BGE 84 II 570 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
77. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. November 1958 i.S. Erben des M. Burgener und D. Burgener gegen Kirchenfabrik Visp. | |
Regeste |
Art. 28 ZGB, Art. 44 URG, Art. 49 OR. |
Veröffentlichung des Urteils als zusätzliche Genugtuung und Massnahme zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes. | |
Sachverhalt | |
Die Architekten Markus und Donato Burgener in Siders erhielten im Jahre 1941 an einem Wettbewerb zur Erlangung von Plänen für die Vergrösserung der St. Martinskirche in Visp und den Bau eines Gemeindehauses den ersten Preis. In den Jahren 1943 und 1944 arbeiteten sie im Auftrage der Kirchenfabrik Visp zwei weitere Projekte für die Vergrösserung der Kirche aus. Nachdem sie in den Jahren 1947 bis 1950 den Neubau des Gemeindehauses geplant und geleitet hatten, beschloss der Pfarreirat Ende 1950, die Pläne für die Vergrösserung der Kirche durch drei Architekten begutachten zu lassen. Diese erstatteten dem Pfarreirat am 2. Juli 1951 Bericht über die Aussetzungen, die sie am letzten Ausführungsprojekt der Architekten Burgener zu machen hätten. Sie kamen zum Schluss, die nachträglich gewünschten Abänderungen des aus dem Wettbewerb hervorgegangenen Projektes seien nicht vorteilhaft gewesen. Es könne auf der Grundlage der vorhandenen Pläne weitergearbeitet werden. Am 10. Juli 1951 beschloss der Pfarreirat, die Vergrösserung der Kirche durch den der begutachtenden Kommission angehörenden Architekten Dr. Pfammatter besorgen zu lassen. Dieser ahmte das Projekt der Architekten Burgener nicht sklavisch nach, übernahm aber von ihnen originelle und wertvolle wesentliche Grundgedanken. Fast alle Elemente, über die sachlich diskutiert werden kann, wie Grundriss, Querschnitt, Ansetzen am Altbau, Übernahme der Wölbungsform des Altbaues, Weiterführung seines Daches, Einfügung des Querschiffes, Standort und Grösse der Nebenräume und -einrichtungen, der Sakristeien, der Eingänge und Zugangstreppen, blieben sogut wie unverändert. Die Abweichungen betreffen fast ausschliesslich das Gebiet der Ästhetik. So gab Dr. Pfammatter den abgesonderten Chor auf, führte das Längsschiff gleichsam über die Vierung weiter, stellte den Altar vor eine Fensterwand, schloss Querschiff und Chor polygonal ab, versah sie mit abgewalmten Dächern und gestaltete die Fenster und Gesimse in den Einzelheiten neuzeitlicher aus.
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Am 13. November 1955 weihte die Pfarreigemeinde die neue Kirche ein. Zu diesem Anlass wurden mit den Zeitungen "Walliser Volksfreund" und "Walliser Bote" Sonderbeilagen verbreitet, die sich ausschliesslich mit diesem Ereignis befassten. Sie enthielten insbesondere verschiedene Artikel über die Geschichte und den Bau der Kirche und gaben in grosser Aufmachung bekannt, Dr. Pfammatter habe Projekt und Pläne verfasst und die Oberleitung innegehabt, Architekt Grünwald sei Bauleiter gewesen und Ingenieur Krobisch habe die statischen Berechnungen und Konstruktionspläne besorgt. Auch die Mitglieder des Pfarreirates und der Baukommission und die am Bau beteiligten Firmen wurden genannt. Die Namen der Architekten Markus und Donato Burgener wurden in beiden Beilagen verschwiegen. Die Kirchenfabrik ihrerseits pries den vollendeten Umbau als ausschliessliches Werk Pfammatters und tat nichts, um den schöpferischen Beitrag, den Markus und Donato Burgener geleistet hatten, bekanntzugeben. Sie unterdrückte geflissentlich ihre Namen und Leistungen und liess in der Öffentlichkeit bewusst und gewollt den Eindruck aufkommen, das Werk stamme von Dr. Pfammatter und die Architekten Burgener hätten dazu nichts beigetragen, es sei denn einige wert- und bedeutungslose Vorstudien.
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Markus und Donato Burgener klagten gegen die Kirchenfabrik Visp unter anderem auf Zahlung von Fr. 20 000 Schadenersatz und Genugtuung wegen Verletzung von Urheberrechten und auf Veröffentlichung des Urteils. Das Kantonsgericht des Wallis sprach Donato Burgener und den Erben des im Verlaufe des Prozesses verstorbenen Markus Burgener wegen Verletzung von Urheberpersönlichkeitsrechten Fr. 4000 zu, wies dagegen das Begehren um Veröffentlichung des Urteils ab. Die Kläger erklärten die Berufung. Die Beklagte schloss sich der Berufung an und beantragte Abweisung der Klage.
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Aus den Erwägungen: | |
a) Von den vermögensrechtlichen Urheberrechten sind die Persönlichkeitsrechte zu unterscheiden, die dem Urheber eines Werkes der Literatur oder Kunst zustehen. Diese Unterscheidung, die auch das Kantonsgericht trifft, wird von den Klägern zu Unrecht beanstandet. Dass der Schöpfer eines Werkes der Literatur oder Kunst unabhängig von den Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes den Schutz der Persönlichkeit geniesst, ergibt sich aus Art. 28 ZGB, der durch Art. 44 Satz 2 URG vorbehalten wird (BBl 1918 III 647, 1930 II 113; BGE 58 II 308, BGE 69 II 57), und ist für internationale Verhältnisse von der Schweiz auch durch Beitritt zur Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und der Kunst, Fassungen vom 2. Juni 1928 und 26. Juni 1948, anerkannt worden, deren Art. 6 bis die erwähnte Unterscheidung ausdrücklich trifft.
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Die Persönlichkeitsrechte gehen dem Urheber durch Abtretung seiner Vermögensrechte nicht verloren. Sie sind untrennbar mit seiner Person verknüpft, um deretwillen sie ihm zustehen. Sie geben ihm insbesondere Anspruch auf das Ansehen und den Ruf, die das Werk seinem Urheber zu verschaffen vermag. Der Urheber kann bei unbefugter Verletzung dieser Rechtsgüter auf Beseitigung der Störung klagen (Art. 28 Abs. 1 ZGB) und hat unter den Voraussetzungen des Art. 49 OR Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung (Art. 28 Abs. 2 ZGB).
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b) Die Ähnlichkeiten, die das Kantonsgericht zwischen der von den Architekten Burgener entworfenen Kirche einerseits und dem von Dr. Pfammatter ausgeführten Bau anderseits feststellt, verliehen den Architekten Burgener Anspruch, überall dort, wo auf den Erbauer hingewiesen wurde, unter Bekanntgabe ihres schöpferischen Beitrages als Miturheber genannt zu werden. Das hatte insbesondere die Beklagte als Erwerberin des Urheberrechtes an den Plänen der Architekten Burgener und als Bestellerin des Werkes zu tun, namentlich anlässlich dessen Einweihung (vgl. BGE 58 II 309). Nichterfüllung dieser Pflicht bedeutete Verletzung der Persönlichkeitsrechte der beiden Miturheber. Ihr Ansehen und ihr Ruf, zum Umbau der Kirche originelle und wertvolle Grundgedanken beigetragen zu haben, mussten durch Unterdrückung ihrer Namen und Leistungen schwer beeinträchtigt werden. Einer Aufforderung der Architekten Burgener an die Beklagte, ihrer Pflicht nachzukommen, bedurfte es nicht. Die Beklagte hatte die Persönlichkeitsrechte der beiden Miturheber von sich aus zu achten, zumal sie sich des schöpferischen Beitrages, den diese geleistet hatten, bewusst war, hat sie doch die Projekte Burgener an Pfammatter weitergegeben und dessen Honorar wegen dieser Vorarbeiten um Fr. 5000.-- gekürzt. Der Einwand der Beklagten, die Architekten Burgener hätten sie im Briefe vom 12. Juli 1951 nicht darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Rechte als Urheber unter allen Umständen gewahrt werden müssten, hilft daher nicht. Übrigens konnten Markus und Donato Burgener nicht wissen, dass die Beklagte mehr als vier Jahre später, bei der Einweihung der Kirche, ihnen oder ihren Rechtsnachfolgern gegenüber elementarste Pflichten verletzen werde.
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Dass sie die erwähnte Pflicht verletzt hat, steht fest. Auf ihre Behauptung, sie habe sich an den Veröffentlichungen in den anlässlich der Einweihung erschienenen Sonderbeilagen des "Walliser Volksfreunds" und des "Walliser Boten" nicht beteiligt, kommt nichts an. Sie musste sich sagen, dass die Oberwalliser Presse sich auf die Einweihungsfeier hin zum Umbau der Kirche äussern werde. Das lehrt die Lebenserfahrung. Übrigens enthalten beide Sonderbeilagen auch Artikel, die von kirchlicher Seite stammen müssen. Die Beklagte hatte dafür zu sorgen, dass die Öffentlichkeit anlässlich der Einweihung der Kirche über die Arbeit der Architekten Burgener, die sie im Briefe vom 11. Juli 1951 selber als gross und wertvoll bezeichnet hatte, aufgeklärt werde. Wie das Kantonsgericht ausführt, hat sie aber in dieser Hinsicht nichts getan, sondern gegenteils den vollendeten Umbau als ausschliessliches Werk Pfammatters gepriesen, Namen und Leistungen der Architekten Burgener geflissentlich unterdrückt und in der Öffentlichkeit bewusst und gewollt den Eindruck aufkommen lassen, sie hätten zum Werke nichts beigetragen, es sei denn einige wert- und bedeutungslose Vorstudien. Das sind Feststellungen über tatsächliche Verhältnisse. Sie binden daher das Bundesgericht, und zwar sowohl hinsichtlich der objektiven Tatsachen (Preisen als Werk Pfammatters, Unterdrücken der anderen Namen) als auch hinsichtlich des festgestellten Wissens und Wollens der Beklagten. Auf deren Behauptung, der Präsident des Pfarreirates habe bei der weltlichen Feier die Vorarbeiten der Architekten Burgener erwähnt, ist nicht einzutreten. Sie widerspricht den erwähnten Feststellungen und ist übrigens neu. Der Beklagten oblag, sie schon im kantonalen Verfahren aufzustellen, um den Beweis ihres Verhaltens, den an sich die Kläger zu erbringen hatten, durch Gegenbeweis zu entkräften (vgl. BGE 66 II 146 f.).
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c) Wer in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt wird, hat bei Verschulden Anspruch auf Ersatz des Schadens und, wo die besondere Schwere der Verletzung und des Verschuldens es rechtfertigt, Anspruch auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung (Art. 49 Abs. 1 OR).
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Das Kantonsgericht stellt verbindlich fest, dass die Beklagte den Eindruck, das Werk stamme ausschliesslich von Dr. Pfammatter, bewusst und gewollt hat aufkommen lassen. Da sie die Arbeit der Architekten Burgener im Schreiben vom 11. Juli 1951 selber als gross und wertvoll bezeichnet hatte und ihre Projekte unter Kürzung des Architektenhonorars durch Pfammatter hatte verwenden lassen, war sie sich auch bewusst, die Unwahrheit zu sagen, wenn sie das Werk als ausschliessliches Verdienst Pfammatters pries. Es fällt ihr somit Absicht, die schwerste Form des Verschuldens, zur Last. Dass sie über das Schreiben der Architekten Burgener vom 12. Juli 1951 ungehalten war, ändert nichts. War auch der Brief nicht höflich geschrieben, so ist doch zu bedenken, dass seine Verfasser durch die Mitteilung vom Vortage, wonach der Bau durch Pfammatter, Mitglied der begutachtenden Kommission, ausgeführt werde, gekränkt und gereizt waren. Dass der Pfarreirat ihnen das mehr als vier Jahre später noch nachtrug, indem er sie durch Unterdrückung ihrer Verdienste um den Umbau der Kirche so tief demütigte, ist nicht zu verstehen. Die Verletzung in ihren Persönlichkeitsrechten, die er ihnen dadurch zufügte, war schwer. Nachdem die Architekten Burgener sich während mehr als zwölf Jahren um den Umbau der Kirche bemüht hatten und ihr Projekt im Wettbewerb mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden war, musste ihnen ganz besonders daran liegen, öffentlich als Urheber der originellen und wertvollen Grundgedanken anerkannt zu werden, die sie zum Bauwerk beigetragen hatten. Die absichtliche Unterdrückung ihres Namens zugunsten Pfammatters, dessen Beitrag an Gestalt und Aussehen des Werkes fast ausschliesslich das Gebiet der Ästhetik betrifft und der zudem schon durch Erteilung des bedeutsamen Bauauftrages bevorzugt worden war, kränkte tief. Zu bedenken ist auch, dass das Werk eine Kirche ist, die für das religiös eingestellte Walliser Volk eine erhebliche Rolle spielt. Es hätte die Architekten Burgener innerlich befriedigt, als Miturheber des Umbaues eines Hauses von solcher Zweckbestimmung und Bedeutung anerkannt zu werden. Die Nennung ihres Namens und ihrer Verdienste um das Werk hätte ihr Ansehen und ihren Ruf sehr gehoben. Die Verschweigung setzte sie herab. Die Voraussetzungen der Genugtuungspflicht sind daher erfüllt.
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Die Architekten Burgener sind durch Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte auch geschädigt worden. Von ihrem Ansehen und Rufe, Miturheber der Pläne zu dem bedeutsamen Bauwerk zu sein, musste ihr Geschäftsgang abhangen.
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Indem das Kantonsgericht den Klägern nur Fr. 4000.-- zugesprochen hat, um ihnen Genugtuung und Schadenersatz zu verschaffen, hat es der Schwere des Verschuldens und der Verletzung sowie der Grösse des Schadens zu wenig Rechnung getragen. Dieser ist freilich ziffermässig nicht genau nachweisbar. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge (Art. 42 Abs. 2 OR) kann er aber nicht gering sein. Ein Betrag von Fr. 10 000.-- als Genugtuungssumme und Schadenersatz ist angemessen, obwohl auch die Veröffentlichung des Urteils den Klägern eine gewisse Genugtuung verschafft und die materiellen Nachteile der unerlaubten Handlung der Beklagten einschränken wird.
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d) Die Forderung der Kläger ist nicht verjährt. Sie beruht auf andauernder unerlaubter Handlung, insbesondere darauf, dass die Namen der Architekten Burgener auch noch im November 1955 anlässlich der Einweihung der Kirche unterdrückt wurden. Damals war die Klage schon hängig. Das die Verjährunungsfrist des Art. 60 OR im Verlaufe des Prozesses nicht durch Rechtshandlungen im Sinne des Art. 138 OR rechtzeitig unterbrochen worden sei, behauptet die Beklagte nicht.
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e) Die Kläger halten daran fest, das Urteil sei auf Kosten der Beklagten zu veröffentlichen.
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Da die Beklagte ihrer Pflicht, die Architekten Burgener der Öffentlichkeit als Miturheber der Umbaupläne bekanntzugeben, nicht nachgekommen ist, drängt sich die Veröffentlichung des Urteils auf. Sie kann den Klägern zusätzlich Genugtuung verschaffen (Art. 49 Abs. 2 OR). Zugleich beseitigt sie sogut als möglich den rechtswidrigen Zustand, den die Beklagte durch ihr Schweigen geschaffen hat. Die Überlegung des Kantonsgerichts, es liege nicht im Interesse der Sache und der Parteien, wenn die Angelegenheit nun nach Jahren wieder in die Öffentlichkeit getragen werde, hält nicht stand. Seit der Einweihung der Kirche sind erst drei Jahre verflossen. Dass die Architekten Burgener heute ohnehin vergessen wären, wenn die Beklagte sie damals als Miturheber des Baues genannt hätte, ist nicht anzunehmen. Die Kläger haben an der Veröffentlichung noch immer ein schützenswertes Interesse. Durch die Aufklärung Dritter wird nicht, wie z.B. nach einer längst vergessenen Verleumdung, ein nicht mehr andauernder Eingriff in Persönlichkeitsrechte unnötigerweise aufgefrischt. Nach einer Verleumdung, die vergessen ist, braucht der Öffentlichkeit der wahre Sachverhalt nicht notwendigerweise mitgeteilt zu werden, weil schon der Zeitablauf dem Verletzten die Achtung der Mitmenschen zurückverschafft haben kann. Die unterdrückte Miturheberschaft der Architekten Burgener dagegen darf der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben. Je länger sie ihr in Erinnerung bleiben wird, desto besser ist den Verletzten Gerechtigkeit widerfahren. Ob die Veröffentlichung den Interessen der Beklagten widerspricht, ist unerheblich. Das hätte die Beklagte als Folge ihres rechtswidrigen Verhaltens hinzunehmen.
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Die Kläger haben aber nicht Anspruch auf Veröffentlichung des ganzen Urteils, da dieses auch Punkte betrifft, die mit der Verletzung der Persönlichkeitsrechte nichts zu tun haben. Die Bekanntgabe einer Zuzammenfassung über diesen Punkt genügt.
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