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17. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. März 1957 i.S. X. gegen Dagmar R. | |
Regeste |
Vaterschaftsklage; Klageverwirkung, Art. 308 (und Art. 2 Abs. 2) ZGB. | |
Sachverhalt | |
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Als Frau G. die Schwangerschaft ihrer Angestellten bemerkte, riet sie ihr, sich an den Amtsvormund der Stadt Bern zu wenden. M. R. tat dies jedoch nicht, worauf Frau G. dem Vater X. Mitteilung machte mit der Begründung, die Beziehungen der beiden seien beobachtet worden.
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Am 9. Oktober 1952 verliess M. R. die Familie G. und kehrte, nach einem kurzen Aufenthalt bei den Eltern X. in D., nach I. zu ihrer Mutter heim. Am 7. Dezember 1952 gebar sie in Kiel das Mädchen Dagmar. Auch gegenüber dem Jugendamt der Stadt I. weigerte sie sich, den Namen des Vaters anzugeben.
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Vor und nach der Niederkunft blieb sie mit X. und seinen Eltern in Briefwechsel, der in sehr herzlichem Tone gehalten ist und darauf schliessen lässt, dass die Familie über die intimen Beziehungen des Sohnes mit der Kindsmutter im Bilde war und annahm, dieser könne sich an dem Kinde nicht desinteressieren. X. selbst versicherte ihr, er werde sie nicht im Stiche lassen und ihr im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten Geld schicken, behaftete sie aber nach wie vor bei ihrer Schweigepflicht. Auch die Mutter X. ermahnte sie zur Geduld unter Hinweis auf die beschränkten finanziellen Verhältnisse des Sohnes und der Familie. Die Kindsmutter erhielt im Jahre 1953 folgende Geldsendungen:
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26. März 1953 20 DM vom Sohne X.
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16. April 1953 17 DM vom Sohne X.
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23. Juli 1953 19 DM vom Vater X.
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3. Sept. 1953 14 DM vom Vater X.
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B.- Angesichts der Geringfügigkeit dieser Hilfe sah sich die Kindsmutter trotz ihrem Versprechen Ende Sommer 1953 veranlasst, sich an das Jugendamt I. zu wenden und X. als Vater zu nennen. Das Jugendamt schrieb am 7. September 1953 an den Vater X. und setzte dem Sohne bis Ende September Frist, sich formell zu Unterhaltsbeiträgen an das Kind zu verpflichten. Am 26. September 1953 bestätigte der Vater X. von Locarno aus den Empfang ![]() | 10 |
In einem Briefe vom 27. Oktober 1953, dem Jugendamt I. am 2. November zugekommen, schrieb der Vater X. u.a.:
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"In Beantwortung Ihrer Zuschrift vom 7. September 1953 muss ich Ihnen leider die Mitteilung machen, dass ich mich zu dieser Vaterschaft nicht einverstanden erklären kann. Auch mein Sohn, der zu dieser Zeit in der gleichen Stelle wie M.R. in Bern in Stellung war, bestreitet die Vaterschaft.
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M. R. hat damals, als ich von Familie G. in Bern Mitteilung von der Schwangerschaft erhielt, mir gegenüber und auch unter Zeugen ausgesagt, dass mein Sohn als Schwängerer nicht in Frage käme. Ich habe sie damals dringend ermahnt, mir die Wahrheit zu sagen: sie blieb bei ihrer Aussage, mein Sohn sei nicht der Vater des zu erwartenden Kindes."
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Daraufhin lud das Jugendamt I. am 19. November die Kindsmutter auf den 21. November zur Stellungnahme zu dieser Antwort vor. Dabei erklärte M. R., sie habe dem Vater X. gegenüber die Vaterschaft des Sohnes nur deshalb verneint, weil dieser ihr versprochen habe, sie nicht im Stich zu lassen unter der Bedingung, dass sie ihn, namentlich seinen Eltern gegenüber, nicht als Vater angebe. Erst als X. seine Zusagen nicht gehalten, habe sie sich durch die Not gezwungen gesehen, über ihr Versprechen hinweg- und gegen ihn vorzugehen.
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Mit Schreiben vom 29. November 1953 wandte sich das Jugendamt I. direkt an X. und fragte ihn an, ob er die Vaterschaft in urkundlicher Form anerkennen oder es auf einen Vaterschaftsprozess ankommen lassen wolle; gefordert wurde ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von 40 DM.
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Darauf antwortete X. am 17. Dezember 1953, er könne sich mit der Anerkennung des Kindes nicht einverstanden erklären; er bzw. sein Vater würden einen Rechtsanwalt und die Vormundschaftsbehörde zu Rate ziehen; über deren Stellungnahme werde er dem Jugendamt bis Ende des Jahres, spätestens bis Mitte Januar 1954 berichten.
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C.- Unterm 30. Januar 1954 reichte das Jugendamt I. namens des Kindes eine Vaterschaftsklage beim Zivilamtsgericht Bern ein, das sie am 3. Februar an den Präsidenten des zuständigen Amtsgerichts weiterleitete. Nach einem Vorverfahren betr. Bewilligung des Armenrechts für Mutter und Kind, in welchem der Beklagte sich von Anfang an auf die Verwirkung der Vaterschaftsklage gemäss Art. 308 ZGB berief, und fruchtlosem Friedensrichtervorstand erfolgte am 24. Mai 1954 die Zustellung der Klage für Mutter und Kind. Der Beklagte erhob die Einreden der Klageverwirkung, der erheblichen Zweifel an der Vaterschaft (Art. 314 Abs. 2 ZGB) und des unzüchtigen Lebenswandels der Kindsmutter (Art. 315).
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D.- Das Amtsgericht schützte die Einrede der Verwirkung bezüglich beider Klägerinnen und wies die Klage ab.
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In teilweiser Gutheissung der Appellation derselben hat das Kantonsgericht des Kantons Freiburg mit Urteil vom 30. Mai 1956 die Klage der Mutter zufolge Verwirkung abgewiesen, dagegen diejenige des Kindes Dagmar geschützt und den Beklagten zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeiträge von Fr. 50.- bis zum vollendeten 18. Altersjahr desselben und zu den Kosten beider Instanzen verurteilt. In seinen Erwägungen verwirft das Kantonsgericht die Einreden aus Art. 314 Abs. 2 und 315 ZGB als unbegründet. Hinsichtlich der Verwirkung führt es aus, der Beklagte habe durch sein eigenes Verhalten die Klägerinnen zur Versäumung der Klagefrist veranlasst. Insbesondere durch seine Briefe und Geldzahlungen habe er die Kindsmutter in den Glauben versetzt, er anerkenne seine Vaterschaft und sei bereit, die sich daraus ergebenden ![]() | 20 |
E.- Mit der vorliegenden Berufung mit dem Antrag auf Abweisung auch der Klage des Kindes wendet sich der Beklagte einzig gegen die Ablehnung der Einrede der Klageverwirkung, lässt also die Verwerfung der Einreden aus Art. 314 Abs. 2 und 315 ZGB stillschweigend gelten. Das berufungsbeklagte Kind trägt auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils an.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt die Geltendmachung der Klageverwirkung gemäss Art. 308 ZGB dann einen Rechtsmissbrauch dar, wenn der Vaterschaftsbeklagte durch sein eigenes Verhalten die Klägerin zu der sich schliesslich als falsch erweisenden Meinung verleitete, die Klage sei überflüssig, und sie damit zur Unterlassung fristgerechter Klageerhebung veranlasste (BGE 46 II 90 ff., BGE 49 II 319 ff.). Dabei kommt nichts darauf an, ob der Beklagte während des Laufs der Klagefrist geradezu darauf ausging, die rechtzeitige Einreichung der Klage zu hintertreiben. Die Anrufung der Verwirkung gilt vielmehr schon dann als offenbarer Rechtsmissbrauch, wenn jener ohne Arglist durch seine Stellungnahme zur Vaterschaft ernstlichen Grund zur Annahme gab, er anerkenne sie und die daraus folgenden Pflichten. Der Dolus, welcher die Anwendung des Art. 2 Abs. 2 ZGB bzw. die Gewährung der replicatio doli rechtfertigt, braucht nicht im damaligen irreführenden Verhalten des Beklagten zu ![]() | 22 |
Die Voraussetzung, dass der behauptete Vater der Klägerschaft ernstlichen Anlass zur Meinung, eine Klage erübrige sich, gegeben habe, kann indessen nur dann als erfüllt betrachtet werden, wenn eine vermeintlich gültige Anerkennung, sei es des Kindes mit Standesfolge im Sinne von Art. 303 ZGB, sei es blosser Alimentationspflicht, erfolgt war, oder jedenfalls nach den Umständen nicht irgendwelche unbestimmte, dem späteren Gutfinden des Vaters anheimgestellte, sondern ziffermässig bestimmte Leistungen erwartet werden durften. Hat man es dagegen nur mit unbestimmt gehaltenen Versprechungen oder gar nur mit einem auf eine bloss stillschweigende Vaterschaftsanerkennung deutenden Verhalten des Schwängerers zu tun, so kann nicht mit Fug gesagt werden, die Erhebung der Vaterschaftsklage habe überflüssig scheinen müssen.
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Zu mehr aber hat sich in casu der Beklagte auch zur Zeit seines entgegenkommendsten Verhaltens nie herbeigelassen. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat X. nie die Leistung bestimmter Zahlungen in Aussicht gestellt, sondern im Gegenteil seine Zusagen und Vertröstungen in ganz vagen Ausdrücken gehalten und allgemein eine Gleichgültigkeit an den Tag gelegt, die vernünftigerweise die Erwartung einer gehörigen Erfüllung der einem ausserehelichen Vater obliegenden Verpflichtungen geradezu ausschloss; die vier geleisteten, kaum nennenswerten Zahlungen waren schon gar nicht dazu angetan, seine Emstellung in anderem Licht erscheinen zu lassen.
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Jedenfalls aber hat der Beklagte seine Absicht, keine bestimmte Verpflichtung anzuerkennen, so zeitig kundgetan, dass die Erhebung der Klage binnen der gesetzlichen Frist durchaus noch möglich war. Nachdem der Vater X. am 26. September 1953 dem Jugendamt von I. in Aussicht gestellt hatte, die Sache mit dem Sohne zu besprechen, schrieb er am 27. Oktober, dieser bestreite die Vaterschaft.
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Vom Empfang des ablehnenden Bescheides (2. November 1953) bis zum Ablauf der Verwirkungsfrist (7. Dezember 1953) blieb nun aber dem Jugendamt noch genügend Zeit, um die Vaterschaftsklage zu erheben oder erheben zu lassen. Dass es sie erst später eingereicht hat, erklärt die Vorinstanz damit, dass das Jugendamt von der - dem deutschen Recht (abgesehen von der Verjährung des Anspruchs auf Kindbettkosten, § 1715 Abs. 3 BGB) unbekannten - Klagefrist des Art. 308 keine Kenntnis gehabt habe. Die kurze Verwirkungsfrist geht freilich von der Voraussetzung des Vorhandenseins eines Beistandes für das Kind gemäss Art. 311 aus, der dann von der Vormundschaftsbehörde verhalten wird, für die Wahrung der Frist zu sorgen. Vorliegend hat die Kindsmutter den Rat der Frau G., ihre Schwangerschaft der Amtsvormundschaft in Bern anzuzeigen, nicht befolgt und das Jugendamt I. die Sache selber geführt, statt sie rechtzeitig der deutschen Gesandtschaft in der Schweiz zu übergeben. Die Folgen weder jener Unkenntnis des Gesetzes noch dieser Unterlassungen können den Beklagten treffen; sie bilden keinen Grund zur Anwendung des Art. 2 Abs. 2 ZGB (BGE 46 II 93 unten).
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Zu Unrecht nimmt die Vorinstanz an, auch bei Kenntnis der Verwirkungsfrist hätte das Jugendamt aus Gründen, die der Beklagte zu verantworten habe, mit der Einreichung der Klage zuwarten dürfen, weil dieser die Kindsmutter veranlasst habe, seinem Vater wahrheitswidrig zu erklären, der Sohn komme nicht als Erzeuger in Frage; diese dem ![]() | 28 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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