BGE 84 II 497 | |||
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69. Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. November 1958 i.S. Eheleute M.-H. | |
Regeste |
Ungültigerklärung der Ehe; örtliche Zuständigkeit. | |
Sachverhalt | |
Am 8. September 1955 reichte Frau M.-H. beim Bezirksgericht Werdenberg (Kanton St. Gallen), in dessen Amtskreis der eheliche Wohnsitz sich befand, Klage auf Scheidung ihrer am 1. Mai 1954 geschlossenen Ehe mit M. ein. Hierauf klagte M., der in Bünzen (Bezirk Muri, Kanton Aargau) heimatberechtigt ist, am 17. September 1955 beim Bezirksgericht Muri als dem Gericht seiner Heimat (Art. 8 NAG) auf Anfechtung der Ehelichkeit des von seiner Frau am 11. Oktober 1954 geborenen Kindes, welche Klage das Bundesgericht am 16. Mai 1957 gutgeheissen hat (BGE 83 II 171). Ausserdem erhob er am 30. November 1955 Klage auf Ungültigerklärung der Ehe wegen Irrtums und Betrugs, die er gestützt auf Art. 136 und 144 ZGB und die Behauptung, dass er nun in Bünzen wohne, ebenfalls beim Bezirksgericht Muri anbrachte. Nachdem dessen örtliche Zuständigkeit für die Beurteilung der Eheanfechtungsklage erst- und zweitinstanzlich verneint worden war, weil er in Bünzen keinen Wohnsitz erworben habe, leitete M., der inzwischen in Kaiseraugst (Bezirk Rheinfelden Kanton Aargau) Wohnsitz genommen hatte, am 17. Dezember 1956 (innert der Nachfrist von Art. 139 OR) beim Bezirksgericht Rheinfelden neuerdings Klage auf Ungültigerklärung der Ehe ein. Die Ehefrau erhob die Einrede, auch das Bezirksgericht Rheinfelden sei örtlich nicht zuständig, weil für eine Klage auf Ungültigerklärung der Ehe das bereits mit der Scheidungsklage befasste Bezirksgericht Werdenberg mit Rücksicht auf den zwischen den beiden Klagen bestehenden Sachzusammenhang ausschliesslich zuständig sei. Das Bezirksgericht Rheinfelden wies diese Einrede am 25. September 1957 ab. Das Obergericht des Kantons Aargau (I. Abteilung) hat sie dagegen am 20. Juni geschützt.
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Das Bezirksgericht Werdenberg hatte zunächst beschlossen, den Scheidungsprozess bis zur rechtskräftigen Beurteilung der Klage auf Ungültigerklärung der Ehe einzustellen, hob dann aber die Sistierung mit Beschluss vom 7. November 1957 auf Begehren von Frau M. wieder auf, wobei es in den Erwägungen u.a. bemerkte, M. hätte die Möglichkeit gehabt, der Scheidungsklage der Frau eine Widerklage auf Ungültigerklärung der Ehe gegenüberzustellen. Auf die Nichtigkeitsbeschwerde, mit der M. diesen Beschluss anzufechten suchte, trat das Bundesgericht am 25. Januar 1958 nicht ein. Am 17. April 1958 schied das Bezirksgericht Werdenberg die Ehe der Parteien und trat auf die vom Ehemann inzwischen vorsorglich erhobene Widerklage auf Ungültigerklärung der Ehe nicht ein, weil die Ungültigkeitsklage bereits im Kanton Aargau anhängig gemacht worden sei. Der Scheidungsprozess ist heute infolge Appellation des Ehemannes beim Kantonsgericht St. Gallen hängig.
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Gegen den erwähnten Entscheid vom 20. Juni 1958, mit dem das aargauische Obergericht die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Rheinfelden zur Beurteilung der Klage auf Ungültigerklärung der Ehe verneinte, hat M. rechtzeitig die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, diese Zuständigkeit sei zu bejahen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Von der Regel des Art. 144 ZGB besteht nach der Rechtsprechung (BGE 80 II 99 /100 und dortige Hinweise) allerdings eine Ausnahme: Von dem Zeitpunkt an, da ein Ehegatte als erster eine Klage auf Scheidung oder Trennung der Ehe bei dem nach Art. 144 ZGB für seine Klage zuständigen Gericht anhängig gemacht hat, ist dieses bis zur Erledigung des damit eingeleiteten Prozesses auch für die Beurteilung einer allfälligen Scheidungs- oder Trennungsklage des anderwärts domizilierten beklagten Ehegatten ausschliesslich zuständig, m.a.W. dieser ist, wenn er seinerseits die Scheidung oder Trennung verlangen will, auf eine (Wider-)Klage beim Forum der Vorklage angewiesen. Diese Rechtsprechung stützt sich im wesentlichen auf die Erwägung, das materielle Scheidungsrecht schaffe zwischen der Scheidungs- oder Trennungsklage des einen Ehegatten und einer ebenfalls auf Scheidung oder Trennung gerichteten Klage des andern einen unlösbaren Sachzusammenhang, und zwar nicht bloss für den Fall, dass beide Ehegatten auf Scheidung oder beide auf Trennung klagen, sondern auch für den Fall, dass der eine die Scheidung, der andere die Trennung verlangt; eine sachgemässe Beurteilung der beidseitigen Begehren sei nur dann gewährleistet und die Gefahr widersprechender Urteile über diese Begehren (und gegebenenfalls über die Nebenfolgen) nur dann gebannt, wenn beide Begehren durch den gleichen Richter beurteilt werden (BGE 80 II 99). In der Tat sind in den Fällen, wo beide Ehegatten die Scheidung oder Trennung verlangen, die vom einen und andern Teil sei es zur Begründung des eigenen, sei es zur Abwehr des gegnerischen Begehrens geltend gemachten Tatsachen meist derart miteinander verflochten und hängen die durch die beidseitigen Begehren aufgeworfenen Rechtsfragen so eng zusammen, dass es nicht möglich ist, das eine Begehren ohne das andere richtig zu beurteilen. Würden die beidseitigen Begehren getrennt behandelt, so könnte es zudem geschehen, dass über das eine vor der Beurteilung des andern ein rechtskräftiges Urteil zustande käme, was dann, wenn dieses auf Scheidung lauten würde, zur Folge hätte, dass der andere Teil seinen Scheidungsanspruch nicht weiterverfolgen könnte, da eine bereits rechtskräftig geschiedene Ehe nicht nochmals geschieden werden kann. Auch ist richtig, dass bei gesonderter Behandlung der beiden Begehren widersprechende Urteile ergehen könnten, von denen man nicht ohne weiteres sähe, welches massgebend sei. Der Widerspruch wäre mindestens dann kaum lösbar, wenn zwei im Dispositiv verschiedene Urteile gleichzeitig rechtskräftig würden oder wenn zwei in den tatsächlichen Feststellungen voneinander abweichende Urteile nebeneinander an ein nur zu ihrer rechtlichen Überprüfung befugtes oberes Gericht weitergezogen würden. Also ist mit guten Gründen angenommen worden, dass für die Scheidungs- oder Trennungsklage des bereits mit einer solchen Klage belangten Ehegatten beim Gericht der Vorklage der ausschliessliche Gerichtsstand des Sachzusammenhangs bestehe.
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Diese Erwägungen gelten jedoch nicht auch für den Fall, dass der eine Ehegatte auf Scheidung oder Trennung und der andere auf Ungültigerklärung der Ehe klagt (während im vorliegenden Falle dahingestellt bleiben kann, wie es sich verhalte, wenn beide Ehegatten die Ungültigerklärung verlangen).
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Grundlage einer Klage auf Scheidung oder Trennung bilden Tatsachen, die nach der Eheschliessung eingetreten sind, Grundlage einer Klage auf Ungültigerklärung solche, die damals schon vorhanden waren. Voreheliche Tatsachen kommen bei Beurteilung einer Scheidungs- oder Trennungsklage nur insoweit in Betracht, als sie sich in der Ehe ausgewirkt haben (vgl. z.B.BGE 33 II 221E. 5 und Urteil vom 2. Juli 1913 i.S. Kägi, Praxis 2 Nr. 185), und nach der Heirat eingetretene Umstände können zur Begründung einer Klage auf Ungültigerklärung nichts beitragen, sondern höchstens in ganz bestimmten vereinzelten Fällen zum Verlust der Klage führen (vgl. Art. 122 ZGB;BGE 54 II 354ff.; EGGER N. 10 zu Art. 124 ZGB, N. 19 der Vorbemerkungen zum Titel über die Ehescheidung, S. 112). Der mit einer Klage auf Ungültigerklärung befasste Richter und der Scheidungs- oder Trennungsrichter haben es also mit voneinander wesentlich verschiedenen Tatbeständen zu tun. Aber auch die rechtlichen Gesichtspunkte, unter denen die Tatsachen in beiden Prozessen gewürdigt werden müssen, sind durchaus verschieden. Unter diesen Umständen lässt sich hier anders als beim Zusammentreffen zweier Scheidungs- oder Trennungsklagen nicht sagen, eine sachgemässe Behandlung der beiden Klagen sei nur gewährleistet, wenn für beide der gleiche Richter zuständig ist.
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Ebensowenig ist zu befürchten, dass bei getrennter Behandlung der Scheidungs- oder Trennungsklage des einen und der Klage auf Ungültigerklärung des andern Ehegatten Urteile zustandekommen könnten, die in einem unlösbaren Widerspruch stünden. Sind eine Scheidungs- oder Trennungsklage des einen Ehegatten und eine Klage des andern Ehegatten auf Ungültigerklärung gleichzeitig hängig, so ist der Scheidungs- oder Trennungsprozess vernünftigerweise bis zur rechtskräftigen Erledigung des Ungültigkeitsprozesses einzustellen, da die Scheidung oder Trennung eine gültige Ehe voraussetzt und die Ungültigkeitsklage auf die Beseitigung dieser Voraussetzung abzielt, so dass der Ausgang des zweiten Prozesses für den ersten präjudiziell ist. Wird die Ehe ungültig erklärt, so wird die Scheidungs- oder Trennungsklage dadurch gegenstandslos. Erginge gleichwohl noch ein Scheidungs- oder Trennungsurteil, so wäre es als schlechthin nichtig anzusehen und von den Vollstreckungs- und Zivilstandsbehörden demgemäss einfach unbeachtet zu lassen. In diesem - übrigens wenig wahrscheinlichen - Falle wäre also ohne weiteres klar, welches Urteil massgebend sei. Ähnlich liessen sich aber auch die Widersprüche beheben, die entstehen könnten, wenn die sich aufdrängende Einstellung des Scheidungs- oder Trennungsprozesses bis zur Erledigung des Ungültigkeitsprozesses aus irgendeinem Grunde unterbliebe. Sollten in einem solchen Falle ein die Scheidung oder Trennung aussprechendes und ein auf Ungültigerklärung lautendes Urteil gleichzeitig in formelle Rechtskraft erwachsen, so käme dem zweiten vor dem ersten der Vorrang zu. Ein vor Erledigung des Ungültigkeitsprozesses ergehendes Trennungsurteil würde kein Problem schaffen. Würde aber die Ehe geschieden, bevor eine Klage des andern Ehegatten auf Nichtigerklärung der Ehe im Sinne von Art. 120 ff. ZGB beurteilt wäre, so könnte der Nichtigkeitsprozess dennoch fortgeführt werden, da gemäss Art.122 Abs. 1 ZGB nach Auflösung der Ehe die Nichtigkeit zwar nicht mehr von Amtes wegen verfolgt wird, aber immer noch jedermann, der ein Interesse hat, also auch ein Ehegatte, die Nichtigerklärung verlangen kann. Würde die Ehe daraufhin nichtig erklärt, so fiele das vorher ergangene Scheidungsurteil ohne weiteres dahin. Ob für die Anfechtung der Ehe gemäss Art. 123 ff. ZGB in dieser Hinsicht das gleiche gelte wie für die Nichtigerklärung, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn man nämlich annehmen wollte, nach Scheidung der Ehe könne eine Anfechtungsklage nicht mehr angehoben werden (so EGGER N. 1 zu Art. 127 ZGB) und sei es (anders als gemäss Art. 135 Abs. 2 ZGB bei Auflösung der Ehe durch den Tod) sogar unzulässig, einen bereits eingeleiteten Anfechtungsprozess weiterzuführen, so ergäben sich aus der getrennten Behandlung der beiden Prozesse keine unlösbaren Konflikte. Vielmehr wäre in diesem Falle anzunehmen, der Anfechtungsprozess werde durch eine vor seiner Erledigung rechtskräftig ausgesprochene Scheidung gegenstandslos und ein trotzdem noch ergehendes Urteil auf Gutheissung der Anfechtungsklage bleibe ohne Wirkung. Stünde die Scheidung der Weiterführung eines bereits eingeleiteten Anfechtungsprozesses entgegen, so wäre im übrigen die Einstellung des Scheidungsprozesses bis zur rechtskräftigen Erledigung des Anfechtungsprozesses nicht bloss ein Gebot der praktischen Vernunft, sondern wäre ernstlich zu erwägen, ob sich ein ohne Rücksicht auf die Hängigkeit einer Anfechtungsklage erlassenes Scheidungsurteil mit der Begründung als bundesrechtswidrig anfechten liesse, dass ein bereits durch Klage geltend gemachtes Anfechtungsrecht nicht durch Vorwegbehandlung der Scheidungsklage vereitelt werden dürfe.
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Während gegenseitige Klagen auf Scheidung oder Trennung unlösbar zusammenhängen, entstehen also aus der gesonderten Behandlung einer Klage auf Scheidung oder Trennung und einer Klage des andern Ehegatten auf Ungültigerklärung keine schwerwiegenden Unzukömmlichkeiten. Daher rechtfertigt es sich nicht, für eine Klage auf Ungültigerklärung, die der auf Scheidung oder Trennung beklagte Ehegatte anhebt, oder für den umgekehrten Fall in Abweichung von der gesetzlichen Regelung (die keine dem § 616 der deutschen ZPO entsprechende Vorschrift enthält; vgl. hiezu L. ROSENBERG, Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts, 3. Aufl. 1931 S. 566 Ziff. 4, 7. Aufl. 1956 S. 774 Ziff. 3 a) den Gerichtsstand des Sachzusammenhangs am Ort der Vorklage einzuführen (der übrigens, wenn gegeben, entgegen der vom Bezirrksgericht Werdenberg mindestens implicite bekundeten Auffassung nur ein ausschliesslicher, nicht ein neben demjenigen von Art. 144 ZGB wahlweise zur Verfügung stehender sein könnte). Vielmehr muss in solchen Fällen der Gerichtsstand des Wohnsitzes des klagenden Ehegatten auch für die zweite Klage massgebend bleiben, selbst wenn die Zusammenlegung der Prozesse gewisse praktische Vorteile böte. Für die Anfechtungsklage des Berufungsklägers ist also das Bezirksgericht Rheinfelden zuständig.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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