![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
40. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Juli 1956 i.S. X. gegen Vormundschaftsbehörde Bern. | |
Regeste |
1. Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche (Art. 369 ZGB). Tat- und Rechtsfrage (Erw. 1 und 2). Ist wirtschaftliche Fürsorge geboten für einen in vorgerücktem Alter stehenden Studenten, der nur zeitweiligen Arbeitsverdienst hat? Das ist zu verneinen, wenn der Mann bescheiden lebt und sich durchbringt, ohne Andern zur Last zu fallen (Erw. 3). |
3. Kostenauflage im Entmündigungsverfahren: Für die kantonalen Instanzen gelten die kantonalen Kostenbestimmungen (Erw. 5). | |
Sachverhalt | |
1 | |
Anscheinend fehlte nur ein halber Punkt zum Minimalergebnis; der abgewiesene Kandidat führte sein Missgeschick darauf zurück, dass ihm einzelne Mitglieder der Prüfungskommission, besonders deren Präsident, übel gesinnt gewesen seien. Seither stellte er sich zu keiner Prüfung mehr; er hat jedoch die Absicht nicht aufgegeben, es einmal nach Ausscheiden des Kommissionspräsidenten noch zu tun. Er betrieb sein Studium weiter, ohne in den letzten Jahren an einer Universität immatrikuliert gewesen zu sein, und befasste sich mit einer Prüfungsarbeit, die nach dem nun geltenden Prüfungsreglement nicht mehr verlangt wird.
| 2 |
![]() | 3 |
C.- Die Vormundschaftskommission der Stadt Bern stellte am 16. Juni 1954 beim Regierungsstatthalter den Antrag auf Entmündigung des X. wegen Misswirtschaft (Art. 370 ZGB) und Geisteskrankheit (Art. 369 ZGB). Da sich der Gesuchsgegner widersetzte, wurden die Akten dem Amtsgericht Bern überwiesen. Auf dessen Anordnung erging eine psychiatrische Begutachtung, deren Ergebnis im Gutachten der Heil- und Pflegeanstalt Waldau vom 22. Oktober 1954 in folgender Weise zusammengefasst ist:
| 4 |
"a) Eine Geisteskrankheit lässt sich bei X. nicht nachweisen, hingegen besteht zweifelsohne eine Geistesschwäche im Sinne einer schweren schizoiden Psychopathie mit neurotischen Überlagerungen und reaktiven Störungen.
| 5 |
b) Der Explorand vermag aber trotzdem, mindestens vorläufig, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen und bedarf zu seinem Schutze weder des Beistandes, noch der Fürsorge. Er ist einvernahmefähig und kann sich eine Vorstellung über Wesen und Wirkung einer Vormundschaft machen.
| 6 |
c) Eine mildere Form vormundschaftlicher Massnahmen kommt wegen der Uneinsichtigkeit und Eigenwilligkeit des Exploranden ohnehin nicht in Frage."
| 7 |
Die antragstellende Behörde hielt nach wie vor eine Entmündigung für notwendig. Sie erklärte, die Lebenshaltung des Gesuchsgegners müsse als krankhaft und unsinnig bezeichnet werden. "Er vertrölt Jahr um Jahr, bis sein Vermögen aufgebraucht ist. Der Sinn vormundschaftlicher Massnahmen muss doch wohl der sein, einem solchen sinnlosen Verhalten Einhalt zu gebieten, bevor der letzte Franken aufgebraucht ist -". Indessen stellte der Gerichtspräsident das Verfahren vorläufig auf unbestimmte Zeit ein, "um dem Gesuchsgegner die Chance zu geben, zu zeigen, ob er sich endlich im Erwerbsleben durchzusetzen vermöge und sich einen Erwerb verschaffen könne".
| 8 |
![]() | 9 |
D.- Mit Entscheid vom 4. Februar 1956 lehnte das Amtsgericht von Bern den Entmündigungsantrag ab. Es erklärte, jedenfalls zur Zeit sei der Gesuchsgegner nicht im Sinne von Art. 369 ZGB fürsorgebedürftig, und wies auf die erwähnte und zwei kürzere Lehrer-Stellvertretungen hin. Infolgedessen sei das Vermögen temporär unberührt geblieben, und der Gesuchsgegner sei auch niemandem zur Last gefallen. Seine sparsame Lebensweise verdiene Anerkennung. Er werde sich wohl auch in Zukunft allein durchschlagen können. "Er will zwar nicht Lehrer werden, sondern hofft immer noch, das theologische Staatsexamen bestehen zu können. Diese an sich eigenartige Idee gibt indessen heute noch keinen Grund zur Entmündigung ab." Auch Misswirtschaft liege nicht vor.
| 10 |
E.- Auf Appellation der Vormundschaftsbehörde sprach der Appellationshof des Kantons Bern am 13. März 1956 die Entmündigung in Anwendung von Art. 369 ZGB aus. Der Appellationshof hatte einen Bericht des Schulinspektors des 6. Kreises eingeholt. Nach dessen Ausführungen hatte der Gesuchsgegner mit seiner Klasse erhebliche Schwierigkeiten. Es fehle ihm nach den Beobachtungen des Inspektors an Lehrbegabung, auch gehe ihm die Fähigkeit ab, eine Schulklasse dauernd in der Hand zu behalten. Es sei unwahrscheinlich, dass der Gesuchsgegner das bernische Primarlehrerpatent erwerben könnte, was Voraussetzung für eine endgültige Anstellung an einer bernischen Primarschule wäre.
| 11 |
In seinem Entscheide geht der Appellationshof vom Sachverständigenbefunde aus, wonach "die biologischen Voraussetzungen" einer Entmündigung. nach Art. 369 ![]() ![]() | 12 |
F.- Gegen diesen Entscheid hat X. Berufung an das Bundesgericht eingelegt, da die Voraussetzungen für eine Entmündigung nach Art. 369, eventuell 370 ZGB nicht gegeben seien.
| 13 |
Die Vormundschaftskommission der Stadt Bern trägt auf Abweisung der Berufung an.
| 14 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
15 | |
2. In welcher Weise sich die beim Gesuchsgegner festgestellte schizoide Psychopathie auf sein Denken, Wollen und Handeln äussert, ist dann aber nicht mehr reine Tatfrage. Innere Vorgänge lassen sich nur in beschränktem Masse als Tatsachen feststellen, und auch Handlungen und Unterlassungen sind im wahren Sinne feststellbar nur, soweit sie in der Vergangenheit liegen oder sich gerade jetzt ereignen. Ob eine mit geistigen Mängeln im Sinne von Art. 369 ZGB behaftete Person zu ihrem Schutz oder um der Sicherheit Anderer willen ![]() | 16 |
3. Geistige Mängel, die den Gesuchsgegner nach ihren offenkundigen Auswirkungen und nach allgemeiner Erfahrung ohne weiteres einer Bevormundung bedürftig machen würden, liegen nach den auf das Gutachten gestützten Feststellungen nicht vor. Er ist laut S. 18 des Gutachtens, wovon auch der Appellationshof ausgeht, ein normal intelligenter, schwer schizoider Psychopath mit einigen neurotischen Überlagerungen und reaktiven Störungen. Für eine paranoide Schizophrenie finden sich nur unschlüssige Anhaltspunkte. Der psychischen Abwegigkeit des Gesuchsgegners ist es nach der vom angefochtenen Urteil übernommenen Ansicht des Gutachters nun allerdings zuzuschreiben, "dass er mit den Aufgaben des Lebens nicht zurechtkommt" und seit dem missglückten Staatsexamen "keinerlei geordnete Tätigkeit mehr übernommen hat". Indessen wird anderseits seine grosse Sparsamkeit hervorgehoben, sodass es ihm voraussichtlich noch während einer Reihe von Jahren möglich sein werde, seinen Lebensunterhalt selber zu bestreiten. "Verwahrlost ist er nicht und wird es voraussichtlich auch in Zukunft nicht. Er führt wohl ein eigenartiges Leben und geht mit seinen Zielsetzungen von wirklichkeitsfremden Gedankengängen aus, aber er stösst mit seinem schrulligen Sonderlingsdasein eigentlich nirgends an, erregt kein Ärgernis und kommt allen seinen Verpflichtungen nach". Das Gutachten zieht auch die - in der Zwischenzeit weitgehend verwirklichte - Absicht des Gesuchsgegners in Betracht, vorübergehend eine Tätigkeit als Stellvertreter im Lehramt oder als ![]() | 17 |
Wenn der Appellationshof dennoch eine Entmündigung für notwendig hält, so sind dafür einzig Gründe der wirtschaftlichen Fürsorge massgebend. Denn in anderer Hinsicht hat sich der Gesuchsgegner bisher nicht als vormundschaftlicher Fürsorge bedürftig erwiesen. Was nun aber seine wirtschaftliche Lage betrifft, kann bei den gegenwärtigen Verhältnissen nicht von einer nahen Gefahr eines Notstandes gesprochen werden. Nachdem der Gesuchsgegner, freilich erst unter dem Druck des Entmündigungsverfahrens, sich ernstlich und mit beträchtlichem Erfolg um kürzere und längere Stellvertretungen im Lehramte bemüht hat, sodass sein Einkommen im Jahre 1955 anscheinend den bescheidenen Lebensaufwand aufzuwiegen vermochte (jedenfalls ist etwas Abweichendes nicht festgestellt), besteht zur Zeit kein genügender Grund zur Entmündigung, um auf die beruflichen Entschliessungen des Gesuchsgegners einzuwirken, d.h. ihn einem "praktischen Berufe" zuzuführen. Ob er sein Auskommen durch Wirksamkeit im Lehramt werde finden können, ist allerdings fraglich. Es darf aber nicht ohne weiteres angenommen werden, er finde als gebildeter Mann keine andern Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit. Bleibt er bei seinen geringen Ansprüchen an den Lebensaufwand, so genügt es zur Abwendung von Not, wenn er sich die für diesen Aufwand erforderlichen Mittel zu beschaffen vermag. Es darf ihm das Vertrauen geschenkt werden, er werde den auf die Vorhalte des erstinstanzlichen Gerichtes hin bewiesenen guten Willen auch weiterhin bewahren und in die Tat umsetzen. Dabei steht ihm anheim, sich vorderhand als Werkstudenten zu betrachten und die für den Erwerb nicht benötigte Zeit auf die Vollendung seines Studiums zu verwenden. Der Umstand, dass er wegen seines Misserfolges im Jahre 1948 immer noch gegen einzelne Mitglieder der Prüfungskommission vorzugehen beabsichtigt und die Ablegung der Schlussprüfung verschieben ![]() | 18 |
4. Besteht nach dem Gesagten kein zureichender Grund, den Gesuchsgegner als vormundschaftlicher Fürsorge im Sinne von Art. 369 ZGB bedürftig zu erachten, so ist auch eine Entmündigung nach Art. 370 ZGB nicht gerechtfertigt. Misswirtschaft kann ihm nicht vorgehalten werden, da sein Vermögen sicher und ertragreich angelegt ist und anscheinend in gehöriger Weise verwaltet wird. Aber auch unsolide Erwerbsverhältnisse, die eine Entmündigung ![]() | 19 |
20 | |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 21 |
22 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |