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76. Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. Juni 1958 i.S. Baffra A.-G. gegen "Schweiz" Allgemeine Versicherungs- A.-G. | |
Regeste |
Seetransportversicherung. |
2. In den allgemeinen Bedingungen aufgestellte Regeln über |
a) die Schadensfeststellung durch den Havarie-Kommissar des Versicherers, wenn Güter ausserhalb der Schweiz beschädigt ausgeladen werden; Vorschusspflicht des Anspruchsberechtigten; |
b) die rechtsverbindliche Schätzung des Schadens durch unparteiische bzw. beiderseits ernannte Sachverständige (Erw. 2). |
3. Verwirkung des Ersatzanspruchs gegen den Versicherer kraft vertraglicher Klausel. Gegebene Gründe: a) eigenmächtige Beauftragung eines Experten eigener Wahl durch den Anspruchsberechtigten; b) Verweigerung der Vorschussleistung an den Havarie-Kommissar (Erw. 3-8). |
4. Entschuldigung nach Art. 45 VVG? (Erw. 9). |
5. Rechtsmissbräuchliche Erhebung der Verwirkungseinrede? (Erw. 10). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 14./15. Mai 1954 meldete die Colcao, die inzwischen in Liquidation getreten war, unter Hinweis auf die Generalpolice einen Transport von 26'417 Ballen Tabak, die auf dem Seewege von Samsun und Istanbul nach Hamburg verbracht werden sollten, zur Versicherung an, und zwar zu einem Versicherungswert von USA-$ 1'100, 100, ![]() | 2 |
C.- Anlässlich der Beladung des Frachtschiffes "Aegaeis" in Samsun kam es zwischen dem Kapitän und Vertretern der Inventa zu einer Auseinandersetzung über die Art der Ladung. Inhalt und Ergebnis dieser Aussprache sind umstritten und kommen in einem in Hamburg schwebenden Prozesse zwischen der Inventa und 1) der Atlas-Levante-Linie Aktiengesellschaft und 2) der Levante Schiffahrts-G.m.b.H. zur Erörterung.
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D.- Nach einer Fahrt von etwa 25 Tagen lief die "Aegaeis" am 10. Juni 1954 in Hamburg ein. Beim Entladen des Schiffes wies der Tabak beträchtlichen Schaden auf. Das wurde sowohl dem Havarie-Kommissar der "Schweiz" in Hamburg, Paul Sieveking, wie auch der "Schweiz" selbst gemeldet. Die mit dem Empfang der Ware für die Inventa betraute Speditionsfirma Schenker & Co. G.m.b.H., Hamburg, ersuchte den Havarie-Kommissar am Tag nach Ankunft der Ware, seinen Havarieexperten zur gemeinsamen Schadensfeststellung zum Lager zu entsenden. Der von Sieveking in diesem Sinn beauftragte Experte Nehrenheim nahm einen Augenschein vor und meldete am 24. Juni 1954, es seien 7723 beschädigte Ballen ausgeschieden worden. Zu genauer Schadensfeststellung kam es damals nicht, und auch an einem Augenschein vom 7. Juli 1954, an dem neben Nehrenheim und einem Vertreter der "Schweiz" auch Vertreter der Firma Schenker & Co. und der Vertrauensexperte der Inventa, Rathmann, teilnahmen, wurden keine dahingehenden Massnahmen beschlossen. Die "Schweiz" hatte bereits in einem Briefe vom 29. Juni 1954 an die Colcao mit eingehender ![]() | 4 |
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Rathmann erstattete sein Gutachten am 12. Januar 1955.
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F.- Nach Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag durch die Colcao an die Inventa und durch diese an die Baffra AG in Zürich erhob diese am 17. März 1956 gegen die "Schweiz" Klage auf Zahlung von Fr. 1'669,148.95 nebst 5% Zinsen seit 10. August 1954. Die Beklagte bestritt die Aktivlegitimation der Klägerin, indem sie die deren Rechtserwerb zu Grunde liegenden Abtretungen bemängelte. Im übrigen bestritt sie nach wie vor das Vorliegen eines durch die Versicherung gedeckten Schadensfalles. Endlich erhob sie gestützt auf Art. 42 lit. b ABVT die Einrede der Verwirkung wegen Nichterfüllung der sich aus Art. 32 und 34 ABVT für den Versicherungsnehmer bzw. den Anspruchsberechtigten ergebenden Obliegenheiten.
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G.- Mit Urteil vom 27. Januar 1958 hat das Handelsgericht des Kantons Zürich die Verwirkungseinrede der Beklagten geschützt und die Klage daher abgewiesen. Die Begründung geht dahin, die Schadensanzeige sei zwar dem Art. 32 ABVT entsprechend erfolgt, dagegen habe die Versicherungsnehmerin bzw. die Anspruchsberechtigte es ![]() | 8 |
H.- Mit vorliegender Berufung erneuert die Klägerin das in der Klage gestellte Begehren. Die Beklagte trägt auf Abweisung der Berufung und auf Bestätigung des angefochtenen Urteils an.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Diese Ansicht geht fehl. Es kann dahingestellt bleiben, ob jene Streichung, was die Beklagte behauptet hat, jedoch nicht abgeklärt worden ist, auf Irrtum beruhe, oder ob sie dem Willen entsprang, diesen von der Colcao nicht für sich selbst, sondern "to whom it may concern", zunächst für die Inventa, abgeschlossenen speziellen Versicherungsvertrag von der Generalpolice der Versicherungsnehmerin unabhängig zu gestalten, zumal er ohnehin deren Rahmen hinsichtlich der Höhe der Versicherungssumme überschritt. Selbst wenn man letzteres annimmt und im übrigen davon ausgeht, für den nicht mit der Colcao identischen Anspruchsberechtigten ![]() | 11 |
Gegen die Anwendbarkeit der "ABVT 1940" in ihrer Gesamtheit spricht nicht der Umstand, dass das Versicherungszertifikat nur einen Auszug daraus enthält. Dieser ist ja ausdrücklich als solcher bezeichnet. Der Versicherungsnehmer und jeder weitere Anspruchsberechtigte hatte daher Veranlassung, sich nach dem vollen Texte der "ABVT 1940" umzutun, sobald ein Schadensfall eingetreten war.
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Die Übergabe eines blossen Auszuges der allgemeinen Versicherungsbedingungen entsprach allerdings nicht der Vorschrift von Art. 3 VVG. Allein diese Vorschrift ist nicht zwingenden Charakters (siehe die Art. 97 und 98 VVG) und denn auch in Art. 52 ABVT wegbedungen. Im übrigen gilt Art. 3 VVG nicht, wenn der Antrag auf Grund eines bereits laufenden Vertrages, also auf Grund bereits übergebener Bedingungen gestellt wird (ROELLI, N. 1 am Ende zu Art. 3 VVG). Das traf hier zu. Versicherungsnehmerin ![]() | 13 |
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Was die Schadensfeststellung betrifft, so fallen folgende Bestimmungen der ABVT in Betracht:
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a) im Abschnitt "Schäden" (Art. 32-36):
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Art. 34
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1 Werden Güter ausserhalb der Schweiz beschädigt ausgeladen, so ist unverzüglich der Havarie-Kommissar des Versicherers herbeizurufen, damit dieser die Art, den Umfang und die Ursache des Schadens feststellen und die ihm geeignet erscheinenden Massnahmen zur Erhaltung der Güter anordnen kann.
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2 Der Havarie-Kommissar ist nicht der Vertreter des Versicherers. Seine Intervention bewirkt keineswegs die Anerkennung oder Begründung eines Gerichtsstandes an seinem Wohnsitz.
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.....
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5 Die Spesen und das Honorar des Havarie-Kommissars sind vom Versicherungsnehmer zu zahlen. Der Versicherer wird sie ihm zurückerstatten, wenn und soweit der Schaden durch die Versicherung gedeckt ist.
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Art. 37
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1 Wenn der Versicherer oder der Havarie-Kommissar sich mit dem Empfänger über Ursache, Art und Umfang des Verlustes oder der Beschädigung nicht einigen können, so wird zur Feststellung des Schadens ein Sachverständiger ernannt. Falls die Parteien sich nicht über die Person einigen können, oder falls die Umstände die Mitwirkung mehrerer Sachverständiger verlangen, so hat jede Partei einen davon zu bezeichnen; wenn die beiden Sachverständigen sich nicht einigen können, so haben sie einen sachverständigen Obmann zu wählen, oder ihn durch die zuständige Behörde bezeichnen zu lassen.
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2 Kann ein Dritter für den Schaden haftbar gemacht werden, so muss die Schadensfeststellung auf gerichtlichem Wege erfolgen, sofern das Gesetz oder der Ortsgebrauch es verlangen.
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Art. 38
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1 Der oder die Sachverständigen untersuchen die Güter gemeinsam, nachdem sie die Interessenten (Versicherer, Havarie-Kommissar, Empfänger, Frachtführer usw.) zur Besichtigung eingeladen haben; sie verfassen und unterzeichnen den Expertisenbericht, ..........
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Art. 42
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Der Versicherer ist von jeder Ersatzpflicht befreit:
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a) ..........
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b) wenn die Feststellung des Verlustes oder der Beschädigung nicht in der vorgeschriebenen Weise erfolgte;
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c) ..........
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In diesen Bestimmungen liegt eine selbständige, aus sich selbst heraus auszulegende Ordnung, wie denn Art. 67 VVG mit Ausnahme des auch für die Transportversicherung zwingenden Abs. 4 in Art. 52 ABVT ausdrücklich wegbedungen ist.
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3. In erster Linie ist der Vorinstanz darin beizustimmen, dass der Verwirkungsgrund des Art. 42 lit. b ABVT nicht nur bei Verstössen gegen die Art. 37 ff., sondern auch bei solchen gegen Art. 34 ABVT vorliegt. Zwar steht jene Verwirkungsklausel nur in dem durch Art. 37 eingeleiteten Abschnitt über die "Schadenermittlung". Sie betrifft aber jede nicht in der "vorgeschriebenen" Weise erfolgte Schadensfeststellung, und bei Gütern, die ausserhalb der Schweiz beschädigt ausgeladen werden, fällt eben in erster Linie die nach Art. 34 ABVT vom Havarie- ![]() | 34 |
Diese Bestimmung schreibt vor, der Havarie-Kommissar des Versicherers sei unverzüglich herbeizurufen, um Art, Umfang und Ursache des Schadens feststellen und die ihm geeignet erscheinenden Massnahmen zur Erhaltung der Güter anordnen zu können. Die Inventa bzw. die von ihr beauftragte Speditionsfirma Schenker & Co. hat den Havarie-Kommissar Sieveking demgemäss sogleich mit diesem Schadensfalle befasst. Zur Feststellung des Schadens nach Art, Umfang und Ursache bedurfte es aber bei der vorliegenden grossen Tabaksendung genauer und kostspieliger Untersuchungen, worüber die Inventa bereits in der zweiten Hälfte Juni 1954 von der in solchen Angelegenheiten erfahrenen Speditionsfirma unterrichtet wurde. Nun stand es der Inventa nach der in Frage stehenden Vertragsbestimmung nicht zu, mit diesen Feststellungen über den Kopf des Havarie-Kommissars hinweg einen Sachverständigen ihrer Wahl zu betrauen. Vielmehr hatte sie die Schadensfeststellung dem Havarie-Kommissar als dem nach den Vertragsbestimmungen "herbeizurufenden" Vertrauensmann des Versicherers zu überlassen. Dieser braucht sich die eigenmächtige Beauftragung eines Sachverständigen durch den Versicherungsnehmer oder den Anspruchsberechtigten nicht gefallen zu lassen und eine auf solchem Wege zustande kommende Schadensfeststellung nicht als "in der vorgeschriebenen Weise erfolgt" anzunehmen, sondern kann sich gegenüber einem derartigen Vorgehen auf die Verwirkungsklausel berufen (vgl. D. BERTHOUD, L'assurance des marchandises contre les risques de transport, p. 179 unten; ferner zur Stellung des Havarie-Kommissars: RITTER, Das Recht der Seeversicherung, Kommentar zu den Allgemeinen deutschen Seeversicherungsbedingungen, 2, Anm. 61 zu § 74; MANES, Versicherungslexikon, 3. Auflage, s.v. Havariekommissar).
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4. Um die in Art. 34 Abs. 1 ABVT vorgesehenen Massnahmen in gehöriger Weise zu veranlassen, genügt es ![]() | 36 |
5. In der Regel wickelt sich die Schadensfeststellung durch den Havarie-Kommissar in der Weise ab, dass er nach Vornahme der ersten Feststellungen und sichernden Anordnungen dem Versicherungsnehmer bzw. Anspruchsberechtigten den für die genaue Schadensermittlung erforderlichen Kostenbetrag angibt und mit ihm allenfalls eine ratenweise Bezahlung vereinbart. Im vorliegenden Fall ist ein solches Vorgehen des Havarie-Kommissars nicht dargetan. Die Inventa wusste jedoch, dass dieser und die Beklagte (die einen durch die Versicherung gedeckten Schadensfall überhaupt verneinte) von sich aus nichts zur nähern Schadensermittlung vorkehrten. Die von ihr beauftragte Speditionsfirma Schenker & Co. machte sie eindringlich darauf aufmerksam, dass es an ihr lag, durch Bevorschussung der (auf etwa DM 200'000.-- veranschlagten) Kosten die rasche Schadensermittlung zu veranlassen. Unter diesen Umständen war es offensichtlich Aufgabe der Inventa, die Voraussetzungen des ihr obliegenden Schadensnachweises durch ordnungsmässige, dem Art. 34 ABVT entsprechende Art der Feststellung von Art, Umfang und Ursache des Schadens zu schaffen. Sie hätte den Havarie-Kommissar ersuchen dürfen (und, um ihre Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zu wahren, auch ![]() | 37 |
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7. Eine Frage für sich ist, ob die Inventa die Einleitung eines eigentlichen Sachverständigenverfahrens nach Art. 37 ABT zur grundsätzlich rechtverbindlichen Abschätzung des Schadens (entsprechend Art. 67 Abs. 2 VVG; vgl. dazu OSTERTAG-HIESTAND, N. 6) hätte verlangen können, wenn Verhandlungen mit dem Havarie-Kommissar über die gemeinsame Beauftragung eines Sachverständigen ![]() | 39 |
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9. Der Eventualstandpunkt der Klägerin, eine ihren Rechtsvorgängern vorzuhaltende Versäumung von Obliegenheiten ![]() | 41 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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