BGE 83 II 180 | |||
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28. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Mai 1957 i.S. K. gegen H. und Zürich, Direktion der Justiz. | |
Regeste |
Vom Vormund beantragte Unterbringung des Mündels in einer Anstalt (Art. 406/421 Ziff. 13 ZGB). |
2. Legitimation des Vormundes zur Anfechtung des Entscheides, der die von ihm beantragte Massnahme ablehnt (Erw. 2). |
3. Gründe zur Unterbringung eines Bevormundeten in eine Anstalt. |
a) Gründe der vormundschaftlichen Fürsorge (Art. 406 ZGB); |
b) Gründe des öffentlichen Wohls (nach kantonalem öffentlichem Recht). |
Ist die Massnahme nach Art. 406 ZGB gerechtfertigt, so darf sie nicht deshalb abgelehnt werden, weil nicht ausserdem Gründe des öffentlichen Wohles sie gebieten. Ferner dürfen die Vorschriften kantonaler Versorgungsgesetze nicht als verbindliche Regeln für die Auslegung von Art. 406 ZGB erachtet werden (Erw. 3). |
4. Der mit der Beschwerde unterliegende Vormund ist nicht kosten- und entschädigungspflichtig. Analoge Anwendung von Art. 156 Abs. 2 und Art. 159 Abs. 5 OG (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
A.- H., geboren 1914, ist der Sohn eines Rechtsanwalts, der das Leben eines angesehenen und wohlhabenden Mannes führte, aber 1952 schwer überschuldet aus dem Leben schied. Aus dem Nachlasskonkurs konnte für die Witwe nur ein Betrag von rund Fr. 53'000.-- als Frauengutsersatz gerettet werden, der innert zwei Jahren auf Fr. 15'000.-- zusammenschmolz, da die Familie es nicht verstand, sich den plötzlich veränderten Verhältnissen anzupassen. Der Sohn hatte sich auf Verlangen des Vaters dem Rechtsstudium widmen müssen, für das er sich nicht eignete, und dem er während voller dreizehn Jahre oblag, ohne das Doktorexamen bestehen zu können. Er hatte sich dann keine befriedigende Stellung zu erringen vermocht. Nach des Vaters Tode lebte die Familie aus weiterer Belastung der väterlichen Liegenschaft, Pfandbelehnung von Teppichen, Schmuck, Silbergeschirr usw. und geriet schliesslich in missliche Verhältnisse. Die Witwe stellte dann selber das Gesuch um Errichtung einer vom Bezirksrat W. am 11. Februar 1955 beschlossenen Vormundschaft im Sinne von Art. 372 ZGB über sie. Der Sohn wollte nach Bekleidung von Stellen mit einem andern zusammen die Fabrikation von Fleischkonserven aufnehmen und gründete die "Neue Konserven G.m.b.H.", für die er, nachdem die Mittel der Mutter aufgebraucht waren, weitere Geldgeber suchte. Indessen griff die Waisenkommission W. ein und stellte beim Bezirksrate den Antrag, H. in Anwendung von Art. 370 ZGB wegen Misswirtschaft und Liederlichkeit zu entmündigen, da er seit Jahren ein denkbar müssiges und arbeitsscheues Leben führe und an der Verschleuderung des mütterlichen Vermögens in erheblichem Masse mitbeteiligt sei. Der Bezirksrat W. beschloss am 16. September 1955 in dem von der Waisenkommission beantragten Sinne. Zum Vormunde war K. ernannt worden. Die Beschlüsse erwuchsen in Rechtskraft.
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B.- Am 24. Mai 1956 beantragte der Vormund beim Waisenamt W. (Vormundschaftsbehörde) die unverzügliche Einweisung seines Mündels für die Dauer von drei Jahren in die Arbeitsanstalt Realta. Die Waisenkommission entsprach dem Antrage mit Beschluss vom 7. Juni 1956, und zwei Tage später wurde H. in die Anstalt verbracht.
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C.- Ein Rekurs H's an den Bezirksrat W. hatte keinen Erfolg. Er zog dessen Entscheid an die kantonale Direktion der Justiz weiter, die eine bedingte Einweisung als ausreichende Massnahme bezeichnete und am 22. Oktober 1956 die Entlassung aus der Anstalt auf den Zeitpunkt verfügte, an dem für H. eine geeignete Anstellung und eine geeignete Unterkunft gefunden sein werde. Am 13. November 1956 wurde H. auf Weisung der Rekursbehörde auf freien Fuss gesetzt. Er arbeitet seither in der Neuen Konserven AG in W. Mit Verfügung vom 23. Februar 1957 entschied die Justizdirektion sodann über den Rekurs selbst, in dem Sinne, dass sie die vom Waisenamt angeordnete und vom Bezirksrat bestätigte Versorgung aufhob. Die Erwägungen stützen sich sowohl auf Art. 406 ZGB wie auch auf die Vorschriften des zürcherischen Versorgungsgesetzes vom 24. Mai 1925.
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D.- Gegen die Verfügung der Justizdirektion hat K. als Vormund H's Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne von Art. 68 Abs. 1 lit. a OG erhoben. Der Antrag geht auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung und auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Beurteilung nach eidgenössischem statt nach kantonalem Recht, unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Zur Begründung der Beschwerde wird angebracht, die Justizdirektion habe die Zulässigkeit der Versorgung seines Mündels nicht, wie es richtig gewesen wäre, nur nach Art. 406 ZGB, sondern sozusagen ausschliesslich nach dem kantonalen Versorgungsgesetze geprüft; die eigentlichen Erwägungen des kantonalen Entscheides befassten sich mit diesem Gesetze, und der am Schluss beigefügte Satz: "Es fehlt ebenfalls an den Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 406 und 421 Ziff. 13 ZGB" erscheine als blosse Floskel.
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E.- H. beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen; "unter K.u.E.F. zu lasten des Beschwerdeführers".
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Die Direktion der Justiz trägt ihrerseits auf Abweisung der Beschwerde an.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Nach § 75 des zürcherischen EG zum ZGB ist gegen Direktionsverfügungen allgemein der Rekurs an den Regierungsrat zulässig. Die angefochtene Verfügung der Direktion der Justiz wäre danach nicht als letztinstanzliche, mit keinem ordentlichen Rechtsmittel weiterziehbare (vgl. Art. 48 OG) zu betrachten. Indessen entschied die erwähnte Direktion bereits als Aufsichtsbehörde zweiter Instanz nach dem Bezirksrat. Und mehr als zwei Instanzen der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde darf es nach Bundesrecht (Art. 361 ZGB) nicht geben, wie das Bundesgericht, anBGE 47 II 17,BGE 74 II 336undBGE 67 II 205anknüpfend, in BGE 82 II 206 entschieden hat. Somit widerspricht die Einführung einer dritten Instanz dem Bundesrecht, ist also unzulässig, und es kann ohne Rücksicht auf eine solche vom kantonalen Recht vorgesehene Erweiterung des Instanzenzuges bereits der Entscheid der zweiten Instanz (mit Berufung bzw. Nichtigkeitbeschwerde) an das Bundesgericht weitergezogen werden. Freilich gilt dies nur für Angelegenheiten, die kraft Bundesrechtes in die Zuständigkeit der vormundschaftlichen Behörden fallen, was im Fall der zuletzt angeführten Entscheidung nicht zutraf. Im vorliegenden Fall aber waren die vormundschaftlichen Behörden von Bundesrechts wegen zuständig, über die vom Vormund im Sinne von Art. 406 ZGB beantragte Massnahme zu entscheiden. Denn dafür war nach Art. 421 Ziff. 13 ZGB die Zustimmung der Vormundschaftsbehörde erforderlich, deren Verfügung der Beschwerde an die Aufsichtsbehörde nach Art. 420 Abs. 2 ZGB (mit allfälligem Vorbehalt der Weiterziehung an eine Aufsichtsbehörde zweiter Instanz nach kantonalem Recht gemäss Art. 361 Abs. 2 ZGB) unterlag. Mit dem Entscheid der Justizdirektion war somit der bundesrechtlich zulässige Instanzenzug erschöpft.
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b) Es handelt sich nicht um eine Zivilrechtsstreitigkeit, d.h. einen Zivilprozess zwischen zwei gleichgestellten Rechtssubjekten. Vielmehr sind Vormund und vormundschaftliche Behörden kraft ihrer Amtsgewalt eingeschritten. Wohl aber gehört die Entscheidung über eine nach Art. 406 ZGB zu treffende vormundschaftsrechtliche Massnahme zu den Zivilsachen in dem für die Anwendung von Art. 68 OG massgebenden weitern Sinne. Dafür genügt es, dass die Vormundschaft eine Einrichtung des Zivilrechtes ist, und dass sich nach den Vorschriften des Zivilgesetzbuches bestimmt, was für Massnahmen die vormundschaftlichen Organe in bezug auf ein Mündel zu treffen haben (BGE 72 II 309Erw. 2 und 334 Erw. 1; BIRCHMEIER, Handbuch, N. 2a zu Art. 68 OG; KAUFMANN, N. 41 zu Art. 420 ZGB). Es steht nicht entgegen, dass sich das Verfahren vor kantonalen Verwaltungsbehörden abspielt (BGE 79 II 248/9).
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Andere Zivilsachen als Zivilrechtsstreitigkeiten unterliegen nur in den vom Gesetze vorgesehenen Fällen dem umfassenden Rechtsmittel der Berufung. Vormundschaftliche Massnahmen im Sinne von Art. 405 oder 406 ZGB gehören nicht zu den in Art. 44 OG der Berufung unterstellten Fällen. Somit ist Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 68 OG zulässig, womit die Anwendung kantonalen statt eidgenössischen Rechtes, wie es in der vorliegenden Beschwerdeschrift geschieht, gerügt werden kann.
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2. Der Beschwerdegegner verneint die Beschwerdelegitimation des Vormundes, die übrigens von Amtes wegen zu prüfen ist. Sie erscheint als zweifelhaft, wenn man die Vormundschaft lediglich als Amt betrachtet, bei dessen Ausübung der Vormund den vormundschaftlichen Behörden untersteht. Denn grundsätzlich ist ein Beamter oder eine Behörde nicht befugt, gegen Entscheidungen übergeordneter Behörden zu rekurrieren (vgl. FLEINER, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 5. Aufl., S. 224). Der Vormund hat jedoch, auch wenn er nicht als gesetzlicher Vertreter des Mündels auftritt, dessen Interessen zu wahren, und insbesondere darf die Unterbringung eines Mündels in einer Anstalt als vormundschaftliche Massnahme nach Art. 406 ZGB, im Gegensatz zu einer Versorgung auf behördlichen Befehl aus (armen-, gesundheits- oder sicherheits-) polizeilichen Gründen, nur zu Zwecken der Fürsorge, um des Mündels selbst willen, verfügt werden. Wird eine vom Vormund in diesem Sinn beantragte Massnahme von den vormundschaftlichen Behörden abgelehnt, so liegt es nahe, jenem ein Rekursrecht zur Geltendmachung der Interessen des Mündels zuzugestehen (und zwar auch eines urteilsfähigen Mündels, der selber rekurrieren könnte, jedoch in den meisten Fällen eine noch so sehr in seinem Interesse liegende Unterbringung in einer Anstalt mangels Einsicht oder guten Willens nicht wünscht und es daher bei einem sie ablehnenden Entscheide bewenden lassen möchte). In der Literatur wird denn auch die Beschwerdelegitimation des Vormundes durchwegs bejaht (vgl. EGGER, N. 18, und KAUFMANN, N. 16 zu Art. 420 ZGB; HESS, Die Vormundschaft nach Schweizer Recht, S. 114; BENZ in Das Vormundschaftsrecht, S. 95/96). Auch wenn man dem für die Beschwerde nach Art. 420 ZGB beistimmt, folgt daraus allerdings nicht ohne weiteres auch die Befugnis des Vormundes zur Anrufung des Bundesgerichts mit einem ausserordentlichen Rechtsmittel. Indessen mag dahingestellt bleiben, wie es sich mit der in Art. 88 OG eng umschriebenen Legitimation zu einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die hier angefochtene Verfügung verhalten würde. Die Nichtigkeitsbeschwerde in Zivilsachen (Art. 68 OG) lässt sich hinsichtlich der Legitimation der Berufung an die Seite stellen, und zur Ergreifung dieses Rechtsmittels ist in den ihm nach Art. 44 OG unterstehenden Zivilsachen auch die Behörde legitimiert, die am kantonalen Verfahren als Gegenpartei des Bürgers beteiligt war (vgl. die Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Beschwerde nach Art. 86 des alten OG:BGE 50 II 95,BGE 56 II 345; ferner die von derselben Betrachtungsweise ausgehenden Entscheidungen zu Art. 44 des neuen OG: BGE 82 II 205 und 216 oben). Gleichermassen ist nun auch der Vormund als mit der Fürsorge für das Mündel betrautes vormundschaftliches Organ befugt, gegen die auf kantonales Recht gestützte Ablehnung einer von ihm im Sinne von Art. 406 ZGB beantragten Versorgung Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 68 Abs. 1 lit. a OG zu erheben.
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Bereits in BGE 46 II 212 und 344 wurde erklärt, eine dauernde Internierung, wie sie unter Umständen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Moral geboten ist, könne nicht kraft Vormundschaftsrechts, sondern nur allenfalls nach kantonalem Verwaltungsrecht angeordnet werden, dem die Sorge für jene öffentlichen Interessen obliege. Ebenso anerkennen spätere Entscheidungen, dass die in mehreren Kantonen erlassenen Versorgungsgesetze gültig bestehen können; sie treten neben die Bestimmungen des ZGB über die Anstaltsversorgung als vormundschaftliche Massnahme. Denn eine Internierung auf Grund jener Gesetze beruht grossenteils auf andern, vom kantonalen Recht beherrschten Voraussetzungen und dient andern Zwecken; demgemäss kann sie auch nach Art und Dauer verschieden ausgestaltet sein (BGE 73 I 42).
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Es bedeutet daher grundsätzlich keine unzulässige Anwendung kantonalen Rechtes, dass die kantonale Direktion der Justiz die Frage, ob H. in einer Arbeitsanstalt versorgt werden müsse, nicht nur nach eidgenössischem Vormundschaftsrecht, sondern auch nach kantonalem Verwaltungsrecht (nämlich nach dem zürcherischen Gesetz vom 24. Mai 1925 über die Versorgung von Jugendlichen, Verwahrlosten und Gewohnheitstrinkern) beurteilt hat. Ob dies im selben Verfahrensgang geschehen durfte und auch der Instanzenzug der nämliche war, muss als Frage des kantonalen Rechtes dahingestellt bleiben. Freilich läge der vom Vormund geltend gemachte Beschwerdegrund vor, wenn die kantonale Behörde die Voraussetzungen der Anstaltsverbringung nach Art. 406 ZGB bejaht, diese Massnahme dann aber dennoch abgelehnt hätte, weil sie nicht auch nach dem kantonalen Versorgungsgesetz geboten sei. Das wäre ein Übergriff des kantonalen Rechtes in das eidgenössische Recht, das die nach Art. 406 ZGB zu schützenden Privatinteressen des Mündels gewahrt wissen will, gleichgültig ob überdies öffentliche Interessen ein ähnliches Einschreiten gebieten oder nicht. Der kantonale Entscheid verneint jedoch sowohl die (private) Versorgungsbedürftigkeit H's ausdrücklich (am Ende von Erw. 1)
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wie auch das Vorliegen öffentlichrechtlicher Gründe zu seiner Internierung nach dem kantonalen Gesetz. Dass die Direktion der Justiz den Zweck der in Art. 406 ZGB vorgesehenen Massnahmen, einem mündigen Bevormundeten Schutz und Beistand zu gewähren, richtig erkennt, geht aus dem Anfang der Erwägungen hervor, wo es heisst, der Vormund dürfe das Mündel mit Zustimmung der Vormundschaftsbehörde in einer Anstalt unterbringen, wenn diese Massnahme "fürsorgerisch notwendig" sei. Bereits der Bezirksrat hatte die "im Rahmen der vormundschaftlichen Fürsorge" dem Vormunde mit Zustimmung der Vormundschaftsbehörde zustehende Versorgung des Mündels "gemäss Art. 406 und 421 Ziff. 13 ZGB in Verbindung mit § 14 lit. b des kantonalen Versorgungsgesetzes" erwogen und ausgeführt:
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"Erfolgt die Anstaltsunterbringung in erster Linie im Interesse des Bevormundeten und im Interesse Dritter nur insoweit, als dieses sich mit dem eigenen Interesse des Mündels deckt, so ist für die Einweisung Art. 406 ZGB massgeblich. Erfordert hingegen das öffentliche Interesse, dass der Bevormundete in einer Anstalt untergebracht wird, so ergeben sich die Voraussetzungen der Einweisung aus dem Versorgungsgesetz, wobei im Falle einer Einweisung in eine Arbeitsanstalt die §§ 5 ff. des Versorgungsgesetzes zur Anwendung gelangen (vgl.BGE 73 I 45ff.). Im vorliegenden Fall liegt die Anstaltsversorgung sowohl im Interesse des Bevormundeten selber als auch im öffentlichen Interesse, sodass sowohl die Voraussetzungen des Art. 406 ZGB als auch die Voraussetzungen der §§ 5 ff. des Versorgungsgesetzes erfüllt sein müssen."
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Schon hier waren somit die beiden in Betracht fallenden Rechtsgrundlagen einer Anstaltsversorgung berücksichtigt worden. Unrichtig ist nur die im letzten Satz ausgesprochene Ansicht, wonach sowohl die vormundschafts- wie auch die öffentlichrechtlichen Voraussetzungen erfüllüllt sein müssten, um eine Versorgung zu rechtfertigen, während, wie bereits dargetan, eine nach dem eidgenössischen Zivilrecht (Vormundschaftsrecht) gebotene Massnahme auch dann zu treffen ist, wenn ihr nicht zugleich ein öffentliches Interesse und eine kantonalrechtliche Grundlage zur Seite steht. Doch ist nicht ersichtlich, dass die Direktion der Justiz sich darüber geirrt oder den Art. 406 ZGB nur als leere Floskel miterwähnt hätte. Beim Beschluss vom 22. Oktober 1956 über die vorläufige Entlassung aus der Anstalt hatte die Justizdirektion übrigens das Vormundschaftsrecht ebenfalls mitberücksichtigt, in folgender Weise: "Die Entlassung aus der Anstalt kann gemäss Art. 406 ZGB erst erfolgen, wenn dem Rekurrenten ein geeigneter Arbeitsplatz und eine geeignete Unterkunft beschafft sein werden. In Anwendung von § 46 EG zum ZGB, § 26 des Versorgungsgesetzes und Art. 406 ZGB verfügt. .."
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Unter diesen Umständen ist die Begründung des angefochtenen Entscheides, was die Vernehmlassung der kantonalen Behörde zur Beschwerde vollends bestätigt, dahin zu verstehen, dass bei Prüfung der Voraussetzungen der vom Vormund beantragten Versorgung die beiden verschiedenen Rechtsgrundlagen jede für sich ins Auge gefasst worden sind, wiewohl sich die Erwägungen hauptsächlich über das kantonale Versorgungsgesetz aussprechen. Die kantonale Behörde war offenbar der Auffassung, mit der Verneinung von Arbeitsscheu und Liederlichkeit im Sinne des Versorgungsgesetzes sei festgestellt, dass es auch an der "Notwendigkeit" einer Versorgung zu Fürsorgezwecken gemäss Art. 406 ZGB, d.h. zu den Zwecken der nach Art. 370 ZGB errichteten Vormundschaft, fehle. Diese Entscheidung lässt sich unter dem Gesichtspunkt von Art. 68 Abs. 1 lit. a OG nicht beanstanden. Sie würdigt die gegebenen tatsächlichen Verhältnisse dahin, im vorliegenden Fall käme als Grund zu einer Versorgung aus Gründen des Vormundschaftsrechtes nur Arbeitsscheu oder Liederlichkeit des Mündels in Frage, und diese Begriffe seien im kantonalen Versorgungsrecht so ausgeprägt worden, wie auch das Vormundschaftsrecht sie verstehe. Somit wurde das kantonale Versorgungsrecht bei Anwendung von Art. 406 ZGB nur wie irgendwelche Rechtsliteratur zur Auslegung herangezogen. Wäre dem übrigens anders, hätte also die Justizdirektion ebenso wie der Vertreter des Beschwerdegegners (S. 7 der Beschwerdebeantwortung) angenommen, das kantonale Versorgungsgesetz könne die nach Art. 406 ZGB zu berücksichtigenden Versorgungstatbestände verbindlich festlegen ("Sofern ein kantonales Versorgungsgesetz besteht, hat dieses im administrativen Versorgungsverfahren selbständige Stellung und erfüllt im vormundschaftlichen Verfahren gleichzeitig die Aufgabe der Konkretisierung der Tatbestände, bei denen eine Versorgung überhaupt in Frage kommen kann"), so wäre zwar die Rüge begründet, das kantonale Versorgungsgesetz sei unzulässigerweise als eine die allgemein gefasste Norm des Art. 406 ZGB verbindlich "konkretisierende" und daher die vom Bundesrecht gewollte freie Auslegung ausschliessende kantonale Ordnung angewendet worden. Dennoch wäre auch in diesem Falle von einer Aufhebung des angefochtenen Entscheids abzusehen. Die kantonale Behörde stellt fest, nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens lasse sich weder der ernsthafte Charakter der Tätigkeit H's noch seine Bereitschaft zu regelmässiger Arbeitsleistung verneinen; ferner habe er sich nicht, wie ihm vorgeworfen wurde, von seiner Mutter aushalten lassen, sondern sie monatlich mit etwa Fr. 100.-- unterstützt. Der Entscheid sieht auch in H's Widerspenstigkeit und in seinem Trotz gegen behördliche Anordnungen keinen Grund zu einschneidenden Massnahmen, da sich dieses Verhalten daraus erkläre, dass er sich nur schwer mit der Tatsache des verlorenen Familienglanzes abfinden könne. Unter diesen Umständen würde die kantonale Behörde, zur Entscheidung unter dem alleinigen Gesichtspunkt des Art. 406 ZGB veranlasst, zweifellos die vom Vormund beantragte Unterbringung des Mündels in einer Anstalt neuerdings ablehnen, und dabei müsste es sein Bewenden haben, da ein ordentliches Rechtsmittel nicht gegeben wäre. Dem Beschwerdeantrag könnte somit selbst dann nicht entsprochen werden, wenn der gerügte Beschwerdegrund vorläge, was nach dem Gesagten nicht zutrifft.
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4. Dem mit der Beschwerde unterliegenden Vormund sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Gerichtskosten aufzuerlegen, und er ist auch zu keiner Prozessentschädigung an den Beschwerdegegner zu verpflichten. Es rechtfertigt sich, Art. 156 Abs. 2 und in Verbindung damit auch Art. 159 Abs. 5 OG analog anzuwenden, da der Vormund bei Verfechtung eines von ihm gemäss Art. 406 ZGB gestellten Antrages zwar nicht namens oder im unmittelbaren Interesse des Gemeinwesens (Gemeinde oder Kanton), aber doch in Ausübung eines ihm von Gemeinde- oder Kantonsbehörden verliehenen Amtes, also nicht in eigener Sache, handelt. Es kommt auch nicht in Frage, mit Gerichtskosten das Mündel zu belasten, in dessen Interesse die Beschwerde geführt wurde. Denn prozessual erscheint das Mündel als obsiegende Gegenpartei des Vormundes; unter diesen Umständen besteht keine gesetzliche Grundlage zu einer solchen Belastung des Mündelvermögens. In gleicher Weise wurde denn auch die Kostenfrage schon in mehreren Entscheidungen betreffend ungerechtfertigte Verweigerung des Ehekonsenses durch den Vormund (Art. 99 ZGB) gelöst (vgl. die nicht veröffentlichten Urteile der II. Zivilabteilung vom 22. September 1920 i.S. Herzog, vom 14. Mai 1924 i.S. Schraner und vom 20. Juni 1940 i.S. Lehmann).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die Beschwerde wird abgewiesen.
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