VG regelt jedoch nur Fragen der Betriebsführung und tut dies, wie schon in BGE 26 II 18 festgestellt, mit Bezug auf die Abholung und Ablieferung der Wagen nicht in zwingender Weise. Das Gegenteil ergibt sich klar aus Art. 7 Abs. 2 VG, wonach die Verwendung der Zugkraft der öffentlichen Bahn auf dem Geleise der gewerblichen Anstalt (oder umgekehrt) Sache der freien Verständigung zwischen den beteiligten Eigentümern ist. In Art. 6 VG liegt also keineswegs eine Sondervorschrift ![]() | 11 |
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Im vorliegenden Falle erhält die Beklagte von den Anschliesserinnen für die Bedienung des Anschlusses (der Anschlussweiche und einer Schutzweiche) sowie für die von ihr gemäss Art. 6 des Anschlussvertrags zu besorgende ![]() | 13 |
Die Beklagte wendet freilich ein, bei Beurteilung der Frage, auf wessen Rechnung der Betrieb geführt werde, komme es weniger auf die "buchhaltungstechnischen" Auswirkungen als darauf an, wer bei Würdigung aller wirtschaftlichen Faktoren in erster Linie am Betrieb des Verbindungsgeleises interessiert sei; dies sei der Anschliesser. Das Kriterium, mit dem die Beklagte arbeiten möchte, kann jedoch nicht massgebend sein. Es ist klar, dass der Betrieb von Verbindungsgeleisen sowohl den angeschlossenen gewerblichen Anstalten als auch der Hauptbahn Nutzen zu bringen pflegt. Das Interesse der letztern lässt sich keineswegs nur darnach beurteilen, was ihr der Verkehr auf dem Verbindungsgeleise, für sich allein betrachtet, einbringt. Ihr Interesse liegt, wie die Beklagte einräumt, ![]() | 14 |
Dass die Beklagte bei der Zustellung und Abholung der Bahnwagen auf demVerbindungsgeleise nicht etwa bloss Hilfsperson ("Erfüllungsgehilfin") der Anschliesserin ist, liegt auf der Hand. Der mit ihren Maschinen und ihrem Personal besorgte Fahrdienst auf dem Verbindungsgeleise muss sich, wie insbesondere aus Art. 6 des Anschlussvertrags hervorgeht, dem Verkehr auf der Hauptbahn einordnen und nach den von dieser erlassenen Vorschriften abwickeln. Die Anschliesserinnen können lediglich den sog. Wagenübergabepunkt bestimmen. Von einer Bindung an die Weisungen der Anschliesserinnen, wie sie gegeben sein müsste, wenn die Beklagte als deren Hilfsperson gelten sollte, kann also nicht die Rede sein (vgl. BGE 26 II 19 /20, wo das Bestehen eines derartigen Verhältnisses aus ähnlichen Gründen verneint wurde). Wer in einem solchen Falle haftpflichtig wäre, kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.
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Ob ein Verbindungsgeleise ein im öffentlichen Interesse liegendes Werk im Sinne des Enteignungsrechts darstelle und der Verkehr darauf im Sinne des Strafrechts als öffentlicher Verkehr gelten könne oder nicht, ist für die heute zu treffende Entscheidung, die eine ganz andere Frage betrifft, ohne jeden Belang.
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Die Vorinstanz hat also die Passivlegitimation der Beklagten zu Recht bejaht.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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