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28. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Mai 1957 i.S. K. gegen H. und Zürich, Direktion der Justiz. | |
Regeste |
Vom Vormund beantragte Unterbringung des Mündels in einer Anstalt (Art. 406/421 Ziff. 13 ZGB). |
2. Legitimation des Vormundes zur Anfechtung des Entscheides, der die von ihm beantragte Massnahme ablehnt (Erw. 2). |
3. Gründe zur Unterbringung eines Bevormundeten in eine Anstalt. |
a) Gründe der vormundschaftlichen Fürsorge (Art. 406 ZGB); |
b) Gründe des öffentlichen Wohls (nach kantonalem öffentlichem Recht). |
Ist die Massnahme nach Art. 406 ZGB gerechtfertigt, so darf sie nicht deshalb abgelehnt werden, weil nicht ausserdem Gründe des öffentlichen Wohles sie gebieten. Ferner dürfen die Vorschriften kantonaler Versorgungsgesetze nicht als verbindliche Regeln für die Auslegung von Art. 406 ZGB erachtet werden (Erw. 3). |
4. Der mit der Beschwerde unterliegende Vormund ist nicht kosten- und entschädigungspflichtig. Analoge Anwendung von Art. 156 Abs. 2 und Art. 159 Abs. 5 OG (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 24. Mai 1956 beantragte der Vormund beim Waisenamt W. (Vormundschaftsbehörde) die unverzügliche Einweisung seines Mündels für die Dauer von drei Jahren in die Arbeitsanstalt Realta. Die Waisenkommission entsprach dem Antrage mit Beschluss vom 7. Juni 1956, und zwei Tage später wurde H. in die Anstalt verbracht.
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C.- Ein Rekurs H's an den Bezirksrat W. hatte keinen Erfolg. Er zog dessen Entscheid an die kantonale Direktion der Justiz weiter, die eine bedingte Einweisung als ausreichende Massnahme bezeichnete und am 22. Oktober 1956 die Entlassung aus der Anstalt auf den Zeitpunkt verfügte, an dem für H. eine geeignete Anstellung und eine geeignete Unterkunft gefunden sein werde. Am 13. November 1956 wurde H. auf Weisung der Rekursbehörde auf freien Fuss gesetzt. Er arbeitet seither in der Neuen Konserven AG in W. Mit Verfügung vom 23. Februar 1957 entschied die Justizdirektion sodann über den Rekurs selbst, in dem Sinne, dass sie die vom Waisenamt angeordnete und vom Bezirksrat bestätigte Versorgung aufhob. Die Erwägungen stützen sich sowohl auf Art. 406 ZGB wie auch auf die Vorschriften des zürcherischen Versorgungsgesetzes vom 24. Mai 1925.
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D.- Gegen die Verfügung der Justizdirektion hat K. als Vormund H's Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne von Art. 68 Abs. 1 lit. a OG erhoben. Der Antrag geht auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung und auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Beurteilung nach eidgenössischem statt nach kantonalem Recht, unter Kosten- ![]() | 4 |
E.- H. beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen; "unter K.u.E.F. zu lasten des Beschwerdeführers".
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Die Direktion der Justiz trägt ihrerseits auf Abweisung der Beschwerde an.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Nach § 75 des zürcherischen EG zum ZGB ist gegen Direktionsverfügungen allgemein der Rekurs an den Regierungsrat zulässig. Die angefochtene Verfügung der Direktion der Justiz wäre danach nicht als letztinstanzliche, mit keinem ordentlichen Rechtsmittel weiterziehbare (vgl. Art. 48 OG) zu betrachten. Indessen entschied die erwähnte Direktion bereits als Aufsichtsbehörde zweiter Instanz nach dem Bezirksrat. Und mehr als zwei Instanzen der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde darf es nach Bundesrecht (Art. 361 ZGB) nicht geben, wie das Bundesgericht, anBGE 47 II 17,BGE 74 II 336undBGE 67 II 205anknüpfend, in BGE 82 II 206 entschieden hat. Somit widerspricht die Einführung einer dritten Instanz dem Bundesrecht, ist also unzulässig, und es kann ohne Rücksicht auf eine solche vom kantonalen Recht vorgesehene Erweiterung des Instanzenzuges bereits der Entscheid der zweiten ![]() | 8 |
b) Es handelt sich nicht um eine Zivilrechtsstreitigkeit, d.h. einen Zivilprozess zwischen zwei gleichgestellten Rechtssubjekten. Vielmehr sind Vormund und vormundschaftliche Behörden kraft ihrer Amtsgewalt eingeschritten. Wohl aber gehört die Entscheidung über eine nach Art. 406 ZGB zu treffende vormundschaftsrechtliche Massnahme zu den Zivilsachen in dem für die Anwendung von Art. 68 OG massgebenden weitern Sinne. Dafür genügt es, dass die Vormundschaft eine Einrichtung des Zivilrechtes ist, und dass sich nach den Vorschriften des Zivilgesetzbuches bestimmt, was für Massnahmen die vormundschaftlichen Organe in bezug auf ein Mündel zu treffen haben (BGE 72 II 309Erw. 2 und 334 Erw. 1; BIRCHMEIER, Handbuch, N. 2a zu Art. 68 OG; KAUFMANN, N. 41 zu Art. 420 ZGB). Es steht nicht entgegen, dass sich das Verfahren vor kantonalen Verwaltungsbehörden abspielt (BGE 79 II 248/9).
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Andere Zivilsachen als Zivilrechtsstreitigkeiten unterliegen nur in den vom Gesetze vorgesehenen Fällen dem umfassenden Rechtsmittel der Berufung. Vormundschaftliche ![]() | 10 |
2. Der Beschwerdegegner verneint die Beschwerdelegitimation des Vormundes, die übrigens von Amtes wegen zu prüfen ist. Sie erscheint als zweifelhaft, wenn man die Vormundschaft lediglich als Amt betrachtet, bei dessen Ausübung der Vormund den vormundschaftlichen Behörden untersteht. Denn grundsätzlich ist ein Beamter oder eine Behörde nicht befugt, gegen Entscheidungen übergeordneter Behörden zu rekurrieren (vgl. FLEINER, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 5. Aufl., S. 224). Der Vormund hat jedoch, auch wenn er nicht als gesetzlicher Vertreter des Mündels auftritt, dessen Interessen zu wahren, und insbesondere darf die Unterbringung eines Mündels in einer Anstalt als vormundschaftliche Massnahme nach Art. 406 ZGB, im Gegensatz zu einer Versorgung auf behördlichen Befehl aus (armen-, gesundheits- oder sicherheits-) polizeilichen Gründen, nur zu Zwecken der Fürsorge, um des Mündels selbst willen, verfügt werden. Wird eine vom Vormund in diesem Sinn beantragte Massnahme von den vormundschaftlichen Behörden abgelehnt, so liegt es nahe, jenem ein Rekursrecht zur Geltendmachung der Interessen des Mündels zuzugestehen (und zwar auch eines urteilsfähigen Mündels, der selber rekurrieren könnte, jedoch in den meisten Fällen eine noch so sehr in seinem Interesse liegende Unterbringung in einer Anstalt mangels Einsicht oder guten Willens nicht wünscht und es daher bei einem sie ablehnenden Entscheide bewenden lassen möchte). In der Literatur wird denn auch die Beschwerdelegitimation des Vormundes durchwegs bejaht (vgl. EGGER, N. 18, und KAUFMANN, N. 16 zu Art. 420 ZGB; HESS, Die Vormundschaft nach Schweizer Recht, S. 114; BENZ in Das Vormundschaftsrecht, ![]() | 11 |
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Es bedeutet daher grundsätzlich keine unzulässige Anwendung kantonalen Rechtes, dass die kantonale Direktion der Justiz die Frage, ob H. in einer Arbeitsanstalt versorgt werden müsse, nicht nur nach eidgenössischem Vormundschaftsrecht, sondern auch nach kantonalem Verwaltungsrecht (nämlich nach dem zürcherischen Gesetz vom 24. Mai 1925 über die Versorgung von Jugendlichen, Verwahrlosten und Gewohnheitstrinkern) beurteilt hat. Ob dies im selben Verfahrensgang geschehen durfte und auch der Instanzenzug der nämliche war, muss als Frage des kantonalen Rechtes dahingestellt bleiben. Freilich läge der vom Vormund geltend gemachte Beschwerdegrund vor, wenn die kantonale Behörde die Voraussetzungen der Anstaltsverbringung nach Art. 406 ZGB bejaht, diese Massnahme dann aber dennoch abgelehnt hätte, weil sie nicht auch nach dem kantonalen Versorgungsgesetz geboten sei. Das wäre ein Übergriff des kantonalen Rechtes in das eidgenössische Recht, das die nach Art. 406 ZGB zu schützenden Privatinteressen des Mündels gewahrt wissen will, gleichgültig ob überdies öffentliche Interessen ein ähnliches Einschreiten gebieten oder nicht. Der kantonale Entscheid verneint jedoch sowohl die (private) Versorgungsbedürftigkeit ![]() | 14 |
wie auch das Vorliegen öffentlichrechtlicher Gründe zu seiner Internierung nach dem kantonalen Gesetz. Dass die Direktion der Justiz den Zweck der in Art. 406 ZGB vorgesehenen Massnahmen, einem mündigen Bevormundeten Schutz und Beistand zu gewähren, richtig erkennt, geht aus dem Anfang der Erwägungen hervor, wo es heisst, der Vormund dürfe das Mündel mit Zustimmung der Vormundschaftsbehörde in einer Anstalt unterbringen, wenn diese Massnahme "fürsorgerisch notwendig" sei. Bereits der Bezirksrat hatte die "im Rahmen der vormundschaftlichen Fürsorge" dem Vormunde mit Zustimmung der Vormundschaftsbehörde zustehende Versorgung des Mündels "gemäss Art. 406 und 421 Ziff. 13 ZGB in Verbindung mit § 14 lit. b des kantonalen Versorgungsgesetzes" erwogen und ausgeführt:
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"Erfolgt die Anstaltsunterbringung in erster Linie im Interesse des Bevormundeten und im Interesse Dritter nur insoweit, als dieses sich mit dem eigenen Interesse des Mündels deckt, so ist für die Einweisung Art. 406 ZGB massgeblich. Erfordert hingegen das öffentliche Interesse, dass der Bevormundete in einer Anstalt untergebracht wird, so ergeben sich die Voraussetzungen der Einweisung aus dem Versorgungsgesetz, wobei im Falle einer Einweisung in eine Arbeitsanstalt die §§ 5 ff. des Versorgungsgesetzes zur Anwendung gelangen (vgl.BGE 73 I 45ff.). Im vorliegenden Fall liegt die Anstaltsversorgung sowohl im Interesse des Bevormundeten selber als auch im öffentlichen Interesse, sodass sowohl die Voraussetzungen des Art. 406 ZGB als auch die Voraussetzungen der §§ 5 ff. des Versorgungsgesetzes erfüllt sein müssen."
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Schon hier waren somit die beiden in Betracht fallenden Rechtsgrundlagen einer Anstaltsversorgung berücksichtigt worden. Unrichtig ist nur die im letzten Satz ausgesprochene Ansicht, wonach sowohl die vormundschafts- wie auch die öffentlichrechtlichen Voraussetzungen erfüllüllt sein müssten, um eine Versorgung zu rechtfertigen, während, wie bereits dargetan, eine nach dem eidgenössischen Zivilrecht (Vormundschaftsrecht) gebotene Massnahme auch dann zu treffen ist, wenn ihr nicht zugleich ein öffentliches Interesse und eine kantonalrechtliche Grundlage zur Seite steht. Doch ist nicht ersichtlich, dass die Direktion der ![]() | 17 |
Unter diesen Umständen ist die Begründung des angefochtenen Entscheides, was die Vernehmlassung der kantonalen Behörde zur Beschwerde vollends bestätigt, dahin zu verstehen, dass bei Prüfung der Voraussetzungen der vom Vormund beantragten Versorgung die beiden verschiedenen Rechtsgrundlagen jede für sich ins Auge gefasst worden sind, wiewohl sich die Erwägungen hauptsächlich über das kantonale Versorgungsgesetz aussprechen. Die kantonale Behörde war offenbar der Auffassung, mit der Verneinung von Arbeitsscheu und Liederlichkeit im Sinne des Versorgungsgesetzes sei festgestellt, dass es auch an der "Notwendigkeit" einer Versorgung zu Fürsorgezwecken gemäss Art. 406 ZGB, d.h. zu den Zwecken der nach Art. 370 ZGB errichteten Vormundschaft, fehle. Diese Entscheidung lässt sich unter dem Gesichtspunkt von Art. 68 Abs. 1 lit. a OG nicht beanstanden. Sie würdigt die gegebenen tatsächlichen Verhältnisse dahin, im vorliegenden Fall käme als Grund zu einer Versorgung aus Gründen des Vormundschaftsrechtes nur Arbeitsscheu oder Liederlichkeit des Mündels in Frage, und diese Begriffe seien im kantonalen Versorgungsrecht so ausgeprägt worden, wie auch das Vormundschaftsrecht sie verstehe. Somit wurde das kantonale Versorgungsrecht bei Anwendung von Art. 406 ZGB nur wie irgendwelche Rechtsliteratur zur Auslegung herangezogen. Wäre dem übrigens anders, hätte also die Justizdirektion ebenso wie der Vertreter des Beschwerdegegners (S. 7 der Beschwerdebeantwortung) ![]() | 18 |
4. Dem mit der Beschwerde unterliegenden Vormund sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Gerichtskosten ![]() | 19 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die Beschwerde wird abgewiesen.
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