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83. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Dezember 1958 i.S. Burzi gegen Sutter. | |
Regeste |
Unverbindlichkeit eines Vertrages wegen Furchterregung, Art. 29 ff. OR. |
Die Einrede der Drohung setzt keine Anfechtung des Vertrags innert der Jahresfrist des Art. 31 OR voraus (Erw. 2 b). |
Genehmigung des Vertrags durch positives Verhalten? (Erw. 2 c). |
Wegfall der Furcht, Voraussetzungen (Erw. 2 c). | |
Sachverhalt | |
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Am 12. Oktober 1945 wurde zwischen Berger, vertreten durch das Advokaturbureau Dr. Grendelmeier und Dr. Baechi, und dem Kläger Burzi, vertreten durch das Sachwalterbureau A. Lutomirski, ein Vertrag abgeschlossen. Gemäss dessen Ziff. 1 anerkannte der Kläger, Berger Fr. 13'500.-- zu schulden. Ziff. 8 des Vertrages bestimmte, ![]() | 2 |
Den ursprünglichen Schuldbetrag von Fr. 13'500.-- bezahlte der Kläger bis zum 31. Dezember 1952 auf Fr. 6900.-- ab. Ebenso bezahlte er die vertragsmässigen Zinsen zu 5% bis zum 31. Dezember 1952. ... Nicht bezahlt wurden vom Kläger dagegen das restliche Kapital von Fr. 6900.-- und die Zinsen zu 5% auf diesem Betrag seit 1. Januar 1953.
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Am 3. September 1955 trat Berger seine Forderung aus der Schuldanerkennung des Burzi vom 12. Oktober 1945 an Sutter ab. Dieser betrieb Burzi auf Bezahlung von Fr. 6900.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1952 und erwirkte auf Rechtsvorschlag hin provisorische Rechtsöffnung.
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Burzi erhob Aberkennungsklage. Zu deren Begründung machte er geltend, er habe die vorerwähnte Schuldanerkennung nur unter dem Einfluss von Furcht und Drohung unterzeichnet. Berger habe ihm im Jahre 1933 ein Darlehen von Fr. 1370.-- gewährt, wofür er einen Schuldschein über Fr. 1600.-- habe unterzeichnen müssen. Da er dieses Darlehen nicht habe zurückzahlen können, ![]() | 5 |
Der Beklagte bestritt die Sachdarstellung des Klägers und machte geltend, dieser habe das im Schuldschein genannte Darlehen von Berger tatsächlich erhalten.
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Das Bezirksgericht Zürich und das Obergericht Zürich, II. Zivilkammer, wiesen die Aberkennungsklage ab und erteilten dem Beklagten definitive Rechtsöffnung für die in Betreibung gesetzte Forderung.
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Das Bundesgericht weist die Sache an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Drohung eines Gläubigers, eine Forderung auf dem Wege der Konkursbetreibung geltend zu machen, ist an sich zulässig. Ein solches Vorgehen stellt die Ausübung eines dem Gläubiger zustehenden Rechtes dar und fällt deshalb nicht unter den Begriff der Furchterregung im Sinne von Art. 29/30 OR. Unzulässig wird die Drohung mit der Ausübung eines Rechtes dagegen nach Art. 30 Abs. 2 OR, wenn der Gläubiger eine Notlage des Schuldners benützt, um ihm die Einräumung übermässiger Vorteile abzunötigen. Solche Vorteile können z.B. in der Anerkennung einer erheblich höheren Schuld bestehen, als sie tatsächlich bestand oder als durch neue Gegenleistungen des Gläubigers, wie Stundung oder dergl., gerechtfertigt war. Gerade das behauptet der Kläger im vorliegenden Fall, und er hat dafür Beweis anerboten. Die Vorinstanz lehnte jedoch die Durchführung eines Beweisverfahrens aus rechtlichen Überlegungen ab. Sie hat gefunden, ob der Vertrag überhaupt unter dem Einfluss von Furchterregung geschlossen worden sei, könne offen bleiben, da der behauptete Willensmangel auf jeden Fall durch Genehmigung des ![]() | 11 |
b) Diese Auffassung der Vorinstanz kann nicht geteilt werden.
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Der Kläger behauptet zwar im Ernste nicht, dass er Berger vor dem Abschluss des Vertrages vom 12. Oktober 1945 überhaupt nichts geschuldet habe; aber er behauptet, er sei Berger aus Darlehen und Zins bei weitem nicht den anerkannten Betrag von Fr. 13'500.-- schuldig gewesen. Er habe jedoch diese höhere Summe aus Angst vor Zwangsvollstreckung, also unter dem Druck einer Notlage, zugestehen müssen.
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Wären diese Behauptungen des Klägers richtig - was heute nicht abgeklärt ist -, so wäre der Vertrag vom 12. Oktober 1945 mit dem Willensmangel der gegründeten Furcht nach Art. 29 OR behaftet und infolgedessen für den Kläger unverbindlich. Diese Unverbindlichkeit könnte der Kläger der heute vom Beklagten geltend gemachten Forderung selbst dann entgegenhalten, wenn er es unterlassen haben sollte, innert Jahresfrist seit Beseitigung der Furcht (Art. 31 Abs. 2 OR) dem Berger zu eröffnen, dass er den Vertrag nicht zu halten gedenke. Denn die Einrede der Furcht ist unverjährbar (Art. 60 Abs. 3 OR; Vgl. OSER/SCHÖNENBERGER, OR Art. 60 N. 16; VON TUHR-SIEGWART OR I S. 300 oben). Entgegen der Meinung der Vorinstanz könnte daher das Unterbleiben einer Anfechtung innert der Jahresfrist seit Wegfall der Furcht dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen. Aus diesem Grunde kann die Frage, ob der Kläger gemäss seiner Behauptung den Vertrag unter dem Einfluss gegründeter Furcht abgeschlossen habe, nicht offen gelassen werden.
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c) Die Einrede der Unverbindlichkeit des Vertrages wegen Drohung wäre dem Kläger heute nur dann verwehrt, wenn er den Vertrag nach Wegfall der Furcht ausdrücklich oder durch positives schlüssiges Verhalten genehmigt hätte (BGE 66 II 158). Die Vorinstanz glaubt, eine solche Genehmigung sei darin zu erblicken, dass der ![]() | 15 |
Diese Überlegung der Vorinstanz beruht jedoch auf einem Trugschluss. Nach dem Vertrag (Ziff. 3) hatte der Kläger den Schuldbetrag von Fr. 12'500.-- ab 15. Oktober 1945 mit 5% zu verzinsen, was jährlich Fr. 625.-- ausmachte; gemäss Ziff. 2 hatte er ferner ab 1. Januar 1948 Abzahlungen zu leisten, die im Jahr Fr. 600.-- betrugen und ab 1. Januar 1950 auf Fr. 1200.-- ansteigen sollten. Die Nichtbezahlung einer Zins- oder Abzahlungsrate innert 8 Tagen nach Verfall sollte gemäss Ziff. 5 des Vertrages die Fälligkeit des ganzen Schuldrestes zur Folge haben. Danach hatte der Kläger also nur Ruhe unter der Voraussetzung, dass er den Vertrag unangefochten liess und den ihm nach diesem obliegenden Zins- und Abzahlungspflichten widerspruchslos nachkam. Hätte er durch die Verweigerung einer Zins- oder Abschlagsrate zu erkennen gegeben, dass er den Vertrag nicht als verbindlich betrachte, so hätte das die Fälligkeit der ganzen noch ausstehenden Schuld zur Folge gehabt. Berger hätte wahrscheinlich sofort Betreibung eingeleitet, worauf es wohl zu einem Aberkennungsprozess gekommen wäre. In diesem wäre der Kläger vermutlich zur Zahlung des Betrages verurteilt worden, den er tatsächlich schuldete, dessen Höhe aber heute nicht feststeht. Dieser Betrag wäre nicht ratenweise, sondern auf einmal zahlbar gewesen, und dazu hätten dem Kläger unbestritten die Mittel gefehlt.
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Im vorliegenden Fall konnte somit die Frist des Art. 31 OR frühestens mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, von welchem an der Kläger keine erfolgreichen Zwangsvollstreckunsgmassnahmen Bergers mehr zu fürchten brauchte, d.h. also von dem Zeitpunkt an, in welchem der Kläger den tatsächlich geschuldeten Betrag abbezahlt hatte. Von da an konnte er mit Aussicht auf Erfolg einwenden, der Beklagte fordere nicht geschuldete, sondern durch erpresste Schuldanerkennungen zugestandene Leistungen. Wo dieser Zeitpunkt liegt, weiss man aber nicht, solange nicht festgestellt ist, wieviel der Kläger vor dem Abschluss des Vertrages vom 12. Oktober 1945 rechtmässig schuldete. Erst wenn diese Schuld bekannt ist, kann gesagt werden, ob der Kläger bei der Abgabe seiner Erklärungen vom November 1949 nicht mehr unter dem Einfluss der Furcht vor Zwangsvollstreckung stand. Nur wenn dies nicht mehr der Fall war, kann diesen Erklärungen Genehmigungswirkung beigemessen werden. Bestand die Furcht des Klägers damals noch, so können diese Handlungen nicht als Genehmigung des mangelhaften Vertrages ausgelegt werden, weil sie nicht Ausfluss freien Willens und darum rechtlich nicht beachtlich waren.
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d) Die Sache ist daher an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Abklärung der Frage, auf welchen Betrag sich die Schuld des Klägers im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vom 12. Oktober 1945 belief, sowie von welchem Zeitpunkt an auf Grund der von ihm geleisteten Abzahlungen diese Schuld getilgt und damit seine Furcht beseitigt war.
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