BGE 83 II 7 | |||
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2. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Februar 1957 i.S. Meyer gegen Brägger. | |
Regeste |
Verwandtenunterstützungspflicht (Art. 328/329 ZGB). |
Einrede der beklagten Schwester, dass ein nicht belangter Bruder ebenfalls unterstützungspflichtig sei. |
Günstige Verhältnisse im Sinne von Art. 329 Abs. 2 ZGB? Verteilung der Unterstützungslast unter mehrere Pflichtige. | |
Sachverhalt | |
A.- Am 28. März 1955 stellte Frau A. Meier, geb. 1903, beim Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt das Begehren, ihre Zwillingsschwester Fräulein E. Meyer sei zu verpflichten, ihr vom 1. Januar 1955 an monatliche Unterstützungsbeiträge von Fr. 400.-- zu bezahlen. Mit Entscheid vom 15. Juli 1955 wies der Regierungsrat ihre Klage ab, weil sie gemäss Gutachten des Gesundheitsamtes Basel-Stadt vom 24. Juni 1955 arbeitsfähig sei und ihren Lebensunterhalt als Haushälterin verdienen könne.
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B.- Gegen diesen Entscheid rekurrierte die Klägerin an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht. Am 15. September 1955 verheiratete sie sich mit W. Brägger. Nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens sowie eines Berichtes der Allgemeinen Armenpflege und nach Abklärung der Verhältnisse des Bruders der Parteien hat das Appellationsgericht am 21. September 1956 erkannt, die Beklagte werde verpflichtet, an die Klägerin mit Wirkung ab 1. Mai 1955 monatliche vorauszahlbare Unterstützungsbeiträge von Fr. 350.-- zu leisten; die Mehrforderung werde abgewiesen.
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C.- Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht beantragt die Beklagte, die Klage sei für den Fr. 250.-- pro Monat übersteigenden Betrag abzuweisen. Die Klägerin schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
Die Beklagte bestreitet nicht mehr, dass die Klägerin unterstützungsbedürftig sei. Mit Recht lässt sie auch gelten, dass sie selber sich im Sinne von Art. 329 Abs. 2 ZGB in günstigen Verhältnissen befindet. Sie macht jedoch geltend, die Vorinstanz habe der Klägerin einen zu hohen Betrag zugesprochen und zu Unrecht angenommen, der Bruder der Parteien könne nicht zur Leistung eines Unterstützungsbeitrages herangezogen werden.
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Auf welchen Betrag der Notbedarf im Sinne von Art. 329 ZGB zu beziffern sei, haben die gemäss Art. 329 Abs. 3 ZGB zuständigen Behörden unter Berücksichtigung der besondern Verhältnisse des einzelnen Falles mit Hilfe der allgemeinen Lebenserfahrung selbständig zu bestimmen. Das sog. armenrechtliche Existenzminimum kann für sie, wie in BGE 81 II 427 dargelegt, nicht massgebend sein. Auch die Richtlinien, welche die Betreibungsbehörden bei der Festsetzung des Notbedarfs im Sinne von Art. 93 SchKG befolgen, sind für sie nicht verbindlich. Die zuständigen Behörden sind aber immerhin nicht gehindert, sich an diese - vielerorts auf eingehenden Untersuchungen über die Lebensbedürfnisse beruhenden - Richtlinien anzulehnen, da zwischen dem im Sinne von Art. 329 zum Lebensunterhalt Erforderlichen und dem im Sinne von Art. 93 SchKG unumgänglich Notwendigen kein Unterschied besteht, wenn man davon absieht, dass Art. 329 ZGB nur die Bedürfnisse des Unterstützungsberechtigten, Art. 93 SchKG dagegen diejenigen des Schuldners und seiner Familie in Betracht zieht (vgl. das bereits angeführte Urteil i.S. Ditscher und Erw. 5 des in BGE 81 II 427 auszugsweise veröffentlichten Urteils i.S. Kläsi, wo als nicht bundesrechtswidrig erklärt wurde, dass die kantonalen Behörden bei der Bemessung der dem Bedürftigen nach Art. 329 ZGB zukommenden Leistung vom betreibungsrechtlichen Notbedarf ausgingen). Die Auffassung der Vorinstanz, dass der Unterstützungsberechtigte auf eine über dem betreibungsrechtlichen Notbedarf liegende Lebenshaltung Anspruch habe, erweckt also mindestens in dieser allgemeinen Form Bedenken.
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Trotzdem ist die Bemessung des Unterstützungsanspruchs der Klägerin durch die Vorinstanz im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Betrag von Fr. 260.--, auf den der Unterstützungsberechtigte laut der Vernehmlassung des Departementes des Innern des Kantons Basel-Stadt vom 8. September 1955 nach ständiger Praxis des Regierungsrates Anspruch erheben kann, entspricht dem Grundbetrag des Existenzminimums für einen alleinstehenden, im Haushalt Angehöriger lebenden Schuldner ohne Unterstützungspflicht gemäss der Weisung der Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt vom 9. Januar 1952. Seither sind die Lebenskosten erheblich gestiegen. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat deswegen, wie dem Bundesgericht als Oberaufsichtsbehörde bekannt ist, am 15. Dezember 1956 mit Wirkung auf 1. Januar 1957 eine neue Weisung für die Berechnung des Existenzminimums erlassen, nach welcher der entsprechende Ansatz Fr. 240.-- zuzüglich Wohnungszins beträgt. Die Vorinstanz brauchte diese (erst nach Ausfällung des angefochtenen Urteils erfolgte) Revision nicht abzuwarten, um bei Anwendung von Art. 329 ZGB der in den letzten Jahren eingetretenen Teuerung Rechnung zu tragen. Auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung hatte sie auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin wegen ihres prekären Gesundheitszustandes mit besondern, im Grundansatz des betreibungsrechtlichen Existenzminimums nicht berücksichtigten Auslagen (z.B. für Medikamente und gelegentlichen Beizug von Hilfskräften) zu rechnen hat. Die Heirat mit Brägger, bei dem sie schon vorher gelebt hatte, verbesserte die Lage der Klägerin in keiner Weise, da Brägger seit einiger Zeit selber arbeitsunfähig und auf Armenunterstützung angewiesen war. Unter diesen Umständen konnte die Vorinstanz ohne Verstoss gegen das Bundesrecht oder einen berufungsrechtlich diesem gleichzustellenden Erfahrungssatz annehmen, zum Lebensunterhalt der Klägerin sei ein Betrag von Fr. 350.-- pro Monat erforderlich.
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Dass die Beklagte, die nach ihren eigenen Angaben infolge Erbgangs über ein Vermögen von ungefähr Fr. 650'000.-- und entsprechende Einnahmen verfügt, sich auch bei Leistung von Beiträgen in dieser Höhe die Lebenshaltung einer wohlhabenden Person gestatten kann, bedarf keiner nähern Begründung.
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Fr. 1180.--. Im Falle BGE 82 II 197 hat das Bundesgericht das Vorliegen günstiger Verhältnisse im Sinne von Art. 329 Abs. 2 ZGB verneint bei einem verheirateten städtischen Beamten, der ein Vermögen von Fr. 13 000.-- versteuerte und ein Monatseinkommen von netto Fr. 968.55 bezog. Der Bruder der Parteien verdient rund Fr. 210.-- monatlich mehr. Die Vorinstanz nimmt aber als erwiesen an, dass er zufolge Kränklichkeit seiner Ehefrau besonders hohe Auslagen habe, und ausserdem zieht sie mit Recht in Betracht, dass er als Prokurist eines Privatunternehmens mehr Repräsentationskosten habe als "ein städtischer Beamter in jedenfalls nicht übergeordneter Stellung". Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, er lebe in merklich bessern Verhältnissen als jener Beamte. Mit ihrer Annahme, dass er sich im Sinne von Art. 329 Abs. 2 nicht in günstigen Verhältnissen, d.h. im Wohlstand, befinde, hat also die Vorinstanz das ihr zustehende Ermessen nicht überschritten. Ihr Entscheid ist in diesem Punkte um so weniger zu beanstanden, als aus dem Grundsatze, dass mehrere Pflichtige die Unterstützungslast im Verhältnis ihrer Leistungsfähigkeit zu tragen haben (BGE 59 II 6), zu schliessen ist, dass ein Pflichtiger, dessen grundsätzliche Leistungsfähigkeit auf jeden Fall zweifelhaft ist, dann gänzlich entlastet werden darf, wenn ein anderer sich in weit bessern Verhältnissen befindet und die nötige Unterstützung ohne Schwierigkeit allein aufzubringen vermag. So verhält es sich hier, da die Beklagte, die abgesehen von der Klägerin nur für sich selber zu sorgen hat, nicht nur im Wohlstande lebt, sondern geradezu über Reichtum verfügt.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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