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52. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Oktober 1957 i.S. Seidenstoffwebereien vormals Gebrüder Naef AG gegen Stierli. | |
Regeste |
Nachbarrecht; übermässige Einwirkung durch Lärm (Art. 684 ZGB) beim Betrieb einer Weberei. |
Pflicht zur Duldung des mit einem bestimmten Gewerbe normalerweise verbundenen Lärms? Nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigte Einwirkung. |
Bedeutung einer Bauordnung, die das Fabrikgelände der Industriezone zuweist. |
Zunahme des Lärms infolge Erweiterung und Modernisierung des Betriebs; Voraussehbarkeit dieser Entwicklung? Vergleich mit anderm Lärm. |
Hat das kantonale Gericht die Notwendigkeit und Durchführbarkeit der von ihm angeordneten Schutzmassnahmen, insbesondere ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Fabrikhygiene, mangelhaft geprüft? Pflicht zur Einholung einer Expertise? | |
Sachverhalt | |
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Nördlich vom Ostabschnitt des Fabrikgeländes, von diesem durch einen öffentlichen Fussweg getrennt, liegt das Grundstück des Schmiedmeisters Bernhard Stierli, das dessen Vater im Jahre 1902 gekauft hatte. Auf diesem Grundstück steht hart am Gemeindefussweg das von Stierli benutzte, im Jahre 1867 erbaute Wohnhaus mit Schmiedwerkstätte.
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B.- Im Jahre 1951 liess die Firma Seidenstoffwebereien vormals Gebrüder Naef AG eine neues Bauvorhaben ausschreiben. Hierauf leitete Stierli am 13. Juli 1951 gegen sie Klage ein mit den Begehren, die Ausführung der geplanten Baute sei ihr zu untersagen; ferner sei sie zu verpflichten, den von ihren bisherigen Bauten ausgehenden Fabriklärm zu beseitigen, eventuell durch Erstellung einer geeigneten Klimaanlage einzudämmen. Das erste Begehren fand seine Erledigung dadurch, dass die Beklagte ihr Projekt änderte und sich zu Massnahmen verpflichtete, mit denen der Kläger sich zufrieden gab. Streitig blieb nur das zweite, gegen den Lärm aus den bestehenden Fabrikgebäuden gerichtete Begehren. Das Bezirksgericht nahm an, dass der durch die Webstühle bei offenen Fenstern erzeugte Lärm in der Wohnung des Klägers das Mass dessen überschreite, was in dem betreffenden, vorwiegend Wohncharakter tragenden Dorfteil von Affoltern geduldet werden müsse. Durch Schliessung der dem Grundstück des Klägers zugekehrten Fenster der Fabrik werde der Lärm ![]() | 3 |
Das Obergericht des Kantons Zürich, an das die Beklagte appellierte, hat diese mit Urteil vom 30. November 1956 verpflichtet, die Nordfenster der östlichen Websäle während der ganzen Arbeitszeit vollständig geschlossen zu halten mit Ausnahme von je 10 Minuten stündlich vom Stundenschlag an zwischen 7 Uhr und 20 Uhr 10. Es nahm an, das Öffnen der Fenster während dieser kurzen Zeitspannen setze den Beklagten keiner unzumutbaren Lärmeinwirkung aus und gewährleiste eine genügende Lüftung der Fabrikräume, so dass der Beklagten keine Übergangsfrist zur Anordnung anderer Massnahmen zum Schutze der Arbeiter eingeräumt zu werden brauche.
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C.- Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht beantragt die Beklagte, sie sei bloss zu verpflichten, auf der Nordseite der östlichen Websäle die zwei östlichsten Fenster während der ganzen Arbeitszeit und in der Zeit von 5 bis 7 Uhr und von 19 bis 22 Uhr sämtliche Fenster mit Ausnahme der kleinen Oberflügel geschlossen zu halten; im übrigen sei die Klage abzuweisen; eventuell sei ihr eine Frist bis zum 1. Oktober 1958 einzuräumen, innert der sie ![]() | 5 |
Der Kläger schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.
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Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hat die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten gegen das obergerichtliche Urteil am 7. Mai 1957 abgewiesen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
Die Vorinstanz hat auf Grund eigener, mit aller Sorgfalt durchgeführter Beobachtungen festgestellt, dass der von der Fabrik der Beklagten bei offenen Fenstern ausgehende gleichförmige Lärm, den der obergerichtliche Referent als lautes, hartes "Tschäddern" bezeichnete und der mit zwei kurzen Unterbrüchen täglich 17 Stunden dauert, sich im Hause des Klägers sehr störend bemerkbar mache und namentlich wegen seiner Dauer unerträglich sei; er müsse zu einer ständigen Belastung und Reizung der Nerven, zu einer Störung des Wohlbefindens und schliesslich der Gesundheit führen. Diese Feststellung betrifft tatsächliche Verhältnisse (vgl. BGE 44 II 471, 51 II II 402 u. dortige Hinweise, BGE 56 II 360, BGE 58 II 118, BGE 79 II 50) und ist daher gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlich. Die Beklagte versucht denn auch nicht, sie anzufechten, sondern macht lediglich geltend, der Lärm ihrer Fabrik stelle gleichwohl keine übermässige Einwirrkung im Sinne von Art. 684 ZGB dar, weil er nicht grösser als der Lärm anderer Webereien und deshalb "normal" sei, und weil er zudem von einem in der Industriezone gelegenen Betrieb ausgehe, so dass die Einwirkung durch die Lage und Beschaffenheit der Grundstücke und den Ortsgebrauch (Art. 684 Abs. 2 ZGB) gerechtfertigt werde; dass der Lärm infolge Vermehrung der Webstühle und wegen der Anschaffung moderner, leistungsfähigerer Maschinen seit den Vierzigerjahren zugenommen habe, sei nur die Folge der allgemeinen, schrittweise ![]() | 8 |
a) Die Behauptung, dass der Lärm ihrer Fabrik für einen Betrieb solcher Art "normal" sei, kann der Beklagten nicht helfen, weil die Nachbarschaft auch diejenigen Störungen, die mit einem bestimmten Gewerbe normalerweise verbunden sind, insoweit nicht dulden muss, als sie im Sinne von Art. 684 Abs. 2 ZGB, der einige besonders wichtige Beispiele übermässiger Einwirkung hervorhebt, nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigt sind.
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b) Die Bauordnung, welche die Gemeinde Affoltern am 7. Juli/16. September 1955, also während des vorliegenden Prozesses, erlassen hat, weist die Liegenschaft der Beklagten freilich der Industriezone zu. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat jedoch die Einteilung eines Gebietes in Bauzonen keineswegs die Bedeutung, dass dadurch die Lage der Grundstücke und der Ortsgebrauch im Sinne des Art. 684 Abs. 2 ZGB in von Bundesrechts wegen verbindlicher Weise bestimmt würden. Bei der Anwendung dieser Gesetzesvorschrift hat der Richter auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen, die mit der vorab für die Zukunft gedachten Zoneneinteilung durchaus nicht übereinzustimmen brauchen. Zudem besagt eine Bauordnung ja ohnehin nur, was und wie in den verschiedenen Zonen gebaut werden darf, und nicht, welche Einwirkungen durch Lärm und andere Störungen auf Nachbargrundstücke erlaubt seien. Auf jeden Fall könnten Kantone und Gemeinden durch ihre Baugesetzgebung nicht den Art. 684 ZGB dadurch ausser Kraft setzen, dass sie Einwirkungen erlauben würden, die angesichts der tatsächlichen Lage eines Grundstücks und des wirklichen Ortsgebrauchs, d.h. dessen, was ![]() | 11 |
Das will nicht heissen, dass den Baugesetzen für die Anwendung von Art. 684 ZGB überhaupt keine Bedeutung zukomme. Bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse, die für die rechtliche Beurteilung der lästigen Einwirkungen massgebend sind, kann der Richter sie als Indizien in Betracht ziehen (vgl. BGE 40 II 449). Ihre Würdigung unter diesem Gesichtspunkte steht jedoch ausschliesslich dem kantonallen Richter zu, weil es sich dabei eben um die Feststellung tatsächlicher Verhältnisse handelt. Von Bundesrechts wegen ist daher nichts dagegen einzuwenden, dass die Vorinstanz auf die Bauordnung nicht entscheidend abgestellt hat. Hätte die Vorinstanz diesem Erlass die ihm von der Beklagten zugeschriebene Bedeutung beigemessen und die tatsächliche Lage und Beschaffenheit der beteiligten Grundstücke sowie den wirklichen Ortsgebrauch nicht beachtet, so wäre im Gegenteil ![]() | 12 |
c) Es kann nicht anerkannt werden, dass die mit der Erweiterung und technischen Modernisierung eines Betriebs verbundene Vermehrung des Lärms von den Nachbarn ohne weiteres hinzunehmen sei. Bei solchen Massnahmen ist auf die Nachbarn Rücksicht zu nehmen. Auf jeden Fall vermögen solche Massnahmen eine verstärkte Lärmeinwirkung dann nicht zu rechtfertigen, wenn der Lärm dadurch für die Bewohner der Nachbarschaft unerträglich wird, wie es hier zutrifft, und wenn den betroffenen Nachbarn nicht entgegengehalten werden kann, ihre Grundstücke seien zu einer Zeit überbaut worden, da die eingetretene Entwicklung bereits vorauszusehen war. Dass im Jahre 1867, als das heute dem Kläger gehörende Haus gebaut wurde, mit der Entwicklung des Betriebs der Beklagten habe gerechnet werden können, die sich zwischen 1940 und 1950 vollzog, behauptet die Beklagte mit Recht selber nicht. Wie es sich in dieser Hinsicht im Jahre 1902 verhalten habe, als der Vater des Klägers das Haus kaufte, ist unerheblich, weil es bei Beurteilung der Frage, wieweit die mit der Entwicklung eines Betriebs verbundene Lärmzunahme wegen Voraussehbarkeit dieser Entwicklung zu ![]() | 13 |
d) Der Hinweis auf den (Strassen-)Lärm, dem man in den Städten vielerorts ausgesetzt ist, kann der Beklagten nicht helfen. Solche Vergleiche sind unvereinbar mit Art. 684 ZGB, wonach die Frage, welche Einwirkungen zu dulden sind, nach den örtlichen Verhältnissen zu beurteilen ist. Im übrigen geben die Phonzahlen, auf welche die Beklagte bei ihrem Vergleich abstellt, nur die Lautstärke an und sagen nichts über die Art des Lärms, die dessen Wirkung auf den Menschen in sehr wesentlichem Masse mitbeeinflusst.
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Unbehelflich ist auch der Hinweis der Beklagten auf den Lärm, den der Kläger m seiner Schmiede selber erzeugt. Wie die Vorinstanz feststellt, entsteht dieser Lärm - im Gegensatz zu dem von der Beklagten erzeugten Dauerlärm - immer nur für kurze, nach Minuten zählende Zeit. Es handelt sich also um einen Lärm, der einerseits erträglich und anderseits nicht geeignet ist, den von der Fabrik der Beklagten ausgehenden Lärm zu überdecken.
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e) Der Vorinstanz kann nicht vorgeworfen werden, sie habe dadurch Bundesrecht verletzt, dass sie die Interessen der Beklagten und die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung des Fabrikbetriebs und an der Sicherung hygienischer Arbeitsbedingungen nicht gebührend berücksichtigt und die Durchführbarkeit der von ihr gefundenen Lösung nicht gehörig geprüft habe. Die Vorinstanz hat in rechtlich durchaus zutreffender Weise ausgeführt, die von ![]() ![]() | 16 |
f) Schliesslich trifft auch nicht zu, dass die Vorinstanz mangelhaft abgeklärt habe, ob die von der Beklagten heute vorgeschlagene Lösung (Schliessung der beiden östlichsten Fenster während der ganzen Arbeitszeit, Schliessung der übrigen Fenster mit Ausnahme der kleinen Oberflügel frühmorgens und spätabends) dem Ruhebedürfnis des Klägers genügend Rechnung trüge ... (Ausführungen darüber, dass das Ergebnis der beim Augenschein durchgeführten Versuche die Vorinstanz zur Annahme berechtigte, nur die im angefochtenen Urteil getroffene Regelung schütze den Kläger genügend).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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