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44. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Mai 1956 i.S. M. gegen Kanton Aargau. | |
Regeste |
§ 2 aarg. Gesetz über die Verantwortlichkeit der öffentlichen Beamten und Angestellten und über die Haftung des Staates und der Gemeinden für ihre Beamten, vom 21. Dezember 1939. | |
Sachverhalt | |
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"Je reçois votre facture du 7 ct. frs. 20.- pour la consultation que mon ami le Dr B. a donnée à ma femme dernièrement. Cette petite note sera réglée prochainement.
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Il est envisagé pour l'automne prochain une intervention chirurgicale dans la région de la hanche avec inclusion d'une cupule de vitallium, et nous aimerions qu'elle soit effectuée dans votre accueillant hôpital d'Aarau par le Dr B.
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Seriez-vous assez aimable pour me renseigner sur les frais d'intervention chirurgicale avec lesquels nous devrions compter (hospitalisation, imprévus et divers non compris), afin que nous puissions les envisager dès maintenant."
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Am 26. Juli 1952 liess Dr. Häuptli durch seine Sekretärin, Schwester Elise Müller, antworten, dass sein Honorar etwa Fr. 400.-- betragen werde und die Tagestaxe sich für ausserkantonale Privatpatienten höchstens auf Fr. 22.- nebst 20% Teuerungszuschlag belaufe.
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Frau M. tat das. Sie wurde von der Aufnahmeschwester der chirurgischen Abteilung, Marie Schweigler, empfangen. Diese vermerkte sie auf dem für die Spitalverwaltung bestimmten Personalienblatt und auf dem Tagesrapport als Patientin der Privatabteilung, da Schwester Müller sie in diesem Sinne unterrichtet hatte. Ohne jenes Blatt fertig auszufüllen, wies Schwester Schweigler Frau M. auf die Privatabteilung, deren Personal die Privatpatienten selber aufzunehmen pflegte. Hier führte Schwester Marguerite Humbel Frau M. in das Zimmer, das für sie vorbereitet worden war, und legte ihr noch am gleichen Tage das erwähnte Blatt zur Eintragung ihrer Personalien vor.
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Am 4. Oktober 1952 wurde Frau M. von Dr. B. nach der Methode Judet operiert. Ab 6. Oktober behandelte Dr. Häuptli sie weiter, und zwar betreute er sie so, wie er seine Privatpatienten zu betreuen pflegte (täglich zwei Besuche in Begleitung einer Schwester). Sie blieb bis 7. Dezember 1952 im Kantonsspital. Dieses stellte ihr für ihre Verpflegung und gewisse andere Leistungen (Verpflegung der Privatschwester, Unkosten der Operation, Laboratoriumsgebühren usw.) am 7. November, 5. und 11. Dezember 1952 Rechnung. Die Rechnungen bezeichneten sie durch die Abkürzungen "Chir. Priv." als Privatpatientin der chirurgischen Abteilung. Dr. M. bezahlte die Saldi - Fr. 400.-- hatte die Patientin bei ihrem Eintritt vorgeschossen - am 20. November und 15. Dezember 1952. Am 9. Januar 1953 forderte Dr. Häuptli von ihrem Ehemanne "für ärztliche Bemühung vom 3. Oktober bis ![]() | 8 |
B.- Mit Klage vom 14. Mai 1955 beantragt Frau M. dem Bundesgericht: 1. der Kanton Aargau sei zu verurteilen, ihr Fr. 149'216.-- nebst 5% Zins seit 29. September 1953 zu bezahlen; 2. der vom Beklagten in der Betreibung Nr. 12620 des Betreibungsamtes Aarau erhobene Rechtsvorschlag sei bis zu diesem Betrage als endgültig beseitigt zu erklären; 3. die Revision des Urteils sei für zwei Jahre vom Tage seiner Ausfällung an vorzubehalten.
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Die Klägerin begründet die Forderung mit der Verantwortlichkeit des Kantons Aargau für fehlerhafte Operation und Behandlung durch Dr. B., der als Beamter in Ausübung seines Dienstes gehandelt habe.
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C.- Der Kanton Aargau ist auf Ersuchen hin durch den Instruktionsrichter ermächtigt worden, die Antwort auf die Frage der Passivlegitimation zu beschränken. Er beantragt, die Klage sei unter Kosten- und Entschädigungsfolge abzuweisen.
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Der Beklagte vertritt die Auffassung, er hafte nicht, denn Dr. B. habe die Klägerin nicht in Ausübung seines Dienstes, sondern auf Grund eines privaten Auftrages operiert.
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D.- Die Klägerin ist in der schriftlichen Replik und in ihren Ausführungen in der Hauptverhandlung auf ihrem Standpunkt geblieben. Sie beantragt, die Einwendung der fehlenden Passivlegitimation sei unter Kostenfolge als unbegründet zu erklären, eventuell, falls die Passivlegitimation verneint würde, seien die Kosten dennoch dem Beklagten aufzuerlegen.
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E.- Der Beklagte hat in der Hauptverhandlung an seinen Anträgen festgehalten.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Es ist unbestritten, dass das Kantonsspital Aarau eine vom öffentlichen Recht des Kantons Aargau beherrschte unselbständige Anstalt ist (vgl. BGE 56 II 200 f.), dass ![]() | 15 |
"In Ausübung seines Dienstes" hat Dr. B. die Operation nur vorgenommen, wenn sie Gegenstand des öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisses gewesen ist, in das die Klägerin durch ihre Aufnahme in das Spital getreten ist. Dass sie das war, versteht sich nicht von selbst. Zwar gehört das Kantonsspital Aarau zu jenen Krankenhäusern, die dem Patienten nicht nur Unterkunft und Verpflegung, sondern auch ärztliche Hilfe verschaffen. Das gilt aber nicht ausnahmslos.
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a) Den Chefärzten ist gestattet, eine vom Regierungsrat bestimmte Anzahl Kranke, die sich in ihre Privatbehandlung begeben wollen, unter Anzeige an die zuständige Regierungsdirektion in besondere Zimmer aufnehmen zu lassen, soweit die erforderlichen Räume dafür vorhanden sind. Das wurde schon im revidierten Dekret vom 30. Dezember 1910 betreffend die Kostenvergütungen in der kantonalen Krankenanstalt Aarau so bestimmt (§ 14) und auch im gleich benannten Dekret vom 14. Februar 1921 (§ 20) sowie im Dekret vom 28. Juni 1934 betreffend die Kostenvergütungen im Kantonsspital Aarau (§ 20) ausdrücklich gesagt. Diese Normen bestimmten, die Aufnahme erfolge gegen Bezahlung der in anderen Paragraphen näher umschriebenen Taxen, die Entschädigung für die ![]() | 17 |
Als die Klägerin in das Kantonsspital Aarau eintrat, waren nicht mehr die erwähnten Dekrete über die Kostenvergütungen in Kraft, sondern es galt das Dekret vom 24. März 1947 über die Verpflegungstaxen des Kantonsspitals Aarau, das keine gleich lautende Bestimmung enthielt. Allein auch dieses Dekret ging davon aus, dass die Chefärzte zu privater Behandlung gewisser Kranker berechtigt seien, bestimmte es doch in § 6 lit. c, Patienten ![]() ![]() | 18 |
b) Dass auch die Oberärzte befugt seien, im Kantonsspital Aarau Patienten auf eigene Rechnung zu behandeln, wird mit Recht nicht behauptet. Für sie gilt das Gebot, während der Arbeitszeit ihre volle Arbeitskraft dem Amte zu widmen. Sie können aber gleichwohl in die Lage kommen, Privatpatienten anders als "in Ausübung ihres Dienstes" in das Spital aufzunehmen und sie zu behandeln. Das trifft dann zu, wenn sie es in Vertretung und auf Rechnung ihres Chefarztes tun. Sie haben diesen nicht nur in seiner amtlichen Stellung zu vertreten, sondern pflegen auch seine Privatpatienten zu behandeln, wenn er abwesend ist, insbesondere in den Ferien weilt. Das haben Dr. Häuptli, Prof. Dr. Alder und Dr. B. sowie die beiden einvernommenen Sekretäre Dubach und Eichenberger der kantonalen Gesundheitsdirektion bestätigt. Aus den Aussagen der beiden letzteren ergibt sich auch, dass das der Gesundheitsdirektion bekannt gewesen ist und dass sie es von jeher geduldet hat.
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2. Dr. B. und Dr. Häuptli haben die Klägerin als private Auftraggeberin des letztern betrachtet und ihr sowie ihrem für sie handelnden Ehemann gegenüber diese Auffassung auch kundgetan. Schon am 20. Juni 1952 erklärte Dr. B. der Klägerin, für die Beratung von diesem ![]() ![]() | 20 |
Indem die Klägerin auf die erwähnten Willensäusserungen hin, insbesondere trotz der deutlich auf Vereinbarung eines privaten Auftrages abzielenden Briefe vom 7. Juli und von Ende September oder Anfang Oktober 1952 an ihren Ehemann, sich ohne gegenteilige Willenskundgebung zur Operation und Behandlung stellte, gab sie schlüssig ihre Zustimmung zu einem privaten Auftrag. Dass sie Dr. Häuptli nicht kannte, wohl aber ausdrücklich von Dr. B. operiert zu werden wünschte, steht dieser Auslegung ihres Verhaltens nicht im Wege. Die Klägerin wusste, dass Dr. B. den Auftrag als Vertreter des Dr. Häuptli ausführen würde. In dieser Eigenschaft hatte er schon die Beratung vom 20. Juni vorgenommen, wie der Klägerin und ihrem Ehemanne bekannt war. Auch hatte Dr. M. die Anfrage vom 7. Juli 1952 an Dr. Häuptli, nicht an Dr. B. oder die Spitalverwaltung gerichtet. Ebensowenig hilft der Einwand, die Klägerin habe unter einem "Privatpatienten" einfach einen in einem Einzelzimmer untergebrachten Kranken verstanden. "Privat" (privé) steht im Deutschen wie im Französischen im Gegensatz zu "öffentlich" (public) und durfte daher von den Eheleuten M. nicht in guten Treuen dahin verstanden werden, dass die Klägerin lediglich in einem Einzelzimmer (chambre particulière, im Gegensatz zu chambre commune) untergebracht werde, nicht auch einen privaten Auftrag zur Operation und Behandlung erteile. Am 9. Januar 1953 erhielt die Klägerin für "ärztliche Bemühung" eine Rechnung, die im Gegensatz zu den Rechnungen für die ![]() | 21 |
Anderseits fehlt jegliche Äusserung der Spitalverwaltung oder ihres Personals, wonach man der Klägerin Operation und Behandlung zu Lasten des Spitals hätte versprechen wollen. Die Klägerin wurde von allen Angestellten als Privatpatientin des Dr. Häuptli angesehen, nicht nur von dessen Sekretärin Schwester Müller, sondern auch von der Aufnahmeschwester Marie Schweigler, die auf dem Personalienblatt und dem Tagesrapport vom 3. Oktober 1952 entsprechende Eintragungen machte und die Klägerin auf die Privatabteilung wies, ebenso von Schwester Humbel, die dort die Aufnahmeformalitäten beendete. Auch teilte die Oberschwester dem Dr. B. vor der Operation mit, die Klägerin sei auf die Privatabteilung gekommen. Auf den Spitalrechnungen wurde die Klägerin durch die Abkürzung "Chir. Priv." als Privatpatientin der Abteilung für Chirurgie bezeichnet.
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Der private Auftrag der Klägerin an Dr. B. als Stellvertreter des Dr. Häuptli schliesst die Haftung des Kantons Aargau für die behaupteten Fehler in der Operation und Behandlung aus. Die Klage ist daher abzuweisen, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob wirklich Fehler begangen worden sind und welche Folgen sie hatten.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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