BGE 84 II 329 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
44. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Juli 1958 i.S. H. gegen L. | |
Regeste |
Genugtuung wegen Ehestörung (Art. 28 ZGB, Art. 49 OR). | |
Sachverhalt | |
A.- Der zweimal geschiedene Mechaniker L. heiratete nach Ablauf der ihm bei der zweiten Scheidung auferlegten Wartefrist am 23. November 1946 eine geschiedene Frau, die unmittelbar vor der Geburt eines von einem andern Manne gezeugten Kindes stand. Am 24. Februar 1948 gebar Frau L. ein zweites Kind. Von 1950/51 an arbeitete sie als Verkäuferin im Geschäft des H. Mitte Februar 1955 leitete sie gegen ihren Ehemann Klage auf Scheidung wegen tiefer Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses ein, weil ihr Ehemann sie schlecht behandelt habe. L. beantragte zunächst Abweisung der Klage mit der Begründung, die bestehende Zerrüttung sei von seiner Frau verschuldet worden, die in der Ehe nur ihren Vorteil gesucht und ihn zu übermässigen Aufwendungen für die Wohnung, neue Möbel und Kleider gedrängt habe und seit einiger Zeit mit ihrem Arbeitgeber ein Verhältnis unterhalte, einigte sich dann aber mit ihr auf ein gemeinsames Scheidungsbegehren. Darauf sprach das Gericht mit Urteil vom 30. Juni 1955 die Scheidung aus, ohne zu untersuchen, ob die gegenseitigen Anschuldigungen, insbesondere der gegen die Ehefrau erhobene Vorwurf der Untreue, den sie entschieden bestritt, begründet seien oder nicht.
| 1 |
B.- Am 22. August 1955 leitete L. gegen H. Klage ein mit dem Begehren, der Beklagte sei zu verpflichten, ihm als Schadenersatz und Genugtuung Fr. 10'000.-- zu bezahlen, weil er, wie unterdessen in einem mit dem Scheidungsprozess des Beklagten zusammenhängenden Strafverfahren an den Tag gekommen sei, mit seiner Frau unter Ausnützung seiner Stellung als Millionär und Arbeitgeber ein ehebrecherisches Verhältnis angeknüpft und ihm auf diese Weise Frau und Familie, die sein Glück gewesen seien, weggenommen habe. Der Beklagte, der heute mit der geschiedenen Frau des Klägers verheiratet ist, machte demgegenüber geltend, nicht er, sondern das eigene Verhalten des Klägers, der gewalttätig sei und seine Frau nicht verstanden habe, sei am Zerwürfnis zwischen den Eheleuten L. schuld und habe Frau L. veranlasst, sich ihm (dem Beklagten) zuzuwenden.
| 2 |
Nach Durchführung eines Beweisverfahrens sprach das untere kantonale Gericht dem Kläger mit Urteil vom 21. November 1957 als Genugtuung Fr. 3000.-- zu und wies die Klage im Mehrbetrag ab. Das obere kantonale Gericht, vor dem der Beklagte Abweisung der Klage, der Kläger mit Anschlussberufung Zusprechung von Fr. 6000.-- als Schadenersatz und Genugtuung verlangte, hat mit Urteil vom 24. März 1958 den Beklagten zur Zablung einer Genugtuungssumme von Fr. 6000.-- verpflichtet.
| 3 |
C.- Mit seiner Berufung an das Bundesgericht erneuert der Beklagte seinen Antrag auf Abweisung der Klage. Der Kläger schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils. Das Bundesgericht schützt die Berufung und weist die Klage ab.
| 4 |
Erwägungen: | |
1. Wie das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung angenommen und in einem neuern Entscheid unter Widerlegung von gegen diese Auffassung erhobenen Einwänden bestätigt hat, verletzt ein Dritter, der mit einem Ehegatten ehewidrige Beziehungen unterhält und so die Ehe stört, den andern Ehegatten in seinen persönlichen Verhältnissen und kann dieser in einem solchen Falle gemäss Art. 49 OR, wenn die besondere Schwere der Verletzung und des Verschuldens es rechtfertigt, vom Dritten die Leistung einer Genugtuung verlangen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Ehe geschieden worden sei oder nicht (BGE 43 II 323 Erw. 5; Urteile der I. Zivilabteilung vom 28. März 1927 i.S. Sch. gegen G., vom 14. Januar 1936 i.S. B. gegen Sch., vom 27. März 1945 i.S. J. gegen St.; BGE 78 II 291 Erw. 2 und 297 Erw. 6). Die in BGE 35 II 576 erwähnte Gefahr der missbräuchlichen Erhebung solcher Ansprüche ist kein genügender Grund, dem beleidigten Ehegatten diesen Anspruch grundsätzlich abzuerkennen, und es lässt sich auch nicht allgemein sagen, eine Verurteilung der Drittperson sei sinnlos, weil sie praktisch doch nicht diese, sondern den am ehewidrigen Verhältnis beteiligten Ehegatten treffe, wie GUHL dies bei Besprechung des Entscheides BGE 78 II 289ff. über die Klage einer Ehefrau gegen die Geliebte des Mannes geltend gemacht hat (ZBJV 1954 S. 243). Ebensowenig kann man die Genugtuungsklage gegen den Dritten mit der Begründung als unzulässig erklären, "der Hauptschuldige, Ehemann oder Ehefrau, dürfe doch nicht in die Rolle eines tertius gaudens gedrängt werden" (GUHL a.a.O.). Abgesehen davon, dass kein Grundsatz des Zivilrechts den Geschädigten hindert, von zwei Schädigern allein den weniger schuldigen zu belangen (BGE 78 II 299), ist dieses Argument auch schon deswegen nicht stichhaltig, weil der untreue Ehegatte im Vergleich zum Dritten nicht notwendig der Hauptschuldige zu sein braucht, wenn auch der von ihm begangene Fehler insofern schwerer wiegt, als er sich gegen die eheliche Treuepflicht vergeht, während der Dritte zum beleidigten Ehegatten nicht in einem besondern Rechtsverhältnis steht, sondern nur die für jedermann bestehende Pflicht zur Respektierung der Ehe eines andern verletzt. Dagegen lässt sich nicht bestreiten, dass eine Geldleistung, die hier praktisch allein in Betracht kommende Art der Genugtuung, ohnehin nur ein sehr unvollkommenes Mittel zur Wiedergutmachung seelischer Kränkungen bildet und als Mittel hiezu besonders problematisch wird, wenn es sich um eine Beleidigung der hier in Frage stehenden Art handelt (vgl. BGE 35 II 576 und Urteil vom 28. März 1927 i.S. Sch. gegen G.). Auch dies reicht aber nicht aus, um in solchen Fällen die Anwendung von Art. 49 OR schlechtweg auszuschliessen, sondern kann nur dazu Anlass geben, bei Prüfung der Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Genugtuung gegeben seien, einen besonders strengen Massstab anzulegen. Bereits unter der Herrschaft des alten OR, nach dessen Art. 55 die Befugnis des Richters, auch ohne Nachweis eines Vermögensschadens auf eine angemessene Geldsumme zu erkennen, schon gegeben war, wenn jemand in seinen persönlichen Verhältnissen unbefugterweise "ernstlich verletzt" wurde, hat deshalb das Bundesgericht gefunden, die Störung einer Ehe könne die Zusprechung einer solchen Geldleistung höchstens in "speziell qualifizierten Fällen" rechtfertigen (BGE 35 II 576). Unter dem neuen OR, dessen Art. 49 den Anspruch auf Genugtuung wegen Verletzung in den persönlichen Verhältnissen ausdrücklich von einer besondern Schwere der Verletzung und des Verschuldens abhängig macht, ist eine solche Zurückhaltung erst recht am Platze (vgl. das Urteil vom 28. März 1927 i.S. Sch. gegen G.).
| 5 |
2. Im vorliegenden Fall ist festgestellt, dass der Beklagte mit der Frau des Klägers seit Januar 1955 geschlechtliche Beziehungen unterhielt und diese nicht aufgab, als er erfuhr, dass der Kläger seine Frau vor dem Eheschutzrichter solcher Beziehungen bezichtigt hatte, sondern dem Kläger gegenüber das Bestehen eines Verhältnisses bestritt und mit rechtlichen Schritten gegen den Urheber dieser Beschuldigung drohte. Angesichts der Tatsache, dass der Beklagte sich fortgesetzt des Ehebruchs mitschuldig machte und an seinem Verhältnis mit der Frau des Klägers trotz dessen Gegenwehr unter frecher Bestreitung unerlaubter Beziehungen festhielt, lässt sich nicht in Abrede stellen, dass sein Verhalten, rein objektiv betrachtet, in besonders schwerer Weise gegen die Pflicht zur Achtung der Ehe des Klägers verstiess. Für die Annahme, dass der Kläger besonders schwer in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt worden sei, wäre jedoch ausserdem erforderlich, dass die Verfehlung des Beklagten den Kläger auch besonders empfindlich traf. Hieran sind Zweifel möglich. Die Behauptung des Klägers, Frau und Familie, die ihm der Beklagte weggenommen habe, seien "sein Glück" gewesen, verträgt sich schlecht mit seinen eigenen Ausführungen im Scheidungsprozess, wonach seine Frau als Egoistin ohne Anpassungsfähigkeit und Gemeinschaftswillen nur auf ihren Vorteil bedacht war und ihn veranlasste, Schulden zu machen, damit er ihre zunehmenden materiellen Bedürfnisse befriedigen konnte. Die Vorinstanz stellt denn auch nicht fest, dass die Ehe des Klägers noch glücklich gewesen sei, als der Beklagte sie zu stören begann, sondern sagt, der Beklagte sei in eine Ehe eingedrungen, die vielleicht nicht mehr glücklich, sondern zeitweise getrübt, aber bis dahin "auch nicht völlig zerrüttet" bzw. "nicht scheidungsreif" gewesen sei. Die Beeinträchtigung einer Ehe, die ohnehin schon gestört war, kann den andern Ehegatten nicht so stark treffen wie die Beeinträchtigung einer gesunden Ehe. Dass etwa der Beklagte sich vor Bekannten des Klägers als dessen Nebenbuhler zu erkennen gegeben und so den Kläger empfindlich in seinem Ansehen geschädigt hätte oder dass er mit Frau L. unter für den Kläger als Ehemann besonders verletzenden Umständen (z.B. in der ehelichen Wohnung) zusammengekommen wäre, wird nicht behauptet. Daher lässt sich kaum sagen, dass man es mit einer besonders schweren Verletzung zu tun habe.
| 6 |
Auf jeden Fall aber fehlt es an einem besonders schweren Verschulden des Beklagten. Die Vorinstanz nimmt zwar an, zweifellos habe der Beklagte Frau L. verführt und nicht diese ihn; denn er habe seine Möglichkeiten ausgenützt und seine Mittel spielen lassen. Konkrete Feststellungen hierüber fehlen jedoch. Man weiss nichts darüber, wie die ehebrecherischen Beziehungen zwischen der Frau des Klägers und dem Beklagten entstanden sind. Als der Beklagte Frau L. zu gemeinsamen Reisen und Ausflügen einlud, bestanden diese Beziehungen bereits. Es ist sehr wohl möglich, dass Frau L., die sich schon ca. 1953 gegenüber einer Drittperson über ihren Ehemann beklagt hatte, und der Beklagte, der mit seiner Frau auch nicht im besten Einvernehmen lebte, mit der Zeit aneinander Gefallen fanden und dass ihre zunächst rein geschäftlichen Beziehungen immer enger wurden und sich schliesslich zu einem intimen Verhältnis entwickelten, ohne dass es dazu besonderer Bemühungen des Beklagten bedurft hätte. Auch wenn man aber noch annehmen will, der Beklagte habe diese Entwicklung aktiv gefördert, so machte ihm die von der Vorinstanz festgestellte Sehnsucht der Frau L. nach einem höhern Lebensstandard die Erreichung seiner Ziele zweifellos leicht und musste er sich angesichts ihrer Einstellung zum Kläger nicht sagen, dass er in eine ungetrübte Ehe eindringe. Wenn damit sein Verhalten auch keineswegs entschuldigt wird, so kann ihm unter den gegebenen Umständen doch kein besonders schweres Verschulden vorgeworfen werden (vgl. das Urteil vom 27. März 1945 i.S. J. gegen St., wo das Vorliegen eines solchen Verschuldens aus ähnlichen Gründen verneint wurde). Dabei bleibt es auch, wenn man mitberücksichtigt, dass er sich durch den Widerstand des Klägers von der Fortsetzung seines Verhältnisses mit Frau L. nicht abhalten liess, sondern den Kläger sogar noch einzuschüchtern suchte. Dass Frau L. wirtschaftlich von ihm abhängig gewesen sei und er dies benützt habe, um sie gefügig zu machen, ist nicht dargetan. Als tüchtige Verkäuferin hätte sie zweifellos auch anderwärts eine Stelle finden können. Es kann auch keine Rede davon sein, dass sie ihm etwa geistig unterlegen gewesen sei und er diesen Umstand ausgenützt habe. Ebensowenig kann sich der Vorwurf eines besonders schweren Verschuldens gegenüber dem Kläger darauf stützen, dass der Beklagte Frau L. "in aller Heimlichkeit" für sich gewann und sich "auch über die Schranken hinwegsetzte, die für ihn als verheirateten Mann hätten bestehen sollen."
| 7 |
8 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |